02.10.2021 - 14:18 Uhr
FioreMarina
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FioreMarina
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Papa (1989)
Was Du wohl sagen würdest, Papa, wenn Du wüstest, dass Du in meiner Rezension von Samsara vorkommst? Dass Du sogar die Hauptrolle darin spielst, also - neben mir. Und neben Samsara, natürlich.
Dabei ist das nur logisch, denn es hat ja alles mit Dir begonnen. An einem Mittwoch Nachmittag im November 1989, denn Mittwoch Nachmittags hattest Du die Praxis geschlossen. Du warst mit meiner Mutter zusammen in dieser winzigen Parfümerie in Berchtesgaden, die es heute nicht mehr gibt. Ich war mit dabei, ich war Fünfzehn und ich fror. Das war zum Einen der Schönheit geschuldet, denn mit Mini und bauchfrei friert man, jedenfalls im November in Berchtesgaden. Zum Anderen ging es ums Prinzip. Es ging bei uns beiden immer ums Prinzip, nicht wahr?
Du hattest dieses unsichtbare Korsett um Dich, das man trägt, wenn man aus einem protestantischen Pfarrhaus stammt: Schönheit war für Dich nur mit Strenge zu ertragen, sie war Dein Gegengift gegen jedwede Form der Versuchung: Deine Kirchen romanisch, Deine Musik die Bachschen Fugen. Meine Mutter mit dem Haar straff aus der Stirn gekämmt.
Und dazu diese Tochter. Ich war ein Paradiesvogelkind, ein ungeheuerlicher Farbkleks in Deiner klar geordneten Welt und weil ich es wusste und weil ich es anders wollte, war jeder Atemzug in Deiner Gegenwart Rebellion: Ich drehte den Lautstärkeregler meines Ghettoblasters auf Anschlag und ließ Richie Samboras E-Gittare in Deine Fugen kreischen. Ich trug den (katholischen) Rosenkranz um den Hals und Röcke, die Dir die Schamesröte ins Gesicht trieben. Mein Zimmer hast Du nicht mehr betreten, denn der oberkörperfreie Jon Bon Jovi hing wie ein überlebensgroßer Abwehrzauber so, dass Du ihn gleich beim Hereinkommen sehen musstest. So, wie Du vieles hättest sehen müssen. Aber die dicke Schicht schwarzen Kajals um meine blauen Augen hat Dir die Sicht auf die Arglosigkeit dahinter verstellt. Du wolltest Dein kleines Mädchen festhalten und ich wollte Deine Anerkennung meiner Weiblichkeit erzwingen.
Du sagtest: "Wie siehst Du wieder aus!" Ich schob die Unterlippe vor und zog den Ausschnitt weiter hinunter. Du sagtest: "So gehst Du nicht aus dem Haus!" Ich warf den Kopf in den Nacken und ging.
Weißt Du - manchmal denke ich, uns war beiden kalt. Nicht nur im November.
An diesem Mittwoch Nachmittag jedenfalls hast Du meiner Mutter ein Parfum gekauft, Givenchy III - es war immer Givenchy III. Sie bekam den Flakon und ich bekam ein kleines Pröbchen, auf dem Samsara und Guerlain stand, keines von beidem hatte ich je zuvor gehört.
Ausprobiert habe ich es erst Zuhause und ich erinnere mich, dass ich dachte: "So, genau so, riechen Frauen."
Papa, ich hatte damals keine Ahnung von Duftpyramiden. Ich hatte nur das Gefühl, dass ich so riechen musste, weil ich eine Frau war. Heute würde ich sagen, dass es an dieser alles umarmenden, warmen, zärtlichen Sandelholznote lag, die jeden Widerspruch auflöst und hinter alle Fragen ein lächelndes Ausrufezeichen setzt: hinter die nach Lebendigkeit ein ganz zartes Spritzerchen Zitrone, wie ein knisterndes Fünkchen. Hinter die nach Sinnlichkeit Pfirsich, Tonka und Vanille. Die Eleganz der Iris, die Extravaganz der Narzisse. Die laszive Schwere des Jasmin. Und in allem so viel Unschuld, Papa, wie ein Bouquet aus Rosen, Veilchen und Gartennelken. Nein, das kann man nicht alles herausriechen. Das ist es ja, was uns Frauen ausmacht, dass wir alles das zugleich sind, niemals nur das eine oder das andere. Damals habe ich mir keine Gedanken darüber gemacht, aber ich habe es wohl gefühlt.
Ich ging damit nach unten, in der Diele traf ich auf Dich. Ganz eng ging ich an Dir vorbei, ich wollte, dass Du es an mir riechst. Du bliebst stehen, "Warte mal", sagtest Du. "Was ist das? Wonach riechst Du?" Ich drückte mein Kreuz durch und hob das Kinn. "Das ist die Probe, die Du mir vorhin geschenkt hast", sagte ich. "Samsara. Von Guerlain." Da lächeltest Du und niktest. "Es ist schön", sagtest Du. "Es passt zu Dir."
Ich weiß nicht, ob Du damals ganz und gar verstanden hast, wozu Du Ja sagtest. Nicht mit dem Verstand vielleicht, aber vielleicht ja mit dem Herzen. Und ich weiß, dass ich von da ab nicht mehr fror.
Seither trage ich Samsara. Es hat Pausen gegeben in all den Jahren. Aber ich habe es nie aus den Augen verloren. An manchen Tagen stelle ich mir vor, dass es wie ein Brandopfer zu Dir hinauf in den Himmel steigt. Dass Du es riechst, und, nun endlich Deines protestantischen Pfarrhauskorsetts ledig, lächelst. Und deshalb, und obwohl ich mich eigentlich nicht gern festlege, ist es meine Signatur.
