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Siebenkäs’ Blog
vor 7 Jahren - 19.03.2017
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Wie ich einmal viel übers Testen lernte

Diese Geschichte hatte ich schon fast vergessen, vielleicht auch verdrängt.

Ich glaube, ich habe sie noch nie jemandem erzählt. Ich denke, hier kann ich
das aber ruhig, man wird nicht über mich lachen, spotten oder schlecht denken.
Vielleicht ein ganz bisschen fremdschämen, aber das soll mich nicht stören.
Man bedenke bei alledem auch mein damaliges Alter.

Ich weiß es nicht mehr ganz genau – aber ich muss ungefähr dreizehn
gewesen sein. Jedenfalls waren wir eingeladen, bei Bekannten von meinen Eltern.
Leute, die sie wohl noch nicht sehr lange kannten, von denen sie aber wohl
etwas beeindruckt zu sein schienen. Der Mann war Arzt. Ich hatte meine Mutter
sagen hören „Er hat ja jetzt sein eigenes Sanatorium, in Österreich.“ In einem Tonfall,
der so leicht dahingesagt klingen sollte. Aber es war derselbe Sound, in dem sie
Sachen sagte wie „Die Prinzessin Margret hat ja jetzt wohl einen reichen Ami.“
Entsprechend waren wir alle unauffällig gut angezogen, dunkler Anzug, langes
Kleid, meine Schwester im Schottenkaro-Rock und ich trug einen dunkelblauen
Blazer mit Phantasie-Wappen. Es war ja eine Abendeinladung.
Wir fuhren aus der Stadt hinaus und ein wenig übers Land, bis in eine
nette, saubere Kleinstadt, genau gesagt ins Neubaugebiet dieses Städtchens.

Das Haus sah aus, wie man sich sowas vorstellt. Eine 60er Jahre-Villa,
ein kleines bisschen pompös, aber vor allem gutbürgerlich-gesättigt,
wie aus einem Degenhardt-Song, wie sie damals bisweilen im Radio liefen.
(Ich denke an sowas wie „Sonntags in der kleinen Stadt“ mit Zeilen wie
„Hütchen, Schühchen, Täschchen passend, ihre Männer unterfassend“,
über die Sonntagspaare beim Spaziergang. Oder die schöne Zeile
„Speckmond im Antennenwald“)

Die Hausherrin machte uns auf, wirklich freundlich, richtig herzlich, allerdings
spießig wie eine Astronauten-Gattin (heutige Sichtweise).
Wir wurden in ein großes Wohnzimmer geführt, mit sehr langem Topfpflanzen-
fenster, offenem Kamin und gediegener Essecke. Überall Möbel in der edelsten
Variante des Gelsenkirchener Barock. An den Wänden Stiche, Urkunden,
ein großes Stilleben mit Trauben und allerlei Wildbret darauf. (komplett anders
als bei uns zu Hause, wo alles sehr modern, puristisch und vergleichsweise
leer war, aber diesen Gegensatz zu den meisten anderen Leuten war
ich gewohnt) Der Hausherr strahlte etwas Unangenehm-Autoritäres aus,
er zerquetschte mir beim Begrüßen fast die Hand. Grauer Schnauzer,
sehr dicke goldene Uhr, Krawatte mit vielen kleinen Hunden drauf.

Einige Zeit Geplauder am Kamin, meine Schwester und ich bekamen
„Florida Boy“. Dann hieß es „Zu Tisch bitte“.
Und mir fiel ein, dass ich ja schnell noch mal aufs Klo wollte. Nicht, weil ich
musste, sondern weil ich es liebte, bei fremden Leuten ein bisschen
rumzulaufen, ins Bad zu gehen und vielleicht auch etwas herum
zu schnuppern. Ich gebe es zu – ich öffnete auch gern mal Schränkchen
und schaute nach Düften. Heute natürlich nicht mehr… (hüstl…)

