Skyliner

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Skyliner vor 14 Jahren 19 6
Das Aas
Etat Libre d‘Orange macht sich offensichtlich einen Riesenpaß daraus, bei der Taufe seiner Parfums, derbe, draufgängerische Namen auszuwählen um die geneigte Käuferschaft erst ein mal zu verschrecken. Aber mit „Charogne“ hat sich das Haus in dieser Hinsicht mal wieder selber überboten. Was im Französischen so wohlklingend daher kommt, klingt, wenn es ins Deutsche übersetzt wird, nicht gerade zimperlich und zu Recht abstoßend. Charogne bedeutet nämlich nichts anderes als Aas!

Doch auch hier gilt immer noch der bewährte Grundsatz: Keine Suppe wird so heiss ausgelöffelt, wie sie gekocht wird. Und tatsächlich, bei diesem Duft hatte Etat Libre d‘Orange nichts anderes vor Augen als eine selbstbewusste Frau auf dem Höhepunkt ihrer Weiblichkeit, gleich einer reifen, verführerischen Frucht, die nur darauf wartet, in genau dem richtigen Moment, gepflückt zu werden. Man darf also aufatmen, geht es doch um die Kunst der Verführung.

Eine Provokation, ein Affront? Nein, eigentlich nicht. „Charogne“ versucht penibel und minutiös die Grenzen auszuloten zwischen Verwesung einerseits und voller Reife andererseits. Wie weit darf man gehen bevor ein Duft ins Unerträgliche abdriftet? Das war die anfängliche Fragestellung und zugleich die Herausforderung. Dabei bedient man sich bei „Charogne“ erlesener Blüten, weiß und betörend. In diesem Fall ist es der chemische Duftstoff Indol, Bestandteil des natürlichen Duftöls des Jasmins, der, richtig dosiert, dem Parfum eine sehr charakteristische, animalische Note verleiht.

Das Ganze könnte sehr schnell sehr unappetitlich werden, aber bei „Charogne“ scheint die Balance zwischen zu viel und zu wenig recht ausgewogen. Die animalische Duftnote ist sehr wohl präsent und dominant, aber immer noch sehr angenehm, so dass man schlussendlich einfach von einem floralen vanilligen Duft reden könnte. Könnte! Aber „Charogne“ geht einen noch einen bemerkenswerten Schritt weiter ...

In dieser ersten Zusammenarbeit mit Etat Libre d‘Orange, zelebriert uns Shyamala Maisondieu, die Nase hinter dem Duft, ein ziemlich erstaunliches Kunststück und bleibt dem prägnanten, bewusst synthetischen des Stil des Hauses absolut treu, fügt ihm aber dann das ganz eigene Portrait eines voll erblühten Jasmins, der gerade anfängt zu verwelken, hinzu.

Der erste Eindruck, den der Duft hinterlässt erinnert an rosa Kaugummi, an ein Collier aus aufgefädelten Bonbons. Dazu gesellt sich, bedingt durch die Konzentration von Jasmin, ein schleichender dunkler Schatten, den man als störend empfinden vermag. Verstärkt wird dieser Eindruck noch ein mal durch die Tiefe Süße einer Lilie und von Ylang-Ylang, dieser atemberaubend duftenden exotischen Büte. Das alles verschmilzt mit den Bonbons zu einer Einheit. Die Wirkung ist zwar familiär, vertraut und doch sehr fremdartig. Aus gutem Grund! Zusätzliche balsamische Noten wie Vanille malen das Bild einer abstrakten Blume im Moment da sie ihren letzten Duft, gleichsam ihr Leben aushaucht: die exzessive Süße, die opulente letzte Prachtentfaltung gibt dem Duft eine sehr besondere überirdische Note. Die wahrhaft berauschenden Dämpfe erinnern entfernt Benzin. „Charogne“ ist süß wie überreife Früchte.

