Siebenkäs

Siebenkäs

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Siebenkäs vor 1 Jahr 19 16
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Duft
Abenteuer in Amsterdam.
Hallo Leute, bin endlich zurück aus meinem Alm-Urlaub.
Warum der sein musste?
Ihr sollt's erfahren......

Angefangen hat alles im späten November... aber lest einfach
meine Notizen:

28. November '22,
Redaktionskonferenz im "Parfumboten"

"Brauchst' vielleicht noch ein Kissen?"
"Ja, wär ganz gut..."
"Mensch 7-Cheese! Wach auf, du wirst hier nicht fürs
Pennen bezahlt!"
Mist! Bin glatt eingeschlafen mitten in der Montagskonferenz.
War etwas spät gestern...
"Sorry, Chef, hatte nur kurz nachgedacht..."

"Na gut, ich wiederhole noch mal, extra für Herrn 7-Cheese."
(Der Chefredakteur ist zum Glück heute gnädig gestimmt.)
"Also - im Dezember bieten wir den Lesern unserer Online-
Version was besonderes - einen Adventskalender.
Jeden Tag ein Porträt eines winterlichen Dufts.
Nehmt euch aus dem Hut, der rumgeht, einen Zettel,
darauf findet ihr euren zu besprechenden Duft. Abgabe 30.11.
Und noch was - das schönste Porträt bekommt die Ehre,
in der 24 zu erscheinen, mit Bild des Verfassers!"

Schon bin ich wach.
Tolle Chance, mal zu zeigen, wer eigentlich Chefredakteur
sein sollte... da kommt auch schon der Hut... und was
zieh' ich?
Tobacco Vanille.
O.K., nicht grad fordernd, aber da mach' ich was draus...

13. Uhr.
Ich sitze im Cafè mit meiner 10ml. Abfüllung und schnuppere
noch mal ganz genau.
Die dunkel-süße Ouverture zeigt sofort, wo's lang geht.
Würztabak und warme Vanille verschmelzen zu einem absolut
photo-realistischem 3D-Pfeifentabak erster Güte.
Zarte Holztöne (Pfeifenholz?), leicht kakaoartige Noten
und Trockenfrucht-Aromen stützen dezent und so konzept-
dienlich wie Ringo Starr songdienlich Schlagzeug spielt.
Ein dunkel-sensitiv-süßer Duft, dem man eine gewisse
Linearität nicht vorwerfen sollte, denn es handelt sich
hier um ein Meisterstück der Noten-Verblendung, die
diese perfekte Dunkel-Hell/Süß-Balance erzeugt.

So weit, so schön. Aber ich brauche mehr.
Insider-Knowledge, nice-to-know-Fakten, kleine
Enthüllungen, Aha-Erlebnisse...
Aber woher?
Hmm...Pfeifentabak... Dutch Tobacco...wie wäre Amsterdam?
Super-Idee!

29. 11., 12.00
In der Leidsestraat, gleich hinter der Keizersgracht.
Ein kleiner Coffeeshop. Kaffee, was Süßes und noch mal
schnuppern. Das freundliche Meisje bringt mir sogar eine
Schale mit hausgemachten cookies - "bijzonder sterk" sagt sie
mit süßem Lächeln. Schmecken na ja... etwas harzig-kräutrig,
aber ich sprüh etwas Tobacco Vanille auf die Finger und schon
geht's. Ich futtere gleich noch ein paar - bis sie mir fast
erschrocken die Schale wegnimmt.
Dabei zahl' ich doch gern dafür. (bzw. die Redaktion)

Der Duft dröhnt fast in einer satten Harmonie aus Gewürzen,
Tabak, Spezereien und luxuriös-weicher Vanille - im Grunde
ist "Pfeifentabak" nur eine Assoziation. Vergisst man die,
tauchen aus dem Potpourri weitere Bausteine auf -
Muskat, Vanille, ja auch Mandarine, sogar etwas wie Likör.
Aber zack! Schon denk' ich wieder an Pfeifentabak -
man kann's nicht kontrollieren, wie bei einem Vexierbild.
Überhaupt dröhnt alles leicht - ich zahle besser und suche mir
eine Bleibe...

Nebel hüllt die Stadt jetzt in eine Vanille-farbige
Paisley-Nebeldecke. Zum Glück kenn' ich mich aus.
(hatte mal 'ne Phase da war ich sehr oft im Melkweg
in der Lijnbaans-Gracht.)
Ich schwebe die Herengracht runter, rechts zum Singel.
Grachtenwasserduft. Selbst im Winter besonders.
(Idee für einen Duft: Grachtenwasser for Greatness.)

