Kovex

Kovex

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16 - 20 von 29
Kovex vor 5 Jahren 38 20
7
Flakon
7
Sillage
9
Haltbarkeit
10
Duft
Des Meisters Handschrift
Einige Parfümeure und auch Dufthäuser haben eine wiedererkennbare Handschrift, die oftmals an den gleichen Rezeptoren in unserem Gehirn andockt. Ich denke da nicht nur an die berühmte Guerlinade sondern viel mehr an Parfümeure wie z.B. Francesca Bianchi, Annette Neuffer, Elisavet Isabella Sacky, Kurkdjian um nur wenige zu nennen.

Vor ein paar Jahren noch habe ich den Namen der Künstler hinter den Düften zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Bis zwei Ereignisse fast zeitglich geschehen sind und ich merkte, dass ich nun ein neues Level erreicht hatte.

Es war einer der vielen belanglosen Düfte unter irgendeinem Markennamen, den ich schon wieder vergessen habe. Ich roch daran und wusste sofort, dass es eine Geza Schön Kreation ist. Und siehe da, ich hatte richtig getippt. Stolz, das erste Mal einen Parfümeur erkannt zu haben wurde mir bewusst, dass ich meinen Geruchssinn mittlerweile gut geschult hatte und nun imstande war, meine Herangehensweise an Düfte zu variieren.

Das zweite Ereignis war, dass ich feststellte, dass der Name Bertrand Duchaufour in meiner Sammlung am prominentesten vertreten war. Ohne gezielt nach seinen Düften zu suchen kamen in Lauf der Zeit Weitere von ihm hinzu, nur eines kannte ich noch nicht: seine Handschrift.

So war es auch bei The Tycoon. Noch nie von der Marke St Giles, geschweige dem Duft gehört, Teil eines Probenpäckchens, also wieder so ein zufälliger Glückstreffer, dem wir doch alle nachjagen, nicht wahr?

The Tycoon beginnt mit einer erfrischend alkoholischen hellgrünen Barbershop-Note, die aber schon zu Beginn eine elegante Lässigkeit ausstrahlt, die mehr an Lebenserfahrung, denn an jugendliche Rebellion denken lässt. Zitrusaromen die eher ihre sauren Noten Preis geben, als sommerlich-fruchtige Spritzigkeit vorzugeben, haben gegen das stärker werdende Galbanum kaum eine Chance. Seine hellgrünen, in Pastell gezeichneten Noten schälen sich hervor wie die frischen Triebe von Gräsern an den ersten Frühlingstagen.

Für mich ein Duft wie er nicht besser als in den März passen könnte. Der Monat der sich nicht entscheiden kann ob er noch dem Winter angehört oder doch lieber den Frühling einleitet. Wenn die Morgenluft kühl ist, die ersten Sonnenstrahlen noch gegen die Windböen ankämpfen, dann strotzt der Tycoon vor energiegeladener kühl-grüner Frische, die zum Glück jegliche eventuelle Blütensüße vermissen lässt.

Der Tycoon verbindet für mich zwei differenzierte Sinneseindrücke, die man von einem Menschen bzw. seines Dufteindrucks haben kann. Da ist zum einen diese herbe, ja fast schon trocken-spröde hellgrüne Frische, die wegen des Verzichts auf süße Anteile, eine gewisse Sachlichkeit und eine Distanziertheit vermittelt, die einem Tycoon gerecht werden sollte. Zum anderen wirkt der Duft aber so gradlinig sauber, gepflegt und reinlich, dass man sich automatisch in einem Gefühl von Vertrautheit der Seriosität des Trägers hingeben möchte. Zwei Eindrücke also, die auf den ersten Blick gar nicht zusammen gehören wollen, hier aber einen interessanten Spannungsbogen von Nähe und Distanz schaffen.

Der Tycoon ist ein sehr ausdauernder Duft, der einen langen Arbeitstag ohne Probleme überdauert, wobei eine Duftentwicklung hier kaum stattfindet. Von dezenter Präsenz verschafft er seinem Träger eine gleichbleibende Aura von solider Gediegenheit und unprätentiöser Stilsicherheit, die Lebenserfahrung gleichermaßen vermittelt wie eine gewisse Autorität.

