Siebenkäs

Siebenkäs

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11 - 15 von 63
Siebenkäs vor 2 Jahren 30 24
8
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
9.5
Duft
Nocturne
Diese bescheuerten Berghain-Nächte.
Anselm konnte die Typen nicht mehr sehen und die Musik
nicht mehr hören. Er war ja nur wegen ihr noch geblieben –
irgendwie kam sie ihm seltsam bekannt vor, fast wie aus einem
anderen Leben. Sie hatte sich ihm nur kurz vorgestellt als
„das Freifräulein Lena von Hallmackenreuther“ und ihm dann
eine kleine, wie sie sagte „homöopathische Kräuterkugel gegen
Ohrenpfeiffen“ gegeben. Er war davon geeilt, um ihr aus der
Panoramabar geschwind einen Bailey’s zu holen. (Mancher
Leser mag Anselm ja vielleicht noch aus den seltsamen
Geschichten zu Knize Two und Aromatics Elixir kennen)
Als er zurückkam, da war sie verschwunden.

Bald darauf stand er auf der Rüdersdorfer Straße, schlug sich
den Kragen hoch und bog auf gut Glück in die Wedekind Straße
ein. Es gab ein paar Lokale, wo er sie vielleicht finden könnte.
Nebel lag über Berlin, nur ein paar Krähen waren wie er noch
so spät unterwegs.
An der nächsten Ecke ging er Richtung Comeniusplatz und stand
plötzlich vor einer Kneipe, die er noch nie zuvor gesehen hatte.
Vielleicht ist sie genau hier - Mädels lieben doch neue Lokale,
dachte er.
Wacker öffnet er die Tür und trat flink ein.

Wenig Licht und wenig Luft gab’s hier und doch umwehte
ihn etwas Seltsames, so dass ihm mit jedem Schritt etwas
sonderbarer zumute wurde. Er setzte sich an den erstbesten
freien Tisch und lehnte sich zurück.
Da beugte sich jemand aus dem Wandschatten vor und
mit Schrecken stellte er fest, dass hier ja doch jemand saß.

„Ei, was will er denn um diese Stunde noch hier in der Schank-
stube, sucht er am End‘ gar wen?“, schnarrte die Gestalt.
Sie trug einen dunklen Pudermantel, nur einen Teil des Gesichts
konnte Anselm sehen, bärtig war es und ein paar seltsam
grünlich leuchtende Augen blitzten daraus hervor.
„Ich, äh, nein, gewiss nicht, nur…“
„Papperlapapp! Ich weiß ja, wen er sucht! Ich warne ihn!“
Bei diesen Worten hob er einen Zeigefinger empor, blaue
Flämmchen schossen aus ihm herfür und erloschen erst kurz
vor Anselms Brust.
„Weiß er denn nicht, dass Lena längst dem alten Geheimrat
Seidelbast versprochen ist, der reich ist wie ein Pfeffersack,
und dass jeder törichte Musikus und Compositör, wie er
einer ist, es mit mir zu tun bekommt, wenn er um sie buhlt…?“
„Ich weiß gar nicht, wovon Sie sprechen…“
Jetzt beugte sich sein Gegenüber zu ihm vor, das Leuchten
seiner Augen wurde fast blendend – da trat eine weitere
Gestalt an den Tisch. Sie trug einen geblümten Morgenrock,
und Anselm erkannte sie trotz seiner Aufgeregtheit sofort -
niemand anders war‘s als sein guter Onkel Nelson G, den er
irgendwie fast vergessen hatte, obgleich er ihn sehr mochte,
auch wenn er zuweilen seltsam wirken mochte, ja manchmal
gar wie ein Magus.
In der Hand hielt er einen eckigen Flakon, aus dem er nun
einige Mal munter in die Luft und auf ihn sprühte.