Jetzt den Rokin runter zum Dam.
Hotel Krasnapolsky.
Gute Adresse, hier haben John und Yoko ihr Peace Bed-In
veranstaltet.
Ich frage nach genau dieser Suite - und bekomme sie.
Noch eine Idee.
Ich werde hier ein Sniff-in mit dem Ford-Duft machen,
einen Tag lang, und alle soll es erfahren.
Ich rufe gleich beim Telegraaf an, morgen sollen sie
jemand schicken.
Ich muss die 24 schaffen - immerhin bin ich 7-Cheese.
DER 7-Cheese, von dem schon Luca Turin sagte:
"7-Cheese? Kenn ich nicht!"
Ich knabbere noch ein paar Cookies, die ich mir vorhin
eingesteckt habe und schnuppere.
Ziemlich stark umnebelt mich diese cosy-dunkle,
herb-süße Aura, jetzt riech' ich noch einen Cherry-Vibe
darin, ein englischer Club erscheint vor mir, spleenig
und traditionell zugleich.
"Haben Sie noch einen Wunsch, Sir?"
Und dann eine Vision - ich sehe plötzlich, wie der Duft
produziert wird, jeden Schritt!
Ich notiere:
Pfeifentabak nicht in den Flakon... (ließe sich schlecht
sprühen.) Einfach 4/5 Tobak in eine Thermoskanne,
1/5 heißes Grachtenwasser drauf. Über Nacht stehen lassen.
(die haben natürlich Dutzende Thermoskannen).
Morgens Alkohol dazu (nur das Beste, Chantré oder
Asbach Uralt). Ziehen lassen.
Tom verwendet verkettete hohle Wasserstoffmoleküle,
NIE Atome - die müssen draußen blieben, alles bleibt bio...
Nein, sogar mehr - Demeter (der Unterschied: da haben die
Kühe sogar Vornamen und dürfen ihre Kälbchen behalten).
Der Flakon ist schwarz wie alle seine Flakons, weil man
sonst die Tabakkrümel sehen würde.
(bei anderen z.B. Oudbrocken, schwarze Orchideen-
scheiben oder verlorene Kirschstückchen)

Froh das Geheimnis fixiert zu heben, schlafe ich ein.
(ich trage übrigens meinen Biene-Maja-Schlafanzug, falls es
wen interessiert.)

Die Nacht ist ein Traum. (Im Club legen Jeeves und Angela
Merkel, die Pfeife raucht, auf. Gruppo Sportivo. Und die Nits.
Tobacco Vanille zeigt jetzt auch Pflaumen-Aspekte, riechen
wie die eingemachten meiner Oma.)

Dann läutet Big Ben. Übergehend in Big Biep.
Die Krasnapolsky-Stimme sagt:
"Zij wilde ontwaakt worden."

30.11., 9.35
Er sitzt mir vor meinem Bett - der Graaf vom Telegraaf.
(Er ist echt einer.)
Graaf Hasso von Hanebüchen.
"Goed idee met de Sniff-in!"

Ich schnuppere fotogen. (Heute riech' ich etwas pudriges,
fast nussiges im Parfum)
Er schießt ein paar Fotos, hat nicht viel Zeit.
(das Beste mailt er mir gleich)
Wirkt abgeklärt, fast weise, der Graaf.
Ob er... ich versuch's.
"Ik häw ä Vrage..."
"Sprich ruhig deutsch..."
"Gibt es ein Tabaks-Geheimnis?"
"Hinter allem steckt ein Geheimnis."
"Hab' was von Reifung gelesen..."
"Onzin!"
"Ich muss aber was finden..."
"Im Grunde suchst du was, was du nicht finden kannst,
weil's in deiner eigenen Tasche steckt."
"Du meinst meine Kindheit?"
Auch, aber... Du weißt es doch, oder?
"Ähm..."
Dann sag' ich's dir noch mal - das Glück besteht darin,
nicht unglücklich zu sein."
"Genau!"
(Wenn ich drüber nachdenke, entwickelt der Satz einen
Tiefensog, wie... wie Pfeifentabak, der nach und nach seine
weiche, vanillige Seele enthüllt)

Ich notiere alles im ipad und maile es an die Redaktions-
Praktikantin.

1.12., 10.45 Redaktionskonferenz.
(ich mach's kurz)
"Heute beginnt unser Online-Adventskalender," verkündet
theatralisch der Chefredakteur, "und zwar mit... Layton.
PdM haben ja ordentlich Anzeigen geschaltet. Und für die 24...
da nehmen wir den lustigsten Beitrag. Denn "Der Parfumbote"
kann auch schräg..."
Er guckt in die Runde.
Ich werde immer nervöser...

"Tja, the winner is..."

Ich klammere mich unauffällig an die Tischkante...

"Tatatadaaa... 7-Cheese!"

Beifall, Gratulationen, Tränen, Händedrücken...
Schulterklopfen... (Neid?)
Den Rest des Tages verbringe ich in einer rosa Paisley-Wolke.

24. 12., 11.19
Ich gehe auf Parfumbote-Online.
Zum Adventskalender.
Die 24.
Ich drücke ÖFFNEN.
Da! Mein Artikel.
Und daneben mein Bild.
Frisur o.k.
Aber...
Sehr deutlich zu sehen.
Ich bin im Biene Maja-Schlafanzug!!!

Ich gehe auf "EINÖD-Urlaub-Sofort".
Entlegene Almhütte in 1900m Höhe.
21 Kühe, 8 Ziegen.
Viel Ruhe. Weitblick inklusive.

Ich drücke auf "Jetzt buchen".
16 Antworten
Siebenkäs vor 1 Jahr 35 24
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Duft
Neulich in der Männergruppe.


(Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen
ist nicht beabsichtigt und rein zufällig)

"...und deshalb bin da jetzt auch viel selbstbewusster
geworden, ihr hättet mal seh'n sollen, wie frech ich gestern
unter dem Tisch vorgeguckt habe!"

"Schön, Siggi, danke, dass du das alles mit uns teilst,
deine Beziehung scheint mir auf einem guten Weg!
Aber jetzt wollen wir mal hören, was du, lieber Siebenkäs,
uns zu erzählen hast. Ich erlebe dich heute ein wenig
zurückhaltend, bring dich doch ein bisschen mehr ein,
ein Stück weit..."

"Ja, also, ich hab' mir so meine Gedanken gemacht über...
äh, ja, über den vielleicht erfolgreichsten Duft von Maison
Martin Margiela, ihr wisst schon - By the Fireplace..."

