Baptiste

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Baptiste vor 3 Jahren 38 13
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8.5
Duft
Quartier der ewigen Jugend
Paris! Hach! Denkt man an Paris, so denkt doch jeder auf seine ganz eigene Weise an diese Stadt. Es gibt so unendlich viele Assoziationen zu Paris wie es unendlich viele Sehenswürdigkeiten in dieser Stadt gibt. Bei der Fülle der Auswahl ist die Beschreibung der besuchten Plätze, Orte und Bauten oft schwierig. Will man jemandem mitteilen, wo es etwas Großartiges zu sehen gibt, dann fällt irgendwann der Begriff Arrondissement oder Quartier. Und spätestens dann wird es unübersichtlich. Paris ist nämlich in 20 Arrondissements aufgeteilt. Diese 20 Stadtteile sind dann jeweils in 4 Quartiers, unterteilt. Macht also ganze 80 Viertel. Sind die Arrondissements noch spiralförmig vom Louvre ausgehend im Uhrzeigersinn angeordnet, so folgen die 80 Quartiers keinem nachvollziehbaren Muster. Darüber hinaus reden wir aber auch oft von Pariser Quartiers, die eigentlich gar keine sind. So z.B. das Quartier Latin, das sich zwar im 5. Arrondissement befindet, aber kein Verwaltungsbezirk an sich ist, sondern nur das Universitätsviertel beschreibt. Oder das szenige Marais im 4. und teilweise 3. Arrondissement mit seinen zahlreichen kleinen Boutiquen und Cafés.

Man kann Paris natürlich auch spasseshalber nach den Vorlieben der Tourist:innen aufteilen. Da gibt es auf dem Montmartre jene hoffnungslosen Romantiker:innen, die heulend den Moulin Rouge Soundtrack rauf und runter singen oder wie Amélie im Zorro Kostüm auf die Sacré-Cœur klettern und Himbeeren von den Fingern essen. Oder unterm Eiffelturm, wo sich die Weltausstellungsfreaks zum Selfie knipsen tummeln. Im Quartier Latin hingegen trifft man auf die Bibliotheken Nerds und Wegebier trinkenden Endlosstudierenden. Rund um den Louvre wimmelt es stattdessen von Royalisten und vor sich hin brabbelnden Kunsthistoriker:innen mit Nickelbrille und fragwürdigem Mona Lisa Lächeln. Dann ist da das Marais, in dem überwiegend queere Touristen durch die engen Strassen defilieren und bereits zu früher Stunde die zahllosen Straßencafes im Namen der Freiheit und Toleranz bevölkern. Und es gibt die Rue Saint-Honoré mit den Haute Couture Häusern in den Seitenstraßen, wo überwiegend Mitglieder der Parfumo Community sich und ihre Mördersillage von Parfümerie zu Parfümerie schleppen.

Und dann gibt es das Quartier Saint-Germain-des-Prés.

Es ist tatsächlich ein echtes Quartier und liegt im 6. Arrondissement und gilt als DAS Viertel der Intellektuellen und Künstler. Zumindest früher. Hier wurde der Existentialismus und mit Sicherheit auch viele weitere Ismen der Kunst und Literatur erfunden. Hier tummelten sich ab der Mitte des 20. Jahrhunderts alle Größen der Malerei, der Literatur, der Musik, des Films und des Boulevards. Man sagt, dass in einer kleinen Mansardenwohnung am Quai Malaquais Nr. 3 Romy Schneider und Alain Delon in ihren Anfangsjahren noch verliebt turtelten, während in den bekannten Cafés wie dem Les Deux Magots und dem Café de Flore sich die Stars und Sternchen bewundern ließen.
Anscheinend saß auch Hedi Slimane als kreativer Kopf der neuen Celine Parfum Linie des Öfteren in einem der Cafés am Boulevard Saint-Germain und ließ sich zu diesem Duft inspirieren. Er spricht von einem Quartier der ewigen Jugend mit seinem von Roman- und Kinohelden geprägten Look, den er hier eingefangen haben will.

