Sailor2
Hilfreiche Rezension
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Der Diplomat: Feine Cognac-Note eingebettet in dezente orientalische Süße
Im Grunde ist dieser Kommentar im Zeichen von Yin und Yang entstanden. Einige Zeilen hatte ich nämlich vorher zu Le Vainqueur von Rancé geschrieben, welcher Duft dem korsikaner Napoleon - Jahrgang 1769 - gewidmet ist. 8 Mars 1764 ist das Geburtsdatum von Carlo Andrea Pozzo di Borgo - Politiker, Diplomat -, der ebenfalls aus Korsika stammt. Wie das Datum zeigt, gehörte er zur Napoleons Generation und nicht nur das: Die beiden Korsikaner waren zunächst Freunde, später sind sie jedoch - es kam die Revolution 1789 und politisch äußerst turbulente Zeiten - erbitterte Gegner und Feinde geworden (Pozzo di Borgo war Monarchist). Deswegen musste er sogar aus Korsika und Frankreich fliehen und tingelte als Diplomat in europäischen Ländern, um gegen Napoleon zu stänkern. In London oder Moskau traf er natürlich auf offene Ohren. Er spielte beim Niedergang Napoleons eine wichtige Rolle. Hiernach war er lange Zeit russischer Botschafter in Paris.
Das Parfümhaus Pozzo di Borgo wurde von Valentine Pozzo di Borgo 2013 gegründet. Es wäre ja auch blöd, mit einem so toll klingenden Familiennamen keine eigene Parfümlinie zu haben. Die Vanderbilts, Rothschilds, Trumps lassen grüßen. Zunächst wählte sie für ihre Düfte Namen aus der Pozzo di Borgo-Familiengeschichte, jedoch fand sie am Ende besser, das jeweilige Geburtsdatum der verschiedenen Persönlichkeiten zu nehmen. Der erste Damenduft des Hauses “23 Janvier 1984” weist auf ihr eigenes Geburtsdatum hin.
Wie hier schon mal in einem Kommentar angemerkt wurde, ist Valentine Pozzo di Borgo mütterlicherseits die Ur-Ur-Enkelin von Xavier Givaudan, der mit seinem Bruder zusammen 1895 das Unternehmen Givaudan gründete. Dieses Unternehmen gehört heutzutage zu den größten Duft- und Aromastofflieferanten weltweit und steht im Grunde hinter Düften wie z.B. cK Obsession oder One Million.
Ich denke, sie selbst hat mit Givaudan nicht mehr viel zu tun (wer es besser weiß, bitte kommentieren); das Unternehmen gehört jedenfalls Großinvestoren wie z.B. Bill Gates. Haha, wenn man bedenkt, ist es ein bisschen bescheuert: Man kauft ein Flakon Obsession und der Profit landet zum Teil in den Taschen von Bill Gates. Laut Marketingtext war ihr Großvater Léon Givaudan auch in der Parfümindustrie tätig und soll Düfte wie z.B. Fleur de Fleurs by Nina Ricci oder Paloma by Paloma Picasso kreiert haben – was mich wundert, weil bei Fleur de Fleurs Betty Busse und bei Paloma Picasso Francis Bocris als Nasen angegeben sind. Valentine Pozzo di Borgo gründete übrigens auch das (Raum-)Dufthaus Quintessence Paris 2008 u.a. mit dem interessanten Schrankduft-Angebot Voyage Nocturne.
Die Nase hinter 8 Mars 1764 ist Philippe Bousseton. Zu seinen Kreationen zählen u.a. Tsar von Van Cleef & Arpels (1989), Cool Water Wave (2007) oder Jil Sunder Sun Bath (2015). Laut Valentine Pozzo di Borgo lief es so, dass sie mit Philippe Bousseton an einer Duftnote arbeitete, die sie gut fand. Dann kamen spontan Erinnerungen an ihren Großonkel Carlo Andrea Pozzo di Borgo. In diesem Moment soll sie sich entschieden haben, ihm einen Männerduft zu widmen (wobei 8 Mars 1764 eigentlich als unisex angegeben wird).
Der Duft erscheint mir elegant, insofern würde er tatsächlich gut zu einem Diplomaten passen. Die Kopfnote ist fein-“boozy”, am Anfang ist die Cognac-Note deutlich präsent. Laut Bousseton sollen im Duft drei Regionen nachgebildet werden, die auf die Familiengeschichte zurückgehen: Russland mit der traditionellen “russisches Leder”-Note, in der Styrax-Essenzen, Vetiver- und Ledernoten gemischt werden (wobei diese Note sonst auch auf ätherisches Birkenöl oder Labdanum zurückgeht gepaart mit tierischen Noten wie Zibet); Korsika mit dem typischen Gebüsch Macchia mit ihrer Frische (die den Duft aufhellen soll) und schließlich das schicke Paris mit Hesperiden gepaart mit einer scharfen Essenz von Elemi.
Mit der Zeit zieht sich die Cognac-Note zurück, begleitet von süßen-orientalischen Anklängen. Bei diesem Duft musste ich vom “Vibe” her teilweise an die alte Version von Roma denken. Bei einem Blindtest hätte ich sicherlich nicht erraten, dass der Duft aus 2013 stammt; getippt hätte ich eher auf die 90er. Der Duft hat m.E. keine deutlichen Vetiver- oder Ledernoten (feines russisches Leder schon). Was hier viele Parfumos angemerkt haben, kann ich nachvollziehen: Auf die feine Kopf- und Herznote folgt ein fein-süßlich-harziges Drydown mit einer beschränkten Sillage. Für mich war die Haltbarkeit ziemlich gut (8-10 Stunden), wobei der Duft sehr hautnah bleibt. Ja, ich kann verstehen, wenn viele meinen, die Basisnote wäre schwach. Mich stört es nicht, im Gegenteil: Ich mag subtile Düfte, die auch als Alltagsduft genutzt werden können. 8 Mars 1764 ist zudem einzigartig, die feine Cognac-Note macht den Duft interessant. Als Duftzwilling fällt mir nichts ein.
Das Flakondesign stammt von Pierre Dinand, der auch das Opium-Flakon entwarf. Monsieur Dinand ist eigentlich Architekt. Das Design soll vom Familienschloß der Pozzo di Borgos auf Korsika inspiriert worden sein.