"Das versteh' ich jetzt überhaupt nicht, wovon spricht der...?"

"Ruhig, Theo, lass doch Siebenkäs einmal ausreden
und seine inneren Blockaden überwinden, er will uns sicher
auf verschlüsselte Art etwas sagen... Natürlich steht
"Fireplace" hier für häusliche Geborgenheit, für das
Gelingen seiner Beziehung überhaupt. Fahre fort, lieber
Siebenkäs, bitte..."

"Also, der Duft ist schon eine Wucht, weich, süß rauchig,
alles zugleich. Er wird zwar schnell balsamisch, warm und
süß, behält aber als Gegenpol etwas von Feuer bzw. Holz
und mildem Räucherwerk, eher aber auf der gemütlichen
Seite, nicht wirklich dunkel. Und dennoch auch irgendwie
fordernd, ein wenig jedenfalls. Weshalb? Wie soll man das
einordnen?

"Ja, als erfahrener Gruppenleiter kenn' ich solche
Einordnungsprobleme, "welche Art von Beziehung habe ich
überhaupt" - das fragen sich viele, sicher meinst du mit
"Duft" eher "Gruft", also die Angst, in der Beziehung begraben
zu sein...

"Bestimmt hat er sich nur versprochen, ich hab neulich beim
Kochen zu meiner Frau statt "etwas mehr Salz" aus Versehen
"etwas mehr Schmalz" gesagt, sicher ein Freud'scher
Versprecher..-"

"Schöner Beitrag, Siggi, danke..."

"Und ich, ich hab' mich neulich auch versprochen..."

"Gut, Theo, erzähl schnell, aber dann ist Siebenkäs wieder
dran..."

"Also beim Frühstück wollt ich zu meiner Frau sagen -
"bitte gib mir doch mal die Marmelade". Stattdessen hab' ich
gesagt: "du hast mein ganzes Leben ruiniert, du verzogene
Egoistin!"

"Auch ein gutes Beispiel, wir danken dir dafür. Siebenkäs,
mach' bitte weiter..."

"Als - ich hab' mir was überlegt. Am besten nähere ich mich
dem Duft, wenn ich ihn in Relation setze zu drei anderen
Düften, die etwas mit ihm teilen, auch wenn sie ziemlich
anders riechen. Sie teilen sogar zwei Dinge mit ihm -
zum einen setzen sie auf zwei Haupt-Akteure, stellen also
zwei zentrale Noten gegeneinander und beziehen ihren Reiz
aus den daraus entstehenden Spannungen, Harmonien usw.
Und zum zweiten ist bei allen eine der zentralen Noten die
gleiche - Vanille..."

"Das klingt spannend... seltsam, aber interessant.
Den männlich-weiblichen Gegensatz meinst du im Grunde..."

"Nun ja... Also - erst mal Fat Electrician von Eldo..."

"Du meinst wohl Aldo, den Männernamen..."

"Nein, das steht für Etat Libre d'Orange. Der Electrican
dramatisiert Vetiver und Vanille gegeneinander, plus ein
paar andere Noten, die als Unterstützung mitspielen.
Der Reiz entsteht aus den harmonischen und den
disharmonischen Effekten, die das bringt. Die letzteren
finden sich ja auch in dem Narrativ vom schwitzigen
Elektriker wieder, na ja, so bisschen Hipster-Nischen-
Gedöns, aber als Idee amüsant. Sehr gut gemacht.
Der Margiela-Duft nimmt dafür Rauch und Vanille, aber
mit anderer Entwicklung. Vom Rauch in die Behaglichkeit.
Oder? Nein, ich bin mir genau da halt nicht sicher..."

"Verstehe, die Beziehung als Hafen vor den rauchigen
Unbillen des Alltags, da liegt bei dir der Hase im..."

"Ja, Pfeffer ist auch etwas drin, aber auch nur als Sidekick.
Ähnliches macht natürlich der nächste von mir herange-
zogene Duft, Pour un Homme von Caron. Ein Klassiker, der
dieses Spiel eröffnet hat, quasi. Mit Lavendel und Vanille.
Aber hier geht's wirklich störungsfrei von A nach B, die
dem Lavendel immanente Karamell-Note hilft beim
Übergang natürlich etwas..."

"Und, äh, was gedenkst du denn zu tun für dein störungs-
freies häusliches Glück...?"

"Eher mein olfaktorisches vielleicht. Da tu' ich allerhand für.
Also der dritte Vergleichsduft ist Tobacco Vanille von Tom
Ford. Drama-Paar hier: Pfeifentabak und Vanille. Ergebnis:
Na ja - die Spannung ist hier nicht ganz so hoch - damit
auch das Risiko geringer. Aber dennoch am nächsten
dran am Fireplace, von der Tonalität her. Nur dass in der
Süße des Drydowns kaum noch eine Störung entstehen
kann.

"Ich will jetzt endlich auch was sagen!"

"Bitte, Theo, aber kurz!"

"Ich hab' den Verdacht, das meine Frau auch schon mal
was mit unserem Elektriker hatte, weil er viel dünner ist
als ich! Und womöglich hatse bei ihm daheim am Fireplace
gekuschelt... oder sogar noch mehr..."

"Sehr schöner Beitrag, danke, aber wir wollen Siebenkäs
weiterreden lassen..."

"Ich mein ja nur..."

