Morgaine

Heute ist mein Geburtstag. Ich schaue aus dem Fenster - draußen stürmt und schneit es, ich höre Bach und schaue den Wolken zu, die über den Himmel jagen. Ich gehe zu meinem Sekretär und mir fällt ein kleiner Flakon in die Hände: Lauren von RL.
Oh, wie gut erinnere ich mich noch an diesen Duft, er begleitete mich Anfang der 90er eine Zeit lang und dann verlor ich ihn aus den Augen und leider auch aus dem Sinn.
Zeit, mich wieder mit ihm vertraut zu machen - und heute ist ein schöner Tag dafür.
Ich trage ihn auf mein Handgelenk auf, warte einen Moment und vertiefe mich in den Duft. Ich atme Rosenholz, Flieder und Veilchen. Alle Nuancen verweben sich zu einem wunderbaren, mit Eichenmoos unterlegten Duftflies, das leicht, dezent und harmonisch in grün-goldener Farbe leuchtet. Ich kann auch Jasmin wahrnehmen, ganz am äußersten Rand und natürlich die bulgarische Rose, die sich wunderbar einfügt. Zu Beginn durchläuft der Duft ziemlich schnell die Phase von der Kopf- zur Herznote, der Übergang zur balsamischen Basisnote geschieht ganz gemächlich und das Parfum erfährt eine cremige Weichheit, die einfach nur für Wohlgefühl sorgt. es lässt mich lächeln und gleichzeitig traurig werden, erinnert es mich doch an längst vergangene Tage, an denen alles noch möglich schien.

Dieser Duft ist etwas ganz Besonderes - ich kenne keinen, der ihm gleicht. Schon gar nicht einer der Mainstream-Düfte - aber auch unter den Klassikern ist er etwas Einzigartiges. Etwas Perfektes, Ausbalanciertes und erzählt doch von Frausein, von Freude, von unberührter Natur und vom Freisein.
Wenn ich mir die Photos zu diesem Parfum anschaue, dann trifft es mich mitten ins Herz - genau so empfinde ich diesen Duft: A Classic American Beauty.

Ach, ich freu mich so!
Eben ist die große Flasche Chloé eingetroffen, die ich für kleines Geld bei e-bay erstanden habe.
Sofort habe ich mich über den Inhalt hergemacht und den Duft erst vorsichtig, dann großzügig aufgesprüht.

Und schon waren sie wieder da, die Erinnerungen an eine Zeit, in der Chloé mein ständiger Begleiter war. Damals empfand ich den Duft etwas herber, sperriger, heute entwickelt er sich weich und sinnlich auf meiner Haut und bringt mich zum Strahlen.

Wenn ich mir die Duftpyramide so anschaue, dann übernehmen bei mir sofort der Flieder, die Hyazinthe und Ylang das Regiment - ein wunderschöner Akkord, fern von all den herben Untertönen, die ich in früheren Zeiten nach dem Aufsprühen wahrgenommen habe und die mir etwas scharf und kantig in die Nase gestochen sind.

Vielleicht verändert sich auch die Körperchemie in zwanzig Jahren - so lange habe ich Chloé nicht mehr benutzt, oder es fiel einer Reformulierung anheim, die die für mich unangenehmen Kanten der Kopfnote etwas abgeschliffen hat.

Wie lange hatte ich ihn vergessen, in die hinterste Ecke meines Duftgedächtnisses verdrängt, aufgrund der übernächtigen Fülle der neuen Parfums, die auf den Markt geworfen wurden (im wahrsten Sinne des Wortes).

Und wie bei so vielen anderen Düften komme ich auch hier wieder zurück, zu einem schönen, alten Klassiker, der sich hinter all den neuen, modernen Kreationen nicht verstecken muss!
Chloe ist zeitlos, sinnlich und elegant, duftet für mich nach Freiheit und nach der guten alten Zeit.

Und nun zum Abschluss etwas Erbauliches:
Damals, in den 80ern stand ich bei Douglas am Parfumregal, als ein ältere Herr an die Verkäuferin mit den Worten herantrat: "Ich hätte gerne Schlö."
Als die Verkäuferin mit Dougletten-typischer Miene fragte, "wie bitte?", sagte er "ja, Schlö von Lagerfeld, das müsst ihr haben, meine Frau kauft das hier immer!". Es dauerte noch einige Augenblicke, bis bei der Dame der Groschen fiel: "Ach, sie meinen Chloé" sagte sie mit indignierter Miene und händigte ihm das Gewünschte aus. Ich hätte schreien können, vor Lachen.
Ja, und auch daran erinnert mich Chloé - an die heiteren Momente des Lebens.

Nachdem ich all die euphorischen Kommentare zu Suddenly Woman gelesen habe und selbst eine große Liebhaberin von Chanel No 5 bin, habe ich mich umgehend in den Lidl gestürzt, um dieses Wunderwerk der Parfumeurkunst zu erwerben. Gleich zwei Flakons wanderten in den Einkaufskorb, denn bei diesem unschlagbaren Preis kann man ja nichts falsch machen - dachte ich...

Zuhause mit gierigen Händen die Verpackung aufgerissen und den ganz ansehnlichen Flakon herausgeholt und voll freudiger Erwartung aufgesprüht. Und dann die Enttäuschung! Die Kopfnote erinnert mich ansatzweise an Chanel No 5, aber das was danach kommt, hat nur im Entferntesten damit zu tun. Der Duft entwickelt auf meiner Haut eine unangenehme Note, die etwas schal und muffig daherkommt - auch vermisse ich die Eleganz des Originals.
Beide auf die Haut aufgesprüht - links Suddenly, rechts Chanel, kann ich außer einem gewissen olfaktorischen Überbau nur wenig Gemeinsamkeiten erkennen.

Für mich hat Suddenly Woman mit Chanel No 5 so viel gemeinsam, wie Halbfettmargarine mit Süßrahmbutter - ist also keineswegs ein zufriedenstellendes Substitut.
Vielleicht sind den Machern von Suddenly ja die Vorräte aus dem gekaperten Chanel-Container ausgegangen und ich musste mit einer Eigenproduktion vorlieb nehmen ;-)

All das ist jedoch mein persönliches Empfinden und kann, unabhängig von der subjektiven Wahrnehmung, auch an der Körperchemie liegen, die maßgeblichen Einfluss auf die Duftentwicklung hat. Bei mir hat's leider nicht funktioniert.

Glücklich sind diejenigen, bei denen sich der Duft als vollwertiger Chanel-Ersatz erweist, denn günstiger kann man an ein so kostbares Parfum gar nicht rankommen!