Cuba 2002 Cologne

Meggi
30.03.2014 - 13:43 Uhr
19
Top Rezension
5
Flakon
5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
8
Duft

Nach dem Tag

Cuba ist ein Duft mit zwei Gesichtern – je nach Dosierung. Wird er vorsichtig gehandhabt, entspricht sein Auftakt in der kurzen Frische von Minze mit Spritzern von Zitrusfrucht und einem Schuss Rum dem, was der Mitteleuropäer (zumal, wenn er – wie ich – nie dort war) gemeinhin mit der Karibik verbinden dürfte. Der weitere Duftverlauf mit der Süße von Zuckerrohr nebst ausgleichenden, herberen Noten fügt sich gleichermaßen den Suggestionen der Reiseveranstalter. Ein harmloser Sommerduft, passend zu einem Pauschal-Urlaub.

Aber Cuba kann mehr, viel mehr. Beherzt aufgetragen trifft der Begriff „Karibik-Lebensgefühl“ wohl nur noch auf die abgelegene Karibik der Einheimischen mit all ihren Facetten zu. Es ist, als würde ein Vorhang zurückgezogen: Ein ahnungsloser Wohlstandsgesellschaftler hat den All-inclusive-Kokon verlassen. Er ist unterwegs im Irgendwo, ohne den süffisanten Mikrokosmos einer Reisegruppe, ohne von einlullenden Fremdenführer-Worten mithilfe einer sorgsam erarbeiteten Route behütet und getäuscht zu werden.

Eine Woge von Eindrücken flutet die Sinne beim ersten Schritt aus dem Fahrzeug. Ein Schwall von Gerüchen strömt heran. Adstringierende Hesperidien, eine Wolke ätherischer Öle, scharfer Alkohol, kaum abgerundet vom Aromatischen des Rum und keineswegs ineinander gemischt. Und ein paar Minuten später ist plötzlich anderes daneben. Das bemerke offenbar nicht allein ich - das Stichwort fäkal fiel bereits. So riecht es nahe an einem Klärwerk oder aus einer geöffneten Klärgrube heraus und obwohl das weniger übel daherkommt als beim Ausgangsmaterial, verleugnet es seine Herkunft nicht im Mindesten (Ich weiß, wovon ich spreche, Details höchstens auf nachdrückliche Anfrage – ist ‘ne echte Scheiß-Geschichte…).

Der Eindruck geht vorbei, ungefähr eine halbe Stunde hält er sich und fordert mich mächtig. Abartig, sicherlich, doch auch abwegig? Meine oft zitierte Kollegin (und edle Spenderin des Pröbchens) hat die Karibik bereist; sie nickte wissend. Eine Note von Tabak - ge(b)rauchtem! – zeigt sich gegen Ende der ersten Stunde. Meine Frau hat früher geraucht, bis zum Erscheinen des zweiten Streifens beim Schwangerschaftstest, und ein über Nacht stehengelassener Aschenbecher…lassen wir das lieber.

Rund eine Stunde dauert es, bis die Frische die Oberhand gewinnt. Unser Ausflügler hat sich langsam gewöhnt - oder vielleicht eher erholt. Eingeladen zum Beisammensein hat er, unvermutet zum Reisenden gereift, ein Stück der mitgeführten Distanz überwunden und sich dazugesellt. Nun, entspannter, spürt er eine Brise. Ein bisschen herb ist sie, säuerlich, würzig; das Vetiver ist da. Nach drei, vier Stunden rückt Zuckerrohr wie aus einem milden Rum gänzlich in den Vordergrund. Aber noch immer ist dahinter der dreckige Asche-Geruch verbrannten, gealterten Tabaks, gedämpfter als zuvor, gleichwohl an der Grenze des Erträglichen.

Ab der fünften, sechsten Stunde wird der Duft schließlich vollends sanft. Ein warmes Lüftchen weht das leise Murmeln unverstandener Gespräche heran. Im Laufe des Abends ist ein Ozean an Abstand unbemerkt geschwunden; der Rum hat geholfen. Die Zuckerrohr-Süße wird nie schwer, denn sie wird wunderbar ergänzt um Vetiver, Holz und ein winziges Überbleibsel der Zitrusfrucht; Weihrauch allenfalls als Idee, eine Spur Leder könnte außerdem dabei sein. Es ist spät geworden.

Dies ist nicht die Karibik aus der Bacardi-Werbung der Neunziger Jahre, deren Szenerie für mich wenigstens im Rückblick belanglose Zusammenkunft sorgloser Leute ist. Wo der Moment bloß wahrgenommen wird, sofern er Geschehen bietet. Wenn nicht, füllt einzig das Verlangen nach dem nächsten Moment die Leere. Wir Mitteleuropäer neigen womöglich zu so etwas.

Cuba beschwört hingegen Bilder von Menschen, welche ihren existentiellen Sorgen eine voraussetzungsfreie Freude abgerungen haben. Die Lage mag nicht gerade hoffnungslos sein, doch wer weiß das schon? Und selbst wenn: Ernst ist sie jedenfalls ganz gewiss nicht, zumindest heute nicht mehr.

Einige Stunden des Müßiggangs am Abend sind Erlebnis ohne Ereignis. Im Vorbeitreiben des Lebens wird der Augenblick eingesogen, bis er still steht. Mithin wird Cuba am Ende zu einem Duft der Nacht. Nicht der Nacht der Wohlhabenden; deren Nacht bedarf nicht des Tages, denn sie gleicht ihm. Der Nacht von Cuba wird ihr Wesen nur zuteil nach einem Tag voller Anstrengungen und Entbehrungen, die dennoch den Kern des Seins nicht berühren konnten und ihn auch morgen nicht berühren werden. Es ist die Nacht nach dem Tag.
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