Ein wundersam warmwürziges Odeurchen breitete sich rasch
aus, ein wenig süß, ein wenig auch an Wald und Holz erinnernd.
Es lag etwas Verspieltes und etwas Ernstes darin, etwas Vertrautes
und zugleich Fremdländisches, wie ein eingeschlossener Zauber,
der jetzt frei heraus durfte.
Dem Unheimlichen behagte das gar nicht, murrend stand er auf
und zog sich in die Tiefe des Lokals zurück – dabei zischte er
„Das werd‘ ich ihm schon noch heimzahlen, wart‘ er’s ab…!“
„Schnickschnack, troll‘ er sich nur“, rief der Onkel und lachte.
Der Duft erfasste Anselm immer mehr, es ward ihm warm ums
Herz, die Furcht verblasste ganz. Ein wenig Zimt glaubte er wahr-
zunehmen, etwas feine Gewürznelke und dann wieder eine
geradezu betörende Blumen- und Rosennote, wie von feinsten
Schlossrosen, die er einst zu einem Strauß gebunden hatte.
Auch ein ruhiges märchenhaftes Tannenaroma mischte sich
in den merkwürdigen Duftdunst, der stärker war als der ganze
Kneipenmief. Nach nahem Herd mocht‘ es wohl riechen und
nach fernen, exotischen Ländern, nach Abenteuern und gar
nach schönen Damen aus 1001er Nacht.
„Ach, Onkel“, sprach er, „wie gut dass ihr da seid! Seid ihr wohl
gekommen um mir diesen trefflichen Duft zu überlassen?“
„Was würde er denn schon damit anfangen können, als der
kleine Schalksnarr, der er nun einmal ist und bleibt?“
„Ich könnt‘ aber doch vielleicht das Fräulein Lena damit
gewinnen, ich sprüh’s mir etwan auf den Shawl und überlass‘
ihn dann ihr, dass sie an mich denkt und in Lieb‘…
„Ach was, törichte Possen! Ein dummer Kinderglauben ist‘s,
mit Duftparföngs Frauenzimmer gewinnen zu können.“
„Aber, lieber Onkel, ich dacht‘ ja nur, weil auf eurem
Fläschlein „J H L“ steht, was ja doch wohl nur heißen kann:
„J-a H-eirate L-ena!“
„Die drei Buchstaben – sie mögen allerlei bedeuten, für dich
heißen sie aber „J-eden H-eilt L-iebe“, sagte der Onkel,
„und zwar in deinem Falle am ehesten die Liebe zur Musik.
Ich werd‘ dir aber etwas verraten…“ Er sprach jetzt recht
eindringlich und voller Wärme zu ihm.
„Ja, bitte, guter, bester Onkel, sprich nur…“
„Nun - lass den Duft nur auf dich wirken und saug‘ aus ihm
die trefflichsten Ideen für eine Composition auf der Laute
oder dem Pianoforte – und diese schenke dann nur deiner
Herzensdame!“
Mit diesen Worten übergab er ihm den Flakon.
„Oh, das klingt gut…“, rief Anselm voller Feuer und sprühte
sich gleich noch tüchtig etwas auf den Wams.
„Magst du denn meinem Rate auch alsbald Folge leisten?“
„J-a, H-ab‘ L-ust!“, antwortete Anselm zur seiner eigenen
Verwunderung, „das mögen wohl die Lettern heißen.“
„J-etzt H-urtig L-os!“, erwiderte der Onkel und lachte.
Anselm stand auch brav auf und ging zur Türe, wo er sich noch
einmal umdrehte, um seinem Onkel zu winken. Aber der war
schon verschwunden, am Tisch saßen lediglich eine Meerkatze
und eine Eule, ganz ins Kartenspiel Doppel-Oud vertieft.
Von seiner Brust stieg erneut eine Duftwelle empor, irisierend,
zimtig, würzig, pudrig, wild und dabei weich und rund, sowohl
von feiner Süße als auch wieder ins Herbe wechselnd, holzig
und blumig-rosig vermischend, durchzogen von Vanille-Rauch,
der wieder umsprang zu nach Birken duftendem Balsam und
milchigem Sandelholz-Aroma, ganz wie in einem Caleidoscpium.

Kaum dass er die Türklinke berührte, wurd‘ ihm noch sonder-
barer zu Mute als es beim Eintreten der Fall war, aber er ging
doch rasch über die Schwelle. Ein Weltkriegs-Rauschen, Klingen,
Staub, Taufwasser lief in den Kindergarten, er durfte den Tisch
decken und stolz sein die Kommunionsuhr bist du groß geworden
zeigte sein Abitur schon Kinorücksitzknutschen erste Wohnung
Krach Stimmgerät Quietsch Wirrwirbel…

Und dann stand er wieder draußen.

