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Hilfreiche Rezension
Ich brech' dann mal 'ne Lanze ...
Kurz vor Weihnachten veranstaltet das Internat, in dem ich arbeite, ein rauschendes Fest. Eine heiß ersehnte Ballnacht, in der Herzen entflammen und brechen, bevor man sich am nächsten Tag für die kommenden drei Wochen voneinander verabschieden muss.
Großes Kino. Zumal die Veranstaltung zweigeteilt stattfindet. Die Klassen 5 bis 8 haben ihren eigenen kleinen Ball in geschütztem Rahmen. Und ich hatte die Ehre, das Ganze moralisch und fotografisch begleiten zu dürfen. Abendgarderobe ist natürlich obligatorisch und meine werdenden Diven scheuten selbstverständlich weder Mühen noch Kosten, um sich gegenseitig das Wasser abzugraben. Die kleinen 5.-Klässlerinnen noch etwas schüchtern und zaghaft, die 8-Klässlerinnen durch beherzten Make-up-Einsatz optisch bereits so gereift, dass sie locker manche Clubtür hätten meistern können. Ich war kurz sprachlos. Eine stach jedoch aus dem Meer fleischgewordener pubertärer Feierwut heraus. Sie trug die üppigen Locken ihres langen dunkelblonden Haares zur Seite gesteckt, hatte ihre dunkelblauen Kulleraugen dezent betont und erfüllte den Raum mit der Wärme ihres strahlenden Lächelns. Sie trug ein knielanges und auf einer Seite schulterfreies Kleid, dessen feiner schwarzer Stoff leicht schimmerte und perfekt mit den zierlichen schwarzen Mary-Janes an ihren noch zierlicheren Füßen harmonierte. Als ich ihr ein Kompliment für ihr Outfit machte, wurde ich stutzig. Wir standen in einer sprichwörtlichen Parfumwolke. Aber das kann doch nicht sein? Es riecht so tief, so erwachsen, sinnlich, dunkel, weich, geheimnisvoll, umfangend. Mein Duft ist es definitiv nicht. Der ist zwar auch gut, aber anders. Ich inhalierte den Duftschleier förmlich und es gab keinen Zweifel. Die kleine Lady in Black duftete mich so gekonnt an. Ohne Umschweife stellte ich ihr die Frage der Fragen. Leicht verlegen und geschmeichelt lächelte sie mich an und antwortete: "Miss Dior, habe heute extra das Eau de Parfum genommen."
Aha. So erwachsen riecht Miss Dior? Dieser unglaublich tiefe und dunkle Patchouli, der durch das Palisanderholz eine warme und kuschelige Aura bekommt und trotz Dunkelheit nie düster wirkt? Miss Dior! Und wieder bin ich sprachlos. Da ist noch etwas dezent Blumiges, das mitschwingt, aber nicht dominiert. Eine sanfte Rose, die sich hinter dem Palisanderholz versteckt und nur leise hinüberduftet. Ich nehme auch eine feine Vanille wahr, obwohl die angeblich gar nicht da sein dürfte. Der Duft ist leicht süß, aber es ist eine weiche, abrundende Süße - nicht das spitze Messer aus geschmolzenem und wieder erstarrtem Zucker, das andere beliebte Düfte aus dem Fruity-Florals-Regal mir direkt in mein Riechzentrum zu rammen pflegen.
Ich gehe an diesem Abend noch häufig an ihr vorbei und jedes Mal geschieht dies mit einem bewussten Hinriechen und Wahrnehmen. Und mit jedem Mal finde ich den Duft unpassender für dieses bildschöne junge Mädchen. Der Duft erzählt Geschichten über das Wesen und die gemachten Erfahrungen seiner Trägerin und um eben diese zu sammeln, braucht es mehr als 14 Lenze. Der Duft ist so sinnlich, dass er einer opulenten Weiblichkeit bedarf, um dieser wiederum eine noch opulentere Weiblichkeit zu verleihen. Duftende Reziprozität. Oder so ähnlich.
Längst ist der Entschluss gereift, den Duft bei nächster Gelegenheit testen zu müssen. Als ich den Flakon sehe, verdrehen sich meine Augen quasi von selbst. Darf es noch ein bisschen mehr Girlie sein? Noch ein kleines Schleifchen ums Hälschen vom Gläschen?
Ich sprühe direkt auf die Haut und sogleich macht sich Ernüchterung breit. Wo sind die dunklen Töne? Hier duftet nichts in Moll, hier schreit mir eine grellhelle Rose in schrillem Dur mitten ins Gesicht. Arg künstlich stellt sie sich dabei an. Pfeffer, Mandarine? Keine Ahnung. Es riecht für mich nach allerweltsgefälligem Einerlei. Die sinnliche Femme Fatale auf tragische Weise vom Winde verweht. Au revoir, Miss Dior! Du bist doch der nervige Teenie, den ich dir schon angedichtet hatte, bevor wir uns das erste Mal trafen.
Etwa eine Stunde später ist es dann doch so weit. Die Miss chillt ihre Base (ich höre das tatsächlich häufiger) und umfängt mich mit dieser wundervoll-verführerischen Aura, die mich am Ballabend so abrupt in ihren Bann ziehen konnte. Ich bin augenblicklich mit der garstigen Kopfnote versöhnt und freue mich, dass die Miss mit meiner Haut kooperiert.
Dass ich auf diesen Duftmoment ein Weilchen warten muss, stört mich nicht wirklich, da der Duft in dieser Ausprägung extrem haltbar ist und auch in puncto Sillage nicht schwächelt. An meinem Schal nehme ich ihn sogar nach einer Woche noch deutlich wahr.
Diese Miss führt hier definitiv zu Unrecht ein Schattendasein. Mir gefällt sie. Aber eben nicht an der Miss, sondern an der Misses.