Doch soll man sich nicht täuschen lassen: Dieses ganze Spiel mit den verschiedenen Facetten ist in Wirklichkeit ein sehr subtiles Ausbalancieren. Sozusagen ein kleines Augenzwinkern des Parfumeurs, das den Parfumliebhaber, den meisterlichen Umgang mit den Ingredenzien erkennen läßt.


Epilog:

Was für ein gewaltiger Unterschied zu dem gesteten „Aqua di gioia“, welches so klapperdürr, schmalbrüstig daherkommt und schon nach kürzester Zeit, noch ehe die Blume überhaupt zu erblühen wagt, sich mit einem letzten Hüsteln, unter Schwindsucht leidend, dahinscheidet. Möge es in Frieden ruhen!
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Skyliner vor 14 Jahren 21 7
Bonjour tristesse
In einem Markt, der Jahr für Jahr mit hunderten von Neuvorstellungen regelrecht überschwwemmt wird, kann auch der größte Duftjunkie nicht mehr mithalten. Alle Düfte zu testen, bleibt definitiv ein utopischer Traum. Allerdings, wenn man von vornherein weiß, dass sich die Qualität der neuen Düfte proportional umgekehrt zur Quantität verhält, dann kann man von vornherein die Spreu vom Weizen trennen, bewusst auswählen und nur die wirklich vielversprechenden Düfte testen. Die vielen, vielen Duftquallen, die an die türkisfarbenen Kassen angeschwemmt werden testet man vielleicht im Vorübergehen und überläßt sie getrost anderen, bereitwilligen, durch die Werbung betäubten Opfer, die sich an deren Tentakeln die Finger verbrennen. Möge es für sie ein heilsamer Schock sein!

So auch erging es mir mit dem letzten Frauenduft von Armani, „Aqua di gioia“, eine Duftprobe, eine Beigabe zu meinem letzten Einkauf. Ein erster Test evozierte bei mir nur ein müdes Achselzucken. Armani sieht das natürlich ganz anders und setzt alles daran, dass sein Wasser der Freude durch einen erheblichen Werberummel omnipräsent bleiben soll. Nun denn, wer einem dermaßen penetrant seinen Duft geradezu aufdrängt, muss damit rechnen dass er früher oder später auf einen Tester trifft, der den Duft dann auch mal kritisch begutachtet.

Der schön gearbeitete Flakon verheißt uns also Lebensfreude. Der Duft beginnt mit einer vagen, undeutlichen aber angenehm fruchtigen Note, die mich ein wenig an Yoghurt mit exotischen Früchten erinnert. Er ist grün, leicht sauer und tendiert in die aquatische Richtung. Müsste ich diesem ersten Eindruck eine Frucht zuordnen, dann käme mir spontan die Passionsfrucht und die Grapefruit in den Sinn.

Rasend schnell taucht „Aqua di gioia“ mit uns in ein grünes mit Jasmin beduftetes Wasser und trifft hier auf die inzwischen üblich gewordene Melone. Das alles kommt eher süßlich daher, ohne dass man -Gott sei Dank- die Befürchtung haben muss in ein diabetisches Zuckerkoma zu fallen. Immerhin ein Pluspunkt angesichts der vielen überzuckerten, klebrigen Massendüfte. Auch wenn man ähnliches schon zu oft gerochen hat, muss man sagen, dass diese ersten Duftbewegungen eher angenehm sind.

Das, in meinen Augen, eigentliche Problem ist die anschließende Entwicklung, denn „Aqua di gioia“ schrumpft zusehends um am Ende kläglich in sich selbst zusammen zu fallen. Wieder so ein typischer Fall der Überbetonung der Kopfnote. Wenn die Fixkosten für einen Duft zu niedrig angesetzt werden, wird halt alles Geld in den Auftakt hineingedonnert. Nach etwa zwei Stunden hat sich der Duft quasi komplett entleert. Was bleibt ist ein dürres, klapperndes aquatisches, hölzernes Jasminskelett. Mich fröstelt und ich klappere meinerseits mit den Zähnen.