Der Duft startet Dank Petigrain und Neroli frisch-grün als mögliche Anspielung auf den Zusatz „des Prés“, was „auf den Wiesen“ bedeutet. Dieser frisch grüne Ausflug auf die Wiese verschwindet jedoch bereits nach einigen Minuten wieder und es entwickelt sich eine für die Linie typische Pudrigkeit. Der Duft bleibt hell und man kann trotz zunehmender Süße eine ganze Weile das Neroli noch erahnen. Im weiteren Verlauf übernehmen Iris, Heliotrop und Vanille die Führung und der Duft erinnert an zerlassene Butter ohne dabei zu mächtig zu wirken. Das Duftkonzept bleibt hell cremig pudrig trocken süß und dunkelt zum Ende hin etwas nach. Die Präsenz des Duftes ist eher reduziert und hautnah, so dass man fast über den ganzen Tag eine feine und saubere, nicht zu süße Butter-Vanille-Creme Aura um sich hat. Das bedient den aktuellen Zeitgeist mit mehr Süße in Parfums, ist dabei aber nie anstrengend oder gar zu viel. Ich würde den Duft trotz Puder und Süße noch unisex einstufen. Sucht man nach Vergleichsdüften, so kann man sich leise, cremige Varianten von Diors Bois d'Argent und Guerlains Cuir Beluga vorstellen.

Saint-Germain-des-Prés ist ein lichter, minimal grünlicher, hell pudrig-cremiger, sehr edler und hochwertiger Sauberduft, den ich schätzen und lieben gelernt habe. Hier kratzt und beißt nix, so dass mir die Assoziation zum gleichnamigen Quartier nicht ganz gelingen will. Denke ich aufgrund der Historie bei Saint-Germain-des-Prés doch eher an etwas Buntes, Aufregendes, Verspieltes, Schillerndes und Unkonventionelles, so will der Duft diesbezüglich an erhoffter Raffinesse nicht so recht überzeugen.
Aber als Paris Liebhaber, der gerne auch mal (zumindest aus einer gewissen Tradition heraus) im touristischen Café de Flore sitzt und Menschen beobachtet, werde ich den Duft das nächste Mal auflegen. Und dann fühle ich mich sicher gleich viel jünger und komme vielleicht auch mit dem ein oder anderen Star oder Sternchen ins Gespräch. Vielleicht. Oder auch nicht. Macht ja nichts. Hauptsache jung. Hauptsache Paris. Hach.
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Baptiste vor 6 Jahren 49 15
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5
Sillage
7.5
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Duft
The Rise and Fall of Mitsy Stardust
Am Abend des 3. Juli 1973 verkündete David Bowie auf der Bühne des Londoner Hammersmith Odeon mit den Worten “…not only is it the last show of the tour, but it’s the last show that we’ll ever do” das Ende von Ziggy Stardust. Während die Welt der Fans nach diesen Worten zusammenbrach, schuf Bowie mit ihnen einen Mythos. Ziggy Stardust, eine androgyne Kunstfigur, die an Liebe und Frieden glaubt, aber letztlich an seinem eigenen Leben scheitert und hymnengleich untergeht. The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars, ein Album, das Rockgeschichte schrieb, den Glam Rock mit begründete und so viele andere Künstler bis in die heutige Zeit inspirierte.

Als Jacques Guerlain 1919 Mitsouko kreierte, erschuf er ebenfalls einen Mythos am Dufthimmel. Wie Ziggy Stardust wurde „Mitsy“, wie es gerne von seinen Fans genannt wird, schnell sehr erfolgreich, nahm Einfluss auf die Parfumwelt, brach mit dem typisch weiblichen Duftschema, in dem es mit Gewürzen, Vetiver und Eichenmoos mehr Männlichkeit verbreitete und somit das Garçon – Garçonne Thema belebte und gilt seitdem allgemein als Referenzchypre sowie als eines der besten Parfums, das je geschaffen wurden.