"Also, ich mach mal weiter... Tja, die Spannungen und
Brüche in By the Fireplace... da gehen die Assoziationen
von gerösteten Marshmellows bis Feenwald - im Gegensatz
zum Encre Noir'schen Dusterwald - und von Köhler bis
Plätzchen am weihnachtlichen Kamin, von Sauna bis
Lagerfeuer. Nicht zu vergessen, dass auch noch ein
Kastanien bzw. Maroni-Vibe mitspielt, als Unterstützer
sowohl für die feurige als auch für die süße Seite des
Dufts. Und von der rein emotionalen Seite her - da holt
er schon ein paar Kindheitserinnerungen bei mir aus der
Versenkung..."

"Interessant! Also das Feurige und das Süße - du meinst
damit ja das Verruchte und das Brave, also genau das,
was wir alle in unseren Beziehungen suchen..."

"Hab' ich längst gefunden!"

"Bitte Theo, reiß' dich mal kurz zusammen..."

"Ich könnte noch was zur Länge sagen, also zur Haltbar-
keit, die ist nämlich beeindruckend..."

"ich habe aber gelesen, auf die Länge kommt es doch
gar nicht an..."

"Theo, du lässt Siebenkäs jetzt bitte noch zu Ende reden!"

"Also zusammengefasst und im Vergleich zu den anderen
drei Düften bleiben einige Fragen offen. Einfach wär's ja,
wenn ich sagen könnte, die Vanille steigt hier wie Phönix
aus der Asche, aber ganz so ist es nicht. Es bleiben kleine
Störfaktoren, die aber grad wieder Langeweile verhindern.
Das Spiel mit der Häuslichkeit ist klasse repliziert, ganz im
Sinne des Replika-Konzepts, aber nicht ohne Fragen
aufzuwerfen. My home is my castle oder my home is my
adventure?

"Du suchst eben beides - erotische Abenteuer und häusliche
Geborgenheit!"

"Genau das such ich doch auch!"

"Theo, nicht laut werden, bitte..."

"Und ich auch!"

"Schön, lieber Siggi, aber bitte Ruhe bewahren... bist du
jetzt fertig, lieber Siebenkäs?"

"Ja, eigentlich schon. Ich könnte noch sagen, das Vergleichen
mit anderen bei so etwas manchmal ganz hilfreich ist..."

"Darf ich auch was dazu sagen?"

"Natürlich, Winnie!"

"Also das beruhigt mich jetzt irgendwo. Ich hab' nämlich
immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich meine Frau mal
mit anderen vergleiche, dabei will ich doch nur..."

"Dank' dir, Winnie. Ich glaube wir verstehen Siebenkäs jetzt.
Man darf ruhig auch mal mit anderen vergleichen, nicht
wahr? Und Sehnsucht haben nach Abenteuer, genau
wie nach der ruhigen, häuslichen Geborgenheit am Kamin.

"Und was is' mit erotischen Abenteuern am Kamin?"

"Theo, bitte! Du hast das sehr hübsch dargelegt, lieber
Siebenkäs. Vielen Dank für deine klaren Worte."

(leicht verhaltener Beifall)
24 Antworten
Siebenkäs vor 1 Jahr 23 20
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Duft
Besuch.
"You can say tu to me", sagt Hedi.
"Okay", sage ich, "merci."
War das wirklich eine gute Idee gewesen, die beiden
für heute Abend einzuladen?
Aber es war eh zu spät - denn jetzt klingelt es.
Tom.
Gut, dann soll es halt so sein.
Ich bin ja ganz gut vorbereitet.
(Wieso ich auch Hedi eingeladen habe, ist mir
entfallen, eigentlich ging's mir doch nur um Toms
Düfte, genauer gesagt um einen speziellen.)

Wir sitzen also auf meinem Ecksofa, ich hab' Buletten
(veggie) und Almdudler hingestellt, und ich versuche,
die Atmosphäre etwas aufzulockern.
"Nehmt euch ruhig", sage ich freundlich.

Zaghaft schnappt sich Hedi eine Bulette.
Erst jetzt bemerke ich etwas - beide riechen gleich. -
Himbeere, eine Art süß duftendes Edel-Kunstleder,
eine Mixtur aus Eleganz und Trash und der Art Luxus,
von der man nicht weiß, ob er echt ist.
Oder die Sorte von Fake, die sowieso cooler als real ist.
Kurz - beide tragen Tuscan Leather.

Ach so - jetzt mir fällt wieder ein, warum ich auch Monsieur
Slimane eingeladen hab'... Ich wollte mal hören, wie beide
über den Zusammenhang zwischen Mode und Duft denken.
Aber erst mal will ich anders einsteigen.

"Also, neben Mode seid ihr ja beide auch für Parfums
zuständig...", beginne ich etwas plump.
"Das versteht sich von selbst, ist part of the deal",
sagt Tom, es klingt fast schon zu amerikanisch.
"Kreativität endet nicht einfach irgendwo", wirft Hedi ein,
"für Yves Saint Laurent hab' ich z.B. Black Opium und für Dior
neben Higher vor allem Dior Homme Parfum erschaffen..."
"Echt, du allein?", frage ich ungläubig.
"Na ja, mit meinen Leuten, aber unter meiner Direction
natürlich..."
"Aber heut' trägst du was anderes... was von Tom."
"Reiner Zufall. Ich bin offen für alles, auch für easy-wearing-
Mainstream-Düfte."

Leicht erschrocken schaue ich Tom an.
Was wird jetzt kommen?
Nichts.
Er scheint einverstanden zu sein mit dieser Klassifizierung.
Oder hat er nicht richtig hingehört?
"Tom", beginne ich, "wie ist das denn mit der berühmten
Koks-Note in deinem wunderbaren Tuscan Leather?"
Tom grinst.
"You know - wenn dir das gefällt, freut mich das.
Und dir ja offensichtlich ja auch..."
Dabei schaut er Hedi an.