Als er die Straße hinab stapfte, da setzte wie eine weich
eingeblendete Melodie ein sanfter Regen ein, erzeugte auf der
Markise eines Sonnenstudios einen fein synkopierten Rhythmus
und zeichnete kleine Muster auf das Pflaster, wie Noten sahen
sie aus, leicht und elegant und nur scheinbar willkürlich.
24 Antworten
Siebenkäs vor 3 Jahren 37 22
8
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft
In geheimer Mission.
Vorsichtig schob er den Warp-Regler der Z-51 auf 1982.
Ein sanfter Ruck war die Folge, sonst schien wenig zu
passieren. Er lehnte sich in den mittelbequemen Ledersitz
zurück und nahm sich ein paar Erdnüsschen aus der
mittel aufregend designten Mittelkonsole.
Fast drei Jahre machte er jetzt schon diesen Job. Immer
noch fürs gleiche Geld, immer noch ohne erkennbare
Karriereaussichten. Und ohne jede Aussicht auf ein wenig
Ruhm. Nicht mal einen neuen Timeglider gaben sie ihm,
etwa den schnittigen Z-91c oder wenigstens den Z-71.
Nein, immer noch diese alte Gurke.
Und jetzt dazu dieser nicht gerade einfache Auftrag.
„ZINO rausholen“, hatte der knappe Befehl auf dem sich
selbst vernichtenden Bierdeckel nur gelautet. „Es droht
Gefahr für den Duftfrieden!“
Und er wusste, was das bedeutete.
Er machte das ja nicht zum ersten Mal.
Weshalb er auch wusste, dass dieser ZINO kein einfacher
Fall war.
Die Landung verlief einigermaßen sanft, nur den genauen
Zeitpunkt konnte er nicht ablesen, da die Borduhr schon
lange festhing, sie zeigte nur die Jahrezeit – Herbst.
Der Landepunkt war gut gewählt – er versteckte die Z-51
hinter einem Hollerbusch und schaltete die Tarnoptik ein.
Kurz darauf schlenderte er lässig eine kleine Geschäftsstraße
hinunter, bekleidet mit einem roten Knautschlackmantel
und Fransenstiefeln. Na ja, eher 70er, die Ausstattungsstelle
für Zeitagenten war auch nicht mehr, was sie mal war.
Zum Glück hatte er ein mittels Quellen, die hier noch nicht
mal angedeutet werden dürfen, ein Dossier erstellt, dass ihm
jetzt helfen sollte, ZINO zu finden.
Schneller als erwartet fand er die Diskothek „Marquis“,
über der die kleine Wohnung lag – ZINOs geheimer
Schlupfwinkel in diesem Zeitwinkel.
Über den Hinterhof ins Treppenhaus, erster Stock, kurz Ohr
an die Tür, lautlos und schnell das Schloss öffnen – Routine.
Und dann hinein. Zwei Räume. Schnell gecheckt.
Ausgeflogen der Vogel.
Er hatte es im Grunde nicht anders erwartet.
Aber – sein Geruch lag noch in der Luft. Und das war viel wert.
Er hatte ihn lange genug studiert um seine Bestandteile
schnell zu erkennen. Da waren klar Elemente der fruchtig-
würzigen Eröffnung, die aber schon eine Ahnung von dunkler
Rose, auch von Rosenholz verriet. Und jetzt, hier im Jahr 82,
war auch etwas von einer bitteren Note zu ahnen, die man
ihm in der Zentrale als „Kamel bis Kamelschweiß-verwandt“
angekündigt hatte. Er hatte das für übertrieben gehalten und
fand es auch jetzt theatralisch überhöht. Ja, da war etwas Zart-
bitteres, aber doch nichts wirklich Animalisches. Im Gegenteil -
er vernahm sogar einen Barbershop-Vibe, nicht vordergründig,
aber mitspielend im Ganzen, geprägt von Lavendel und gut
balancierter Bergamotte. ZINO schien ihm noch ungewöhnlicher,
als er erwartet hatte – er spielte souverän herum, gab sich
zugleich als orientalisch und britisch im Sinne von holziger,
Vintage-würziger Gentlemen-Club Atmosphäre aus. Locker.
Und weltläufig. Ja das war das Wort.
Und sein Grundcharakter verwandelte nicht ungewöhnliche
Anlagen – Patchouli, Sandelholz, Zeder, etwas Vetiver -
in eine einzigartige, weich-würzige Aura, die von irgendwoher
etwas Süße erhielt. Woher genau - das blieb rätzelhaft, aber
diese leicht süß-pudrige Eleganz war seine eigentliche
Geheimwaffe. Mit Begriffen wie Benzoe oder Tonka nicht so
einfach zu erklären. Wie so oft war hier das Ganze mehr
als die Summe der Einzelteile.
Nur leider half das alles nichts.
Er musste ihn irgendwie finden.

Ziemlich ratlos stand er wieder auf der Straße.
Da tippte ihm jemand von hinten auf die Schulter.
Vorsichtig drehte er sich um – und grinste.
Er hatte schon vermutet, dass sie noch jemanden hinterher
schicken könnten, aber nicht so schnell.
Und nicht sie.
Es war Barbie Q – die zwar noch nicht lange als feste Zeitagentin
für die Zentrale arbeitete, aber als knallhart galt.
Als freie Agentin hatte er schon öfter mit ihr zu tun gehabt.
Schwarzer Leder Catsuit mit breiten Schulsterpolstern,
weiße Fiorucci-Schuhe und Aerobic Knöchelwärmer.
Stand ihr gut.
„Hallo Stanley… schön dich zu sehen.“
„Hi Barbie…“
Sie roch nach Cuir de Russie, perfekt verblendet mit etwas
Rostbratwurst.
„Deinen letzten Job hast du nicht übel erledigt“, sagt er.
Sie schenkte ihm einen ihrer berühmten Perl-Lächler.
„Danke!“
2 Monate war sie bei der Ifra eingeschleust und lebend wieder
rausgekommen. Und zwar mit wertvollen Informationen.
Mit einem Mal fuhr sie ihm mit der Nase an den Hals, schwenkte
darüber, erst eine Seite, dann die andere, wieder zurück -
es dauerte höchstens eine Minute. Oder vielleicht zwei.
Höchstens drei.
„Aramis 900…“, sagte sie, „Geschmack hast du ja.“