Epilog:

Was nicht alles wollte und will uns doch die Werbung in Wort und Bild suggerien? Da kann ich nur kurz und bündig sagen: Bonjour tristesse!
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Skyliner vor 14 Jahren 26 9
5
Duft
Zwanzig Cent und eine Krone
Er heißt Umberto Boccioni, ist italienischer Maler und Bildhauer, Theoretiker der Bewegung des Futurismus, eine Ikone der damaligen Kunstszene. Ein Abbild eines seiner Werke, der Skulptur „Forme uniche della continuità nello spazio“ (Einzigartige Formen der Kontinuität im Raum) ziert heute die italienische 20-Cent Münze.
Sie, Vittoria Colonna, ist eine römische, gebildete Prinzessin und unglücklich verheiratet.
Der erste Weltkrieg bricht aus. Nachdem ihr Mann an die Front eingezogen wird, zieht sich Principessa Vittoria auf die kleine Insel San Giovanni im Lago Maggiore zurück und widmet ihre Zeit der Pflege des großen Familienanwesens mit den prächtigen Parkanlagen. Hier, im Juni 1916, begegnet sie zum ersten Mal Umberto Boccioni. Aus inniger Freundschaft wird sehr bald die große Liebe ...
Noblesse oblige, eine Amour fou unter Ausschluss der Öffentlichkeit, leidenschaftlich und intensiv. Sie findet rasch ein tragisches Ende. Boccioni wird wie ihr Mann eingezogen und stirbt nach einem Sturz vom Pferd, dreiundreißig Jahre alt.

Ungefähr ein Jahrhundert später, im Jahr 2010, will das Haus "Eau d‘Italie" dieser Liebesgeschichte ein olfaktorisches Denkmal setzen und präsentiert den Frauenduft „Au Lac“ (am See): eine blumige Sommerbrise, die aus dem an einem Ufer gelegen Park herüber weht. Ein durch und durch romantischer Duft, der aber auch zugleich avantgardistisch daher kommen will. Laut Eau d‘Italie eine Vermählung zwischen einem üppigen, klassischen, floralen Blumenbouquet und der vibrierenden und dynamischen Struktur eines futuristischen Gemäldes. Mit der praktischen Umsetzung dieses romantisch-avantgardistischen Duftkonzepts wird Alberto Morillas anvertraut.

Der Anspruch ist gewagt und hoch. Eigentlich ein Paradoxon: Einen floralen, hyperfemininen Duft zu schaffen der zugleich elekrtrisierend dynamisch daherkommt, ist wahrhaftig eine Herausforderung für jeden Parfumeur. Waren die bisherigen Düfte von "Eau d‘Italie" alle durchaus interessant, wird mit diesem Duft die Messlatte nun fast in stratosphärische Höhen gelegt. Es bleibt die bange Frage, ob „Au lac“ nun dieses Ziel erreicht hat.

Meiner Ansicht nach nicht. Mag der Wind auch noch so seufzen und der Rosenstrauch auch noch so klagen, sehen wir den Tatsachen ins Auge. „Au lac“ hat fast alle objektiven Ziele verfehlt. Nach dem geforderten futuristischen Avantgardismus wird man ergebnislos schnuppern und außergewöhnlich fraulich und romantisch ist er auch nicht. Ein neuer möglicher Klassiker wurde nicht geschaffen.

Schade, dass der Duft so euphorisch mit dermaßen hohen Ansprüchen vorgestellt wurde. Denn an genau diesen Aussagen wird er sich nun messen lassen müssen. Von daher wurde das Ziel klar verfehlt. Was bleibt ist ein eher konventioneller floraler, grüner, aquatischer Duft im Stil unserer Zeit. Ein netter Duft, nicht mehr und nicht weniger.