Aber neben noch so jedem anhaltenden Erfolg und Starrummel ist der Fall und Untergang nicht weit. Es war bei Mitsy jedoch nicht der Erschaffer selbst, also Guerlain, der den Todesstoß gab. Auch nicht die treuen Fans des Duftes, indem sie sich abwandten und leere Konzerthallen zurückließen. Nein, es waren die IFRA Richtlinien, von denen die Worte „but it’s the last show we’ll ever do“ stammten. Die IFRA, gegründet übrigens 1973, beschloss um die Jahrtausendwende, dass Bergamotte, Moschus und Eichenmoos auf den Index gesetzt wurden. Jene Bausteine also, die die Seele eines Chypre ausmachen, waren verboten und mussten, sofern man den Duft nicht einstellen wollte, ausgetauscht werden. An Mitsy wurde mehrfach rumreformuliert, aber erst in 2013 gelang es Thierry Wasser eine preisgekrönte Version zu erschaffen, die dem ursprünglichen Duft von 1919 wohl sehr nahe kommen sollte. Diese Reformulierung erfuhr nicht nur das Eau de Parfum und das Extrait, sondern auch das Eau de Toilette. Aber leider konnte das den Untergang von Mitsy Stardust nicht aufhalten.

Gerade das Eau de Toilette profitierte in meinen Augen am meisten von der Reformulierung. Der dunkle, muffige, brotteigartige Start nach dem Aufsprühen verschwand und wurde durch eine helle, transparente, zitrisch-blumige Kopfnote ersetzt. Es war als ob der Staub ganzer missglückter Generationen an Reformulierungen auf einmal abfiel. Mitsy erstrahlte im hell-würzigen Chypregerüst. Traumhaft. So traumhaft, dass ich es täglich trug, mich nicht satt riechen konnte, einen Vorrat anlegte, der mich zwei Jahre retten sollte und sogar eine Lobeshymne auf das Extrait verfasste.

Doch dann kam das Jahr 2015 und Mitsy Stardust erlitt schicksalshaft einen erneuten tiefen Sturz. Laut Guerlain gab es Probleme mit der Stabilität einiger Ingredienzien, die dazu führten, dass sich in der Kopfnote ein ledriger, teerartiger Duft breitmachte. Dies war für Guerlain marktwirtschaftlich ein Desaster, da für mehr als sechs Monate das EdP und das Extrait vom Markt genommen und die Produktion eingestellt wurde. Es hieß, dass das Eau de Toilette nicht betroffen sei und ich wiegte mich in Sicherheit. Welch fataler Fehler.
Das EdP, das Extrait UND das EdT waren von dieser Teernote betroffen. Und es war wieder Thierry Wasser, der sich erneut um Kopf und Kragen reformulierte bis Ende 2016 eine Version des EdT erschien, die zwar ohne Teer aber leider mit deutlich mehr synthetischer Monotonie und fehlender Frische in der Kopf- und Herznote aufwartete. In der Projektion mag das möglicherweise nicht so auffallen, aber der Ruhm von Mitsy Stardust ist für immer angeschlagen und der Fall als Signaturduft nur schwer aufzuhalten, wenn es an Alternativen mangelt.

