Fleur de Orientica

First
26.11.2023 - 11:26 Uhr
7
Hilfreiche Rezension

Budenzauber mit allen Registern

Ich glaube, das was ich mit Fleur de Orientica erlebe, kennen alle, wenn auch vielleicht nicht mit Düften. Diese Faszination und gleichzeitig irgendwie Abneigung, aber doch auch Begeisterung. Und dann fragt man sich, ja, was ist es denn nun? Mag ich das oder nicht? Und dann geht es wieder los, ja, ich finde es großartig, aber auch - komisch, unangenehm - und irgendwie toll. Und man bekommt den Wunsch, seine eigene, seltsame Reaktion zu verstehen, versucht das Ganze genauer aufzuschlüsseln.
Das versuche ich jetzt schon seit fünf Tagen, die fünf Tage, die ich Fleur de Orientica trage. Und da ich immer zum gleichen, weiterhin ambivalenten Schluss komme, schreibe ich es hier jetzt auch so auf.

Im Auftakt erscheint feine Orangenblüte, die 4711 alle Ehre macht. Das meine ich ganz im Ernst, die Orangenblüte des ursprünglichen 4711 Eau des Colognes, ist für mich die beste überhaupt. Sie ist hier aber nur ein paar Sekunden gut wahrnehmbar, denn schon kommt was Seltsames, merkwürdig cremig-gedimmt, mit einem Tick Heliotrop dazu. Unmittelbar darauf erscheinen viele Blüten, wobei das Cremig-Gedimmte sie irgendwie miteinander verbindet.
Ich kann keine einzige bekannte Blüte erkennen, es ist einfach nur blumig auf eine dichte, aber dabei nicht stickige Art. Nun erkenne ich etwas Herbes, was aber auch noch den Blüten geschuldet sein kann, minimal indolisch, aber so, dass es o.k. ist.

Nach diesen ersten etwa fünf Minuten merke ich nun Wasserblumen. Wasserblumen haben mir schon manchen Duft irgendwie gammelig verdorben, aber hier sind sie gar nicht gammelig. Hier sind sie mit einer sich nun einstellenden Süße gepaart. Als inneres Bild stellt sich mir ein Seerosenteich mit stehendem Süßwasser ein, in den große Mengen überdimensionierter Weingummis versenkt wurden. Es mutet alles sehr seltsam an. Andererseits muss ich zugeben, dass ich kein anderes Parfum kenne, das auch nur annähernd so duftet.

Im weiteren Verlauf wird es nun doch ein wenig stickig, so ähnlich stickig und gleichzeitig gedimmt habe ich in anderen Düften den Riechstoff Jasmin-Lactone empfunden. Vielleicht ist davon hier auch ein ganz klein wenig verwendet worden. Außerdem bewegt sich der Schwerpunkt des Duftes nun noch weiter in die fruchtige Richtung.
Es gibt ein paar Stunden, da riecht es für mich nun wie cremiges Weingummi mit etwas Tagetes. Nun wird das Cremige leider doch noch stickiger, aber nur wenn ich an der Sprühstelle rieche. In der Projektion erlebe ich ein herrlich fröhliches, helles Fruchtbukett!

Und so bleibt es wieder ein paar Stunden. Wenn ich nicht an der Sprühstelle rieche, bin ich wirklich glücklich mit dem Duft.

Am späten Abend hat sich Fleur de Orientica dann ausgedünnt, das Fruchtige hat sich etwas zurückgezogen und auch die Tagetesnote wird etwas weicher, so dass ich sie nun gar nicht mehr als Tagetes bezeichnen würde. Es ist als hätten sich nun alle Noten zusammengerauft. Wenn ich möchte, kann ich sie alle noch erkennen: Das Cremige, den Tick Heliotrop, unspezifische Blüten, ein Hauch von Jasmin-Lactone, Weingummi, Süße, Wasserblumen, helles Obst, gezähmte Tagetes. Nur die Orangenblüte, die ist vollkommen verflogen.

Fleur de Orientica hält bestimmt 12 Stunden und ist am nächsten Tag noch auf der Kleidung wahrnehmbar. Es ist ein einzigartiger Duft, ich kenne nichts Vergleichbares. Er hat eine sehr große Beweglichkeit und nimmt einen starken Verlauf, in dem immer wieder andere Noten in den Vordergrund treten, eben ein Budenzauber, bei dem alle Register gezogen werden.

Ob ich ihn mag? Ja, ich finde ihn großartig - aber auch komisch - unangenehm und irgendwie toll.

Übrigens, eine Ähnlichkeit mit Fleur Narcotique kann ich nicht erkennen. Fleur Narcotique hatte nach traumhaft schönem Auftakt für mich leider kontinuierlich einen Anklang von Plastik, der mir den Duft verdorben hat.
Und: Ich habe diese Rezension ohne Lesen der Pyramide geschrieben.
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