„Kann ich mal ihre Papiere sehen?“
Sie hatten ihn gar nicht bemerkt, den Uniformierten, der sich
jetzt bullig vor ihnen aufpflanzte. Er begann mit Stanley.
„Name?“
„Mein Name ist Drauf. Stanley Drauf.“
„Wie schön für Sie, ständig drauf zu sein…“
„Witzbold!“
Am liebsten hätte Stanley ihm sofort ein paar Doubletten
verpasst. Aber der Typ sah etwas kräftig aus. Und natürlich
spürte er sofort, dass dies kein echter Bulle war.
Falsche Naht an der Hose, verräterische Schnürsenkel. Mieser
Fake-Eichenmoss-Geruch. Zum Glück waren diese Ifra-Agenten
in mancher Hinsicht nicht schlauer als Knäckebrot.
Und dann ging alles sehr schnell.
Blitzschnell sprühte Barbie dem Bullen etwas Kouros ins
Gesicht, der sackte gleich zusammen.
„Da – er hat ihn im Auto!“, rief sie und hechtete auch schon
davon.
Sie war leider gut.
In wenigen Sekunden hatten sie ZINO befreit und waren
auch schon wieder an der Z-51, die als kaputter Einkaufswagen,
gefüllt mit leeren Farbdosen, getarnt war.
Die Rückfahrt war angenehm, denn die Z-51 war eher eng.
Kaum zurück in der Gegenwart, fertigten sie zusammen das
Duft-Dossier für die Zentrale an:
„ZINO-Profilnotiz Normalnull/Jetztzeit:
Bergamotte-Noten untermalt von dunklen Rosen,
etwas Lavendel und Salbei frischen auf, etwas leiser im
Einstieg als im Rückführjahr, aber nicht schwach.
Bald erste Orientalik auf ganz eigene Art.
Sandelholz- und Zeder-Weichheit.
Mit Patch und Vanille verschmilzt alles zu einer herb-süßen,
fast buttrigen Aura, zeitlos cosy und unbehäbig-gemütlich.
Ein unverwechselbarer Charakter. Eher sexy als sediert.
ZINO lebt!“

„Nicht schlecht…“, sagte Nr.2, als sie ZINO in der Zentrale
präsentierten, „wirklich nicht übel.“
Und das war nun wirklich das höchste Lob, das von ihm
zu haben war.
„Macht einen guten Eindruck, der Junge…“, ergänzte er,
„nicht gerade modern, fast schon altmodisch, aber noch gut…“
„Nur wenige Dinge sind so altmodisch, wie der Wunsch,
modern zu sein“, murmelte Stanley. Aber nur ganz leise,
denn er wollte seinen geplanten Luxusurlaub mit Barbie Q
nicht auf‘s Spiel setzen. Er wusste schon genau, wo es hin
gehen sollte. Er kannte da ein Erlebnisbad im Sauerland.
Mit künstlichen Hollerbüschen. Dekadent auf der Liege
lümmeln… Fritten holen… Barbie mit Vol de Nuit den Nacken
massieren… Fassbrause schlürfen…
„Stanley…?“
Nr. 2 riss ihn jäh aus seinen Träumen.
„Äh…ja…?“
„Grad kommt ein sehr dringender Fall rein! Seien Sie morgen
Abend im Gasthaus „Maulwurf“. Alles weitere auf Bierdeckel!“,
riss ihn Nr. 2 mit metallischer Stimme aus seinen Träumen.
„Aber ich wollte…“
„Nichts aber! Es geht um die westliche Welt, wie wir sie
kennen. Ich sage nur Mu… nein, ich sage lieber gar nichts,
wer weiß, ob nicht sogar hier die Wände Ohren haben...“
Barbie stieß Stanley sanft in die Seite.
„Schon gut, Nr. 2, er wird da sein!“
22 Antworten
Siebenkäs vor 3 Jahren 29 19
9
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
9.5
Duft
Aufbruch.
Seltsam, wie anders die Rue du Thouron an diesem Morgen
wirkte.
Jetzt, wo sie sich entschlossen hatte, all das hinter sich zu
lassen, sahen die vertrauen Wege auf einmal so anders aus.
Die ganze Stadt kam ihr noch kleiner als sonst vor.
Den Boulevard du Jeu de Ballon überquerte sie schnell und
ein Stück unterhalb der Schule, an der sie schon in wenigen
Wochen anfangen sollte.
Aber dazu würde es nicht kommen, sie hatte ihre eigenen
Pläne. Und dazu zählte nicht, in die Fußstapfen ihres Vaters
zu treten. Oder sich von der uralten Tradition des Städtchens
einfangen zu lassen.
Sie wollte frei sein. Ihre eigenen Erfahrungen machen und sich
die Welt oder doch ein Stückchen davon um die Nase wehen
lassen.
Mit der Nase hatte sie die Welt schon immer am liebsten
entdeckt. Als kleines Mädchen mit ihrer Mutter auf den Lavendel-
feldern oder in den Hügeln von Tanneron, wenn die Mimosen
blühten, in der Küche der Großmutter beim Backen, in den
Straßen und Geschäften, in Kellern und Kirchen, an Kleidern,
Büchern, Buntstiften, an Blumen und Bäumen wie an Möbeln,
und auch im Arbeitszimmer ihres Vaters.
Wer weiß – vielleicht würde sie sogar Musikerin? Erst mal
nach Paris, dann weiter nach London, wo im Moment so
viel Neues passierte, wo aus Punk New Wave wurde.
Ihr Rucksack kam ihr nicht schwer vor, sie hatte ja nur das
Nötigste eingepackt und dazu ihre gesamten Ersparnisse dabei.
Entspannt steckte sie die Hände in die Taschen - und fühlte
etwas Kleines, Rundes, das sich irgendwie vertraut anfühlte.
Sie zog es hervor und hielt es auf der flachen Hand ins
Morgenlicht. Ein kleines Parfumröhrchen, auf dem in
feinen Lettern „Mitsouko“ stand.
Natürlich sagte ihr das etwas. Aber, obwohl sie viele Parfums
kannte, war sie nicht sicher, ob sie dieses schon mal
gerochen hatte. Wie kam es nur in ihre Tasche?
Etwa Alain…? Doch, das konnte schon sein, er hatte sie in
letzter Zeit öfter angesprochen und außerdem passte so was
ganz gut zu ihm.
Und es passte zu ihrer Lust auf Neues, zu ihrer euphorischen
Stimmung.
Mit lockerer Hand sprühte sie sich etwas rechts und links
an den Hals.
Ein leicht zitrischer, ein wenig fruchtiger und irgendwie
prickelnder Duft stieg ihr in die Nase und verband sich perfekt
mit ihrer freudigen Aufgeregtheit.
Sie stand jetzt an der Bushaltestelle – denn sie hatte sich
für die preiswertere Variante entschieden - es dauerte
länger, aber der Zug nach Paris kostete das Doppelte.
Eine leichte Herbheit machte sich jetzt in der Duftwolke
bemerkbar, auch etwas Rau-Blumiges und Pflanzlich-Würziges,
das merkwürdig mit der leichten Wehmut harmonierte, die
in ihr aufstieg, während sie auf den Bus wartete, der sie
weit wegbringen sollte von allem, was ihr vertraut war.