Die Kopfnote ist sehr delikat, ein hesperidisches Erzittern. Eine Ahnung von Zitrone vermischt mit der sanften Bitterkeit der Blätter des Orangenbaums. Dem folgt eine eine prächtige Lotusnote, die sich über dem Wasser ausbreitet, welches seinerseits durch grüne Melonen- und Gurkenaromen sugeriert wird. Hierin gleicht es jenen Düften, die die Stimmung eines Gartens nach einem warmen Sommerregen einfangen wollen. Allerdings kommt „Au lac“ sehr viel ruhiger daher. Kein Kontrapunkt trübt die Stille des Sees.

Die Herznote, ein sehr grünes Duo, bar jeglicher Süße, der Lotus und die Wassermelone, machen sich recht schnell bemerkbar und dominieren den Duft für längere Zeit. Ein kaum wahrnehmbarer prickelnder, spritziger Eindruck ist wohl die eingeforderte dynamisch-futuristische Komponente; eine doch eher bescheidene Hommage an Umberto Boccione.

Diese leichte Spannung steigert sich etwas um dann einer transluziden Holznote zu weichen. Auch in diesem Stadium bleibt der Duft aquatisch um anschließend zu entschwinden.

Epilog:

Die Revolution wurde abgeblasen. Geblieben ist ein Duft des ruhigen Süßwassers, floral und grün. „Au lac“ ist ein netter Duft, ohne Ecken und Kanten und unterscheidet sich gerade in dem Punkt von den anderen Düften des Hauses.
Die tragische Liebe zwischen Umberto und Vittoria hätte etwas besseres verdient...
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Skyliner vor 14 Jahren 22 5
9
Duft
Keine graue Maus
„Serge noire“, glaubt man den Worten von Monsieur Lutens, ist der persönlichste Duft, ja gar das Lieblingsparfum des Meisters. Die Inspiration zu dieser außergewöhnlichen Schöpfung ist laut einem Statement von ihm eine doppelte: da wäre zunächst seine Vision von Japan und dann nach der Rückkehr aus dem fernen Osten, eigenartigerweise, die Erinnerung an den Anfang seiner Karriere vor dreißig Jahren.
Die Models trugen damals die Kreationen der Haute Couture, geschneidert aus schwarzem Serge, jenem klassischen, etwas steifen und sperrigen Stoff aus dem auch die langen Soutanen der Priester geschneidert werden. Der schwarze Stoff stand in scharfem Kontrast zum blassen Inkarnat der Haut und so staksten die Schönheiten in kühler, makelloser Eleganz über den Laufsteg, den Blick, den imaginären Horizont transzendierend, gerichtet in die unendlichen Weiten des dunklen Weltalls.

Das Pressecommuniqué bei der Vorstellung von "Serge noire", so wie im Haus Lutens üblich, ein fabulierendes, nebulöses Schwadronieren, ein Jonglieren mit Worthülsen. Der Duft wird als ätherisch tituliert, jenseits von Zeit und Raum, gar ein Phönix aus der Asche, Aschenstaub in einem Ballet der Flammen, ein orientalisch-grauer Duft und dergleichen Assoziationen mehr.

Also dann, wagen wir den Schritt in diese Zwischenwelt. Der Start in diesen Duft ist scharf, schneidend und lässt einem gleichsam das Blut in den Adern gefrieren: Ein Akkord der stark an Kampfer erinnert, strahlt ein eisige Kälte aus. Nach diesem energischen, bitteren, ja medizinischen Auftakt folgt eine Weihrauchnote, klar, rein und trocken und transparent, die an japanische Räucherstäbchen erinnern mag. Nachdem die Dominanz des Kampfers sehr schnell schwindet und doch immer noch präsent bleibt, tritt eine weitere Duftkomponente hinzu, die ich nur schwerlich zu beschreiben vermag und die sich auf den Weihrauch legt. Sie erinnert entfernt an den Rauch von Schießpulver, von abgeschossenen Feurwerkskörpern und chinesischer Tusche. Kurz, wir betreten eine mineralische Ebene.

