Nerolia

Dieser Duft trägt mich zurück in die Sommer meiner Kindheit: Jeden Spätsommer verbrachten wir Nachmittage damit, die Johannisbeeren im Garten der Grosseltern zu pflücken. Stiel um Stiel der roten Kügelchen verschwand im Pflückkörb, der an einer Schnur um den Bauch gebunden war, und immer schwerer wurde. Wenn er voll war, brachten wir ihn der Grossmutter in die Küche, wo sie aus den Beeren schier unendlich viele Gläser Marmelade kochte. In den Küche hing der süss-warme, säuerliche Geruch der roten Beeren.

Einige Beeren nahmen wir mit nach Hause, wo die Mutter manchmal einen Baiserkuchen buk. Genau so riecht der Auftakt von "Blue Moon": Rote, spritzige Johannisbeeren, bedeckt von einer flauschigen, mit Vanillezucker aromatisierten Schicht aus luftigem Eiweiss. Könnte man diesen Duft und dieses Gefühl in Flaschen füllen, ja, es käme dabei "Blue Moon" heraus.

Nach vielen Stunden setzt sich der Duft zu wahrlich göttlichen, leicht rauchigen Vanillewolken. Ein Traum!

Blue Moon ist einer der wenigen Gourmands, der mir wirklich gefällt. Er riecht zwar essbar, aber klebt nicht. Die angenehme Säure der Beeren und die flauschige Vanille sind perfekt aufeinander abgestimmt. Der Lavendel ist zwar wahrnehmbar, aber steht im Hintergrund. Die leichte Holzigkeit erdet den Duft.

Ihr kennt sicher alle so einen Menschen: Immer freundlich, höflich, zuvorkommend, pünktlich, passend gekleidet und zurechtgemacht, mit besten Manieren, intelligent, zielstrebig und im Leben angekommen. Im Amerikanischen kennt man dafür den Ausdruck "polished".

Genau so einen Menschen sehe ich vor mir, wenn ich diesen Duft rieche.

Auch MFA macht alles perfekt:

Fröhlich, aber nicht überdreht
Zitrisch, aber nicht säuerlich
Blumig, aber nicht stickig
Grün, aber nicht bitter
Frisch, aber nicht kalt
Synthetisch, aber nicht stechend
Holzig, aber nicht trocken
Präsent, aber nicht aufdringlich
Elegant, aber nicht abgehoben
Weiblich, aber nicht verrucht

Der Duft ist quasi in jeder Hinsicht perfekt, somit aber auch ohne Ecken und Kanten. Er riecht sich wahnsinnig angenehm und verbreitet eine positive Grundstimmung. Sobald er weg ist, kann man sich aber nicht wirklich an ihn erinnern.

Er würde auch gut zu einem hochwertigen Shampoo oder einer Hautcreme passen. Düfte in dieser Art gab es in den späten 80ern und frühen 90ern so einige. Sehr ähnlich war zum Beispiel "Moments (Eau de Toilette) | Priscilla Presley".

Ich kann mir den Duft gut für Anlässe, Orte und Berufe vorstellen, wo man angenehm und gepflegt riechen, aber niemanden auf die Nerven fallen möchte. Genau dafür werde ich ihn einsetzen - der perfekte "Immergeher".

Ein Sprüher aus dieser Zauberflasche trägt mich sofort direkt zurück in meine Teenie-Zeit. Damals leistete ich mir vom eisern gesparten Taschengeld mein erstes Parfum: "Moments (Eau de Toilette) | Priscilla Presley". Nur zu besonderen Gelegenheiten sprühte ich es auf und kostete die Duftpyramide bis zum gefühlt letzten Molekül aus.

Nein, GIAW ist kein Dupe und doch haben die Düfte einige Gemeinsamkeiten, wie auch der Blick auf die Duftpyramiden zeigt. Blumig-süss und kühl zugleich, schwebt der Duft für einige Zeit auf einem Rosenbeet und setzt sich dann zu einer holzig-süssen Basis.

