Anosmat3000

Anosmat3000

Rezensionen
Anosmat3000 vor 1 Jahr 1
7
Sillage
8
Haltbarkeit
8
Duft
Lanzenbrecher
Ein halbes Jahr war der Flakon "Crown Rose | Crown Perfumery" in meinem Besitz, bevor ich ihn zur Adoption freigegeben habe - heute wird er mich nun in hoffentlich wertschätzende Hände verlassen. In diesem halben Jahr habe ich keine Bewertung zu diesem Duft hinterlassen, kein Statement, keine Rezension. Vielleicht fünfmal habe ich ihn getragen in dieser ganzen Zeit, weshalb ich ihn nun ziehen lasse.
Keinesfalls aber lasse ich ihn ziehen, weil er mir nicht gefiele. Im Gegenteil, die durchschnittliche Bewertung von 6,6 (Stand 03/23) schmerzt - das hat dieses Kleinod nun wirklich nicht verdient. Daher nehme ich den Abschied von "Crown Rose | Crown Perfumery" nun zum Anlass, diesem unverstandenen Kleinod eine Lanze zu brechen. Ein knappes, wertschätzendes Statement sollte es werden - mein Mitteilungsbedürfnis hatte andere Pläne, nun ist die ganze Chose ein wenig ausufernder geworden.

Zurück zur Durchschnittsbewertung: Während mir dieses kaltherzige Hatsichstetsbemüht in der Seele wehtut, kann ich doch die inhaltlichen Ausführungen hinter den Bewertungen meiner Vorredner/innen in großen Teilen nachvollziehen. Antiquiert, dumpf, aus der Zeit gefallen, abgestandenes Blumenwasser... ja, definitiv. Dieser Duft hatte seine Zeit, und die ist seit grob anderthalb Jahrhunderten vorbei. Und während die Damenduftcharts hier auf Parfumo durch die Bank retroesk dominiert sind, die Mode das vergangene Jahrhundert wiederentdeckt, der Massivholzesstisch der Uroma den Weg aus dem Schuppen zurück ins Esszimmer findet, wird dieser Sprössling aus der seligen Crown Perfumery wohl ebenso wenig eine Renaissance erleben wie etwa die klassische Hutmode. Und gerade dieser Umstand ist es, der "Crown Rose | Crown Perfumery" für mich so faszinierend macht.
Ein roter Faden, der sich durch die weniger sachlichen Bewertungen hier auf Parfumo zieht, ist die Transportfähigkeit von Parfüms. Gute Parfüms wecken Erinnerungen, evozieren Bilder, Vorstellungen, Konnotationen. Dieses Parfüm sticht in dieser Hinsicht, gerade aufgrund seiner Ausderzeitgefallenheit, aus der Masse hervor - "Crown Rose | Crown Perfumery" ist Zeitreisen aus der Flasche. Wo, wenn nicht hier, findet man sich in dem längst verschwundenen London der altehrwürdigen Kolonialherrenclubs, der Schneider und Hutmacher, der warmweich schummrigen Gaslaternen und deren Widerschein auf dem abnutzungspolierten Kopfsteinpflaster wieder? Das muss wahrlich der Duft einer damaligen Dame von Welt und Stand gewesen sein. Reinliche, distinguierte, anziehende Unnahbarkeit - durch die rosaromantisierende Retrobrille, versteht sich. Das London des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts muss in der Realität wohl weitaus schlotbestückter, rußüberzogener, pferdehinterlassenschaftenbeglückter und allgemein ein recht trostloser Schmelztiegel gewesen sein, aber das ist ein anderes Thema, wofür es sicherlich auch ein anderes Parfüm gibt.
Dass dieser Duft ebenso wenig zeitlos wie -gemäß ist, befähigt den/die Träger/in aber offenbar leider nicht nur zum Zeitreisen, sondern zwingt dessen/deren Meinungsbildung unweigerlich in recht binäre Bahnen. Dem konnte auch ich mich nicht entziehen, nur bin ich irgendwie am anderen Ende des Spektrums gelandet.