Mir bleibt nichts anderes übrig als es Bowie auf seinen Konzerten gleich zu tun, in dem ich, bevor ich „Mitsy Stardust“ singe, frage: „Why do you kill Mitsy?“
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Baptiste vor 7 Jahren 37 6
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Flakon
7
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7
Haltbarkeit
7.5
Duft
Sans contrefaçon
„Dis Maman, pourquoi je suis pas un garçon?“ Mit dieser von einem kleinen Mädchen gestellten grammatikalisch nicht ganz korrekten Frage beginnt ein Song von Mylène Farmer, der 1987 die französischen und später auch die deutschen Charts stürmte. „Sag Mama, warum bin ich kein Junge?“ So fängt der Song an, indem es um die Frage geht, welche (Geschlechter-) Rolle man als Mädchen oder als Junge einzunehmen hat bzw. welche Rolle man bereit ist einzugehen. Und Frau Farmer postuliert im Refrain selbstverständlich, ganz eindeutig und unverfälscht (= sans contrefaçon), dass sie ein Junge ist: „Da man sich entscheiden muss, sage ich es in sanften Worten, ganz eindeutig, ich bin ein Junge“.
In diesem Song spielen autobiographische Züge der Künstlerin mit, die sich als Kind wohl eher als Junge sah und zu Beginn ihrer Karriere dann auch in ihrem Aussehen oft etwas puppenhaftes und gleichzeitig etwas burschikoses und androgynes hatte. Zusätzlich verweist sie in dem Song auf einen adligen Franzosen aus dem 18. Jahrhundert, der in seinem späteren Leben offen als Transvestit lebte. Man muss aber sagen, dass „Sans contrefaçon“ kein Song über Transsexualität ist. Er greift vielmehr das Garçon – Garçonne – Thema auf. Allerdings nicht in seiner spielerischen Form wie wir es oft in der Mode erleben, sondern mit tiefgreifenden Fragen und Zweifeln am anerzogenen Rollenbild des identitätslosen Heranwachsenden.
Dieses Thema traf Ende der 80er den Nerv der Jugendlichen und der Song verhalf Mylène Farmer zu einer unglaublichen Karriere. Nicht unbegründet kann man sie heutzutage als die „Madonna“ der Franzosen bezeichnen, von denen sie nahezu wie eine Heilige verehrt wird. Ihre Bühnenshows sind legendär und wenn ein mit über 70.000 Leuten besetztes Stade de France mitsingt, dann…aber das ist eine andere Geschichte.

Guerlain hat bereits mit Jicky eines der ersten Parfums kreiert, das, laut der Legenden, mehr von Männern geschätzt und getragen wurde als von Frauen. Auch spätere Kreationen wie L’Heure Bleue, Mitsouko usw. erhielten im Laufe der Jahre mehr und mehr den Touch eines Unisexduftes. Und nun kommt Lui. Ein offen deklarierter Unisexduft, der bezüglich der Geschlechterrolle keine Zweifel aufkommen lässt.

Lui startet kurz frisch, leicht blumig, hell. Recht schnell macht sich ein zarter Lederduft breit, der nicht kratzt, sondern eher einem Sessel in einer Bibliothek gleicht, in der der Hausherr gerne mal eine Zigarre pafft. Hinzu gesellt sich eine etwas muffige Nelke, wie wir sie bereits von L’Heure Bleue, Sous le Vent und Derby her kennen. Also etwas old school like und durchaus elegant, wobei die Nelke nicht so dominant oder gar so grün wie in den genannten drei Düften wahrgenommen wird. Damit Nelke und Leder nicht zu dumpf bleiben, ist dem Ganzen ein gering wahrnehmbarer, wenig süßer balsamischer Unterton zu Grunde gelegt, bei dem Benzoe beteiligt sein kann. Überhaupt zieht sich der Duft schnell zurück und bleibt sehr hautnah. Eine Sillage existiert kaum.
Die Kombination aus Leder, Nelke, Benzoe hält ca. 2-3 Stunden an. Als erstes verblasst das Leder, dann die Nelke und im weiteren Verlauf macht sich eine minimal süßlich balsamische Basis breit, die aber nichts mit der alt bekannten Guerlinade zu tun hat.
Nach weiteren 2-3 Stunden ist die Basis soweit reduziert, dass die eigene empfundene Geschlechterrolle wieder die Führung übernimmt.