"Nun, es ist so", fährt er ford, nein fort, "wenn da wirklich eine
ganz real cocaine Note drin wäre, gäbe es Probleme, die
meinen Absatz beeinträchtigen könnten. Denk nur mal an
Reisende in Flughäfen, an Drogenhunde und an den Ärger,
den das machen könnte... "
"Aber selbst führende Rapper bestätigen diese Note...",
hake ich nach.
"Natürlich!" mischt sich Hedi jetzt ein. "Tom hat ein sehr
professionelles Marketing-Team. Und Joe Blogs, oder wie ihr
sagt "Otto Normalverbraucher" will in der Preisklasse
verständlicherweise ein bisschen Dekadenz und Verruchtheit.
Jeder bekommt was er will. Ist doch Win-Win, wie man
so schön sagt."
"Danke!" sagt Tom und grinst noch breiter. "Ein bisschen
riecht's vielleicht nach cocaine, ein bisschen nach Geld. o.k?"

"Und ein bisschen wie ein ganz entfernter Schwippschwager
von Fahrenheit", traue ich mich jetzt zu sagen.
(die Stimmung ist grad so locker).
"Gewagt, aber ich versteh' was du meinst..." antwortet Tom,
"wegen des etwas gasigen, speziellen ersten Eindrucks
nach dem Aufsprühen, oder?"
"Ja, ein Fahrenheit mit anderen Mitteln vielleicht."
"Nein, das ginge mir zu weit!"

"Würd' ich so auch nicht sagen", meint Hedi, um Tom etwas
beizustehen. "Ich rieche auch etwas Saffran, vielleicht sogar
versteckte Vanille, die die Ecken glättet wie bei einem Anzug
die Nähte. Und Jasmin scheint mir auch drin zu sein,
n'est ce pas?"
(Ich bin verblüfft. Monsieur Slimane hat offensichtlich eine
feine Nase.)

Jetzt bin ich wieder dran.
"...alles bleibt aber recht linear und zeigt kaum Entwicklung,
wenn, dann nur changierend wie Seide, um die Grundidee Leder
und Frucht zu unterstützen. Kann man doch sagen, oder?"

"Das könnt ihr sehen, wie ihr Kleingeld habt. Sagt man in
Deutschland doch so, oder?"
Irgendwie wirkt Tom jetzt etwas verschnupft, scheint's mir.

"Ich leg' uns erst mal bisschen Musik auf", sag' ich und krame
in meiner Kollektion. (Vinyl, für den Braun Regie 350, wegen
Stil und german design und so.)
"Wie wär's mit Tosca?" frag' ich in die Runde, eigentlich mehr,
um Toms Stimmung aufzubessern, von wegen "Tuscan".
"Oper nur Sonntags!", sagt Tom und nimmt einen tiefen
Schluck Almdudler. Börps.
"O.k. Vielleicht Devo? Oder die Residents?", frag' ich.
Mittelgroße Pause.
"Hast du nicht was von Franz Ferdinand? Oder von Beck?
Oder auch von Daft Punk oder den Libertines?", fragt Herr
Slimane leicht genervt. "Die tragen übrigens alle meine
Klamotten!"
"Schön, dass du dein Zeug selbst Klamotten nennst", bemerkt
Tom. "Nein, echt. Finde ich... ähm... richtig cool!"

Ich hab' mittlerweile "Anthems for doomed youth" aufgelegt,
allerdings eher leise. Ist grad zu interessant.

"Mein lieber Tom, wegen mir hat Karl sich ungefähr 40 kg.
runtergehungert, nur um in meine Dior Homme-Anzüge zu
passen. Da kann man ruhig ein bisschen cool sein, oder?"
Hedi schaut Tom triumphierend an, während er das sagt.

"Was meinst du wieviele Leute schon gehungert haben,
um sich meine Klamotten leisten zu können...?", sagt Tom.
"Und deine Parfums...", werfe ich mutig ein, "ich kenn' da
so ein Forum, da..."
"Lass' mich mit sowas in Ruhe", unterbricht mich Herr Ford,
dieses ganze social media-Gerede, die wissen alle ja nicht
mal, wie man eine Krawatte bindet..."
Er lacht jetzt wieder. Ich merke es - er will mich einfach nur
ärgern.
"Tom, ohne das Web und diese fragheads gäb's deine Düfte
nur in 10 Läden...das nennt man "niche", sagt Hedi und
tätschelt Toms Knie.
"Ich und Nische? Das ist ein Widerspruch in sich!", erwidert
Tom. Mit Verlaub - ich war schon immer ein Erfolgsmagnet.
Und Erfolg steht nie in der Nische, sondern im Zentrum -
where else?"
"Apropos else", werf' ich keck ein, "meine Tante Else trägt
auch Tuscan Leather... ist das o.k. für dich?"
Hedi grinst und ist ebenfalls auf Toms Antwort gespannt.
"Sure! Meine Parfums sind nicht nur uni-sex, die sind all-sex,
universal-sex, alien-sex und endless-sex und..."
"Und deine Mode? Folgt die dem gleichen Gedanken?",
frage ich schlau.
"Die ist - zeitlos. Total zeitlos."
Eine kurze Pause entsteht, so lang wie ein Kaschmirfussel
braucht um von einem Schneidertisch zu fallen.

