Yatagan
21.05.2023 - 06:51 Uhr
77
Top Rezension
7
Preis
9
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
9.5
Duft

Shangri La: Lost Horizon

Unkommentierte Düfte No. 173

Maître Parfumeur et Gantier gehört seit jeher zu meinen Lieblingsmarken und leider wird sie auf Parfumo in den letzten Jahren wenig zur Kenntnis genommen, was auch an der restriktiven Veröffentlichungspolitik liegen mag. Grundsätzlich ist mir das aber lieber als die inflationäre Flut der meisten Nischen- und Designermarken: Es lohnt sich kaum noch mitzuzählen, wie viele Düfte in diesem Segment pro Monat erscheinen. Die Zahl ist Legion.
MPG dagegen lanciert nur hin und wieder einen neuen Duft und man hat das Gefühl, dass hier noch die Liebe zu einer durchdachten Komposition hinter jeder Neuveröffentlichung steckt. Das gilt auch für den neuesten Duft der Marke: Ambre Tibet.

Das Schlimmste und Beste zugleich, was man diesem neuen Duft vorwerfen könnte, wäre eine (zu) starke Nähe zu Ambre sultan Eau de Parfum, mit dem er sich tatsächlich drei zentrale Inhaltsstoffe teilt: das in beiden Fällen namensgebende Ambra, Vanille und die von mir sehr geschätzte Zistrose mit ihrem harzigen Akzent (natürlich nur, wenn es sich um die Zistrose als Grundpflanze fürs Labdanum handelt, aber das ist hier offensichtlich der Fall, ebenso wie beim oben erwähnten Duft von Serge Lutens).
Tatsächlich finden sich aber auch eigene Akzente in Ambre Tibet, das m.E. komplexer als der zuvor genannten Duft ist, was aber nicht unbedingt einen Nachteil bei Ambre sultan Eau de Parfum bedeuten muss. Tatsächlich bevorzuge ich nach wie vor den Lutens-Duft, würde aber den neuen MPG als echte Alternative verstehen. Ob er nach einer Weile sogar noch wächst und seinem Vorgänger ebenbürtig erscheint, werde ich abwarten.

Spontan interessiert hat mich die Davana-Kopfnote, die ich aber nicht identifizieren kann. Davana mag ich sehr und meine es in Düften zu erkennen. In einem so dichten, dunklen, warmen und komplexen Duft geht dieser Grundstoff aber naturgemäß etwas unter. Neben der Zistrose ist auch Patchouli gut isolierbar, verleiht dem Duft den charakteristischen erdig schokoladigen Akzent (bitte nicht im gourmandigen Sinne zu verstehen; Kenner dieses Inhaltsstoffes wissen, was ich meine). Auch der Weihrauch tut dem Duft gut und lässt ihn filigraner erscheinen als das kantig konsequente Ambre sultan Eau de Parfum.

Übrigens scheint mir dennoch beim Vergleich der beiden Düfte, dass auch Ambre sultan Eau de Parfum komplexer ist, als es die Angaben des Herstellers nahe legen. Weihrauch und Patchouli könnten dort auch versteckt sein, womöglich auch Sandelholz, das wenigstens sehr plausibel bei beiden Düften ist.

Als ich den Namenszusatz "Tibet" las, musste ich (abgesehen von allen schwierigen Assoziationen im Rahmen des Tibet-Konfliktes) an James Hiltons Fiktion "Shangri La" denken, einem Ort, an dem alle Menschen in einem tibetischen Hochtal in Frieden miteinander leben: ein Synonym für das irdische Paradies. Interessierten empfehle ich den Wiki-Artikel und natürlich das Werk von Hilton: "Lost Horizon". Der Duft trägt etwas davon mit sich.
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