18.12.2016 - 15:03 Uhr
Meggi
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Dernière
Der Lärm brach jäh ab und wurde zu einem dumpfen Rauschen, als sie die schwere Tür hinter sich schloss. Rudolf stand vor dem beleuchteten Spiegel und wischte sich Schweiß und Schminke vom Gesicht. Die Fliege hatte er aufgezogen, ihre Enden baumelten vom geöffneten Hemdkragen herab.
Eine Dreiviertelstunde lang hatte das Publikum Vorhang um Vorhang eingefordert. Sie wusste, was ihm dieser Auftritt - diese ganze Spielzeit - bedeutet hatten. Beharrlich hatte er darauf hingearbeitet. Elf Jahre, davon fünf an einem kleinen Haus in der Provinz, hatte er sich von den Nebenrollen her nach und nach emporgedient. Bis zum „Alfredo“ in Verdis „La Traviata“ an der Staatsoper Unter den Linden. Dass er nur die B-Besetzung gewesen war, tat seinem großen persönlichen Erfolg keinen Abbruch. Nicht weniger groß musste für ihn indes die Bitterkeit des heutigen Abends sein. Ein Dernière im doppelten Sinne, denn weitere Auftritte würden hier nicht folgen.
Als er sich endlich umdrehte, trat sie auf ihn zu und sie küssten sich. Sie mochte seinen Duft sehr. Juchten hatte er sich 1930 von seiner ersten Berliner Gage gekauft, das Parfüm war just im Schaufenster von L.A. Schmitt erschienen. Er hätte sich Extravaganteres leisten können; der Wechsel an die Staatsoper hatte die kümmerlichen Zeiten beendet, in denen vor allem ihr Gehalt als Sekretärin sie über die Runden gebracht hatte. Auch als die Gagen allmählich höher geworden waren und er sich mit teuren französischen Wässerchen hätte besprühen können, hatte er weiterhin Juchten benutzt. Er war nie abgehoben, sich stets treu geblieben. Einer der Gründe, warum sie ihn liebte.
Der säuerlich-frische und herb-adstringierende, gleichwohl zurückhaltende Auftakt von Bergamotte und Zitrone, geerdet von einer Idee Moos, war selbstverständlich längst verflogen. Für die angeblichen Zutaten Tabak und Cognac brauchte sie ein bisschen Phantasie, damit sich zumindest eine Ahnung erhaschen ließ.
Inzwischen war allerdings einzig noch das hautnahe, beruhigende Gemisch von Leder und Moos bestimmend, gepaart mit einem beinahe seifigen Rest von Frische, mit dem der Duft viele dezente Stunden verbrachte. Gut so, ein stärkerer Duft wäre für die übrigen Darsteller eine Zumutung gewesen.
Ihre Lippen lösten sich und sie sahen einander an. Wehmut lag in seinem Blick. Drüben würde er wieder kleinere Brötchen backen müssen, schließlich sang dort ein Giovanni Martinelli. Doch immerhin war es die „Met“ geworden. Ein ehemaliger Kollege, der vorzügliche Heldenbariton Friedrich Schorr, hatte geholfen. Er war bereits 1931 emigriert, und obwohl sie in Berlin deshalb bloß in wenigen Aufführungen zusammen auf der Bühne gestanden hatten, hatte jener feine Mann ihn als Partner für Nebenrollen schätzen gelernt und beim Met-Intendanten Edward Johnson ein Wort für ihn einlegen mögen. Sonst hätte Rudolf einen Platz am berühmtesten Haus Amerikas kaum ergattern können.
Sie merkte seinem Blick an, dass er noch einmal dem abebbenden Beifall nachlauschte. Diesem einen, letzten Triumph in seiner ersten großen Verdi-Partie, bevor sie gemeinsam das Land verlassen würden. Eben hatten sich die Buh-Rufe und Schmähungen einiger braun-behemdeter Gestalten im donnernden Applaus verloren. Nur würde das nicht so bleiben, seit im Herbst vergangenen Jahres Gesetze erlassen worden waren, die ihrer beider Verbindung verboten. Bislang hatte ihn seine relative Prominenz geschützt, aber früher oder später würde er ins Visier genommen werden. Im Zweifelsfall würde irgendein Konkurrent dafür schon sorgen.
Er allein hatte eine Entscheidung zu treffen gehabt. Als derjenige, der nicht selbst im Zentrum des Hasses stand. Die Wahl zwischen der Karriere oder der Liebe zu einer Frau. Er hatte gewählt und seinen Vertrag nicht in die nächste Spielzeit zu verlängern gesucht. Intendant Heinz Tietjen hatte gespöttelt, ob er wohl erwartete, laufend für einzelne Aufführungen engagiert zu werden – ganz wie ein Weltstar. Sollte der doch denken, was er wollte. Natürlich hatte Rudolf ihn nicht eingeweiht. Tietjen zu trauen, wäre töricht. Der würde außerdem ohnehin nichts lieber tun, als eine freie Position mit einem linientreuen Günstling zu besetzen. Nein, besser ein diskreter Aufbruch, der wie ein harmloser Urlaub begann.
