Ferminadaza

Dieser Duft erinnert mich an eine russische Matrjoschka, bei der die großen, groben Puppen nach und nach auseinandergebaut werden müssen, bis das kleinste, feinste – das letzte Püppchen zum Vorschein kommt, das nicht mehr aufgebrochen wird und bleibt.
Nach einem wuchtigen Auftakt, der nach kalter Werkstatt mit Farben und Lösungsmitteln riecht, gelange ich so in immer neue Räume, bis ich mich zuletzt in einen kleinen warmen, lichtdurchfluteten Zimmer wiederfinde, in dem frischgewaschene Wäsche und feinste Seifen einen zarten lieblichen Duft verströmen.
Die unglaubliche Transformation des Duftes auf meiner Haut, die ich noch bei keinem anderen Parfüm so erlebt habe, dauert fast drei Stunden. Dann aber verweilt er lange und schenkt mir Wohlgefühl. Großes Kino!

Es klingt skurril, aber als ich diesen Duft das erste Mal bewusst wahrgenommen habe, lag ich auf einem OP-Tisch und eine Anästhesistin beugte sich über mich. Sie roch so angenehm beruhigend und trotzdem luftig, leicht. Ein zarter, wohliger Duft. Wunderbar…. mit diesen Gedanken sank ich in den Tiefschlaf.

Tage später erinnerten mich Nuancen in anderen Düften wieder an ihn. Oh, ich wollte so gerne wissen, was das ist, doch es war einfach unmöglich, ihn ohne jeglichen Anhaltspunkt unter Tausenden in einer Parfümerie zu finden.

Aber er begegnete mir in Abständen von Tagen, manchmal Wochen, immer wieder. Im Bus, im Theater, im Supermarkt, an der Ampel, in der Menschenmenge. Manchmal konnte ich ihn einer Person zuordnen, manchmal wehte er nur durch die Luft und war weg. Ich erkannte ihn sofort, aber es waren immer Fremde, die ihn trugen und lange Zeit habe ich mich nicht getraut, nachzufragen oder die Situation hat es einfach nicht zugelassen. Doch dann… eines Morgens im Bus dachte ich „jetzt oder nie“ und wagte es. „Entschuldigung, darf ich Sie mal was fragen? Welchen Duft sie da tragen?“.

Verdutzt schaute sie mich an. „Chloé, einfach Chloé“. Sie lächelte.

Endlich! ich hatte ihn! Ich fühlte mich so, als hätte ich einen großen Sieg errungen und war unendlich glücklich. Ein halbes Jahr habe ich danach gesucht. Nun ist Chloé mein und ich darf ihm frönen, wann immer ich möchte.

Als Teenie schenkte mir meine sehr chice und moderne Großtante hin und wieder Lippenstift- und Parfumproben. Das war für mich immer wie ein Fest! Irgendwann war darunter auch ein Miniaturfläschchen von Chanel No 19. Ein kleiner quadratischer Flakon mit einer grünen Flüssigkeit, die so gar nichts für mein jugendliches Näschen war.
Zu dieser Zeit, wir befinden uns in den 80er Jahren, fing ich ja überhaupt erst an, mich mit irgendetwas einzusprühen. Mein erster Duft damals war auch grün. Er hieß "dancing" und war aus der Serie dreier Teenie-Pop-Düfte von Ellen Betrix, die sich mit trendigen Namen in grellen Farben präsentierten und recht schnell wieder von der Bildfläche verschwanden.
Aber zurück zu Chanel. Irgendwie hat mir der kleine No 19-Flakon gefallen und vielleicht ahnte ich doch, dass es ein besonderer Duft ist - ich habe ihn jedenfalls aufgehoben.
Mit Anfang zwanzig ist er mir wieder in die Hände gefallen. Er hatte ja schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Trotzdem roch er noch so gut, dass ich ihn tatsächlich auf der ein oder anderen wilden Party getragen habe.
Wieder vergingen etliche Jahre, bis ich ihn vor kurzem noch einmal neu entdeckt habe.
Ein wunderbarer, ja, grüner Duft. Klar, edel, sehr harmonisch arrangiert und zeitlos. Er ist vielseitig und passt zu Jeans und Stiefeln genauso gut wie zu einem Kostüm mit Pumps.
Chanel No 19 hat es geschafft, sich über Jahrzehnte hinweg in meinem Geruchsgedächtnis zu manifestieren und ist jetzt endlich für immer bei mir angekommen. Ich liebe ihn!
Meine Großtante lebt noch. Sie ist mittlerweile Mitte 80 und immer noch chic und modern - Stil hält jung

Es macht mir schon ein wenig Angst, dass dieser beliebte Duft, der überall fast nur Lob erntet, mich auch nach mehrfachem Versuch so gar nicht überzeugen kann.

Das erste Mal probierte ich ihn in einer kleineren Parfümerie, in der nur noch eine einsame Seife davon im Regal lag - und der Probierzerstäuber. Nach dem Aufsprühen dachte ich „Auweia, der ist um“ und gab das unvermittelt so an die Verkäuferin weiter. Die war recht jung und konnte das verkraften. Der Duft war natürlich völlig in Ordnung.

Bei allem Respekt vor dem Hause Guerlain - der Duft riecht für mich ölig, pudrig, mottenkugelig und schwülstig - insgesamt gestrig. Erst nach geraumer Zeit hat sich diese erdrückende Schwere ein wenig verflüchtigt und ein „erträglicher“, würzigsüßer Geruch bleibt auf der Haut und strahlt eine gewisse Wärme und Opulenz aus.

Vielleicht benutzte eine meiner Omas oder Großtanten diesen Duft? Auch ich assoziiere (und damit bin ich ja zum Glück hier nicht die einzige) damit eine „alte Frau“.

Vielleicht bin ich einfach noch nicht bereit für diesen Duft - und damit beziehe ich mich nicht auf das Alter (so jung bin ich leider auch nicht mehr...).

Was für ein eigenwilliger und besonderer Duft.

Augenblicklich fühle ich mich in Tim Burtons „Alice im Wunderland“ versetzt. Dort durchstreift Mia Wasikowska als elfenhafte Alice in zartem Kleidchen ein grünes Dickicht fantasievoller Pflanzen und Bäume. Ab und an fliegen surreale Schmetterlinge und Insekten durch die Luft.

Genau dieser märchenhafte Zauber, begleitet von einem erdverbundenen Grün, offenbart sich mir bei Ninfeo Mio (ein ganz und gar passender, klangvoller Name für diesen Duft!). Neben Zitrone, Feige und Minze rieche ich noch eine zunächst intensive und für mein Empfinden eher unangenehme Kokos- und Vanillenote heraus, die mit der Zeit glücklicherweise etwas in den Hintergrund tritt.

Ich mag diesen Duft sehr, vor allen Dingen, weil er außergewöhnlich ist, und bin gespannt, wie er im Sommer an mir riechen wird.

Übrigens war es “Liebe auf den zweiten Blick“ und erstaunlicherweise nicht das erste Mal, dass mich ein Duft erst beim zweiten oder dritten Versuch so begeistert hat.
Umgekehrt ist es mir leider auch schon passiert, etwas erworben zu haben, das ich sehr schnell nicht mehr ausstehen konnte. Man sollte wirklich immer schauen, eine Abfüllung oder Probe zu bekommen, bevor man sich endgültig entscheidet.