Passend hierzu ist der Flakon von schlichter, gradliniger Eleganz und einer Akkuratesse die dem Inhalt gerecht wird.

Der für St Giles verantwortliche Kreativdirektor Michael Donovan hat für all seine 5 Werke Bertrand Duchaufour verpflichtet, was aber scheinbar nur als temporäres Projekt ausgelegt war, denn einige der Düfte, wie auch der Tycoon sind schon jetzt offiziell nicht mehr verfügbar. Mit etwas Glück wird man in ausgewählten britischen Parfümerien noch fündig.

Mittlerweile gelingt es mir schon bei einer Handvoll Parfümeure sie meist blind zu erkennen. Da ist zum einen der Stil, die verwendeten Rohstoffe, aber auch die persönliche Vorliebe des Kreativen zu erkennen.

Bertrand Duchaufour hat auch eine Handschrift, nur ist mir bis heute noch nicht klar welche das sein könnte. Zu verschieden und eigenständig sind viele seiner Kreationen. Eines ist all seinen Düften aber gemein: sie sprechen mich auf besondere Weise an, begeistern und faszinieren mich. Wahrscheinlich hat er einen supergeheimen Zusatzstoff – eine Art Pheromon für Duft-Junkies – den er seinen Werken hinzufügt. Irgendwas muss da drin sein. Ich weiß nur noch nicht was es ist.

Ich bedanke mich bei Ergoproxy für die Probe.
20 Antworten
Kovex vor 5 Jahren 29 23
7
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
9.5
Duft
Von den Mythen und Legenden Sardiniens
Beim einem Blick in meine Sammlung wird man feststellen, dass dort überwiegend Düfte mit herbstlicher/winterlicher Ausrichtung zu finden sind. Dies liegt nicht daran, dass mir die kalten Jahreszeiten so liegen (im Gegenteil: ginge es nach mir, dürften sich Frühjahr und Sommer im ständigen Wechsel befinden), sondern dass ich bisher einfach keine sommerlichen Düfte gefunden habe, die mich vor Verzücken in die Knie gehen lassen.

Dies hat sich mit der Entdeckung von Coros geändert. An dieser Stelle vielen lieben Dank an Ergoproxy, der mir diese Probe überließ.

Die bisher hierzulande wenig bekannte Marke Acqua die Sardegna wurde 2008 von Mauro Aprea gegründet, nachdem er zuvor als Kommandant eines Schiffes in Alghero – Sardinien anlegte, sich in die Insel verliebte und sich der Gedanke verfestigte, die Geschichte Sardiniens anhand des Elementes, das ihm am nächsten stand einzufangen: das Wasser.

Es entstanden verschiedene Linien (Klassik, Maijda und Scalo Porto Cervo), welche es den Besuchern Sardiniens ermöglichen sollten, einen Teil der gewonnenen Eindrücke mit nach Hause zu nehmen. Kristallklares Meerwasser dessen Brandung an die Klippen der von Ginster überwucherten Felsen schlägt, der Geruch von weißer Myrte im Morgengrauen eines neuen Tages, üppiger Safran auf den milchigen Feldern des Hinterlandes, Feigenblätter auf den schmalen von holzigen Aromen durchzogenen Wanderwegen entlang unberührter Strände mit ihrem typischen Geruch nach Meeresalgen. Während jede dieser Linien eigene Wege geht, ist ihnen allen gemeinsam, die geheimnisvolle Schönheit Sardiniens einzufangen.

Dies drückt sich auch in der Gestaltung der Flakons aus. Während die Behältnisse selber an eine Meereswelle erinnern sollen, sollen die Deckel Assoziationen an einen Poller im Hafen wecken, an dem die Schiffe befestigt werden.

Die 2017 entstandene neue Linie „Sandalia Luxury Collection“, der auch der hier besprochene Duft Coros angehört, ist die Speerspitze der Düfte Acqua di Sardegnas, auch preislich gesehen. Eine Linie welche von den geheimnisvollen Mythen und Legenden Sardiniens erzählt, vom Fall der Feen (Domus de Janas), prähistorischen Turmbauten (Nuraghe) und dem Obsidian Tal (Monte Arci), dessen schwarze Farbe des Halbedelsteins Obsidian sich in der Farbgebung der Flakons dieser Linie wieder findet.