"Meine ist mehr als zeitlos", bemerkt Hedi, "inspiriert aus
der Vergangenheit, dabei total heute und bereit für demain."
"Schön gesagt", lobe ich ihn. "Also genaugenommen Mode
für die Vergegenkunft."
"Mein Deutsch ist nicht soo gut, aber wird schon stimmen,
das gilt besonders für die Sachen, die ich für Celine mache..."
"Und meine ist genauso, wie Tuscan Leather riecht -
irgendwie nicht richtig definierbar, aber unwiderstehlich",
sagt Tom.
"Ja, da ist was dran", murmelt Hedi, "etwas synthetisch,
etwas monoton, nicht sehr kreativ - aber leider saugut..."

"Ich glaub' ich nehm' noch so ne Bulette", sagt Tom,
jetzt anscheinend wieder in bester Laune.
"Ich glaub ich nehm den Fifty-Fifty-Joker", sagt eine
Frauenstimme.
"Das scheint mir auch klüger", antwortet Herr Jauch.
Es macht "Plong" und 2 Antworten fallen weg.
"Dann nehm' ich C..."

Ich stutze kurz.
Und recke und strecke mich.
Mal wieder vor der Glotze eingeschlafen.
Das normale TV-Programm ist besser als Valium.
Und Träume sind Iso E Super.
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Siebenkäs vor 2 Jahren 22 16
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9.5
Duft
Stray Cat Strut.
Gestatten meine Name ist Francois. Kater Francois.
Da mich einige noch nicht kennen, will ich kurz etwas über
mich erzählen.
Ich lebe meist in Paris und bin durch meine alte Freundin
Choupette auf euch gekommen. Meine natürliche
Bescheidenheit erlaubt mir nicht, weitere Details zu meinen
Vorfahren zu erwähnen. (als da wären mein berühmter
Urururururgroßvater Kater Murr, mein Ur8-Onkel Tim, der schon
bei der Schlacht von Katerloo rühmlich aufgefallen war
oder meine Urururgroßtante Kate, die mit der Erfindung des
Catwalks Miauden von Dollars verdient hat)
(Mancher mag das alles nicht glauben, obwohl das alles mittels
Katerschaftstest leicht zu beweisen wäre)
Aber genug.

Ich bin beileibe kein bürgerliches Tier.
Nein, das Streunen, das Sich-treiben-Lassen, das Überall-
und Nirgends-zu-Hause-sein - kurz das Abenteuer ist mein
Naturell. Ich bin da ganz wie ein unzähmbarer Wind.
Womit wir uns dem Thema nähern.

Denn - die Menschen mögen nicht gut sein und verantwortlich
für viele Katerstrophen, aber einem ist etwas wunderbares
gelungen: er hat es geschafft, den mir seelenverwandten Wind
Mistral oder auch Maestrale, der vom Süden des Landes bis nach
Korsika und Italien weht, in einer kleinen Flasche einzufangen.
Natürlich nur einen Bruchteil davon - aber dennoch.
Man braucht nur auf einen Knopf zu drücken - schon kommt
er heraus. Und riecht dabei fein wie ein Parfum.
Ein lieber Mensch, der auch viel herumreist, schenkte mir ein
Fläschchen davon. (übrigens ein wunderbarer Musiker, wie
mir ein Freund, der Kater Holzig, versicherte)

Täglich verwende ich seitdem dieses Windparfum, sein Duft
begleitet mich auf all meinen Streifzügen.
Es beginnt am frühen Morgen, wo ich es als Kater Shave
benutze. Mich macht die frisch-trockene Note, mit der er
losbläst, einfach munter, dieser feine Rhabarberhauch mit
südlichem Gewürz- und Kardamomduft und einer Kaffee-
Ahnung. Da freu ich mich gleich aufs Katerfrühstück.
Später, wenn der Duft an wilde Kräuter und trockene, leicht
harzige Hölzer in der Sonne erinnert, aber immer noch morgen-
frisch wirkt, beginn' ich mein Tagwerk und mach mich auf die
Tatzen.
Klar - es zieht mich in Abenteuer und Gefahr, aber zunächst
starte ich in der Rue de Sèvres bei Arnys, wo sich schon
Cocteau einkleidete und lass mir von Monsieur Mentenez
ein wenig das Fell kraulen. Gern nehm' ich ein paar in Butter
geschmorte Krabben dazu, die er mir bisweilen kredenzt.
Von hier geht mein Weg weiter auf die andere Seine-Seite,
bis in die Rue Marbeuf (meist geh' ich den Umweg über die
Rue Montaigne, da ist das Pflaster etwas feiner und schont
meine samtigen Pfoten).
Ich muss gestehen, bei aller Wildheit hab' ich doch ein Herz
für die Couture, liebe es Schaufenster und Modekaterloge zu
studieren und uptocat zu sein.
Mittlerweile entfaltet sich Maestrale weiter - die sanfte Frische
wird ernster, Meeresanklänge von Treibholz und Seeräuber-
romantik tauchen auf, Zedernholz verbindet sich mit Wiesen-
klängen, sind es Seewiesen, wo Seekühe Koriander kauen?
Ich muss wieder an Piraten denken, an wertvolle, geraubte
Gewürze, aber auch an Sturm und die Romantik der Heimat-
losigkeit. All das bleibt aber stets eingehüllt in diese sanfte,
trockene Frische, fein wie ein Kaschmirtuch von Charles
Bosquet, vor dessen Schaufenster ich mittlerweile stehe.
Eine zarte Ahnung von Nelke, vielleicht auch ein paar herbei-
gewehte Blüteneindrücke kann ich jetzt ebenfalls schnuppern,
sie wehen mich wie eine gleichzeitig liebliche und aromatisch-
würzige Brise zu meinen nächsten Stationen - Berluti,
mit seinem britischen Flair, Cifonelli, von dem ich mir gern
einen Anzug aufs Fell schneidern lassen würde und Crimson,
wo bisweilen nette Musik läuft, z.B. eins mein Lieblingsstücke
von Cure, Katerpillar.
Bevor ich jetzt aber ernsthaft in die abenteuerliche und
gefährliche Ferne strebe, wird es Zeit fürs Mittagessen.

