Lucull

Meine Güte ist der nichtssagend. Da tut es auch ein Deo-Roller für 2,50. Weiß ja nicht, wie alt die Probe ist, die ich gestern bekommen habe, aber der Duft ist flacher als das nicht eben aufregende Bleu de Chanel, was wenigstens noch einigermaßen wertig daherkommt und hat noch weniger Ecken und Kanten als James Bond 007, falls das überhaupt noch möglich ist, aber es ist. Könnte auch von Harry Potter anstelle eines Tarnumhangs getragen werden. Der Effekt wäre der Gleiche... Eine undefinierbare Mischung aus gewollt frischen und cremigen Akkorden. Da nehme ich lieber Kernseife. Also, wer meint, er falle mit Bleu de Chanel oder 007 zu sehr auf: Bitte sehr. Weniger geht nicht. Befürchte aber, ich werde demnächst eines besseren belehrt, wenn sie anfangen Selterswasser mit einem Hauch Zitrone als Parfum anzubieten... Den Namen des Machwerks kann ich mir nur so erklären, das man schon ultrasensible Sinne haben muss, um dieses Nichts warnehmen zu können.

Der erste, zweite und dritte Eindruck dieses undefinierbaren Gebräus ist der einer wochenlang ungelüfteten Schwimmhalle. Man kennt diesen Geruch aus Chlor, Körperausdünstungen und abgestandener Luft. Wäre dies konsequenter umgesetzt und nicht versucht worden, einen weiteren "coolen" Duft im Gefolge des olfaktorischen Verkehrsunfalls 1 Million zu "kreieren" hätte eventuell so etwas wie ein modernes Kouros dabei herauskommen können. So aber bleibt, wie heutzutage so oft, der Eindruck: "machen wir noch nen schnellen Euro indem wir einen billig , prollig anmutenden Flacon mit dem Wischwasser des Chefetagen-Spas füllen, drehen noch einen Werbespot für pubertierende Kurzdenker und fertig ist der neue Marketing Genie-Streich. Hat letztes Mal ja auch schon ganz wunderbar funktioniert!"
Ich bitte bei den Liebhabern um Verständnis für meinen subjektiven Eindruck.

Vor etlichen Jahren, es mögen die späten achtziger gewesen sein, trug ich eine Zeit lang das legendäre Original mit großer Begeisterung. Ich war sehr angetan von diesem Klassiker. Vereinte er doch für mich eine unglaubliche Frische mit warmen holzigen Akkorden und einer samtigen Fülle.
Dann wurde ich ihm untreu und probierte mich eine Zeit lang durch alle möglichen Düfte, da mir meine damalige Freundin zu verstehen gab, das es an der Zeit sei, mal etwas passenderes für mich zu suchen. Fündig wurde ich schließlich bei Zino und auch ich glaubte, das der mir mehr entsprechen würde als das bisher von mir so geliebte „wilde Wasser“.
Eine Zeit lang tat er das auch. Nur fehlte mir bei aller Opulenz doch diese gewisse Leichtigkeit und gleichzeitige Wärme, die ich bei Diors Eau Sauvage so geliebt hatte.

Nach vielen Jahren und diversen Experimenten mit aktuellen und klassischen Düften mit denen ich mich immer für eine gewisse Phase wohl gefühlt hatte, entdeckte ich per Zufall Anfang des neuen
Jahrhunderts meine alte Liebe in der Bückzone irgendeiner Parfümerie. Aus Neugier, wie ich ihn empfinden würde, nachdem ich durch die Cool Water, Joop Homme- geschwängerten neunziger gegangen war, testete ich ihn. Und es war leider eine große Enttäuschung. Eine fahle, künstlich klinische Zitrusnote bohrte sich in mein Riechorgan und ich wunderte mich, das ich diesem Wässerchen einst so verfallen gewesen war. Tja, offensichtlich hatte sich mein Geschmack seitdem grundlegend geändert. Schade, dachte ich und überließ ihn dem angestaubten unteren Regal des vergessens. Ähnlich wie wenn man nach vielen Jahren einen alten, früher wegen seines Witzes und
Eloquenz bewunderten Schulfreund auf dem Klassentreffen als spießigen Langweiler erleben muss. Von Reformulierungen hatte ich damals noch nichts gehört.