Sie saß am Fenster, ganz hinten im Bus, der jetzt durch die
bergige, von der Morgensonne überglänzte Landschaft glitt.
War ihre Entscheidung richtig? Die Frage tauchte in ihr auf,
ohne, dass sie es wollte. Paris kannte sie nur wenig und
London überhaupt nicht. Beide Städte waren unendlich viel
größer als ihre kleine verträumte Heimatstadt.
Eine fast strenge Würze mischte sich jetzt unter die Blumen,
bei denen sie auf Flieder tippte, dazu auf Jasmin, etwas wilde
Rose wohl auch.
Überhaupt herrschte schöne Unordnung im Duft, denn die
Fruchtigkeit hatte sich bald als Pfirsich oder auch Pfirsich-
kompott mit Zimt herausgestellt.
Und zwar vermischt mit den ungezähmt wirkenden Blumen.
Die Würze, die an trockene Kräuter erinnerte, verwies
die Blumigkeit bald in ihre Schranken, so dass ihr der Duft
jetzt fast männlich vorkam.
Nein, da war nichts Lieblich-Versöhnliches, kein „Na gut,
ihr wisst schon was das Beste für mich ist…“
Natürlich war ihre Entscheidung richtig. Sie würde ihren
eigenen Weg gehen. Und nicht brav auf diese Schule, nur
weil schon ihr Vater bei Roure war und überhaupt jeder
zu wissen schien, was gut für sie war.
Mit einem Mal meldete sich der Pfirsich zurück.
Fast balsamig wirkte er jetzt, die Blüten und Gewürze wirkten
weniger streng, weniger autoritär, offener.
„Du hast das doch selbst unter Kontrolle“, schienen sie zu
sagen, „du kannst das, du wirst es ihnen zeigen.“

Irgendwann war sie eingenickt, das gleichmäßige Schaukeln
und die kraftvoller gewordene Sonne hatten ihre Wirkung
getan.