Weißer Rauch und schwarze Tusche: in diesem Stadium gelingt Serge Lutens die gewünschte olfaktorische, chromatische Dualität von „Serge noire“. Der Kontrast ist starr und streng, ja geometrisch gegliedert. In dem Maß in dem der Kampfer sich zurücknimmt, wirkt der Duft gezähmter. Jetzt folgt eine holzige Note, die dem Duft seine Basis gibt. Benzoin und Vanille breiten sich aus und bilden mit dem Weihrauch den nächsten Schritt in den Duftablauf und verleihen ihm etwas Wärme.

Ab jetzt wechselt er seine Farbe. Der schwarze Duft wird anthrazit-grau und er bleibt es bis zum Schluss. Ein aschfahler Duft, so wie bereits in seiner Farbe angedeutet. Der Weihrauch, der rote Faden in dieser Komposition, hält bis in die Basisnote hinein, gemildert durch Ambra und einer Prise Zimt. Die Beschreibung stimmt: ein orientalisch-grauer Duft.

Wie soll man diese sehr eigenwillige Komposition bewerten? Zunächst einmal trägt sie zweifellos die sehr persönliche Signatur von Lutens. Sein Stil ist klar erkennbar. Kampfer, Weihrauch und Asche: All diese Aspekte wurden schon in dem einen und anderen Duft von Serge Lutens dekliniert. Allerdings bedeutet damit „Serge noire“ nicht automatisch eine Rückkehr zu einem bekannten Thema, so wie es beispielsweise bei „Five O‘Clock“ und „Rousse“ der Fall ist.
Nein, im Gegenteil, „Serge Noire“ reklamiert energisch seine eigene, bemerkenswerte und unverwechselbare Identität. Nach mehreren eher gefälligeren Düften, werden mit diesem Parfum wieder scharfe Grenzen gezogen. Es ist damit ein Duft für Eingeweihte. Sicher, nach dem strengen Auftakt, wird die Komposition gemildert, aber es ist und bleibt immer ein sehr besonderer, polarisierender Duft, der Reaktionen - seien sie nun positiv oder negativ - geradezu provoziert. (Ist ja auch in den Kommentaren hier auf Parfumo klar erkennbar)

Serge Noire ist eine wohldurchdachte, intellektuelle Komposition. Sehr nüchtern, rein, asketisch und meditativ. Präzis aus geraden Linien und monochromen, aufeinander folgenden Flächen von schwarz bis grau strukturiert.

Epilog:

Wenn es tatsächlich stimmen sollte, dass 10 Jahre an diesem Duft gearbeitet wurde, dann kann ich das - im Gegensatz zu der zwölfjährigen Arbeit an „L‘Eau Serge Lutens“ - sehr gut nachvollziehen. Für mich eines der seltenen Beispiele für ein Parfum, das intellektuell konstruiert daher kommt und doch emotional zu berühren vermag. Es reinigt und erhebt die Seele. Ich liebe es. Eines der besten und schönsten von Serge Lutens.
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Skyliner vor 14 Jahren 19 3
3
Duft
Die teuerste Seife der Welt
16 Jahre soll die Entwicklung dieses Duftes gedauert haben. Dann wurde kurzerhand das Sandelholz begraben, der Weihrauch verbrannt, die Gewürze beschlagnahmt, die kandierten Früchte im Abfalleimer entsorgt.

Mit seinem Duft „l‘eau Serge Lutens“ hat der Meister sein übliches olfaktorisches Universum zur Implosion gebracht um uns nach einem medialen big bang seine neueste Schöpfung zu präsentieren; Et voilà, ein „Eau“, oder sollte ich nicht besser sagen, ein cleanes „Wässerchen“, das, wie S.Lutens hervorhebt, als Anti-Parfum verstanden sein will. Intendiert war so zu sagen eine Rückkehr zu den Wurzeln der Parfumeurkunst, die Beschränkung auf das Wesentliche, das Primat der Einfachheit.
An sich eine durchaus interessante Idee und vor allem eine klare Absage an all die kompliziert konstruierten, oft schwülstig überladenen Duftgranaten, die von den Träger(innen) ein gerütteltes Maß an Selbstvertrauen voraussetzen um nicht auf dem öffentlichen Parkett in die Peinlichkeit zu entgleisen. Stattdessen die im wahrsten Sinne des Wortes Not-wendige Konzentration auf das Wesentliche, das Elementare. Und was anders könnte das bedeuten, als ein neutraler, sauberer Duft, ähnlich einem weißen Hemd, das an der Wäscheleine auf grüner Wiese von Sonne und Wind getrocknet wird?