Dann las ich einen Artikel über die Auferstehung eines Klassiker, Acqua di Parma. Neugierig aufgrund des sehr ausführlichen Berichts über Geschichte und Wirken dieses Klassikers, machte ich mich auf die Suche nach ihm, was sich als gar nicht so leicht herausstellte. Aber der Jäger und Sammler in mir war erwacht. In einer exklusiven Parfümerie wurde ich schließlich fündig und war begeistert. Dort fand ich schließlich das, was mich seinerzeit bei Eau Sauvage so fasziniert hatte. Die Raffinesse und Opulenz eines Klassikers gepaart mit frischer Leichtigkeit und eindeutiger Aussage. Fortan für mich die Referenz in dieser Duftrichtung.

Als ich mich nun letztens, wie so oft ganz zufällig(ihr wisst, was ich meine...) in einer Parfümerie wiederfand, erblickte ich dort auf Augenhöhe Eau Sauvage Parfum. Aha, dachte ich, na ja, was kann das schon sein, nachdem ich den letzten Erzeugnissen aus dem Hause Dior nicht wirklich viel abgewinnen konnte. Trotzdem testete ich ihn auf dem Streifen und dachte: Nanu, was ist das denn?
Anders als erwartet und trotzdem eine Ahnung an früher. Konnte das sein? Flugs auf den Unterarm gesprüht und abgewartet. Und da war es wieder. Das was ich früher mit diesem Duft verbunden hatte. Riecht zwar schon anders als das heutige „Original“,dunkler, cremiger, aber in meiner Erinnerung näher an dem, wie ich es aus meiner Jugend erinnere. Verblüffend. Da war sie, die Zitrische, leicht pudrige Frische und die samtenen, holzigen Akkorde, denen bei aller Fülle etwas schwebendes anhaftet. Für mich ist dieser neue Duft näher am Original, meiner Erinnerung nach, als der der heutige Originale. Schon irgendwie kurios... ein „Update, was mich an früher erinnert. Scheint zwar erst einmal ein Widerspruch zu sein, aber offenbar hat es Monsieur Demanchy fertiggebracht mit einer Neuinterpretation für meine Begriffe näher an das Original, so wie ich es meiner Erinnerung nach empfunden habe, zu kommen. Ich bin Zuhause.

Was diesen gehypten Duft von anderen belanglosen Konsenswässerchen unterscheidet? Nichts.
Unwillkürlich kommt mir dabei eine Folge der Simpsons in den Sinn, wo Homer und Marge auf ein Volksfest gehen, wo diverse kulinarische "Spezialitäten" aus verschiedenen Ländern angeboten werden. Als die "Kamera" unter die Läden fährt, sieht man, das alle ihre Produkte mittels Pipeline aus einem einzigen riesigen Bottich beziehen und lediglich überall ein anderer Name draufsteht. Mit vielen "Parfums" scheint es sich heutzutage ähnlich zu verhalten. Wäre ich ein Anhänger von Verschwörungstheorien, würde ich vermuten,
das die Menschen mittels olfaktorischer Konditionierung in eine Herde von Agent Smiths verwandelt werden sollen. Aber ich denke es verhält sich eher so das viele mittlerweile nach dem amerikanischen Prinzip vorgehen. Mit möglichst wenig kreativem und enormen materiellem Aufwand den größtmöglichen Gewinn erzielen. Kann man kaufen, sollte man aber nicht.

Mit den SL Düften geht es mir immer so, das ich die einen unglaublich toll, die anderen dafür untragbar finde. Keine Parfummarke polarisiert bei mir dermaßen stark. So sehr ich Chergui und Five o Clock au Gingembre liebe, so sehr empfinde ich Arabie und diverse andere als untragbar. So auch diesen hier. Prinzipiell habe ich ja nichts gegen waldige, moosige und grüne Düfte. Aber der gute Christopher Sheldrake hat meiner Meinung nach sein Thema hier etwas zu ernst genommen. Der Name ist tatsächlich Programm bei dieser Tochter der Nadeln. Denn das bekommt man hier geboten. Den nadeligsten Duft, den man sich vorstellen kann. Grün, ätherisch und moosig mit einer Prise Weihrauch. Als würde eine katholische Messe in einer Sauna statt finden. Dies zumindest meine spontane Assoziation beim war nehmen diese Werkes. Wie immer bei SL macht der Duft keine Kompromisse, was ich grundsätzlich sehr schätze. Dieser hier ist aber so überhaupt nicht meine Baustelle. Unwillkürlich kommen mir Kindheitserinnerungen an lange Tage im Krankenbett, wo ich von Mutter mit Fencheltee und Brustbalsam zur Gesundung gequält wurde. Hat ja wahrscheinlich auch nicht geschadet. Trotzdem brauche ich kein Parfum, das mich daran erinnert.
Wer aber auf das Thema steht, wird hier jedenfalls bestens bedient.