Als sie die Augen wieder aufschlug, wusste sie erst weder,
wo sie war noch wie lange sie geschlafen hatte.
Dann entdeckte sie ein Schild: Paris 625km. Kein Hinweis auf
den nächsten Ort, aber die exakte Entfernung in die Hauptstadt.
Als ob alle Wege nur ein Ziel kannten.
Sie fühlte sich jetzt ausgeschlafener, aufmerksamer.
Und auch der Duft schien ihr noch munterer.
Da war etwas zu erkennen, dass sie in einem Parfum so
nicht kannte. Es war wie etwas Lebendiges, eine Spannung,
die aus Kontrasten entstand.
Man konnte es nicht kontrollieren, das Parfum schien das
selbst zu tun.
Da war die fast barsch-herrische Strenge, herb-würzig, rau,
ungezähmt. Und eine balsamisch-weiche, mal moosige,
mal vanillig-holzige, auch kandiert-fruchtige, anschmiegsame
Tiefe, vor der sich Rauheit und Strenge relativierten.
Mal schien eines, mal das andere zu dominieren.
Obwohl ihr die balsamisch-weiche Seite die Liebere war,
fand sie Mitsouko unglaublich. Sie fühlte, dass der Duft
vielleicht nicht ganz ihr Herz erobert hatte, aber zu 100%
ihren Kopf. Und ihr war klar, dass viele mit Mitsouko
Schwierigkeiten haben könnten.
Sie allerdings konnte das Ganze überblicken und so die
kunstvolle, raffinierte Qualität der Komposition mühelos
erkennen.
Sie näherten sich Montélimar. Wie der Duft hatte die
Landschaft liebliche und schroffe Seiten.
Galt es nicht für so vieles?
Dass ein Parfum so etwas ausdrücken konnte, war ihr neu.
Es spielte mit hell und dunkel - was nicht hieß gut und schlecht.
Beides war gleichwertig, wie Tag und Nacht.
Hatte es so einen Duft schon mal gegeben?
Sie kannte vielleicht nicht genug Parfums, um es zu wissen.
Aber sie spürte eine große Lust, selbst neue Duftwege
auszuprobieren. Gingen nicht zu viele Parfums, meist von
Männern ausgedacht, immer die gleichen Wege?
Könnte man nicht versuchen einen Duft zu schaffen,
der sich noch mehr auf die dunkle Seite schlug – nicht böse,
sondern spielend mit weicher, umhüllender Tiefe,
wie es manche Vetivers oder Hölzer konnten, dunkel,
aber auch glänzend, wie die Nacht an einem See oder
irisierende schwarze Tinte. Und gab es nicht noch mehr
Möglichkeiten? Sensitive Düfte, mit Eigenleben, Düfte,
die mit Klischees von weiblich und männlich spielten…
Sie griff nach dem kleinen Flakon und sprühte sich erneut
etwas auf. Sanft stieg der Duft zu ihr empor, fast frech,
prickelnd, aber harmlos tuend.
Mitsouko schien leise vor sich hin zu singen:
„Ich weiß, dass mehr in mir steckt…“
In Montèlimar rollte der Bus in eine Seitenbucht der Avenue
Jean Jaurès, wo er Aufenthalt hatte. Auf der gleichen Seite
gab es einen kleinen Laden, wo man sich Proviant holen konnte.
Die meisten Passagiere stiegen aus, auch sie erhob sich
von ihrem Sitz und trat hinaus in die warme,
südfranzösische Nachmittagssonne.
Den Rucksack hatte sie mitgenommen.
Sie warf einen kurzen Blick zu dem Laden, aus dem die ersten
Fahrgäste mit Baguettes heraustraten.
Dann warf sie sich mit Schwung ihren Rucksack über die
Schulter, überquerte die Avenue Jean Jaurès und ging
hinunter in Richtung Rue de Grèzes, wo die Haltestelle des
Gegenbusses war, der wieder zurück nach Grasse fuhr,
zurück in ihre Zukunft.
19 Antworten
Siebenkäs vor 3 Jahren 28 21
9
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
8
Duft
Pssst!
Endlich.
Nervös trippelst du von einem Fuß auf den anderen.
Die alte Steintreppe.
Das Haus deiner Tante, die fast genauso alt ist.
(sie lebt längst in einem luxuriösem Altersheim.)
Housekeeper - kein Wort, das dir gefällt.
Aber es mag stimmen.
„Ab und zu nach dem Rechten sehen.“
Egal.
Du stehst vor deiner Fluchtburg.
Get me out of this cage.
Den Flakon bewahrst du in einem Fake-Buch.
In der Bibliothek, neben den Buddenbrocks.
Mit nach Hause nehmen würdest du ihn nicht.
Niemals.
Bei dir zu Hause ist kein Platz für sowas.
Zu viel Effizienz. Läuft alles wie geschmiert.
Von wegen langer Marsch durch die Institutionen.
Erst mal haben sie dich befördert.
Dann noch mal. Und noch mal.
Und jetzt?
Führungsetage. Eckbüro. Wie in „Das Apartment“.
Aber du hast dir deinen subversiven Geist bewahrt.
Oder?
Jetzt schließt du die Tür auf.
Treppe rauf. In die Bibliothek.
-----
Du hältst sie in der Hand.
Geranium Odorata.
Fast nichts versprechender Name.
Fast alles haltender Duft
Fast ist dein Wort.
Du drückst ab.

Die Eröffnung ist wie eine Tür, die dich sogleich mit
zitrisch-herber Hand in den geliebten Garten hinein
führt. Hier ist alles, wie es schon in deiner Kindheit war:
der alte Tisch, der in einer verwunschenen Ecke auf der
hochwuchernden Wiese steht, halb überdacht von einem
wilden Rosenbusch. Der herb-frische Duft vieler Kräuter,
vermischt mit Minze und Pusteblumen fordert dich zum
Hinsetzen auf. Papier und Federkiel liegen schon bereit.
Du nimmst Platz und betrachtest den herrlichen Geranien -
strauß, der in einem schlafanzugfarbenem Krug auf dem Tisch
steht. Du tauchst den Federkiel in das kleine Fässchen mit
feinster Kardamom-Tinte und beginnst zu zeichnen.
Der Duft scheint deine Hand zu führen – seine leichte, hell-
grüne und aufmunternd frische Kinder-Garten-Aura mit
dieser runden Sandkuchenförmchen-Würze braucht dir
gar nichts mehr in Ohr zu flüstern – du weißt es auch so:
Alles ist gut.
Und wenn du fertig sein wirst mit Zeichnen und Spielen,
und vielleicht dich-auf-der-Wiese-wälzen, irgendwann,
wenn es dir passt, dann, klar, dann darf auch die Seife ins
Spiel kommen, die gute alte Rosenseife, und du sitzt dann
bald danach drinnen, am Esstisch und die Großmutter wird
die Suppenterrine öffnen und alles wird wieder stimmen.
Und irgendwann wird die beruhigend-erfrischende, mild-
blumige, kaum zeigefingerbittere, zart kindergewürzhafte,
vertraut-krautige und tröstliche Duft-Melodie leiser.
Mit Ihrem langsamen Verklingen findest du dich wieder
im Haus, ohne Kater, erst mal zufrieden, fast satt.
Die erstaunliche innere Balance, die der Duft besitzt,
scheint ein wenig auf dich überzugehen.
Jetzt kannst du wieder zurückkehren ins Normale.
Zu dem, was sie von dir erwarteten. Deinen Pflichten.
Und „Challenges“.
Was für ein grausliges, mißtönendes Wort.
Im Vergleich zu „Geranium Odorata“.
Aber das stört dich nicht allzu sehr, du bist ja wieder
für alles gewappnet.
Und außerdem – ganz haben sie dich noch nicht.
Im nächsten Meeting könntest du zum Beispiel mit einer
gutklingenden, ausbalancierten Begründung eine Gehalts-
erhöhung für alle jüngeren Angestellten durchsetzen.
Obwohl – der Moment wäre gerade nicht günstig
wegen der anstehenden Firmenbewertung. Dann eben
etwas anderes. Mehr Urlaub? Zur Zeit leider recht schwer
umsetzbar.
Aber dir würde schon noch was Gutes einfallen.
Und das würdest du dann durchboxen.
Irgendwann.
Oder?