Der Duft Coros bezieht sich auf die prähistorischen Felsengräber Domus de Janas (Häuser der Feen) aus der Zeit der Ozieri-Kultur vor ca. 5 -6 Tausend Jahren. Der Legende nach sollen dort Feen im Schutze der Feigenbäume zwischen Zistrose- und Mastixsträuchern Geheimnisse erzählt und Goldfäden gesponnen haben, die auf der Flakonvorderseite von Coros symbolisch dargestellt werden.

Coros eröffnet mit sanften Hesperidien, die weniger an einen typischen Zitrusauftakt denken lassen, als vielmehr an das Öffnen eines Fensters des Strandhauses, wenn die Morgensonne mit ihrer ersten Wärme die Aromen der umliegenden mediterranen Vegetation durch das Fenster weht. Dazu die feuchte Brandung des Meeres die ihrerseits den frischen Eindruck zu verstärken vermag.
Schon nach kurzer Zeit zeigt sich der typisch grüne und unsüße Geruch von Feigen, wobei ich Frucht und Blatt olfaktorisch kaum unterscheiden kann. Das gefällt mir außerordentlich gut, ist der Geruch von Feigen mir doch erst durch dieses Hobby bewusst und vertraut geworden. Die hier verarbeitete Feige zeigt sich in einer unheimlich cremigen, von zarter grüner Fruchtsüße eingebetteten Facette. Die in der Herznote genannten Harze mit ihren durchaus zitrischen, indes auch würzig-pfeffrigen Aromen ergänzen die Feige perfekt, um das oben erwähnte Bild einer mediterranen Landschaft zu erzeugen. Dieser frische frühlingshafte Eindruck bleibt nun über Stunden erhalten, bis Coros in der sinnlichen und moschusartigen Wahrnehmung von Ambrette und sehr leichtem Patchouli verebbt.

Flakon und ganz besonders der Duft wirken sehr edel und wertig (ok, der Deckel hätte nicht aus Kunststoff sein müssen). Man spürt aber die Qualität der Ingredienzien. Hier beißt keine üble Synthetik (Synthetik ist nicht per se schlecht!), sondern es werden die beglückenden Momente erzeugt, wenn man – im Urlaub angekommen – endlich den ersten Gang an das Meeresufer macht, die frische und ungewohnt südländische Luft der Umgebung einsaugt und die Gesamtheit der Eindrucke vereint. Urlaub, eingefangen in der Flasche.

Nachdem ich nun in Coros einen für mich perfekten Sommerduft gefunden habe (ein Flakon durfte bereits bei mir einziehen), werde ich mich wohl noch näher mit dieser interessanten Marke auseinandersetzen müssen, um meine Sammlung in Bezug auf Jahreszeiten etwas ausgeglichener zu gestalten. Die Chancen stehen jedenfalls nicht schlecht. Nach weit über tausend getesteten Düften endlich wieder ein olfaktorisches Erlebnis der Extraklasse. Ich bin begeistert.
23 Antworten
Kovex vor 6 Jahren 25 14
6
Sillage
9
Haltbarkeit
7
Duft
Die Revolution in der Parfüm-Industrie!
Die Marketing-Strategen haben´s einfach drauf. Was Neues muss her. Wer will denn noch Eau de Toilette, Eau de Parfum, Parfum, Parfum Intense? Irgendwann wird die Steigerung doch albern. Da geht doch bestimmt mehr, oder?

Die uralte Kunst der Alchemie soll´s richten. Die Lehre der Eigenschaften der Stoffe und ihre verschiedenen Reaktionen aufeinander sind doch prädestiniert für eine Anwendung in der Parfüm-Industrie. Alchemie. Im Grunde genommen geht´s um Chemie und Pharmakologie. Nur halt ein bisschen geheimnisvoller. Aber Achtung: bei Hermetica werden auch natürliche Rohstoffe verwendet.

