Siebenkäs
Siebenkäs’ Blog
vor 7 Jahren - 26.03.2017
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Hyper-Layering

Was ergibt sich, wenn alle Farben des Lichts zusammenkommen, sich also überlagern?
Es entsteht weiß. Im weißen Licht sind alle Farben miteinander vereint.
Das zeigt sich, wenn das Licht durch Brechung in die einzelnen Spektralfarben aufgefächert wird. Das geschieht z.B. in Wassertropfen, so entsteht der Regenbogen.
(...mein Physiklehrer würde jetzt staunen, ich war an und für sich stets ein sehr mäßiger Schüler in diesem Fach)
Und alle Körperfarben übereinander? Also physische Farben, etwa Malfarben, Druckfarben etc.? Sie ergeben zusammen schwarz. In Großdruckereien kann man das z.B. sehen (mehr oder weniger).

Aber – was ergeben dann alle Düfte übereinander gelegt?

Nicht ganz so einfach zu beantworten.

Für die wissenschaftlich seriöse Beantwortung dieser Frage wäre ich bereit,
meinen Duffle Coat zur Verfügung zu stellen. (vorausgesetzt ich erhalte ihn
zeitnah und völlig unversehrt wieder zurück)

Warum nun eignet sich dieses Kleidungsstück so ideal zur Analyse dieser brennenden,
bis heute unbeantworteten Frage?

Die Sache ist die:
Ich teste oft. Und gern. Und regelmäßig.

Die Bedingungen dafür sind ideal, ich wohne in einer großen Stadt, es gibt eine
Vielzahl an Kaufhäusern, Parfumläden etc. Sie liegen alle nicht weit von unserer
Wohnung oder jedenfalls immer in der Nähe meiner üblichen Wege.
Das heißt, dass es für Düfte, die in die Kategorie „1-bis 2 mal im Monat“ fallen,
nicht unbedingt einen zwingenden Kaufgrund gibt. Sie stehen ja eh irgendwo rum.
Na ja, nicht alle, aber doch viele. (ich bin auch nicht ganz so „schnorrerhaft“ drauf,
meist kaufe ich den Duft früher oder später, wenn er überzeugt).
Jedenfalls ist immer massenhaft Testmaterial vorhanden.
Und das will ja auch geleert werden,
dafür ist es ja schließlich da.
Dabei teste ich am liebsten, indem ich mir den Duft auf den Hals sprühe,
wegen der zuverlässigeren, weniger täuschenden Wahrnehmung, die so entsteht.
Und zur kühleren Jahreszeit laufe ich halt oft im Duffle-Coat herum.

Beim Testen kann ich den aber schlecht ausziehen und dann jemanden in die
Hand drücken. („Gnädige Frau, würden Sie mal kurz meinen Mantel halten,
ich müsste mal eben einige Sprüher Pulp applizieren...“)
Im echten Leben geht es ja doch etwas diskreter zu.
Den Schal stecke ich in die Manteltasche, das ist klar. Aber mein braver Duffle -
der kriegt halt jedesmal seinen Anteil.

Und da kommt ganz schön was zusammen. Sagen wir mal 3 Tests die Woche,
die Duffle-Coat-Saison geht von Oktober bis März... da zeigen sich die Dimensionen.
Das Ergebnis ist auf jeden Fall faszinierend. So nehme ich es zumindest wahr.
(Meine Frau sagt allerdings, der Mantel riecht schlicht nach Carbone von Balmain.
Was für eine extreme Reduktion und Verkennung der Sachlage! Verglichen
mit meinem Duffle Coat ist Carbone absolut eindimensional, linear,
praktisch ein Soliflore. Obwohl er auf meiner Wunschliste steht.)
Nein, diese Duft-Collage hat eine ganz andere Tiefe. Ein eigene Qualität,
denn mein Duffle hat sich keinesfalls in einen Müffle-Coat verwandelt,
im Gegenteil.

Bisweilen werde ich sogar angesprochen, wenn ich ihn trage.
Ist echt schon vorgekommen, ich hatte nichts an mir außer dem Mantel.
(Nein, so meine ich das nicht, ich meine natürlich kein anderes Parfum.)
Eine Verkäuferin bei Peek+Cloppenburg z.B. fasste sich ein Herz:
„Darf ich Sie mal fragen was für ein Parfum Sie tragen?“
Was sollte ich jetzt antworten?
Ich wollte doch nicht lügen. Sicher würde sie es gleich für ihren Verlobten
erwerben wollen. Oder dessen besten Freund. Oder sonst jemand sehr wichtigen.
Was tun? Anfangen aufzuzählen? „Das äh… ist Yves Sain Laurent-M7-Jil-Sander-Strictly-Night-Guerlain-L’Homme Ideal-EdP-Eau-Sauvage-Parfum-Carbone-Mitsouko-Spicebomb-Baudelaire-Encre Noir-Tabac-Original...
und noch paar, die mir gerade nicht einfallen?
Oder einfach eine für solche Fälle vorbreitete Liste überreichen?
Aber das würde ja auch nicht helfen. Kaufen kann man diesen Duft eben nicht.

Theoretisch könnte ich ihn natürlich der École Givaudan zur Verfügung stellen,
natürlich für viel, viel Geld, als innovatives Lehrmittel
(„Celine, riechen Sie 5 Sekunden an diesem Mantel und nennen Sie wenigstens
20 seiner Duft-Bestandteile... und Pierre, Sie halten den Mund...“).
Nein, das würde ich nie tun. Ich mag ihn viel zu sehr, meinen guten, alten Duffle.
In ihm lösen sich alle Kategorien in eine neue, ungeahnte Harmonie auf.

Damen- oder Herrenduft, herb oder süß, frisch oder woody,
Fougère oder Chypre, orientalisch oder Wühltisch, Designer, Nische, Drogerie...
vor dem Duffle ist alles gleich.
Alles im hier+jetzt, ur-demokratisch, das so-sein an-sich.
Irgendwann wird man ihn extrahieren und kaufen können und sein Erfolg
wird atemberaubend sein. Der beliebteste Duft im All...natürlich auch im
Restaurant am Ende des Universums... nur die Bewohner von Xerxyl 2 layern ihn
noch mit phalar2Phanthomix 2000 , weil er ihnen nicht komplex genug ist.
(sie bestehen darauf, dass die Vintage-Version viel besser war).
Dabei ist er so... unsagbar... umtagt und umnachtet...das unendliche,
sich in sich selbst spiegelnde Universum aus unzähligen Duftsonnen im Auge
der Ewigkeit... das Aroma kollidierender Supernoven, Galaxien-Duftnebel,
die zugleich Moleküle sind, verwoben im Atem nie endend...

Schuldigung... wo bin ich? ah... hier...danke, geht schon wieder...
alles gut (schnauf)...bin o.k... echt, alles wieder gut...
Ich mag meinen Duffle-Coat. Er ist marine-blau und hat braune Knebelknöpfe.
Sieht prima aus.

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