Patra (Eau de Cologne) von Gebrüder Kleiner

Patra 1949 Eau de Cologne

Michelangela
29.05.2013 - 19:16 Uhr
27
Top Rezension
9Duft 7.5Haltbarkeit 5Sillage

Berliner Noblesse

PATRA, der Duft, den eine Wolke des Unbekannten umgibt, eine Wolke der Vergessenheit, einer Zeit, die uns längst entronnen ist...
Wieviele Male ließ ich mich stolz dafür loben, selbst die vergrabensten Schätze ans Licht gebracht zu haben, doch diesmal scheitere ich kläglich!
Die Berliner Firma Gebrüder Kleiner scheint von 1935 bis ins Jahr 1961 Parfums produziert und vertrieben zu haben, aber das ominöse Patra hinterlässt außer ein paar verbliebenen Flakons und Miniaturen keine haltbaren Spuren.
Ich habe gesucht und recherchiert, ich habe mich gewunden und gebogen.
Neben Patra wurde unter anderem auch das Parfum "Berlin" und "Kleiner" auf den Markt gebracht.
Doch besonders Patra scheint das Rampenlicht der Parfumkreationen Kleiners erleuchtet zu haben, denn es wurden auch Flanker Namens Patra Chypre, Fougère, Rose und auch Patra Maigloeckchen (Muguet), Nelke (Ouillet), sowie Patra Royal und Patra Majora lanciert und herausgebracht.

Vor mir steht nun ein jungfräulicher Flakon "Patra", einfach nur "Patra"!
Ich muß mich entschuldigen, denn wenn ich von "Jungfräulichkeit " schreibe, hab ich just in diesem Moment gelogen, denn genau diese Jungfräulichkeit hab ich diesem Duft genommen....
Ich hab ihn geöffnet, den Flakon mit den breiten Hüften und dem Kronensiegelschraubverschluss. War zu neugierig, um ihn weiter ruhen zu lassen, wollte es lüften, das Geheimnis dieses alten Duftes, über den man so gut wie keine Spuren mehr findet.
Selbst hier in der Hochburg der olfaktorischen Informationen scheint darüber Ratlosgkeit zu herrschen.

Erstaunt muß ich zugeben, dass der Zahn der Zeit nicht scharf genug für dieses Exemplar gewesen zu sein scheint, denn Patra begrüßt mich mit einer überraschend frischen Kopfnote. "Hallo Michelangela, ich habe einen Krieg, die Flowerpowerzeit, die goldenen Achtziger, die resignierenden Neunziger, die Jahrhundertwende und noch knappe zwölfeinhalb Jahre überlebt, bis Du mich aus dem Dornröschenschlaf geweckt hast. Sei mit würziger Bergamotte und seifig-krautigem Beiwerk gegrüßt!"
Direkt stelle ich eine nahe Verwandtschaft zu Joya von Myrurgia fest. Gefolgt von einer irislastigen Blütenschar eröffnet sich ein Herz, dass sich mir würzig und unsüß erschließt. Fast so, als würde ich eine Reihe alter Freunde begrüßen, schließt sich der Kreis und ich erkenne die wohlbekannte Handschrift dieser Epoche wieder: ein bißchen "Joy", aber nicht so schwer; ein bißchen "Poesie", aber nicht so blümerant; ein wenig Arpege, aber nicht so cremig und mit einer frappierenden Ähnlichkeit zu "Nuits de Longchamps" mit ganz viel Nostalgie im Flakon.
Patra ist ein beispielloses Zeitzeichen der Jahre zwischen den Kriegen, ein Auflehnen gegen die Wirtschaftskrise und der unbändige Drang, die Schönheit des Lebens im Augenblick und in einem Hauch Parfum festzuhalten.
Die üblichen Statisten wie Rose, Jasmin, Nelke und mutmaßlich erahnte Ylang Ylang erheitern die olfaktorische Bühne und verleihen dem Duft eine herbe Blumigkeit, die sich satt und geschmeidig auf der Haut ausbreitet.
Ja, ich erlaube mir, von alter Parfumeurskunst zu sprechen, besonders wenn sich die Blütenfülle zurückzieht und eine warme, chyprische Basis aus Eichenmoos, Balsamen und Hölzern zum Niederknien einlädt!