Revolution Nummer 1: synthetische und natürliche Duftstoffe miteinander verbinden

Die Wirkungsweise der ursprünglich angewendeten Alchemie kann selbstverständlich nur erreicht werden, wenn die perfekt molekular-chemische Verbindung mit der Haut hergestellt werden kann. Hierzu hat der Weltkonzern Symrise keine Kosten und Mühen gescheut die einzigartige patentierte Technologie Innoscent ™ zu entwickeln. Nur mit ihr ist es gelungen Naturphilosophie und Synthetik in Einklang zu bringen. Eindrucksvoll wird das auf dem Prospekt in Form einer chemischen Formel der drei Duftstoffe in Verbindung von Begriffen wie „die Offenbarung“, „erleuchtet“ und „der erste Tag auf der Erde“ dargestellt. Dazu der Name: Source1. Ich mach mir gleich in die Hose.

Kann es mehr geben? Oh ja, es kann!

Revolution Nummer 2:

Alkoholfrei. Ist das zu fassen? Als Parfüm-Junkie ohnehin dem Sprit verfallen, könnte das das Ende allen Lasters sein? Endlich nicht mehr das unentwegte Schnüffeln am Handgelenk oder am Hemdkragen? Alkoholfrei ohne Entzugserscheinungen?

Es hat nur der knallharte Selbsttest geholfen. Wie nicht anders zu erwarten hat Source1 eine ölige Konsistenz und kann daher laut Hersteller auch in der Sonne getragen werden. Hat sogar pflegende Eigenschaften. Das wäre ja fast Revolution Nummer 3 geworden, wenn da nicht die Ölflecken wären....

Genug der Revolutionen. Es riecht im Prinzip wie oben bei den Duftnoten angegeben. Man hat nicht viel zu erwarten. Eine Kopfnote ist nicht wirklich vorhanden, von einer Entwicklung möchte ich gar nicht sprechen. Es ist ein holzig ambriertes Duftöl mit zitrisch-gewürzter Einfärbung. Nicht unangenehm aber auch so gar nichts Besonderes. Geht zu jeder Jahreszeit und für beide – ach ne, gibt ja jetzt ein drittes Geschlecht – also ok: alle Geschlechter. Vielleicht fällt Anderen mehr dazu ein. Mir nicht. Ist bestimmt gut zum layern geeignet. Mit Molecule01. Oder so.

14 Antworten
Kovex vor 6 Jahren 37 19
9
Flakon
6
Sillage
6
Haltbarkeit
9.5
Duft
Harmonie
Ob meine frühkindliche Leidenschaft für alles Japanische oder die Marketing-Abteilung von The Merchant Of Venice meine Assoziationen hervorrufen, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Jedenfalls verkörpert für mich Asian Inspirations wie kein anderer Duft die Essenz der japanischen Kultur.

Die Grundlage für das starke Bedürfnis der Japaner nach Harmonie wurde bereits im Jahre 604 n.Chr. in Japans erster Verfassung gelegt. Es war eine Art Gesetzeswerk, welches auch viele Fragen der Manieren und Höflichkeit regelte um Harmonie herzustellen. Es war auch die Zeit, in der der Buddhismus Japan erreichte und zusammen mit Einflüssen des Taoismus sowie des Konfuzianismus zu einer synkretischen und harmonischen Koexistenz mit der japanischen Urreligion Shinto führte. Das Ziel blieb stets das gleiche: Harmonie

Das Streben nach dieser Harmonie ist in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens offensichtlich. Will man das weniger öffentliche Leben der Japaner mit all seinen Ritualen, Höflichkeitsfloskeln und Benimmregeln in ursprünglicher Weise ergründen, muss man sich in das gebirgige Hinterland Japans begeben.

Asian Inspirations nimmt mich mit auf eine Reise in das traditionelle Japan, fernab der großen Städte. Eine schmale Straße führt auf einer hügeligen Straße zwischen unzähligen kleinen dicht bewachsenen Bergen entlang. Ab und an blitzt das gewölbte, goldene Dach eines Tempels aus den satt-dunkelgrün überschatteten Hängen hervor. Unzählige Wasserlandschaften. Das Teehaus in der Nähe ist bewusst sehr schlicht gehalten um seinen Gästen die Möglichkeit zur inneren Einkehr zu geben. Die Luft ist jetzt klarer und feuchter geworden. Das Plätschern von Wasser ist allgegenwärtig, dennoch liegt eine beruhigende, fast träge Stille in der Luft.