Ganz eindeutig und unverfälscht, also sans contrefaçon, kann man sagen, dass Lui ein feines, gut gemachtes Parfum ist. Und man muss sans contrefaçon sagen, dass dieser Duft so ganz anders ist, als das, was wir in den letzten Jahren von Guerlain vorgesetzt bekommen haben. Lui ist leise, diskret, unsüß, ein wenig old school, skinny und definitiv unisex. Mir gefällt er, auch wenn ich noch nicht verstanden habe, was Guerlain uns damit eigentlich mitteilen möchte. Dafür, dass es ein Eau de Parfum ist, ist Sillage und Haltbarkeit offen gesagt eine Katastrophe. Darüber hinaus ist auch die Wortspielerei und die Ähnlichkeit zum Flakon mit Liu als ein sehr feminines, aldehydlastiges und duftstarkes Parfum nicht ganz nachzuvollziehen. Lui ist so ganz anders konzipiert und viel geschlechtsneutraler als man es selbst mit dem Garçon – Garçonne – Thema annehmen würde und daher wird der Duft dem direkten Vergleich mit Guerlains Duftklassikern nicht standhalten können.
Eins ist Lui in jedem Fall. Wie viele seiner alten Vorgänger aus dem Hause Guerlain ist Lui kein einfacher Duft, der sofort zugänglich ist und sich einem schnell erschließt. Hier heißt es Testen und Warten. Manchmal werden daraus Jahre...

Nicht ganz sans contrefaçon lässt sich fragen: „Dis Guerlain, pourquoi je suis pas un parfum?“
6 Antworten
Baptiste vor 7 Jahren 59 10
9
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
10
Duft
Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben?
Es war der 1. September 1932. Fritzi Massary saß vor dem Schminkspiegel in ihrer Garderobe des Berliner Metropol-Theaters, die matten Glühbirnen leuchteten in ihr fünfzigjähriges aber feines Gesicht. Sie war aufgeregt, es war der Premiereabend von „Eine Frau, die weiß, was sie will“. Nervös nestelte sie am Rocksaum und zupfte ihn zurecht. „Du wirst sehen“ hatte Oscar immer wieder betont „die Leute werden dich und diese Operette lieben! Vertraue mir!“ So richtig beruhigt war sie dadurch nicht. Zumindest jetzt überkam sie wie so oft das ihr verhasste Lampenfieber, was scheinbar immer jegliche Sicherheit dahinschmelzen ließ. Ein tiefes Luftholen, ein Stoßgebet, ein Seufzer und auf ging es. Sie griff nach dem Glas Champagner, trank es in einem Schluck leer, nahm Mitsouko vom Schminktisch, reckte das Kinn ein wenig ins Licht der Glühlampen und tupfte rechts und links einen feinen Tropfen auf die Stellen ihres Halses, die letzte Nacht noch von glühenden Lippen gierig liebkost wurden. „Wie hieß er noch?“, dachte sie, aber sie hatte seinen Namen vergessen. „Los Fritzi!“ sagte sie laut zu sich selbst, stand auf, drehte sich ein Mal um die eigene Achse und stieß die Garderobentür auf. Genau zum richtigen Zeitpunkt, als die Musik einsetzte, schritt sie die Stufen zur Bühne empor und trat ins Rampenlicht...

Fritzis Leben in Berlin war glamourös. Seit 1904 trat sie im Metropol-Theater in Berlin Mitte auf, brillierte in zahlreichen Operetten und wurde von ebenso vielen Verehrern wie Verehrerinnen bewundert. Ihr war es einerlei, was die Leute über sie redeten. Dafür war sie bereits zu berühmt. Auch wenn sie sich selbst als sehr fleißig, diszipliniert und in den Tiefen ihres Herzens bürgerlich sah, stand sie doch im angehenden 20. Jahrhundert für ein modernes Frauenbild, das klug, souverän aber auch leidenschaftlich war. Für Männer wie für Frauen verkörperte sie auf der Bühne die attraktive, vorurteilslose Frau, die dennoch Wert auf eine gewisse traditionelle Weiblichkeit legte. Als Jacques Guerlain 1919 Mitsouko kreierte, hatte er wohl genau diesen Typus Frau vor Augen. Wenn nicht sogar der Duft selbst dazu beigetragen hat, dass sich Frauen ihrer selbst mehr bewusst wurden und anfingen in die Lebensbereiche der Männer vorzudringen.
Was würde daher besser zu Mitsouko passen als der berühmte, leicht frivole Operettenschlager der Massary vom Premiereabend „Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben?“:

„Was so die Gesellschaft redet
zwischen Lunch und Dinner,
nachmittags beim 5 o’clock?
Von Madame X und Madame U,
am besten ist's man hört den Leuten gar nicht zu.“

Mitsouko Extrait startet selbstbewusst. Jasmin, ein wenig Bergamotte und eine gehauchte Rose sorgen für einen blumig frischen Auftakt. Der Pfirsich bahnt sich bereits zügig seinen Weg, wobei die Gewürze und das Eichenmoos aus der Basis schnell für den unverwechselbar faszinierenden „muffigen“ Unterton sorgen. Das Herz aus Pfirsich, Flieder und Ylang Ylang machen den Duft tiefer, sinnlicher, leicht schlüpfrig und interessant. Hier bleibt Mitsouko über mehrere Stunden fruchtig-blumig-würzig-dunkel und hinterlässt eine geheimnisvolle Aura, die der Gesellschaft beim 5 o’clock genügend Gesprächsstoff über die faszinierende Frau vom Nebentisch liefert.

„Kennen Sie Frau Y, die schöne, schlanke Blonde?
Wissen Sie, was man da sagt?
Sie hat ’nen Mann, sie hat ’nen Freund,
und einen Onkel, der es sehr gut mit ihr meint.
Ja, dann hat sie ’nen Löwenjäger
und auch einen Jazzband-N*.
Donnerwetter, der Konsum!"

Doch auch jedes Gerücht birgt ein klein wenig Wahrheit. Und so steckt wohl die größte Wahrheit Mitsoukos in seiner Basis. Eichenmoos, Gewürze, Ambra, Vetiver und Zimt legen sich balsamisch, minimal süßlich und pudrig schmeichelnd um seine Träger. Geheimnisvoll, verlockend, sinnlich. Nicht frivol, sondern wie die Kopfnote sehr selbstbewusst, wobei es egal ist, wie es bei dem ganzen Gerede am Nachbartisch um den eigenen Ruf bestellt ist. Ob sie mit ihm, er mit ihr, sie mit ihr oder er mit ihm. Alle Spielarten sind Mitsouko nicht fremd und machen es dadurch unwiderstehlich.

„Man sagt ihr nach, man tratscht herum,
sie ist auch außerdem ein bisserl andersrum!“

Und so überzeugte die Massary auch an diesem Abend des 1. Septembers 1932 als eine Frau, die weiß, was sie will. Und wie die Massary für das Publikum ist Mitsouko für Frauen und Männer gemacht, die wissen, was sie wollen. Wer sich mit Mitsouko einlässt, wird eine Leidenschaft erleben, die stark, tief und langanhaltend sein wird. Und wer mit Mitsouko ein Verhältnis eingeht, muss kein Gerede fürchten. Oder doch?

„Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben?
Ist sie hübsch, wird man sagen:
Na die muss doch eins haben, ’s wär zu dumm!
Na und wenn man schon so redet und sie hat keins.
Na, dann ist es doch viel besser gleich, sie hat eins!
Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben?
Können Sie mir sagen warum?“