Fazit:
Wenn man sich auf einen Duft des Jahres 1935 einlässt, besonders einem, der bestimmt nicht kastriert, verjüngt oder auf irgendeine andere Weise reformuliert wurde, steht man einem Stück Zeitgeschichte gegenüber. Es wäre demnach absolut unangebracht, zu erwarten, dass man einem "jugendlichen" modischen Exemplar gegenübersteht. Sicherlich dürfen wir auch nicht die (chemische) Raffinesse erwarten, der wir bei einem Duft der heutigen Zeit gegenüberstehen.
Dennoch kann ich keineswegs behaupten, dass dieser Duft nicht tragbar ist.
Vintage bekommt hier eine Bedeutung, die sehr reizvoll klingt: Altem, unvergessen Schönem durch Wiederbelebung neuen Glanz zu verleihen.
Ich bereue nicht, den heiligen Gral (das ungeöffnete Flakon) entweiht zu haben, denn ich denke, der Augenblick ist gekommen, an dem ich verkünde:
Patra ist ein Duft, der es verdient, getragen zu werden!
Es fehlt mir nur noch die richtige Gelegenheit dazu...
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^^(Scotty, beam mich doch mal eben rüber nach Berlin ins Jahr 1935!)^^
12 Antworten
GreyFlannelGreyFlannel vor 2 Jahren
Klasse Kommentar, aber eins verstehe ich nicht: Du sagst, Patra sei von 1935 und oben in der Beschreibung von parfumo ist von 1949 die Rede. Jetzt bin ich verwirrt! Kann mich bitte jemand aufklären? Hilfe!!!
MichelangelaMichelangela vor 5 Monaten
Von 1946 bis 1948 wurde das von französischen Düften inspirierte herbe Parfüm PATRA entwickelt. Aufgrund der fehlenden Rohstoffe und der Blockade Berlins wurde es jedoch erst ab 1950 verkauft.
Diese Informationen standen mir aber zu Zeiten des Kommentars noch nicht zur Verfügung. Heute gibt es einen informativen Artikel zu den Gebrüdern Kleiner bei archivspiegel.de
(unter-der-lupe-patra-ihr-parfuem-in-aller-welt)
MonsieurTestMonsieurTest vor 3 Jahren
Sehr schöner Bericht von der Entsiegelung und Verortungsversuch der Firma Kleiner (ich hab vor 20 Minuten das Gleiche erlebt mit Metaldeckelchen und mürb-altem Wollfaden... und schnüffel seither am betupften Finger...).
Wenn nix Weiteres (z.B. Eau de Cologne) auf dem Flacon steht, handelt es sich vermutlich um das Parfum? Zu dem es mittlerweile auch einen Eintrag und ein Foto (sieht genau aus wie mein Flakönchen) gibt.
HasiHasi vor 12 Jahren
Ganz toller, informativer, gut recherchierter Kommentar, Liebes! Unten gibt es ein Foto von meinem Patra. Die ersten Patra-Flakons werden auf ebay selten aber zu horrenden Preisen angeboten.
ErgoproxyErgoproxy vor 12 Jahren
Dafür wüsste ich die richtige Gelegenheit: Boheme-Sauvage Abende bei Else Edelstahl!
YataganYatagan vor 12 Jahren
Tolle Zeitreise!
AuraAura vor 12 Jahren
Schön, das Du uns an der Entjungferung teilnehmen lässt... sabber... ;o) Super geschrieben, echt toll!
ChypienneChypienne vor 12 Jahren
Meine Mutter trug in den frühen 50igern einen Duft mit diesem Namen, ich erinnere mich allerdings an einen rechteckigen Flakon. Damals liebte ich ihn sehr, würzig, herb, und einfach wunderschön - aber ich war noch ein sehr kleines Mädchen. Danke!
PaloneraPalonera vor 12 Jahren
Welch einen Schatz hast Du da wieder ausgegraben... Danke, daß Du die Flasche für uns entjungfert hast, ;-)!
LotusLotus vor 12 Jahren
Endlich , eine Kundinn fragte mich ob ich nichjt mal Patra besorgen könne)) sie hatte es geliebt, na ja sie iss auch keine 20 mehr)) also kann ich ihr sagen den gibt es nicht mehr, nun hat sie eh schon Joy von mir aufgebabbelt bekommen))) Danke füro
MichelangelaMichelangela vor 12 Jahren
Recht hast Du, Turandot, ich wollte auch nur eine Nacht im Club feiern und tanzen ....und dann nix wie zurück :-))
TurandotTurandot vor 12 Jahren
Toller Kommentar, aber ich hoffe, Scotty erfüllt Dir diesen Wunsch nicht. Ich glaube nicht, dass es Dir kurz nach 33 in Berlin gefallen würde.