Asian Inspirations startet mit einer außergewöhnlichen grün-würzigen Frische, die mich sofort an klares Gebirgswasser denken lässt, das auf seinem schmalen Weg durch das dicht bewachsene, von Moosen und Kräutern gesäumte Ufer, glasklar in einen Teich mit Koi-Karpfen rinnt.

Während sich bereits recht früh ein zarter Teppich aus feinstem Velourleder als Grundlage für den Duft zeigt, versuchen die anderen Gewürze, Kräuter, Hölzer und Harze erst gar nicht um die Vorherrschaft zu kämpfen. Auch Vetiver ordnet sich unter, wenngleich es neben den flankierenden Hölzern als unsüßes stabiles Gerüst dient, dem tief grüne Gewürze und abrundende milde Harze zur Seite gestellt werden.

Alles verschmilzt zu einer vollkommenen Symbiose, die Ruhe und Gelassenheit aber auch eine stille Autorität ausstrahlt.

Asian Inspirations ist ein eher leiser Duft mit moderater Sillage und mittelmäßiger Haltbarkeit. Hier aber empfinde ich diese Merkmale als perfekt austariert und harmonierend mit dem Duft. Nach 4-5 Stunden hat er sich hautnah zurückgezogen und hinterlässt eine zarte Melange, der etwas sanft Meditatives anhaftet.


Da der Duft weder blumige noch süße Anteile in sich trägt sehe ich ihn entgegen meines Vorkommentators fast mehr auf der Männerseite, wenngleich die Statistik (siehe rechts) gegen mich spricht ;)

Das Konzept, im vollkommenen Einklang mit der Natur zu sein, Ruhe einkehren zu lassen und zu sich zu finden, erscheint mir hier hervorragend umgesetzt. Ein Konzept, das umso mehr in der heutigen hektischen und schnelllebigen Zeit aufgehen sollte. Für mich tut es das.


19 Antworten
Kovex vor 6 Jahren 41 21
7
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
9
Duft
Zurück zu den Wurzeln oder wie alles begann
Zu Beginn meiner Parfumo-Zeit, als ich noch unangemeldet hier herumschlich, bezog ich meine Parfümproben in Ermangelung der Kenntnis eines Souks, überwiegend auf Online-Plattformen. Dies führte dazu, dass ich Unwissender teilweise an Vintage-Proben gekommen bin (und diese selbstverständlich auch verbrauchte), für die der ein oder andere Liebhaber sicherlich eine Fingerkuppe geben würde. Ok, sei´s drum. Es diente der olfaktorischen Erweiterung meines Bewusstseins, insofern alles gut.

Wie viele Neulinge dienten auch mir die Top100 als erste Orientierungshilfe. Schnell wurde mir klar, dass Guerlain hier eine besondere Position einnahm. Vetiver war mir gänzlich unbekannt und meine Neugierde war umso mehr geweckt, als auch diese Duftnote aus Vetivergraswurzeln niemals bewusst Einzug in meine Nase gehalten hatte.

Als ich den Verschluss des Vintage-Mini-Flakons öffnete, wusste ich noch nicht, dass dies der Beginn einer großen Duftleidenschaft werden sollte. Es war meine erste aktiv besorgte Probe.

*

Als sich der 21 jährige Jean-Paul Guerlain an einem Frühlingsmorgen im Jahre 1958 auf den Weg in die Firma seines Onkels machte, ahnte er noch nicht, dass er den Auftrag erhalten sollte Großes zu vollbringen.

Sein Onkel Jean-Pierre Guerlain, der damals zusammen mit seinen Bruder Jacques das Unternehmen leitete, beobachtete mit Argwohn, wie der 1957 lancierte Vetiver-Duft von Carven sich immer größerer Beliebtheit erfreute. Auch der Umstand, dass Guerlain schon seit Erscheinen von Mouchoir de Monsieur im Jahre 1904 keinen eigenständigen Herrenduft mehr kreiert hatte, veranlasste ihn dazu, seinen Neffen mit der Modernisierung der Duftpalette zu beauftragen.

Inspiriert durch Carvens Vetiver wollte Jean-Paul den Geruch eines Gärtners erschaffen. Tabak und Gras sollten die zentralen Duftnoten sein. Symbolisch stand ihm hierbei der Gitanes-rauchende Gärtner einer befreundeten Familie Pate.