Allgemeines Verständnis der Gastgeber, der Weg wird schnell erklärt und
ich lande auch glücklich im richtigen Bad statt im Gästeklo. Bestens.
Schön groß, ein Marmortisch mit zwei Becken und auf dem Sims zu meiner
Freude auch ein paar Parfumflaschen, meistens ganz kleine, mehr als Zierrat
hingestellt, aber auch zwei oder drei größere.
Die Testleidenschaft war bereits fest angelegt bei mir, also gab es hier
nicht viel zu überlegen. Ich griff mir ein rechteckiges Fläschchen, das mir
recht männlich aussah. „Knize“ las ich darauf „(also „Knitze“ damals für mich).
Behände geöffnet – und klickeradums – lag die Flasche auch schon auf dem
Waschtisch, glatt aus der Hand gerutscht. Zum Glück noch heil. Aber einiges
war raus gelaufen, denn die Pulle hatte eine ordentlich große Öffnung.
Instinktiv wischte ich die kostbare Flüssigkeit mit den Händen vom
Waschbeckenrand und schmierte sie mir kurzerhand ins Gesicht, einige Male.
Dann stellte ich fest, das ganz schön was fehlte in der „Knitze“-Pulle. Ungut.
Vielleicht konnte ich ja ein bisschen was nachfüllen aus einem der anderen
Fläschlein? Eines fiel mir ins Auge - mit so etwas wie einer Glas-Blume auf
dem Deckel, unten war eine Art Sockel dran. Erst viel später habe ich in
diesem Forum (wo sonst?) entdeckt, worum es sich handelte – es war
wohl Parure von Guerlain, heute ziemlich rar.
Also Deckel ab – darunter war ein Spühkopf –na ja, das muss doch gehen –
also, schön reinsprühen in die Knitze-Flasche.
Es ging allerdings nicht soo gut, erst mal gelangte mehr auf die Hand als
in die Flasche, dann bekam ich den Bogen aber raus und sprühte etliche Male,
bis ich meinte, es wäre genug. Die mit Parfum benäßte Hand wischte ich mir
dann ebenfalls im Gesicht und am Hals ab, mittlerweile roch es auch etwas
eigentümlich um mich, ich musste das einfach etwas verbessern.

Jetzt aber zügig zurück an den Esstisch, ich wollte ja nicht unangenehm
auffallen.
Natürlich war mir nicht klar, dass ich jetzt ein gutes Exempel war, um jemandem
die Frage zu beantworten: Was ist eigentlich Sillage?
Ich setzte mich also eilig an meinen Platz, gerade wurde Suppe aufgegeben
(„Markklösschen“) Ich bemerkte nun doch um mich herum eine schöne
Parfum-Aura. Und dann traf mich als Erstes der Blick meiner Mutter –
eine Mischung aus Ungläubigkeit und Entsetzen, gleichzeitig auch etwas
wie Panik. Im nach hinein logisch, denn was hätte man hier machen können?
Gar nichts, absolut nichts, außer irgendwie aussitzen.
Die Gastgeber unterhielten sich auf einmal auffallend laut mit meinem Vater,
sie vesuchten wohl zu vermeiden, zu mir hinüber zu schauen.
Trotzdem trafen mich zwischendurch völlig seltsame Blicke, am ehesten
als „entgeistert“ zu umschreiben. Und meine Schwester, ein Jahr jünger
als ich, musste einfach lachen. Sie wurde von meiner Mutter in die Seite
gestoßen, unauffällig, aber ich habe es deutlich gemerkt. Zwischendurch
fing sie immer wieder an, versuchte es zu unterdrücken und fing wieder an.
Na ja, irgendwie ging der Abend rum, wie genau liegt im Dunkeln
meiner Erinnerung, vielleicht ist das auch gut so. Gesprochen wurde jedenfalls
soweit ich weiß, nicht über meinen beherzten Test. Eine gewisse gut-bürgerliche
Nonchalance mag das letztlich verhindert haben.
Was lernen wir daraus? Sicher nicht viel. Ich habe zumindest etwas über die
schiere Kraft von Parfum gelernt. Und trotz der Peinlichkeit dieses kleinen
Abenteuers war meine Testleidenschaft vollends geweckt. Und die hält
bis heute unvermittelt an. Natürlich nicht in fremden Bädern.
Und zum Testen gehört immer auch ein klein wenig Mut. Jedenfalls,
wenn man es richtig macht. Ich rede nicht von Papierstreifen. Auch nicht
von Handgelenken. Die kann man auch mal als Testfläche nutzen,
aber nur als Vor-Test. Ernstes Testen heißt Hals einsprühen. Für mich
jedenfalls, denn nur die Dauerpräsenz sagt wirklich etwas aus. Jedenfalls,
wenn es um einen kauf-oder nicht-Test geht. Sechs Sprühstöße
Fahrenheit Parfum und dann gleich in ein Meeting – das sind die kleinen
Abenteuer, die man (genauer gesagt ich) dann (z.B.) mal bestehen muss.
Denn wirklich viel gelernt habe ich nicht seit dem Test-Abenteuer in der
Arztvilla. Ein wenig Leichtsinn habe ich mir halt doch bewahrt,
man könnt’s auch Nichtsnutzigkeit nennen.
Und noch ein kleiner Tipp: Seid nicht abergläubisch. Das bringt Pech.

PS. …übrigens bisschen süß, das Fahrenheit-Parfum.

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