(*Im Original Lied wird das N-Wort für Afroamerikaner benutzt)
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Baptiste vor 7 Jahren 39 16
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Duft
Café de Flore
„Ich wurde an einem Abend im März 1941 unter einer Sitzbank im Café de Flore geboren“ notierte Simone Signoret in ihren Memoiren und beschreibt damit den Beginn ihrer Filmkarriere. Weiter liest man bei ihr eine fast endlose Liste französischer Schauspieler, Regisseure und Literaten, die sich zum Frühstück, zum Mittagessen und auf alle Fälle zum Abend hin dort eingefunden hatten, um an der eigenen Karriere zu basteln, zu reden, zu rauchen, zu trinken und sich zu verlieben.
Bereits in den Anfängen des Cafés wuchs rasch eine Art Bohème heran. Der Montmartre war Vergangenheit und Montparnasse noch zu jung. Hier bevölkerten Poeten, Maler und Denker früh die Tische, genossen den Pariser Flair des Quartiers Saint-Germain-des-Prés, kreierten den „Surrealismus“, erfanden den „Existentialismus“, schrieben Bücher im oberen Stockwerk und träumten von Farbe. Später kamen dann die Schauspieler und Filmemacher. Auch Hollywoodgrößen tummelten sich ab den 60ern auf der Terrasse des Flore und beobachteten, hinter großen Sonnenbrillen versteckt, das Pariser Treiben und tranken einen Diabolo Menthe. Hier war man unter sich und konnte seine Lebensweise, seine Gedanken, seine Kreativität leben und teilen. Kurz: man war frei!

Wer kennt es nicht dieses Eck-Café auf dem Boulevard Saint-Germain? Das berühmte Café de Flore. Oder einfach nur das „Flore“, wie es die wissenden Insider nennen.
Wie Guerlain ist es ein weiterer Mythos von Paris. Und nicht nur berühmte Schauspieler oder Schriftsteller verweilten dort, sondern auch der ein oder andere Duftklassiker wie Vol de Nuit wird um die Tische geweht haben. Dessen Duftkomposition passt wunderbar zu dem einheitlichen Gewirr aus Stimmen, die ein Drehbuch rezitieren, zum Kaffeeduft, der ausgetrunken wird, zu den klirrenden Gläsern, die angestoßen werden. Diese spezielle Atmosphäre des Cafés mit ihrer Variation, ihrer Tiefe und ihrer gelebten künstlerischen Leidenschaft, entspricht dem Wesen des Extraits von Vol de Nuit.

Zu Beginn ist der Duft durch seine große Menge an Galbanum, Bergamotte und Orange grünlich frisch, bleibt aber dunkel. Hier ist er in seinem Umfeld am stärksten wahrnehmbar. Nach etwa einer halben Stunde hellt sich der Duft durch Aldehyde, Iris, Narzisse und Vanille auf und wird pudriger mit einer leicht cremig-floralen Note. Bereits hier beginnt die Überlagerung der Herznote durch die Basis, die den Duft mit Hilfe von Eichenmoos, Sandelholz, Iris und einer kaum wahrnehmbaren Menge an Gewürzen wieder erdet. Das ganze dauert über 3-4 Stunden bis dann für weitere 8-12 Stunden nur noch diese nasenschmeichelnde balsamische Basis bleibt.

Vol de Nuit ist als Extrait ein tiefer, warmer, ernster, leidenschaftlicher und intimer Duft. Sowohl intellektuell und wissend als auch gedankenverloren, schwärmend und nostalgisch. Der Duft spiegelt einen Zeitgeist wider, wie man ihn nur im Paris des letzten Jahrhunderts findet. Das bedeutet nicht, dass er heutzutage untragbar ist oder zu altbacken riecht. Vol de Nuit Extrait ist ein Roman von Sartre, eine Rolle von Simone Sognoret, ein Gedicht von Jacques Prévert, ein Gemälde von Picasso, eine Skizze und ein Film von Cocteau, ein Chanson von Gainsbourg, eine laszive Bewegung einer Brigitte Bardot.

Heutzutage sind im Café de Flore mehr Touristen als Stars anzutreffen und man landet hier eher nach einer anstrengenden Sightseeing Tour oder nach einem ausgiebigen Schoppen im Le Bon Marché und entspannt die müden Füße bei einem überteuerten Café Crème oder einem Aperol Spritz.
Erst neulich betrat ich das wuselig laute Café mit seinen vielen Menschen und mir schien, als ob einer der vorbeigehenden Gäste Vol de Nuit aufgelegt hatte.
Vielleicht war es aber auch nur mein eigener Schal.
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