Um schlussendlich die armseligen fünf Male, die ich diesen Duft getragen habe, vollends in den richtigen Kontext zu rücken: Männlich, Mittzwanziger. In anderen Worten, bevor ich in die Gummizelle gesteckt werde - diesen Duft trägt man nicht da draußen unter Leuten - den trägt man für sich, lässt ihn wirken und genießt im Stillen. In dem Sinne ein letzter wehmütiger Zeitreisensprüher, dann wandert der Flakon ins Paket.
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Anosmat3000 vor 1 Jahr 8 5
8
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
8
Duft
Zum Glauben gefunden
Ora et labora et lege - bete und arbeite und lies.
So das Gelübde des Benediktinermönchs.
Ein Bestandteil der klösterlichen Arbeit ist im französischen Departement Alpes-de-Haute-Provence, sehr zu meiner Freude, die Parfümherstellung.
Und nun zu dieser meiner Freude.
Bislang war Vetiver als Duftnote für mich immer ein schwieriges Sujet - umso mehr, je isolierter/ prominenter der Vetiver im Gesamtkunstwerk herausgestellt war.
Nun habe ich mir mit einem Impulstausch dieses Klosterwässerchen aus dem Hause Ganagobie geangelt, welches nicht nur mit Vetiver benamt ist, sondern darüber hinaus auch folgerichtig ausschließlich Vetiver zum Inhalt hat.
Vor dem Hintergrund meiner ambivalenten Beziehung zu dieser Duftnote ein riskantes Unterfangen, aber was soll ich sagen, ich habe zum Glauben gefunden.
Würzig-grün als Duftrichtung ist hier schon durchaus richtig, insbesondere der würzige Aspekt muss allerdings in den Kontext der moderaten Sillage gerückt werden. Es handelt sich hier also eher um ein blasswürzig-mildes, lichtgrünes Vergnügen.
Der Umstand, dass der Vetiver in dieser Konstellation trotz des linearen Duftverlaufs so facettenreich daherkommt, den gesamten sonnenverwöhnten Klostergarten im Gepäck, macht dieses Dufterlebnis für mich so faszinierend.
Sicherlich kein Innovator, will und muss dieser Duft als traditionsverpflichteter Konventssprössling das aber auch nicht sein.
Stattdessen entfleucht diesem wunderschön letztjahrhundertlich anmutenden Apothekerfläschchen ein in seiner wertigen Einfachheit bemerkenswertes Duftvergnügen. Nun bin ich wahrhaft neugierig auf das verbleibende Parfümportfolio der Benediktinerbrüder.
Und, das muss ich hier ebenfalls loswerden, die gottgefällige Preisgestaltung mutet zwischen all den zwischenzeitlich allgegenwärtigen Luxusparfümeskapaden wahrhaft weltentrückt an.
5 Antworten
Anosmat3000 vor 2 Jahren 5 1
8
Sillage
8
Haltbarkeit
8.5
Duft
Der alte Seefahrer
Nachdem die drückende Hitze des Tages zum frühen Abend hin den kühlenden Fallwinden des hohen Atlas wich, erreichte das geschäftige Treiben rund um den Hafen seinen täglichen Höhepunkt. Marktschreier priesen den Fang des Tages, getrocknetes Obst und dergleichen mehr, wettergegerbte Seeleute unterhielten sich in gutturalem Singsang. Händler aus allen Winkeln der bekannten Welt tummelten sich in den palmenbeschatteten Gassen und Höfen, darüber eine Kakophonie von Korallenmöwen und Brandseeschwalben. Myrrhe aus dem Königreich Äthiopien, Bernstein aus Haithabu, indigofarbene Seide aus den Lagern von Samarkand - eine Auslage exotischer als die nächste. Inmitten dieses geordneten Chaos rannten wir Kinder zwischen fremden Beinen hindurch. Unser Ziel war der Brunnen, der sich am nördlichen Ende des Hafenbeckens im Halbschatten der alten Zitadelle versteckte. Dort saß der alte Seefahrer, wie jeden Tag um diese Zeit. Im Grunde sah er einfach aus wie ein alter Mann, wie er dort saß und dem Kommen und Gehen der Schiffe zusah. Sein Kaftan war alt, aber reich bestickt. Einem Fremden wäre seine Präsenz wohl gar nicht aufgefallen, doch die Einheimischen machten einen großen Bogen um ihn, die Köpfe ehrfürchtig gesenkt. Man sagt, er sei ein Vertrauter des alten Kalifen gewesen, im Quasr ein und aus gegangen. Doch für uns Kinder war er in erster Linie Seefahrer. Wir ließen uns um ihn herum nieder und warteten in respektvoller Stille darauf, dass er mit der Geschichte fortfuhr, die er am Vortag begonnen hatte. Er sah uns an, ließ langsam den Blick von einem zum nächsten wandern. Seine Augen waren von eigenartig hellem Grau, Fremdkörper gebettet in das hagere, sturmgegerbte Antlitz. Sie hatten jenes intensive Leuchten, das von solchen Augen ausgeht. Augen, die Dinge gesehen haben, von denen unsereins nur träumen kann, Dinge, die mit Worten nicht zu beschreiben sind.
“Und nachdem sich der Sturm wieder gelegt hatte, " begann er, "rissen die Wolken auf und gaben den strahlend blauen Himmel der südlichen Lakkadivensee frei. Oder so dachten wir. Den Barbareskenabschaum hatten wir freilich in den Wirren des Unwetters verloren - So Gott will, waren sie an den Untiefen vor den Adeje-Inseln zerschellt. Unser Schiff war übel zugerichtet, doch wie durch ein Wunder von ernsten Schäden verschont geblieben. Einzig, wir hatten jegliche Orientierung verloren. Wir waren sicherlich meilenweit von Land entfernt und Gott weiß, wie weit uns der Sturm abgetrieben hatte. Es versprach jedoch, eine klare Nacht zu werden, also würden wir unsere Position bald bestimmen können. Wir hatten nur noch Proviant für drei weitere Tage, und so ließ ich trotz allem die Segel setzen und steuerte, wie ich annahm, in die ungefähre Richtung der Insel Socotra. Die Stimmung innerhalb der Mannschaft war nach dem Sturm durchaus ausgelassen gewesen, und so war ich recht irritiert, als in den frühen Abendstunden Unruhe auf dem Deck ausbrach. Dem alten Al-Chattab gefiel die Stille nicht, und in die Instinkte des alten Mannes hatte die Mannschaft großes Vertrauen. Und tatsächlich, obwohl ein kräftiger Wind auf unsere Segel hielt, war kein Geräusch zu vernehmen, und die See lag in alle Richtungen spiegelglatt vor uns - nicht das kleinste Kräuseln verunstaltete die Oberfläche. Nervöse Stille breitete sich auf dem Deck aus..." Erwartungsvoll sahen wir zu ihm hoch. Er lächelte geheimnisvoll und vertröstete uns auf den nächsten Abend.
1 Antwort
Anosmat3000 vor 2 Jahren 2 1
6
Flakon
6
Sillage
8
Haltbarkeit
8
Duft
Ganz schön gepfeffert
Hui.
Dieser Wiener hat Pfeffer im Blut!
Die Eröffnung fährt erstmal ganz schön die Nase hoch.
Wenn man den ersten Schrecken überwunden hat, macht der anfänglich omnipräsente Pfeffer etwas Platz für den bereits in anderen Kommentaren ins Spiel gebrachten Wienerwald, der sich sukzessive in den Vordergrund drängt und dabei weltmännisch lichtdurchflutet gibt. Die krautigen Noten, durchgehend pfeffrig gewürzt, klingen nach soliden 5-6 Stunden hautnah aus.