Und das such' ich mir nicht, wie einige meiner Kollegen, in den
Katerkomben von Paris, nein, da weiß ich Besseres.
Am liebsten diniere ich bei Divellec, seine Langoustines
de casier sind unvergleichlich, genau wie die Brandade
de cabillaud.
Ich habe hier Freunde in der Küche - und ziehe mittlerweile
deren Gaben jedem Menu Surprise aus der poubelle vor.
Sicher mögen auch sie meine dezente, aber wunderbare Duft-
Aura. Mittlerweile ist zur Holzigkeit noch eine zart-moosige
und dunkelgrüne, immer noch frisch, aber auch dunkel wirkende
Farbe dazugekommen, vielleicht auch ein wenig stabilisiert durch
einen Hauch Vetiver und Moschus. (Woher ich das weiß? Ich bitte
euch - ich bin ein französischer Kater!) Gerade sie passen so gut
zum Wind, weil sie mit einer gewissen melancholischen
Cremigkeit von Ferne und Sehnsucht erzählen.
Mir jedenfalls.
Nicht zu vergessen der Lavendel, der immer wieder eine Rolle
spielt, ein windgebeutelter Lavendel aus den provencalischen
Bergen, der eine gewisse Eleganz und Noncatlance versprüht.
Irgendwie erscheint mir der Duft wie eine Beständigkeit im
Unbeständigen. Etwas, das sich über das Schwere lustig macht.
Solange der Wind nicht weht, ist selbst die Daunenfeder von
ihrer Schwere überzeugt. So sagt man doch.
Aber ich kenne keine Schwere, keine Bodenständigkeit, keine
Behäbigkeit, keine verwöhnte Verweichlichung.
Where ever I lay my head, that's my home.

Aber nachmittags brauch' ich noch ein Schälchen Milch, am
liebsten im Les Deux Magot. Da träum ich dann von meinen
nächsten Reisen.
(Vielleicht ja mal nach Deutschland? Ich wollte immer mal nach
Katzel zur Documenta oder den wilden Karneval erleben in
Maunz am schönen Rhein. )

Wenn es dann langsam Abend wird und Paris mit seinen
Lichtern mein dunkles Fell zum Changieren bringt, (ihr müsstet
das mal sehen!) finde ich meinen Platz für die notwendige
Ruhe, die man für neue Abenteuer benötigt.
Am liebsten an der Place Vendôme. Hier schlüpfe ich durch
ein tiefliegendes Fenster ins Hotel Ritz und genieße den
Drydown mit seiner ruhigen, immer noch würzig-frischen,
aber jetzt immer cremiger, ja fast ein wenig pudrig
werdenden Aura in einer leerstehenden Suite, wo ich dann
auch für den nächsten Tag strategisch schön nah an einem
der besten Frühstücksbuffets der Stadt aufwache (bis auf die
Sahne, die scheint mir im Plaza Athénée etwas cremiger).

Manchmal, ganz manchmal, spiele ich mit dem Gedanken,
irgendwo sesshaft zu werden und all den Abenteuern und
Gefahren abzuschwören. Ja, vielleicht sogar eine nette Katze,
jemand wie Choupette, zu heiraten und...
Aber dann zieht es mich doch wieder hinaus ins Ungewisse,
in Gefahr und Abenteuer, Ungewissheit und Risiko -
ich muss einfach wieder weg, wie der nie endende Wind,
der vor seinem eigenen Schatten flieht.
16 Antworten
Siebenkäs vor 2 Jahren 36 20
9
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
9
Duft
Gegengift.
Ihr war, als ob der Wind etwas gesagt hätte.
(Besserer Blödsinn - hätte das vermutlich ihr Galerist
kommentiert)
Rund 6200 Kilometer lagen jetzt zwischen ihr und New York.
Und dazu fast zwei Wochen.
Nur in ihrem Kopf war sie noch nicht zurück.
Ein halbes Jahrzehnt in der Stadt, die angeblich nie schläft.
(was Touristen-Schwachsinn ist)
Die ersten Jahre hatte sie genau wie die meisten Künstler
in der Stadt sogar sehr viel geschlafen, einfach, weil man
ohne Geld nicht viel machen konnte, außer arbeiten.
Und weil man den Hunger im Schlaf nicht so spürte.

Erst mit dem Erfolg zeigte die Stadt langsam ihr glamouröses
Gesicht. Vernissagen, Einladungen zu potentiellen Sammlern,
zugedröhnte Clubnächte.
Fast drei Jahre im gefährlicheren Teil von Brooklyn hatten sie
allerdings misstrauisch gemacht. Hellwach, irgendwie immer
auf dem Sprung. Gestörter Tag-Nacht-Rhythmus sowieso.