Nach der langen Entwicklungszeit hat uns nun Serge Lutens mit genau so einem Duft beglückt: Ein weißer Akkord, zart auf der Harfe gezupft, durchscheinend wie Butterbrotpapier. Sehr wässrig - aquatisch wäre deplaziert - ähnlich einer Frühlingsbowle die zu lange in der Sonne herum gestanden hat. Im Gefolge des frech sauberen Auftakts folgen metallische Aldehyde, prickelnde Hesperiden, eine synthetische Melone und Moschusnoten, die ihre Verwandschaft mit Waschpulverdüften nur schwer verbergen können. Rexona oder Procter Gamble lassen grüßen. Chapeau monsieur Lutens, das war gewagt!

Wie soll man einen solchen Ausbund an Frische und Reinlichkeit adäquat beurteilen? Es als Parfum zu bezeichnen wäre ein faux-pas, denn dieses Eau wurde explizit nicht als solches konzipiert und ist es auch nicht. Meiner Ansicht nach fallen bei diesem Anti-Parfum Anspruch und Wirklichkeit auseinander. Und so darf man sich die berechtigte Frage stellen, ob man überhaupt noch von Duft an sich reden kann, unabhängig von der ursprünglichen künstlerischen Idee, dem Konzept hinter dem Duft?

Nebenbei bemerkt, kann man dieses Elaborat überhaupt als Duftkunstwerk bezeichnen wenn 100ml dieses Wässerchens zum unverschämten Preis von 100€ angeboten werden? Der minimalistisch, elegante Flakon mit der Shiseido eigenen Eleganz ist jedenfalls olfaktorisch uninteressant und rechtfertigt in keinster Weise diesen Verkaufspreis.

Mal Hand aufs Herz, würde dieser Duft auf Parfumo genau so oft kommentiert werden, wenn das Duftwässerchen in irgendeinem xbeliebigen Flakon abgefüllt wäre und bei Douglas zum Verkauf angeboten würde? Ich habe da meine Zweifel.

Ja, ich begrüße den neuen Ansatz von Serge Lutens, aber ich bin nicht einverstanden mit dem was uns da geboten wird: ein enttäuschend floraler, aquatischer Duft, der mit seinen Moschusnoten doch sehr an die 90er Jahre erinnert. Dabei gibt es doch durchaus andere Möglichkeiten einen sauberen, reinen Duft zu komponieren. Mit seinem „Aqua Universalis“ beispielsweise hat Francis Kurkdjian meiner Ansicht nach, diese Aufgabe besser gelöst und bleibt dennoch seinem Duftkonzept treu. Geradezu meisterlich auch Isabelle Doyen‘s „Antimatière“ von LesNez. Und genannt sei auch das Eau de Toilette von Prada „Infusion d‘homme“, ein pudrig-seifiger Retro-Duft, das ich jederzeit der „teuersten Seife der Welt“ (Zitat S.Lutens) vorziehen würde.

Ich bin überzeugt, dass das Konzept des sauberen, reinen Duftes ein großes Potential in sich birgt und sich nicht auf einen billigen Produktabklatsch der Procter&Gamble Duftlaboratien beschränken muss.


Epilog:

Ein Waschmittel oder einen Weichspüler mit „Féminité du Bois“ zu beduften wäre allemal eine größere und zugleich ungemein interessantere Herausforderung gewesen als ein Eau de Toilette von Serge Lutens zusammen zu brauen das nach frischer Wäsche riecht!
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