La fille de Berlin (Eau de Parfum) von Serge Lutens

La fille de Berlin 2012 Eau de Parfum

Positron
31.03.2013 - 06:14 Uhr
25
Top Rezension
7
Duft

Raumspree

Wer den Geruch Berlins beschreiben wollte, müsste eins vor die Beschreibung setzen: Sich eingestehen, dass es stinkt. Dass es im Grunde genommen nur saisonmäßig duftet, nämlich zur Blütezeit, als Gutmachung für Hundsexkremente, öffentliche Pieselecken und laxe Hygiene. Nämlich jetzt, sofern Jahreszeiten sich an kalendarische Pakte hielten. Da es aber anders kam, entdeckte ich Serge Lutens „La fille de Berlin“ – und musste mich sogleich solidarisch erklären mit diesem teuren Euphemismus.

Nun ist der Geruch Berlins in der Parfumwelt bereits umschrieben worden – man denke nur an die Popart-Blümchennummer aus dem Hause Joop zum Mauerfall. Schrill, spaßig und so übermütig wie die erste Nacht nach der Einheit. Aus Lutens Werk spricht aber ein ganz ausgeschlafener Ernst, uns die Spreestadt ins limbische System zu treiben.

Ich halte mich nicht lange mit dem Minimalismus der Noten auf, der nur Rose und Pfeffer zuließ. Und ich möchte der simplen Zwietracht gar nicht erst mit fachmännischen Vokabeln beikommen, sondern mich einem Assoziationsspiel hingegeben, das die Gelungenheit dingfester beweist.

Hinter die roten Blüten sind die Dornen gesetzt. Riechbar wird die abgestandene Luft aus der hundertjährigen Umnachtung von U-Bahnschächten – wie sie uns beim Abstieg zum Bahnsteig durch die Haare bläst. Deutlich wird die Ausdünstung von Stein, wenn die Hitze in den Straßen steht. Der Staub von regenlosen Wochen. Der säuerliche Altbau-Muff von Häusern, die vier Generationen ein Zuhause gaben. Ja, selbst die chlormäßige Note der klimatisierten Luft, wie sie in unseren Doppeldecker-Bussen aus Lüftungsgittern quilt, scheint mir erahnbar. Das alles natürlich mit der Schlussfolgerung, dass es eines gewissen Muts bedarf, um diesen mit Blumenkonzentrat bekämpften Ruch spazieren zu tragen. Erst recht in dieser Stadt, wo verhältnismäßig wenige Menschen kostspieligen Düften gewogen sind. Als atmosphärisch stimmiges Raumspray, als Andenkduft für Hiergewesene, hat er immerhin zweckfremden Nutzen. Alle, die ihre Hautchemie ins Spiel bringen wollen – ich habe da eher Trägerinnen als Träger im Sinne – genießen meine Achtung.

Und ich möchte mit dem Hinweis schließen, dass im späten Frühling vor dem Roten Rathaus tatsächliche Rosenbüsche Blüten treiben. Und wisst ihr was? Das letzte Mal, als ich an den Blüten roch – fiepsten im Gestrüpp die Ratten.
9 Antworten
PinkRosePinkRose vor 4 Jahren
Den hatte ich auch mal. Leider waren neben allem, was Du in so prickelnder Sprache beschreibst, waren leider auch Hundesexkremente dabei und da ist bei mir die Grenze dessen, was ich auf meiner Haut tragen möchte. Das ging mir übrigens auch bei Malles gefeiertem La Rose so, möglicherweise Caranal...
HyazintheHyazinthe vor 10 Jahren
Super Kommi, Berlin wie es leibt und lebt erlebbar gemacht. Und diese Rose passt irgendwie dazu.
YallaYalla vor 11 Jahren
Geht da noch was? Dieser Text ist dermaßen phantastisch und ich wünsche mir mehr Gegengewicht zur aktuellen Pilcherisierung hier! Gottfried, Benn und alle Ratten Berlins würden es Dir danken.
YataganYatagan vor 13 Jahren
Tolle Überschrift, toller Kommentar, tolles Resümee :-)
ErgoproxyErgoproxy vor 13 Jahren
Guter Stil.
CallasCallas vor 13 Jahren
Berlin, ich komme.
AavaAava vor 13 Jahren
Grandioser Kommentar :)
FrauHolleFrauHolle vor 13 Jahren
Rattenscharfes Statement. Frohes Fest!
HasiHasi vor 13 Jahren
Dir auch Frohe Ostern! :-)