Und jetzt war sie hier.
Hinterster Hunsrück. Bisschen wie in „Heimat“.
Das Haus eines Freundes, der in London war.
Genug Leinwände, Farben und Material für eine neue Art
von Bildern, die nicht unter dem Einfluss der verlogensten
Stadt der Welt entstehen würden.
Aber sie fühlte es - sie stand immer noch unter diesem Einfluss.
Unruhig, unstet, unfähig, ihre Umgebung so zu nehmen,
wie sie war. Unfähig, aus reiner Lust zu malen.

Sie spazierte durch den Garten, der bis an den Waldrand reichte.
Hohe Tannen, Buchen, Eichen. Eindrucksvolle Skyline, dachte sie.
Ein Eichhörnchen sprang prompt von einer der Tannen herab,
ihr fast vor die Füße.
Na, da oben zahlste sicher ganz schön Miete für dein Penthouse,
dachte sie.
Dann sah sie sich den Garten genauer an.
Eine kleine wilde Wiese, Sonnenblumen, ein paar Beete.
Unter einer alten Tanne ein kleiner Holztisch mit einem
Bänkchen.
Wenn man da saß, sah das Haus aus, als wäre es aus einem
Märchenbuch gefallen.
Und viel Platz, um die Staffelei hinzustellen.
Aber sie wusste – diese Ruhe, diese vorwurfsvolle Natur…
das würde nix mit ihnen beiden. Hier gab‘ nichts zu malen.
Vielleicht einfach zu viel Schönheit?

Im Haus war’s nicht viel besser.
Alte Öfen, viel Holz, Forsthaus-Stimmung.
O.K., ein paar starke Bilder an den Wänden,
sogar ein Baselitz.
Und auch hier viel, viel Platz.
In New York würde so viel Fläche locker 20.000 Dollar
kosten. Monatlich. Eher mehr.

Auf dem Küchentisch stand ein Päckchen mit einem Zettel.
„Öffnen und einsprühen“ stand darauf, sonst nichts.
Mechanisch folgte sie und hielt kurz darauf einen hübschen
Flakon in der Hand. „Tam Dao“ las sie laut.
Es hallte seltsam nach.
Ohne nachzudenken sprühte sie sich etwas auf die Hand.
Und schnupperte.
Gut, warm. Süßlich? Roch nach Jetzt.

Sie sprüht weiter, Hals, T-Shirt, Arme.
Wartet, inhaliert.
Sie ist… ja wo ist sie?
Holzstaub, Werkstatt-Feeling, Waldarbeit, Sägespäne,
Cremigkeit, weiche, sanfte Antik-Möbelaura,
eine Art Holz- und Waldgeist-Balsam, vertraut und exotisch
zugleich, als hätte Dr. Kleinermacher dich in ein Märchenbuch
eingeschleust.
Etwas Grünes, kommt dazu, wie aus der Farbtube gequetscht,
vermischt mit den cremigen Holzfarben.
Eine seltsam tiefe, ruhige, leicht würzige Cremigkeit.
Bisschen wie Heimkommen, Tür zuknallen.

Der nächste Morgen mit Tam Dao.
Jetzt bemerkt sie zu Beginn auch ein zart-zitrische Frische,
die schnell wieder in einem Holzbett landet, kuschelt sich da
rein, womöglich Unzucht mit einem Hauch minderjähriger
Vanille?
Etwas Prickelndes. Assoziations-Weckruf. Kurzer Kokos-Eindruck.
Auch was Milchiges. Rahm abschöpfen.
Oder riecht Holz nicht zuweilen so?
Wie riecht Holz eigentlich?
Sandelholz ist der Hauptbestandteil.
(sagt ihr Google über Tam Dao)
Aus indischen Landen frisch auf den Tisch.
Oder aus Laboren?
Oder ist auch Zeder im Spiel?
Sicher noch mehr.
(Viel Farben können dennoch wie wenige aussehen,
bisweilen wie eine)
Jedenfalls - der Hunsrück riecht doch so ähnlich…
Ihr neuer Hunsrück jedenfalls.

Ein paar Zeilen fallen ihr, sie schreibt sie auf:

"Beginn' das Neuste zu verbreiten
ich hau heute ab
Ich will ein Teil davon sein
Wald, Wald.
Diese Vagabunden-Schuhe
sehnen sich nach streunen
mitten durchs Herz
Wald Wald
Ich will aufwachen im Wald
der niemals schläft
und merken ich bin König der Hügel
ganz oben auf dem Haufen.
Dieser Klein-Wald-Blues
Ich schmelze dahin...
Ich mach n' Neustart draus
im alten Wald
Wenn ich's da schaffe
schaff ich's überall
es liegt an dir
Wald Wald...

Passte das? Vielleicht.
Vielleicht war der Wald aber auch ganz anders.
Sie schnupperte an ihrer Tam Dao-Aura.

Umpolen / @
esc mit Sandelholz.
Egal. Egal-Holz. (besser als Regalholz)
Entspannend, entschleunigend, runterfahrend.
Aber nicht einschläfernd.
Bildschirm mit Holzbrettern sperren, Neustart.
Schnuppern. Meditieren? Na ja.
Immer langsam mit den jungen Pferden.
Abendstimmung.
Alles hängt irgendwie zusammen.
Keinschönerlandindieserzeit?
Kinderkram. Deshalb o.k. für sie.

Sie schläft diese Nacht ganz gut.

Sonnenaufgang ist jetzt vielleicht eine Stunde her.
5 Sprüher Tam Dao.
1.50 x 1.20 Meter Leinwand auf der Staffelei vor dem
Erdbeerbeet.
Ultramarine-blau, dicker Pinsel.
Angenehm fett und rücksichtslos klatscht
die Farbe auf die weiße Fläche.
20 Antworten
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