Großes Kino. Zumal die Veranstaltung zweigeteilt stattfindet. Die Klassen 5 bis 8 haben ihren eigenen kleinen Ball in geschütztem Rahmen. Und ich hatte die Ehre, das Ganze moralisch und fotografisch begleiten zu dürfen. Abendgarderobe ist natürlich obligatorisch und meine werdenden Diven scheuten selbstverständlich weder Mühen noch Kosten, um sich gegenseitig das Wasser abzugraben. Die kleinen 5.-Klässlerinnen noch etwas schüchtern und zaghaft, die 8-Klässlerinnen durch beherzten Make-up-Einsatz optisch bereits so gereift, dass sie locker manche Clubtür hätten meistern können. Ich war kurz sprachlos. Eine stach jedoch aus dem Meer fleischgewordener pubertärer Feierwut heraus. Sie trug die üppigen Locken ihres langen dunkelblonden Haares zur Seite gesteckt, hatte ihre dunkelblauen Kulleraugen dezent betont und erfüllte den Raum mit der Wärme ihres strahlenden Lächelns. Sie trug ein knielanges und auf einer Seite schulterfreies Kleid, dessen feiner schwarzer Stoff leicht schimmerte und perfekt mit den zierlichen schwarzen Mary-Janes an ihren noch zierlicheren Füßen harmonierte. Als ich ihr ein Kompliment für ihr Outfit machte, wurde ich stutzig. Wir standen in einer sprichwörtlichen Parfumwolke. Aber das kann doch nicht sein? Es riecht so tief, so erwachsen, sinnlich, dunkel, weich, geheimnisvoll, umfangend. Mein Duft ist es definitiv nicht. Der ist zwar auch gut, aber anders. Ich inhalierte den Duftschleier förmlich und es gab keinen Zweifel. Die kleine Lady in Black duftete mich so gekonnt an. Ohne Umschweife stellte ich ihr die Frage der Fragen. Leicht verlegen und geschmeichelt lächelte sie mich an und antwortete: "Miss Dior, habe heute extra das Eau de Parfum genommen."
Aha. So erwachsen riecht Miss Dior? Dieser unglaublich tiefe und dunkle Patchouli, der durch das Palisanderholz eine warme und kuschelige Aura bekommt und trotz Dunkelheit nie düster wirkt? Miss Dior! Und wieder bin ich sprachlos. Da ist noch etwas dezent Blumiges, das mitschwingt, aber nicht dominiert. Eine sanfte Rose, die sich hinter dem Palisanderholz versteckt und nur leise hinüberduftet. Ich nehme auch eine feine Vanille wahr, obwohl die angeblich gar nicht da sein dürfte. Der Duft ist leicht süß, aber es ist eine weiche, abrundende Süße - nicht das spitze Messer aus geschmolzenem und wieder erstarrtem Zucker, das andere beliebte Düfte aus dem Fruity-Florals-Regal mir direkt in mein Riechzentrum zu rammen pflegen.
Ich gehe an diesem Abend noch häufig an ihr vorbei und jedes Mal geschieht dies mit einem bewussten Hinriechen und Wahrnehmen. Und mit jedem Mal finde ich den Duft unpassender für dieses bildschöne junge Mädchen. Der Duft erzählt Geschichten über das Wesen und die gemachten Erfahrungen seiner Trägerin und um eben diese zu sammeln, braucht es mehr als 14 Lenze. Der Duft ist so sinnlich, dass er einer opulenten Weiblichkeit bedarf, um dieser wiederum eine noch opulentere Weiblichkeit zu verleihen. Duftende Reziprozität. Oder so ähnlich.
Längst ist der Entschluss gereift, den Duft bei nächster Gelegenheit testen zu müssen. Als ich den Flakon sehe, verdrehen sich meine Augen quasi von selbst. Darf es noch ein bisschen mehr Girlie sein? Noch ein kleines Schleifchen ums Hälschen vom Gläschen?
Ich sprühe direkt auf die Haut und sogleich macht sich Ernüchterung breit. Wo sind die dunklen Töne? Hier duftet nichts in Moll, hier schreit mir eine grellhelle Rose in schrillem Dur mitten ins Gesicht. Arg künstlich stellt sie sich dabei an. Pfeffer, Mandarine? Keine Ahnung. Es riecht für mich nach allerweltsgefälligem Einerlei. Die sinnliche Femme Fatale auf tragische Weise vom Winde verweht. Au revoir, Miss Dior! Du bist doch der nervige Teenie, den ich dir schon angedichtet hatte, bevor wir uns das erste Mal trafen.
Etwa eine Stunde später ist es dann doch so weit. Die Miss chillt ihre Base (ich höre das tatsächlich häufiger) und umfängt mich mit dieser wundervoll-verführerischen Aura, die mich am Ballabend so abrupt in ihren Bann ziehen konnte. Ich bin augenblicklich mit der garstigen Kopfnote versöhnt und freue mich, dass die Miss mit meiner Haut kooperiert.
Dass ich auf diesen Duftmoment ein Weilchen warten muss, stört mich nicht wirklich, da der Duft in dieser Ausprägung extrem haltbar ist und auch in puncto Sillage nicht schwächelt. An meinem Schal nehme ich ihn sogar nach einer Woche noch deutlich wahr.
Diese Miss führt hier definitiv zu Unrecht ein Schattendasein. Mir gefällt sie. Aber eben nicht an der Miss, sondern an der Misses.
8 Antworten


'Der Duft ist so sinnlich, dass er einer opulenten Schreibkunst bedarf, um diesem wiederum eine noch opulentere Weiblichkeit zu verleihen. Duftdenkende Reziprozität. Oder so ähnlich.' :))