21 Antworten
Siebenkäs vor 3 Jahren 39 29
8
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
9.5
Duft
Date.
Zum vielleicht 17.Mal drehte er den Kopf, um die
Eingangstür zu kontrollieren.
Nichts.
Jedenfalls keine hübsche Brunette mit Hut.
Nun ja, es war ja noch zehn Minuten zu früh.
Er entspannte sich. Hatte er nicht alles mit
Bedacht in die Wege geleitet? Das Lokal – erstklassig.
Eines, das preislich deutlich über seinem Level lag.
Aber für die erste Verabredung mit einer Frau,
die ihn bisher nur auf der Dating-App gesehen hatte, -
genau richtig.
Und den passenden Duft trug er auch.
Sorgfältig ausgewählt.
Er hatte sich extra auf einem Parfum-Forum angemeldet,
um möglichst viel über Düfte zu erfahren.
Wochenlang hatte er gelesen, voller Ernst.
Wie vor einer lebenswichtigen Prüfung.
Und jetzt hatte er sein Parfum.

Er erinnerte ihn an seinen Vater – diese gewisse, zuverlässige
Autorität, gepaart mit einer besonderem Humor, ja mit
einer gewissen rebellischen Attitude.
Und es roch einfach wundervoll – grün-herb und wiesenfrisch,
dabei ernst und heiter-gelöst zugleich, durch eine feine
verwegen-zitrisch-orangige Spritzigkeit. Wie eine blitzschnelle
Idee. Übergehend in eine eigenartige Wärme, die ihn an Holz
genau wie an trockene Gewürze erinnerte, an Zimt und Lager-
feuer, an Hemdsärmeligkeit oder Kinder-Wochenend-auf-dem-
Land-Träume, an gute frische Waldluft, an Pilze, auch
an Ameisenboden und Blockhütten-Fluchtpläne.
Er hätte das nie so gesagt – aber vor sich selbst konnte er
all das ausmachen und sich daran erfreuen wie ein Kind.
Knarzig und zugleich elegant, tief und dabei frisch, sauber
und ohne Angst, sich schmutzig zu machen, sonnig und
gleichzeitig an erlösenden Regen erinnernd.
So viel steckte für ich in Devin. Mindestens.
Und dann hatte er noch diese Idee.
Vielleicht eine Dummheit.
Aber egal. Er wollte sich einfach einen Hauch von Exklusivität
verpassen. Grau und unscheinbar, wie er sich oft fühlte.
Er würde sie irgendwie dazu bringen, den Duft in die Hand
zu nehmen. Und dann…
Er hatte den Flakon in der Tasche. Und perfekt umgestaltet.
Ein kleines Stückchen Arbeit war es schon gewesen – aber jetzt
stand auf dem Etikett statt „Devin“ sein eigener Name –
„Kevin“.
Das Seriphen-„K“ war gar nicht so einfach auszuschneiden
und aufzukleben gewesen... Und er fand es perfekt.
„Habe ich mir machen lassen – hab‘ da so eine Adresse
in Paris…“, würde er beiläufig dazu sagen.
Jetzt fehlte nur noch sie.

Fünf Minuten zu spät – das fand sie genau richtig.
Sie öffnete die Tür und checkte kurz und routiniert das Innere
des Restaurants.
Es war nicht besonders voll. Schnell, sehr schnell sogar,
hatte sie ihn ausfindig gemacht. Das musste er sein.
Strubbeliges braunes Haar, das nach Selberschneiden aussah.
Groß und dünn und irgendwie wie ein großes Kind.
Aber vor allem stand das verabredete Buch auf dem Tisch,
auf der Unterseite wie im Schaufenster eines Buchladens –
„Der Fänger im Roggen“.

„Hallo! Wie schön dich zu treffen…“
„Ich freu mich auch…“
Sie setzte sich und legte ihren Seidenschal neben sich auf die
Fensterbank.
„Seltsam, sich auf einmal so in real…“
„Hier, bitte, die Karte…“
Er sagte das genau im gleichen Moment, sie lachte verlegen,
und nahm die Karte.
„Ja, find‘ ich auch…“, versuchte er ihren Faden aufzugreifen,
„ich äh…, such‘ dir ruhig was Teures aus, ich lad dich natürlich
ein…“
Hätte er das vielleicht anders formulieren sollen?
Sie sah ihn irgendwie so komisch an, oder?
Ach was, das bildete er sich nur ein.
„Also, ich selbst, ich werd‘ nur war trinken, hab‘ grad keinen
Hunger…“, ergänzte er noch. „Ich guck‘ dir aber gern zu…“
Sie schaute in die Karte, irgendwie kam sie ihm verkrampft vor.
Klar, erstes Treffen, ganz natürlich, beruhigte er sich.

