Floyd
Top Rezension
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Take up thy caleidoscope and walk
Auf Deiner Suche nach neuen Küsten schaust Du durch Fleisch von Limettenbaumwurzeln wie durch ein Theaterglas. Du spürst keine Wellen, da ist nur etwas Salz vor dem Bug in den wogenden Nebeln, drin wirbeln Tropfen von Zitrusölen wie Gischt der Flora fremder Inseln. Nimm Dein Kaleidoskop, beginne zu gehen. Zypressenkronen erscheinen, verschwinden im Weihrauch über den Stränden, dahinter erspähst Du fellige Böden, die atmend sich heben und senken. Bäuche von Klippschliefer-ähnlichen Wesen, warmwürzige Ambra-Blasen, die wie fließende Dias in Honig zerplatzen, zeitlupenartig über schmutzigen Blüten, die sich winden am Boden, welkend verleben, eins werdend mit den harzigen Erden.
Oh, Fiona, das solltest Du sehen! All die ledernen Osmanthusblüten in seidig schimmernden Biberkleidern. Wie die Harzkörnchen neue Bilder erzeugen, wann immer wir am Prisma drehen. Wie die Sandelholzplanken zu Staub nun verwehen, zu sanftem Rauch über morschen Rinden, fernen Wolken von Belugavanillen, die sich spiegeln in dunklen Bernsteinseen im Herzen der innersten Inseln.
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New Oceans And Meridians (N.O.A.M. Botanical Perfumes) ist ein olfaktorisches Raumzeitreisebüro, verlässt bekannte Küsten, erschafft bildgewaltige Kunst, umgibt Dich mit fernen Orten, hüllt Dich in Abenteuer und ist dabei absolut tragbar. Das Schweizer Label verwendet für seine komplexen Kompositionen ausschließlich hochwertige natürliche Rohstoffe. Es pflegt den persönlichen Kontakt zu kleinen Destillen, Händlern und Herstellern. So ist es auch diesmal wieder die Rarität der teils kostspieligen Materialien, welche die kleine Manufaktur dazu zwingt, die Auflage auf zwanzig Flakons zu beschränken.
Dass man bei jedem Tragen immer wieder neue Facetten darin entdeckt, ist wohl der Grund für die Namensgebung. "The Ambergris Caleidoscope" beginnt mit hellgrünen, wurzelig-hesperidischen Noten (Kaffernlimette, Bergamotte) über sanft animalisch-harzigen (Hyraceum, Elemi) Aromen. Manchmal ist es auch eher das Neroli, das sich in der Eröffnung mit Weihrauchharzen zeigt, durchwoben von der ätherischen korsischen Zypresse. Unter der dezent salzigen Ambra werden bald auch die animalischen Noten etwas deutlicher, werden der warmwürzige vegane schwarze Moschus-Attar und das Hyraceum mal von leicht indolischem Jasmin unterstrichen, dann wieder von ledrigen Facetten (Zibet, Osmanthus). In dieser Phase erinnert mich der Duft entfernt an Fiona von TSVGA. Ein Labdanum-artiger Honig bildet zunächst neben der Ambra das Rückgrat des Herzens, changiert mit morschen Rinden (Oud) vor einem rauchigen Hintergrundrauschen von Sandelholzpulver, dunkler Vanille, Black Sacra Incense und verschiedenen Harzen. In der Basis bilden vor allem Amber und Benzoe die Tiefe des Sees darunter, welche noch lange Zeit auf der Haut erhalten bleibt. Das Kaleidoskop ist in seiner Komplexität der Noten erstaunlich transparent und vielschichtig und bleibt moderat in seiner Projektion.