Fengaraki

»Insensé« ist kein Männerduft: Zu lockend stehen seine wilden Blumen in voller Knospe. »Insensé« ist kein Frauenduft: Zu rauh werden die Blüten vom krautigen Tannicht überschattet. Welches dritte Geschlecht soll ihn also tragen? Vielleicht eines, das sich um solche überholten, aber weiterhin lebendigen, Kategorien nicht schert.

Hinterher ist man natürlich immer klüger – aber das Ansinnen, einen solchen Duft als Männerparfüm auf dem Massenmarkt zu etablieren, scheint doch sehr idealistisch. Givenchy ist eben nicht Amouage und wer einen Männerrock kaufen möchte, geht nicht zu Karstadt. Die typische Frage eines Parfümsuchenden »Welcher Duft passt zu mir?« ist manchmal eher unglücklich gewählt, weil mit ihr die Chance vertan wird, das eigene Auftreten durch einen Kontrast zu komplementieren: Ein sportlicher junger Mann mit »Cool Water« oder eine elegante Dame mit »Shalimar« ergeben ein stimmiges Gesamtbild – aber erst wenn die beiden ihre Düfte tauschen, wird es interessant. Und genau hier schlägt »Insensé« meteoritenhaft ein, weil dieser Duft gerade zu niemandem passt und damit jeden interessant macht. Seine grobe Lieblichkeit ist durch herbe Frische distinguiert, seine kratzige Stimme melodisch, raumfüllend, einnehmend. Unprätentiös und nahbar, macht seine Hemdsärmeligkeit es dem Gegenüber leicht, ihn bald als besonderen Freund ins Herz zu schließen. Und, um auch das Offensichtliche noch zu erwähnen: Seine Schönheit ist atemberaubend.

»Aromatics Elixir« führt den Beweis, dass ein Parfüm nicht wie ein Parfüm riechen muss, um ein Parfüm zu sein. Diese abstrakte Studie in Sepia bildet nämlich nicht den Menschen ab, sondern, eine Landschaft, die fremd und herbstlich scheint – unbestimmt genug, um Sehnsüchte zu wecken, schön genug, um über deren Unerfüllbarkeit hinwegzutrösten. Eine erdige, krautige, moosige Landschaft, vor deren Hintergrund sich der Träger des Duftes bewegt, sodass seine eigenen Farben, eingebettet in gedimmte Blütentöne, umso kräftiger leuchten können.

Der Reiz dieses Bildes geht von der Sichtbarmachung des Handwerks in breiten, sicheren Pinselzügen aus; die Wucht schierer Größe wird dabei ausbalanciert von der erlesenen Schlichtheit aller aufeinander abgestimmten Nuancen. Und doch bloß eine Studie? Ja, denn sie eröffnet die Möglichkeit einer ungeahnten Vollendung zum idealen Gemälde, wie sie einzig im Kopf des Betrachters stattfinden kann.

So sehen gefallene Götter aus: Das Leuchten ihrer hohen Geburt strahlt noch unter dem Bettlergewand hervor und sie ziehen Blicke auf sich, auch wenn sie, gehetzt und zerrissen, bloß noch die Erinnerung vergangener Größe in sich tragen. Der Abstieg eines der vulgärsten göttlichen Männerparfüms begann, als es vom Erfolgs- zum Massenphänomen wurde. Und heute träumt es, preisreduziert unter dem Staub der Jahre, von seiner Zeit.

»Lagerfeld Classic« ist unverkennbar. Man riecht wohl Patchouli, Tabak, Vanille und Gewürze heraus, durch aldehydene Flügel der erdenen Schwere ledig, aber diese Nuancen sind nur Schwingungen im beständigen, unbeirrbaren Gesang einer gewaltigen Stimme. Deren beinah überwältigende holzige Lieblichkeit fordert, vielleicht ein wenig zu selbstbewusst: »Seht her, mir gehört die Zukunft!« Aber wer weiß – was einstmals nieder ging, das steigt vielleicht tatsächlich in fernen Tagen umso leuchtender wieder empor?

Eine schmuckbehängte, solariumgebräunte Person in unvorteilhafter hautenger Lederkleidung betrat jene Parfümerie, in der ich mich gerade verlustierte, und krähte: »Wo ist mein Lieblingsduft? Ich möchte auffrischen!« – Und ich dachte so bei mir: Zu einer solchen Dame könnte doch »Love in White« gut passen. Ich folgte ihr unauffällig ... und tatsächlich! sah ich sie schon bald darauf ein kalkweißes Gefäß lobpreisend gen Himmel heben, als handle es sich um den heiligen Gral. Nicht Leben und Glückseligkeit quollen jedoch daraus hervor, sondern das Gegenteil – ein olfaktorisches Inferno begann sie zu umlohen und ließ auf seiner Bahn in Richtung Ausgang nichts als verbrannte Erde zurück.

»Love in White« ist der chemische Super-GAU: Die grotesk aufgedunsenen Orangen schreien in einem so hohen, schrillen Ton mit gefolterten weißen Blüten um die Wette, dass der Flakon zerspringen müsste, bestünde er nicht aus Panzerglas. Kann so etwas wirklich als Parfüm frei verkäuflich sein? Nein, das gelbe Dreiecks-Etikett mit dem Totenkopf darauf wurde sicher unter Beanspruchung der künstlichen Fingernägel einer emsigen Parfümeriemitarbeiterin von der Flasche gepuhlt. Welcher Prominenten könnte die Firma diesmal eine glaubhafte Beziehung zu ihrem Produkt andichten? Margot Honecker?

PS: Um das Ende der Menschheit einzuläuten, sollte Creed eine Doppelpackung mit »Love in White« und »Love in Black« als Weltuntergangs-Sonderedition »Love in Grey« herausgeben, denn diese »Parfüms« ergänzen einander mindestens so perfekt wie Pest und Cholera, Skylla und Charybdis, Thomas Anders und Dieter Bohlen.

Wie wenn sich der Schleier einer milden Müdigkeit auf die Augen legte, um die Welt zu einem Pastellgemälde weicher Formen und Farben verschwimmen zu lassen, umhüllt »Beyond Paradíse Men« das Herz seines Trägers. Je nach Stimmung und Licht tritt changierend die bunte Blässe hervor: Das Grün rauschend belaubter Zitronenbäume, das wässrige Blau des nahen sanft anbrandenden Meeres und das fruchtige Rot des späten Himmels bilden eine Gesamtheit milchiger Abstraktion, ohne aber jemals ganz zu verschmelzen. Denn erst ihr wechselhaftes Spiel miteinander erzeugt die Harmonie der als ein einziger seltener Opal schimmernden Teile.