Nüsternlust

Nüsternlust

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1 - 5 von 6
Nüsternlust vor 2 Jahren 4 1
8.5
Duft
Eine Brise Jazz
Ah, auf Klaviertasten soll der alte Plastik-"Flakon" also anspielen (danke, Carlitos01!), war mir nicht bewusst. Ich vermutete bisher, seine Aufmachung könnte mit der Bühnengarderobe bestimmter Ären der Jazzgeschichte, etwa Oscar Petersons Smoking (Black Tie), oder mit der größtmöglichen Formalität/Kultiviertheit, die ein krasser Schwarz-Weiß-Kontrast allgemein zur Aussage haben kann, zusammenhängen.

Zum Duft: Das Charakteristische liegt für mich in der Vielzahl von floralen Noten, die in die Komposition eingeflossen ist. Es erinnert in der Tat etwas an das, was einem beim Gießen einer Vase voller bestimmter, aparter Zimmerpflanzen in die Nase steigt (nicht, dass ich welche hätte...!). Das erzeugt einen kühlen, ins Nasse gehenden Eindruck. Der Duft scheint in Bewegung zu sein, fast "schlierenziehenderweise". Dafür, dass das Ganze dennoch mit pour homme etikettiert werden kann, sorgt als weiteres typisches Merkmal eine holzige, schön krasse Bitterkeit, die in dieser Art dem Parfümeriekunden von heute von den Parfümeuren vorenthalten oder nicht mehr zugemutet wird (je nach Ansicht).
Schon Mitte der Nuller-Jahre gab es Menschen, die sich nicht vorstellen konnten, dass Jazz' Bouquet-Winde als Ursache ein Parfüm haben könnten. So habe ich damals bei 2 verschiedenen beruflich-gesellschaftlichen Anlässen erlebt, dass in meiner unmittelbaren Gegenwart geäußert wurde: "Was riecht denn hier so?"/ "Irgendwas riecht hier...".
Dennoch dürften nicht wenige die Eleganz dieses Dufts erkannt und es zu schätzen gewusst haben, auch auf der hießigen Seite des Rheins in den Genuss vom Pariser Chic zu kommen.
Kleine Anekdote dazu: Als ich vor rund 20 Jahren meine Eltern, die in einem Feriengebiet lebten, besuchte, unternahmen wir eine kleine Wanderung um einen See. Es dürfte April gewesen sein, und ich trug eine stark spiegelnde Flieger-Sonnenbrille bei sonnigem (logisch) Wetter. Mein Vater sagte zu mir:"Wenn man Dich so sieht, könnte man Dich glatt für einen Star oder Promi halten, der hier ein Häuschen hat oder Urlaub macht..."
In der Retrospektive bin ich mir fast sicher, dass er sich zu dieser Aussage nicht zuletzt auch deswegen hat hinreißen lassen, weil ihm eine Brise des von mir getragenen Jazz um die Nase geweht war.

Übrigens, die 2011er Flaschen-Version versucht tapfer, das Ur-Jazz am Leben zu halten, ist aber im direkten Vergleich lediglich eine säuerliche Karikatur.
1 Antwort
Nüsternlust vor 2 Jahren 1
6
Duft
Andale Arriba auf St. Barth
Neulich war wieder einer dieser Tage, an denen Jacques Zolty das Bedürfnis hat, sich unter die Menschen auf St. Barth zu mischen. Nachdem er, ganz in weißen Leinen gekleidet, auf der Terasse des Hotels Cheval Blanc unter schattenspendenden Palmen einen Armand de Brignac Brut Green genossen hatte, machte er sich zum Zwecke eines kleinen Spaziergangs zum unmittelbar angrenzenden Sandstrand auf. Kurz vor Betreten desselben wurde er von einem Fremden, offenbar einem Touristen, der ihm gefolgt war, angesprochen.

Fremder: "Monsieur Zolty?"
Zolty: "Ähm...oui?"
Fremder: "Mensch, Jacques! Bist Du das tatsächlich? Ich bin's..., Pierre Latombe! Wir haben in den 70ern zusammen gemodelt, erinnerst Du Dich?"
Zolty: "Äh...ja..., ich glaube da war was." (seinen Blick auf Pierre's Plauze gerichtet)
Fremder: "Ich hatte ja schon früh der Modewelt wieder abgeschworen. Schluss mit Diäten, Joggen und Glamour...! Zu diesem Aufenthalt hier kam ich auch eher wie die Jungfrau zum Kind... Was machst Du denn so nach all den Jahren?"
Zolty: "Alors, ich bin seit einiger Zeit Herausgeber von Düften..."
Fremder: "Wirklich? Ist ja witzig...! Wo kann man diese denn mal riechen?"
Zolty: "Z.B. hier an meinem Handgelenk, ich trage gerade meinen Signature-Duft "Jacques Zolty", bitte schön." (streckt den Arm aus)

Pierre Latombe beugte sich in freudiger Erwartung etwas nach vorn, um am angebotenen Handgelenk zu schnuppern. Kaum hatten die ersten Duftmoleküle seinen Naseneingang passiert, setzten seine Beine eine rasant-propellerartige, anatomisch unerklärliche Bewegung um die Hüften in Gang. Keine Sekunde später schoss Pierre den Sandstrand entlang, um die Kurve der Bucht und aus dem Sichtfeld. Jacques Zolty starrte verdutzt auf die zurückbleibende, sich langsam legende Staubspur. Er sollte Pierre Latombe kein weiteres Mal begegnen...

