IamCraving

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6 - 7 von 7
IamCraving vor 6 Jahren 16 6
8
Flakon
6
Sillage
9
Haltbarkeit
10
Duft
Gestolpert und ins Gras gebissen
In einer kleinen, feinen Parfümerie in Berlin schubste man mich ins Gras.
Der Schubs war ein Lustvoller, ein Hüpfer im Bauch, ein Aufhorchen vor dem Moment des Falls, bevor die Natur ganz nah war. In einer oft eintönigen Landschaft stolpert man gerne, das verhilft zu neuen Perspektiven. Alles was das Alte, Durchschaubare bricht, verwundern und erstaunen lässt, Bewegung, Berührung und Reibung verursacht, empfinde ich als Segen, Anstoß und als Vorstufe zu Kunst.
L’Amandière hat all dies getan, erst hat es mich aus meiner Lethargie gerissen und zu Boden geworfen. Dann hat es mich empört, ja aufgeregt. Dann musste ich lachen, und schliesslich war ich sehr gerührt von dem, was sich da auf meinen Arm gelegt hatte.
Das Stolper- und frohe, freie Fallgefühl rührte von der kugelrunden, umwerfenden Duftkomposition her, mit der einen der Auftakt von L’Amandière bombardiert. Da geht es los mit einer wie zum Ball geformten Pointe, die man bei den meisten Parfums weitaus später erwartet. Eine Fülle an grüner, blühender Natur, die auf einer kühlen Waldlichtung hinter einem Mandelbaum hervorzuspringen und den Glücklichen Bedufteten zu erschrecken scheint. So viel Saftigkeit ohne verschwommene Umrissen, mit im Gegenteil geradezu emportreibender Klarheit, darauf bin ich überrascht, erregt, verdutzt ausgerutscht. Die Empörung kam nach dem Fall. Da lag ich nun und roch ein zweites Mal an dem Verursacher. Es schoss mir wiederum bis in den Kopf und ich konnte nicht glauben, was sich so plötzlich verändert hatte. Es war, als inhalierte ich einen tellergroßen See kaltgepressten, goldgrünen Olivenöls. Nichts anderes vermochte ich in dieser Sekunde wahrzunehmen und die Glattheit dieses vertrauten, intensiven Dufts hätte mich, wäre ich noch aufrecht gestanden, ein zweites Mal die Schwerkraft spüren lassen. Darüber echauffierte ich mich, ebenso über die Absurdität des edlen Olivenöls, das da auf einmal war. Dann begriff ich den Humor meines Gegenübers, dessen grünlich-gourmandige Facette sich, jubelnd ob des gelungenen Erschreckens, langsam wieder im Wald verzog und Platz für einen neuen unerwarteten Besucher machte. Er hatte mich bereits die ganze Zeit umgeben, doch ich hatte die Wiese vor lauter Grashalmen nicht gerochen. Frisch zerhäxelt, tiefgrün blutend ergoss sich der himmlische Geruch des Grases in den Moment und bereitete mir (wem nicht?!) eine herrlich schmerzende Nostalgie. Im Hintergrund versüßten die Mandel- und Lindenbäume unser gegenseitiges Erkennen, es herrschte vollkommene Harmonie auf der stillen Wiese.


6 Antworten
IamCraving vor 6 Jahren 11 1
9
Flakon
7
Sillage
5
Haltbarkeit
8
Duft
Die (zweite) Haut in der ich wohne
Genau wie mit Filmen, Büchern, Speisen, Orten und vielem mehr, das dazu neigt starke Gefühle auszulösen, ist es im Hinblick auf Düfte, die einem am Herzen liegen nicht immer die beste Idee, sich die Meinungen der anonymen Masse, die ohne Rücksicht auf Sentimentalität und das Wissen um ebenjene kommentiert, kritisiert und im schlimmsten Falle verachtet, zu Gemüte zu führen. Oft werden Illusionen zerbrochen wie fallendes Spiegelglas, Zauber geraubt und Zartes geschändet. Manchmal wird aber auch die Verbundenheit zum geliebten Objekt intensiviert, es wird zu einem beschützenswerten Kleinod.

Light blue ist meine erste große Duftliebe. Vor einigen Jahren empfing mich ,16, auf der Suche nach Vielem, der windige Frühling Avignons zu einem halbjährigen Kulturaustausch. Meine seidige Identitätsmasse wehte in vielerlei Hinsicht im Mistral, sehnte sich, war lückenvoll. Einen Splitter Identität fand ich unverhofft in einer großen, hektischen Parfümerie nahe des Papstpalastes, als ich eines Nachmittags durch die engen Gassen flanierte. Ich hatte noch nicht viel getestet, fühlte mich zu jenem Zeitpunkt schon überfordert ob dieses Meeres an Düften und Möglichkeiten, olfaktorischen Welten und Geschichten. Light blue zerstieb sehr fein und schien wie magnetisch von meinem Handgelenk angezogen zu werden.
Eine Woge unverbrauchter kühler Regenluft, ein feuriger Stich latenter Kessheit und frechen Witzes, eine Ahnung von verglimmenden, lustvoll knackenden Holzscheiten, der Duft von nasser Haut und einer ungesüßten Limonade berührte mich so vertraut wie ein alter Freund, dessen geteilte Kindheitsabenteuer noch so lebendig in der Erinnerung toben, als jage man noch im Moment durch hohe Wiesen und sandige Dünen.

Seit dieser Zeit im sinnlichsten Land der Welt trage ich Light Blue Huckepack durchs Leben, wir lachen viel, leiden gemeinsam, sind eins. Auch meine Erfahrungen mit dem Durchhaltevermögen meines alten, neuen Freundes sind nur Gute. Nie aufdringlich, lässt er einen doch nicht im Stich und bleibt als bekräftigende Silhouette noch lange in der Nähe.

Das war eine ziemlich erlebnisbasierende Rezension, doch ich bin der Meinung, dass Light Blue auch außerhalb meiner sentimentalen Zuneigung weitaus mehr als ein dünnes Wässerchen für anspruchslose Duftträger ist und hoffe, dass nicht nur ich eine abwechslungsreiche, intime Reise mit diesem besonderen Odeur unternehmen kann.
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6 - 7 von 7