Kann das wahr sein? dachte sie. Was für ein Idiot. Und der sagt
das so einfach dahin, als ob er… er merkt das vielleicht gar nicht?
Fast schon wieder lustig… aber, nun ja, eins steht fest – er riecht
zumindest ganz gut… irgendwie so schön frisch…
Von Parfum hatte sie nicht so sehr viel Ahnung. Manchmal
roch sie welches an ihren Freundinnen. Oder auch mal an
Männern. Meist gefiel ihr das. Roch halt ganz gut, schön frisch
halt. Jedenfalls meistens.
„Ähm, ja, ich weiß noch nicht… vielleicht ein Salat…?
„Ach was, nimm doch einfach die Senatorenplatte, heut‘ kommt’s
echt nicht drauf an…“
Ich ess‘ aber kein Fleisch…“
„Ach so, na dann…“
Er war baff, damit hatte er nicht gerechnet.
Aber egal.
„Gibt’s auch mit Scampis…“, sagte er schließlich.
„Ähm… mag‘ ich auch nicht so… sind so fischig irgendwie…“
„Ja, also, da geb‘ ich dir recht, das sind sie, leider…“
Er überlegte, was er noch sagen könnte.
Sie schnupperte unauffällig in seine Richtung.
Dieser Duft… er hatte was Grünes, was von Natur. Und
auch etwas Erwachsenes, Selbstbewusstes.
So eine gewisse saubere Würze, vielleicht auch Krautigkeit.
Etwas erinnerte sie auch an einen mediterranen Wald.
Interessant. Seltsam anziehend.
Und für sie irgendwie neu. Mehr als „schön frisch“.

Er müsste jetzt was sagen, was Intelligentes oder auch
Witziges. Aber was? Irgendwie elegant das Parfum ins
Spiel bringen, damit er danach vielleicht den Flakon
zücken könnte.
Natürlich ganz nonchalant und unauffällig…
„Findste mein Parfum auch so toll?“
„Ähm… ich, ja, was soll ich sagen…“
Was war denn das jetzt schon wieder? Hatte er sie das jetzt
wirklich gefragt? Sie war tatsächlich sprachlos.
„Also es riecht schon gut, äh, schön frisch…“
Was Besseres fiel ihr einfach nicht ein, obwohl sie wusste,
dass es schwach war.
„Hier, schau, das isses!“
Er zog den Flakon hervor und stelle ihn vor ihr auf den Tisch.
„Hab‘ ich mir anfertigen lassen, es gibt da so einen Parfumeur
in Paris…“
Das durfte doch nicht wahr sein. Sie erkannte sofort den
aufgeklebten Buchstaben, es sah gerade zu lächerlich aus.
Was sollte sie dazu sagen? War das womöglich seine Art von
Humor? Sollte sie jetzt lachen?
„Toll, Kevin, ein Duft mit deinem Namen!“, sagte sie stattdessen.
Er sprühte ihr, ohne zu fragen ein paar Mal auf den Arm.
„Hier, schnupper ma‘ selbst…“
Wie in Trance führte sie ihren Unterarm an die Nase.
Der frische Duft vermischte sich mit dem, den er nicht gerade
schwach ausstrahlte. Das gab ein ziemliches Duft-Konzert,
ein Wort, das ihr wie von selbst dazu einfiel.
Frisch gemähtes Gras, weicher Zimt, vielleicht auch ein paar
Nelken, eine Art Moos, das angenehm rau und natürlich roch,
eine feine, angenehme Süße, die von einer ebenso feinen
Bitterkeit irgendwie noch mehr betont wurde.
Oder war es umgekehrt?
Die Begriffe kamen ihr in den Sinn, ohne dass sie dafür
einen sinnvollen Satz bauen konnte. Oder wollte.
Ein Satz, der ihr auch nicht im Entferntesten in den Sinn
kam, war: Riecht doch wie ein Zwitter aus Aromatic Chypre
und Green Fougère im Drydown, eine raffinierte Variation
von „Alliage“, und typisch für Chant…“
Woher auch?
Stattdessen dachte sie über Kevin nach.
War das nicht ein absoluter Vollidiot?
So bescheuert, dass es letzten Endes schon wieder gut war.
Irgendwie… sie wusste es selbst nicht genau.
Jedenfalls kein Langweiler.
Und eigentlich nicht unsympathisch.
Eher im Gegenteil.

Er strahlte sie an.
Sie musste lächeln.

Da war so ein gewisses warmes Gefühl in ihr,
wie von einem noch winzig kleinen Flämmchen.
Ihr fiel ein Satz ein, den ihre Tante öfter gesagt hatte,
sie hatte nie genauer darüber nachgedacht – aber jetzt
schien er ihr mit einem Mal irgendwie passend. Er lautete:
Wenn du gut riechst, riecht die ganze Welt gut.
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