Was lernen wir aus dieser Geschichte? - Dass dieser Duft für manche, wenn nicht für viele, maximal den Charme eines von Grünspan überzogenen Schwimmbeckens einer verlassenen und verfallenen Badeanstalt aus der Kaiserzeit hat. Die Farbe Grün steht in der Natur nicht nur für Leben und Wachstum, sondern signalisiert gelegentlich auch "Vorsicht, Gift!". Für nicht wenige könnte deshalb diese gewagte Einbettung von Lavendel als ersten Gedanken aufkommen lassen: "Alarmglocke, ick hör Dir schrillen...!"
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Nüsternlust vor 2 Jahren 3 2
4
Haltbarkeit
5
Duft
Batch No. 46 vs. Rive Gauche, grün vs. lila, Natur vs. Kultur
Hier wird (wieder einmal) eine Alternative zu dem von mir hoch verehrten Rive Gauche ins Spiel gebracht. Hier hört der Spaß auf, und es muss eine ernsthafte Auseinandersetzung her. Los geht's...

Rive Gauche scheint für jeden etwas anderes zu bedeuten. Das überrascht nicht, wenn ein Duft verschieden Phasen im Verlauf hat und vor allem, wenn verschiedene Formulierungen existieren.
Mich persönlich hat bereits die Auswechslung der Metalldosen-Urversion durch ihren Nachfolger mit der eckigen Kappe geschmerzt. Immerhin war der Neue (inzwischen möglicherweise selbst bereits wieder reformuliert) immer noch recht nah am Original und damit farblich-assoziativ lila. Er ging aber des Teils verlustig, der für mich das Geniale und Seligmachende an RG ausmacht, nämlich der leicht kratzige, herbe Akkord, der sich in der Urversion einstellt, sobald sich die Kopfnoten verabschiedet haben.
Der Batch No. 46 hat nun also eine nicht leugbare Ähnlichkeit zu RG's Ur-Kopfnote. Er gleicht auch dem RG-Nachfolger mit der eckigen Kappe, außer dass er grün anstatt lila erscheint. Diese Barbershopnote, nun in grün, gefällt mir sogar. Das ist in der Tat im Alltag (sofern man da immer parfümiert sein will) äußerst unkompliziert zu tragen, besonders bei Outdooraktivitäten. Leider bleibt schon bald nur noch eine unrunde bis naive Moschus-Amber-Kombi übrig, die den Duft ins vollkommen Triviale stürzt und mich regelrecht nervt. Keine Alltagssituation kann nun mehr banal genug sein, als dass man mit diesem Duftakkord "olfaktorisch overdressed" sein könnte. Mit so etwas kommt jemand, der die Klasse von RG zu schätzen weiß, ganz schwer zurecht. Wer das Ur-RG auflegt, um in den Genuss der Herz- und Basisnoten zu kommen, dem ist doch schnuppe, ob es in der amerikanischen Pampa irgendeinen Berg zu besteigen gilt (so der Mythos der Namensgebung für den Batch), einen Berg, der nicht mal einen Namen, sondern nur eine Zahl hat. Nein, so jemand streift sein schickes Sakko über und geht mal wieder in den Jazzclub, oder setzt sich ins Café, um Zeitung oder anspruchsvolle Literatur zu lesen.

Brut Fabergé wurde auch mal irgendwo als RG-verwandt gehandelt, ist aber auch grün und, noch weiter entfernt, maximal der Kopfnote ähnlich.

Aber wenn es wieder mal einen Anwärter auf den RG-Ersatz geben sollte...., immer her damit!
2 Antworten
Nüsternlust vor 2 Jahren 3 2
8
Haltbarkeit
7.5
Duft
Pomp and Circumstance
Sollte dieser Duft im Lauf der Jahre nicht nur sein Behältnis gewechselt haben, sondern auch reformuliert worden sein, dann bezieht sich diese Rezension auf die 90er Urfassung.

Im folgenden erleben wir eine Szene, wie sie sich in der Rekrutierungsabteilung der Royal Guard zu Westminster bereits unzählige Male zugetragen hat.