Ich trage es für Dich
und für mich.
Ich trage es für uns beide
und für immer,
Papa.
Dabei ist das nur logisch, denn es hat ja alles mit Dir begonnen. An einem Mittwoch Nachmittag im November 1989, denn Mittwoch Nachmittags hattest Du die Praxis geschlossen. Du warst mit meiner Mutter zusammen in dieser winzigen Parfümerie in Berchtesgaden, die es heute nicht mehr gibt. Ich war mit dabei, ich war Fünfzehn und ich fror. Das war zum Einen der Schönheit geschuldet, denn mit Mini und bauchfrei friert man, jedenfalls im November in Berchtesgaden. Zum Anderen ging es ums Prinzip. Es ging bei uns beiden immer ums Prinzip, nicht wahr?
Du hattest dieses unsichtbare Korsett um Dich, das man trägt, wenn man aus einem protestantischen Pfarrhaus stammt: Schönheit war für Dich nur mit Strenge zu ertragen, sie war Dein Gegengift gegen jedwede Form der Versuchung: Deine Kirchen romanisch, Deine Musik die Bachschen Fugen. Meine Mutter mit dem Haar straff aus der Stirn gekämmt.
Und dazu diese Tochter. Ich war ein Paradiesvogelkind, ein ungeheuerlicher Farbkleks in Deiner klar geordneten Welt und weil ich es wusste und weil ich es anders wollte, war jeder Atemzug in Deiner Gegenwart Rebellion: Ich drehte den Lautstärkeregler meines Ghettoblasters auf Anschlag und ließ Richie Samboras E-Gittare in Deine Fugen kreischen. Ich trug den (katholischen) Rosenkranz um den Hals und Röcke, die Dir die Schamesröte ins Gesicht trieben. Mein Zimmer hast Du nicht mehr betreten, denn der oberkörperfreie Jon Bon Jovi hing wie ein überlebensgroßer Abwehrzauber so, dass Du ihn gleich beim Hereinkommen sehen musstest. So, wie Du vieles hättest sehen müssen. Aber die dicke Schicht schwarzen Kajals um meine blauen Augen hat Dir die Sicht auf die Arglosigkeit dahinter verstellt. Du wolltest Dein kleines Mädchen festhalten und ich wollte Deine Anerkennung meiner Weiblichkeit erzwingen.
Du sagtest: "Wie siehst Du wieder aus!" Ich schob die Unterlippe vor und zog den Ausschnitt weiter hinunter. Du sagtest: "So gehst Du nicht aus dem Haus!" Ich warf den Kopf in den Nacken und ging.
Weißt Du - manchmal denke ich, uns war beiden kalt. Nicht nur im November.
An diesem Mittwoch Nachmittag jedenfalls hast Du meiner Mutter ein Parfum gekauft, Givenchy III - es war immer Givenchy III. Sie bekam den Flakon und ich bekam ein kleines Pröbchen, auf dem Samsara und Guerlain stand, keines von beidem hatte ich je zuvor gehört.
Ausprobiert habe ich es erst Zuhause und ich erinnere mich, dass ich dachte: "So, genau so, riechen Frauen."
Papa, ich hatte damals keine Ahnung von Duftpyramiden. Ich hatte nur das Gefühl, dass ich so riechen musste, weil ich eine Frau war. Heute würde ich sagen, dass es an dieser alles umarmenden, warmen, zärtlichen Sandelholznote lag, die jeden Widerspruch auflöst und hinter alle Fragen ein lächelndes Ausrufezeichen setzt: hinter die nach Lebendigkeit ein ganz zartes Spritzerchen Zitrone, wie ein knisterndes Fünkchen. Hinter die nach Sinnlichkeit Pfirsich, Tonka und Vanille. Die Eleganz der Iris, die Extravaganz der Narzisse. Die laszive Schwere des Jasmin. Und in allem so viel Unschuld, Papa, wie ein Bouquet aus Rosen, Veilchen und Gartennelken. Nein, das kann man nicht alles herausriechen. Das ist es ja, was uns Frauen ausmacht, dass wir alles das zugleich sind, niemals nur das eine oder das andere. Damals habe ich mir keine Gedanken darüber gemacht, aber ich habe es wohl gefühlt.
Ich ging damit nach unten, in der Diele traf ich auf Dich. Ganz eng ging ich an Dir vorbei, ich wollte, dass Du es an mir riechst. Du bliebst stehen, "Warte mal", sagtest Du. "Was ist das? Wonach riechst Du?" Ich drückte mein Kreuz durch und hob das Kinn. "Das ist die Probe, die Du mir vorhin geschenkt hast", sagte ich. "Samsara. Von Guerlain." Da lächeltest Du und niktest. "Es ist schön", sagtest Du. "Es passt zu Dir."
Ich weiß nicht, ob Du damals ganz und gar verstanden hast, wozu Du Ja sagtest. Nicht mit dem Verstand vielleicht, aber vielleicht ja mit dem Herzen. Und ich weiß, dass ich von da ab nicht mehr fror.
Seither trage ich Samsara. Es hat Pausen gegeben in all den Jahren. Aber ich habe es nie aus den Augen verloren. An manchen Tagen stelle ich mir vor, dass es wie ein Brandopfer zu Dir hinauf in den Himmel steigt. Dass Du es riechst, und, nun endlich Deines protestantischen Pfarrhauskorsetts ledig, lächelst. Und deshalb, und obwohl ich mich eigentlich nicht gern festlege, ist es meine Signatur.
Ich trage es für Dich
und für mich.
Ich trage es für uns beide
und für immer,
Papa.
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