PATRA, der Duft, den eine Wolke des Unbekannten umgibt, eine Wolke der Vergessenheit, einer Zeit, die uns längst entronnen ist...
Wieviele Male ließ ich mich stolz dafür loben, selbst die vergrabensten Schätze ans Licht gebracht zu haben, doch diesmal scheitere ich kläglich!
Die Berliner Firma Gebrüder Kleiner scheint von 1935 bis ins Jahr 1961 Parfums produziert und vertrieben zu haben, aber das ominöse Patra hinterlässt außer ein paar verbliebenen Flakons und Miniaturen keine haltbaren Spuren.
Ich habe gesucht und recherchiert, ich habe mich gewunden und gebogen.
Neben Patra wurde unter anderem auch das Parfum "Berlin" und "Kleiner" auf den Markt gebracht.
Doch besonders Patra scheint das Rampenlicht der Parfumkreationen Kleiners erleuchtet zu haben, denn es wurden auch Flanker Namens Patra Chypre, Fougère, Rose und auch Patra Maigloeckchen (Muguet), Nelke (Ouillet), sowie Patra Royal und Patra Majora lanciert und herausgebracht.
Vor mir steht nun ein jungfräulicher Flakon "Patra", einfach nur "Patra"!
Ich muß mich entschuldigen, denn wenn ich von "Jungfräulichkeit " schreibe, hab ich just in diesem Moment gelogen, denn genau diese Jungfräulichkeit hab ich diesem Duft genommen....
Ich hab ihn geöffnet, den Flakon mit den breiten Hüften und dem Kronensiegelschraubverschluss. War zu neugierig, um ihn weiter ruhen zu lassen, wollte es lüften, das Geheimnis dieses alten Duftes, über den man so gut wie keine Spuren mehr findet.
Selbst hier in der Hochburg der olfaktorischen Informationen scheint darüber Ratlosgkeit zu herrschen.
Erstaunt muß ich zugeben, dass der Zahn der Zeit nicht scharf genug für dieses Exemplar gewesen zu sein scheint, denn Patra begrüßt mich mit einer überraschend frischen Kopfnote. "Hallo Michelangela, ich habe einen Krieg, die Flowerpowerzeit, die goldenen Achtziger, die resignierenden Neunziger, die Jahrhundertwende und noch knappe zwölfeinhalb Jahre überlebt, bis Du mich aus dem Dornröschenschlaf geweckt hast. Sei mit würziger Bergamotte und seifig-krautigem Beiwerk gegrüßt!"
Direkt stelle ich eine nahe Verwandtschaft zu Joya von Myrurgia fest. Gefolgt von einer irislastigen Blütenschar eröffnet sich ein Herz, dass sich mir würzig und unsüß erschließt. Fast so, als würde ich eine Reihe alter Freunde begrüßen, schließt sich der Kreis und ich erkenne die wohlbekannte Handschrift dieser Epoche wieder: ein bißchen "Joy", aber nicht so schwer; ein bißchen "Poesie", aber nicht so blümerant; ein wenig Arpege, aber nicht so cremig und mit einer frappierenden Ähnlichkeit zu "Nuits de Longchamps" mit ganz viel Nostalgie im Flakon.
Patra ist ein beispielloses Zeitzeichen der Jahre zwischen den Kriegen, ein Auflehnen gegen die Wirtschaftskrise und der unbändige Drang, die Schönheit des Lebens im Augenblick und in einem Hauch Parfum festzuhalten.
Die üblichen Statisten wie Rose, Jasmin, Nelke und mutmaßlich erahnte Ylang Ylang erheitern die olfaktorische Bühne und verleihen dem Duft eine herbe Blumigkeit, die sich satt und geschmeidig auf der Haut ausbreitet.
Ja, ich erlaube mir, von alter Parfumeurskunst zu sprechen, besonders wenn sich die Blütenfülle zurückzieht und eine warme, chyprische Basis aus Eichenmoos, Balsamen und Hölzern zum Niederknien einlädt!
Fazit:
Wenn man sich auf einen Duft des Jahres 1935 einlässt, besonders einem, der bestimmt nicht kastriert, verjüngt oder auf irgendeine andere Weise reformuliert wurde, steht man einem Stück Zeitgeschichte gegenüber. Es wäre demnach absolut unangebracht, zu erwarten, dass man einem "jugendlichen" modischen Exemplar gegenübersteht. Sicherlich dürfen wir auch nicht die (chemische) Raffinesse erwarten, der wir bei einem Duft der heutigen Zeit gegenüberstehen.
Dennoch kann ich keineswegs behaupten, dass dieser Duft nicht tragbar ist.
Vintage bekommt hier eine Bedeutung, die sehr reizvoll klingt: Altem, unvergessen Schönem durch Wiederbelebung neuen Glanz zu verleihen.
Ich bereue nicht, den heiligen Gral (das ungeöffnete Flakon) entweiht zu haben, denn ich denke, der Augenblick ist gekommen, an dem ich verkünde:
Patra ist ein Duft, der es verdient, getragen zu werden!
Es fehlt mir nur noch die richtige Gelegenheit dazu...
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^^(Scotty, beam mich doch mal eben rüber nach Berlin ins Jahr 1935!)^^