Ausbilder: "Sie sind hier, weil Sie Ihre Verbundenheit und Treue zu Ihrem Vaterland und insbesondere der königlichen Familie zum Ausdruck bringen möchten?"
Bewerber: "Yes, Sir!"
Ausbilder: "Und Sie verfügen über die notwendige körperliche Konstitution, um das stundenlange Stillstehen durchzuhalten?"
Bewerber: "Yes, Sir!"
Ausbilder: "Und Sie verstehen es, allein kraft Ihres bierernsten Blickes, Hunde davon abzuhalten, in Ihr Wachhäuschen zu pinkeln?"
Bewerber: "Yes, Sir!"
Ausbilder: "Very well then. Nehmen Sie hier Ihre Uniform in Empfang: Schwarze Hose, rotes Jackett und die schwarze Bärenfellmütze, die Ihnen 45 cm an weiterer Körpergröße einbringen wird."
Bewerber: "Thank You ever so much." (macht kehrt)
Ausbilder: "Waaaiiiiiiiiit!!"
Bewerber: "Oh, I'm sorry!"
Ausbilder: "Nehmen Sie noch dieses rote Fläschen an sich. Dies ist der Duft, den Sie im Dienst tragen werden..."

Vor 20 Jahren besaß ich eine strahlend rote Krawatte, die von einem subtil-luxuriösen Muster durchwoben war, in dem bei näherer Betrachtung auch feine goldene Seidenfäden aufblitzten. Diese kombiniert mit weißem Hemd und tiefschwarzem Anzug sorgte bereits für einen imposanten Auftritt. Trug ich dazu noch Xeryus Rouge, war es, als ob, wohin auch immer ich meinen Fuß setzte, ein imaginärer roter Teppich, Marke "Opernhaus Wien", vor mir ausgerollt würde.
XR hat tatsächlich etwas laut-majestätisches, üppig-feierliches, sonnig-strahlendes, fröhlich-herzliches,...und etwas Bling-Bling.
Der Duft hat eigentlich nichts Britisches, er passt nur eben dort gut hin, wo schwarz und rot von ein wenig gold ergänzt wird. Wie die Uniformen vorm Buckingham Palace von goldenen Knöpfen/Kordeln..., wie der schwarze Frack auf dem roten Teppich von dem goldenen Geländer..., wie...Moment mal! Schwarz - rot - gold....?? Na sowas! Damit wäre diese französiche Kreation ja der Duft der Deutschen...!?!
Darüber muss ich nun erst mal in Ruhe nachdenken...

2 Antworten
Nüsternlust vor 2 Jahren 2 2
8
Haltbarkeit
7.5
Duft
Konsul Buddenbrooks Duft
Wie kommt diese Romanfigur aus Thomas Manns Familiensaga zu dieser, noch dazu unerbetenen Parfümempfehlung?
Ganz einfach: Dadurch, dass sie mir in den Sinn kam und ich die Dreistigkeit für alles Weitere besitze.

Ich erkläre die Stimmigkeit folgendermaßen: Der Duft eröffnet mit einer ordentlichen Parfümwolke, als Bestandteil derer man (wie Kollegin "Hibernation") neben Patchouli durchaus auch Moschus vermuten könnte. Dies scheint dem Stand eines angesehenen und wohlhabenden Kaufmanns, der seinen Reichtum im Getreidehandel erworben hat, nicht unangemessen. Es verleiht eine gewisse Aura.
Schon bald aber übernimmt der Patchouli noch mehr als zuvor die Hauptrolle in einem immer kratziger und farblich beige erscheinenden Geruchseindruck, der irgendwann fast an einen Punkt gelangt, wo man ihm auf Grund der sich überschlagenden Knarzigkeit absprechen müsste, weiterhin als schön zu gelten. Aber nur fast.
So kommen einem die Felder ins Bewusstsein, auf denen Buddenbrooks geerntete Weizenballen verstreut liegen. Oder man denkt an die auf Schiffe verladenen Leinensäcke voller Korn, und zwar exakt an Textur und beige Farbe dieser Säcke.
In der Basis wird der Duft weicher und büßt an der im Mittelteil vorhandenen Männlichkeit etwas ein.

Auf jeden Fall bringe ich diesen olfaktorischen Gesamtverlauf mit Nahrung und deren Aufnahme in geselliger Runde in Verbindung. Vielleicht wäre es mal einen Versuch wert, bei unerwünschter Appetitlosigkeit dieser durch Schnüffeln an diesem Parfüm entgegenzuwirken.
Damen können den Duft auch tragen, vor allem wenn sie trachttragende (nicht zu verwechseln mit trächtige) Betreiberinnen von Landgasthöfen sind, zu denen für manch stilvolle Feierlichkeit auch Städter gerne Zuflucht suchen.
Bei all diesen sommerlichen Assoziationen würde ich Cashmere Patchouli's Einsatz eher bei kälteren Temperaturen sehen, auch wenn der Kaschmir maximal in der Kopfnote eine Rolle spielt. Für mehr Kaschmir sollte man wohl Encre Noir austesten, wenn ich das richtig in Erinnerung hab.

Möge diesem Duft nicht das gleiche Schicksal wie der Familie Buddenbrook widerfahren, nämlich wieder in der Versenkung zu verschwinden.
2 Antworten
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