Und nun war alles bereit. Er nahm ihre Hände in seine und sagte: „Lass uns gehen. New York wartet.“
Eine Dreiviertelstunde lang hatte das Publikum Vorhang um Vorhang eingefordert. Sie wusste, was ihm dieser Auftritt - diese ganze Spielzeit - bedeutet hatten. Beharrlich hatte er darauf hingearbeitet. Elf Jahre, davon fünf an einem kleinen Haus in der Provinz, hatte er sich von den Nebenrollen her nach und nach emporgedient. Bis zum „Alfredo“ in Verdis „La Traviata“ an der Staatsoper Unter den Linden. Dass er nur die B-Besetzung gewesen war, tat seinem großen persönlichen Erfolg keinen Abbruch. Nicht weniger groß musste für ihn indes die Bitterkeit des heutigen Abends sein. Ein Dernière im doppelten Sinne, denn weitere Auftritte würden hier nicht folgen.
Als er sich endlich umdrehte, trat sie auf ihn zu und sie küssten sich. Sie mochte seinen Duft sehr. Juchten hatte er sich 1930 von seiner ersten Berliner Gage gekauft, das Parfüm war just im Schaufenster von L.A. Schmitt erschienen. Er hätte sich Extravaganteres leisten können; der Wechsel an die Staatsoper hatte die kümmerlichen Zeiten beendet, in denen vor allem ihr Gehalt als Sekretärin sie über die Runden gebracht hatte. Auch als die Gagen allmählich höher geworden waren und er sich mit teuren französischen Wässerchen hätte besprühen können, hatte er weiterhin Juchten benutzt. Er war nie abgehoben, sich stets treu geblieben. Einer der Gründe, warum sie ihn liebte.
Der säuerlich-frische und herb-adstringierende, gleichwohl zurückhaltende Auftakt von Bergamotte und Zitrone, geerdet von einer Idee Moos, war selbstverständlich längst verflogen. Für die angeblichen Zutaten Tabak und Cognac brauchte sie ein bisschen Phantasie, damit sich zumindest eine Ahnung erhaschen ließ.
Inzwischen war allerdings einzig noch das hautnahe, beruhigende Gemisch von Leder und Moos bestimmend, gepaart mit einem beinahe seifigen Rest von Frische, mit dem der Duft viele dezente Stunden verbrachte. Gut so, ein stärkerer Duft wäre für die übrigen Darsteller eine Zumutung gewesen.
Ihre Lippen lösten sich und sie sahen einander an. Wehmut lag in seinem Blick. Drüben würde er wieder kleinere Brötchen backen müssen, schließlich sang dort ein Giovanni Martinelli. Doch immerhin war es die „Met“ geworden. Ein ehemaliger Kollege, der vorzügliche Heldenbariton Friedrich Schorr, hatte geholfen. Er war bereits 1931 emigriert, und obwohl sie in Berlin deshalb bloß in wenigen Aufführungen zusammen auf der Bühne gestanden hatten, hatte jener feine Mann ihn als Partner für Nebenrollen schätzen gelernt und beim Met-Intendanten Edward Johnson ein Wort für ihn einlegen mögen. Sonst hätte Rudolf einen Platz am berühmtesten Haus Amerikas kaum ergattern können.
Sie merkte seinem Blick an, dass er noch einmal dem abebbenden Beifall nachlauschte. Diesem einen, letzten Triumph in seiner ersten großen Verdi-Partie, bevor sie gemeinsam das Land verlassen würden. Eben hatten sich die Buh-Rufe und Schmähungen einiger braun-behemdeter Gestalten im donnernden Applaus verloren. Nur würde das nicht so bleiben, seit im Herbst vergangenen Jahres Gesetze erlassen worden waren, die ihrer beider Verbindung verboten. Bislang hatte ihn seine relative Prominenz geschützt, aber früher oder später würde er ins Visier genommen werden. Im Zweifelsfall würde irgendein Konkurrent dafür schon sorgen.
Er allein hatte eine Entscheidung zu treffen gehabt. Als derjenige, der nicht selbst im Zentrum des Hasses stand. Die Wahl zwischen der Karriere oder der Liebe zu einer Frau. Er hatte gewählt und seinen Vertrag nicht in die nächste Spielzeit zu verlängern gesucht. Intendant Heinz Tietjen hatte gespöttelt, ob er wohl erwartete, laufend für einzelne Aufführungen engagiert zu werden – ganz wie ein Weltstar. Sollte der doch denken, was er wollte. Natürlich hatte Rudolf ihn nicht eingeweiht. Tietjen zu trauen, wäre töricht. Der würde außerdem ohnehin nichts lieber tun, als eine freie Position mit einem linientreuen Günstling zu besetzen. Nein, besser ein diskreter Aufbruch, der wie ein harmloser Urlaub begann.
Und nun war alles bereit. Er nahm ihre Hände in seine und sagte: „Lass uns gehen. New York wartet.“
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