Eine Verbindung zwischen Namen und Duft herzustellen fällt mir schwer - als nichtalpenländischer Quasi-Fremdsprachler hat mich allein schon der Panasch per se ins allwissende Internetz getrieben:
[paˈnaʃ]
[1] oft vom Militär genutzter Helmschmuck
[2] Schweiz: Biermischgetränk, das aus Bier und Limonade
Ersteres mag verqueren Sinn ergeben, gibt der Pfeffer im Wienerwald doch ein reichlich militantes Debüt.

Mit ebendieser Pfefferfanfare steht Panasch als Duft ziemlich für sich - jedenfalls habe ich in meiner (zugegebenermaßen noch recht kurzen) Parfumokarriere noch nichts annähernd vergleichbares gerochen.
1 Antwort
Anosmat3000 vor 2 Jahren 6 5
7
Sillage
9
Haltbarkeit
9.5
Duft
Grünummantelte Dunkelheit
Unter Fichten verborgen
Von Flechten verhangen
Feuchtnebliger Abgrund
Hinter Schwaden gefangen
Schatten um Schemen
Verwebt sich das Bild

Modrig-mystische Unterwelt

Plätscherndes Nass
In der Stille verloren
Von scheuen Gestalten
Zum Verweil auserkoren
Irrlichter glimmend
Im Nebel verschneit

Grünummantelte Dunkelheit

~Mit Dank #Mörderbiene für diesen überaus exquisiten Tropfen
5 Antworten