Die Flasche "Moments" vermisse ich schon lange, keine Ahnung wo sie im Laufe der Zeit hingekommen ist. Nun muss halt GIAW als flüchtiger Ersatz herhalten. Denn flüchtig, das ist die Kopfnote sehr. Der Duft wird sehr rasch sehr hautnah. Die sehr gourmandige Basisnote bleibt aber für viele Stunden bis Tage gut wahrnehmbar. Ich greife immer wieder zu dieser Flasche. Ich möchte die ersten Minuten nach dem Aufsprühen am liebsten festhalten.

Eine Ähnlichkeit zu Cloud kann ich nicht wirklich feststellen. Das medizinische fehlt. Das stört mich aber nicht, denn Cloud gefällt mir überhaupt nicht.

GIAW hingengen darf noch ein Bisschen bleiben. Endlich ein gut gemachter, eher leiser Gourmand, der nicht klebt! Ich hätte wohl doch die grosse Flasche kaufen sollen...

Nach langer Zeit hatte ich heute endlich wieder die Gelegenheit, eine Parfumerie zu besuchen. Alpine Blue wollte ich schon lange testen.
In meiner Vorstellung müsste in dieser blauen Verpackung ein kühler Duft stecken, aber weit gefehlt: Nach einer zitrîschen Kopfnote, die sich rasch verflüchtigt, wird der Duft immer wärmer. Sehr holzig und balsamisch. Ist das die Balsamtanne? Die kühle Minze rieche ich nie. Eine Illusion von Patschuli rieche ich auch. Ob das die Iris ist? Und irgendwie liegt auch ein würziger Hauch Zimt in der Luft. Zuletzt bleibt ein holzig-warmer Drydown zurück. Ein wunderbarer, körpernaher und warmer Duft. Aber der Name und die blaue Verpackung passen irgendwie nicht dazu. Schade, denn dieses Naturparfum ist meilenweit entfernt von den üblichen Zitrusvarianten in dieser Kategorie. Wer sich davon nicht abhalten lässt: unbedingt testen!

Direkt nach dem Aufsprühen umgibt mich eine zuckersüsse, leicht rauchige Wolke aus Caramel und Lavendel. Diese verfliegt jedoch sehr rasch.

Bereits nach wenigen Minuten steigt aber ein anderer Geruch auf: Den kenne ich doch irgendwoher?
Genau! So roch es früher im Kinderzimmer, wo auf dem Wickeltisch eine blaue Blechdose mit Popocreme und eine Puderdose stand. Pudrig-cremig mit leicht medizinisch-bitterer Vanille-Note.

Nach einiger Zeit wird der Duft immer herber und leicht holzig. Erinnerungen an die mit Nadelholz getäferten Zimmerwände werden wach. Wenn ich abends im Bett lag und nicht einschlafen konnte, hielt ich als Kind meine Nase daran und roch den harzig-bitteren Geruch.

Kokosnüsse habe ich bei meiner Zeitreise keine angetroffen.

Es wundert mich nicht, dass viele Menschen dieses Parfum als tröstlich empfinden. Für mich eine Zeitreise zurück ins früheste Kinderzimmer. Aber ob ich wirklich so duften möchte? Ich weiss es noch nicht.

Und ist das wirklich ein Celebrity-Duft? Der würde auch Oma oder Opa gut stehen.

Nachtrag: Nach einer guten Stunde verliert sich die Babycreme-Note und es bleibt ein herber, holzig-süsslicher Drydown zurück. Erinnert mich sehr an die Basisnote von L'Air du Temps. Und an Rasierschaum. Old Spice?

Am nächsten Tag ist auch die Rasierschaumnote verschwunden. Auf dem Ärmel, wo ich das Parfum aufgesprüht habe, bleibt noch tagelang eine Vanille-Moschusnote zurück. Ein wahres Duft-Chamäleon.