*

Vorsichtig und neugierig tröpfelte ich mir vermutlich die Urversion von Vetiver auf den Handrücken. Der Auftakt wirkte leicht aldehydisch. Er erinnerte an die kühle, dunstige Frische eines nebligen Morgens auf dem Land. Die Art, wie Mandarine, Koriander, Muskat und Holz auf Grundlage der rauchigen Vetivergraswurzel ein grün-frisches und zugleich heiseres Cello spielten, war einzigartig. Im weiteren Verlauf schuf Jean-Paul eine seinerzeit einzigartige salzig-aschige Note, welche golden und klar wie halbgetrocknete Tabakblätter roch.

*

Als Jacques, welcher seinerzeit noch Chefparfumeur war, die Kreation seines Neffen das erstemal roch, bekam er Gänsehaut, so authentisch war ihm das Gärtner-Thema gelungen. Als er dem damaligen Guerlain Sprecher – ein gewisser Roja Dove – davon erzählte, fasste man den Entschluss, entgegen der ursprünglichen Planung, Vetiver nicht nur in Südamerika zu vertreiben, wo Vetivergras schon seit 1840 bekannt war und in vielfältiger Weise verwendet wurde.

Aus unbestätigten Quellen (Lang lebe die Legende!) geht hervor, dass Vetiver drei Reformulierungen durchgemacht haben soll. Die 1988 lancierte Version gilt auch heute noch unter Kennern als die Rundeste und Grünste im besten Sinne des Wortes (wobei Vetiveröl eher rauchig als blättrig-grün riecht). Sie entfaltete eine rauhe, windgeblasene, natürliche Wärme aus getrocknetem Gras und feuchten Wurzeln, der eine minimale Seifigkeit anhing.

Die Version aus 2000 hatte eine hellere und freundlichere Ausstrahlung mit intensivierten Zitrusfrüchten und Baummoos, als Ersatz für das zarte Eichenmoos, welches der Allergen-Verordnung zum Opfer fiel. Diese Version wurde jedoch von all jenen dankbar angenommen, die mit der typischen Seifigkeit vieler Düfte vergangener Zeiten ihre Schwierigkeiten hatten.

Der aktuell erhältlichen Version (die mit dem grünen Holzdeckel) wurden nun sämtliche potentiell allergen wirkenden Inhaltsstoffe ausgetrieben. Gerüchten zufolge soll der Wechsel auf die heutige Version mit der Vereinheitlichung der Flakons im Jahre 2016 einhergegangen sein.

Hier hat frisches, grün-saftiges Vetiver von Anfang an das Zepter in der Hand. Zitrusnoten, so pikant-frisch, wie ein sonniger Frühlingsmorgen nach einer verregneten Nacht. Die wärmende Morgensonne spiegelt sich in den Tautropfen auf der Wiese. Lüstern reckt sich das Gras auf dem feucht-dampfenden Boden der Sonne entgegen. Während mit der Zeit Muskat und Pfeffer ein wenig Ernsthaftigkeit beisteuern, wirkt der Duft stets sauber, seriös und markant männlich.
Während bei vielen Vetiverdüften die rauchig-würzigen Noten im Vordergrund stehen und unter Umständen auch recht harsch wirken können, ist es Guerlain gelungen dem Vetiver eine grüne Leichtigkeit und Frische einzuhauchen, die ihn auch - und vielleicht gerade deswegen - perfekt für die wärmeren Tage machen.

Wenn Jean-Paul auch heute mitunter noch behauptet, die Formulierung sei noch die Gleiche wie damals, nehme ich das augenzwinkernd zur Kenntnis und freue mich darüber, dass dieser grandiose Klassiker sehr gelungen in die heutige Zeit reformuliert wurde. Unbedingt möchte ich ihn auch Jüngeren empfehlen, die dem gängigen Duftgeschmack etwas entgegenhalten wollen. Aus meiner Sicht hat er eventuell assoziierte Opaduft-Attitüden gänzlich abgelegt.

Ich hatte mich nach dem Test meiner Vintage-Probe zunächst über Guerlains „Vetiver Extreme“ (der eine jüngere Klientel ansprechen soll) dem Thema genähert. Umso mehr freue ich mich heute, beim Original gelandet zu sein.

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