Ein Abend bei Raer Scents - wenn Künstler nach Berlin kommen
Ein Kanadischer Musiker, auf den ich eigentlich mal wieder live Lust hätte, ist wieder mal auf Tour durch Europa. In Deutschland kommt er nach München, Köln, Hamburg und Berlin. Alles vom Großraum Rhein-Main nicht so gemütlich zu erreichen. Egal. Ich hab noch eine Woche Urlaub zu nehmen und meinen besten Freund in Berlin kann man ja auch mal wieder besuchen. Also alles organisiert. Kann losgehen.

Was fällt da noch in meine Augen? Raer Scents, von denen ich auch was in meiner Sammlung habe, machen Parfumworkshops. Und ein Termin ist exakt einen Tag nach dem Konzert. Ja dann. Preis stimmt und was versprochen wird ebenso. Ich bin der Marke auch echt gut gegenüber eingestellt. Vorfreude kickt.
Natürlich überlege ich und denke darüber nach, einen sehr dunklen und rauchigen Duft zu kreieren. Wenn ich schon mal die Möglichkeit bekomme und nicht alle Zutaten erst besorgen muss.
Es ist schon gut winterlich kalt, als wir nach einem leckeren Abendessen zum Atelier kommen. Der Altbau ist recht hoch gebaut und die Treppen lang. Egal. Kriegen wir hin, während wir uns mit einem anderen Workshopteilnehmer reflexhaft auf Englisch unterhalten, bis uns auffällt, dass wir alle Deutsch beherrschen.

Im Atelier angekommen hängen wir unsere Jacken auf und betreten einen sehr hohen Raum mit ebenso riesigen Fenstern, die noch mit in die Dachschräge gehen und gut und gerne zehn Quadratmeter Fläche haben. Blick über Berlin: Check

Ted , ebenfalls aus Kanada, heißt uns Willkommen und macht uns auf die ausgestellten Düfte der Marke auf einem Schrank in der Ecke des Raumes aufmerksam. Ich gehe schnuppern. Mein Eindruck ist durchwachsen. Es sind einige spannende Kompositionen dabei, derer ich auch schon einen Teil besitze oder kenne, gleichsam aber auch einiges, das ich nur als interessant bezeichnen kann.
Die übrigen Teilnehmer:innen trudeln ein, wir setzen uns an einen großen Tisch und schauen Ted und seinem Laborkollegen beim Aufbau der Technik zu. Es wird sich durch den Vortrag ziehen, das der Projektor nicht so möchte, wie er soll. Und auch wenn man den Eindruck bekommen könnte, die Fernbedienung sei schuld, funktioniert diese einwandfrei und schaltet souverän das Bild weiter. Der Projektor übernimmt dieses aber nicht vom Computer. Wieso kann ich als Cineast und Heimkinobesitzer mutmaßen, wollte an diesem Abend aber nur genießen.
Der Vortrag eröffnet spannend, sodass auch Einsteiger:innen sich zurechtfinden und erklärt verschiedene Düfte, Duftrichtungen und Funktionsweisen von Düften und macht für alle Anwesenden Schluss mit dem Mythos um Kaffee zur Geruchsneutralisation. Funktionierte noch nie. Wird es auch nie. Wieso es dennoch regelmäßig gemacht wird bleibt ein Mythos.
Wir bekommen verschiedene Rohstoffe gezeigt. Darunter Guajakholz, drei verschiedene Rosen und Petitgrain. Dazu eine Einteilung in verschiedene Dufteichtungen und Darstellungsformen dieser Duftrichtungen. Ausgelassen wird der Gasdruck, der für Intensität und Haltbarkeit wichtig ist, stattdessen geht es weiter mit der Geschichte der kommerziellen Parfumerie und meines Erachtens nicht haltbaren Behauptungen, dass alle anderen außer seiner Marke synthetische Duftstoffe nutzen. Es wird betont, dass sie nur organische Düfte kreieren und es deshalb sein kann, dass unsere fertigen Parfums nicht den europäischen Richtlinien entsprechen könnten. Soweit so voll in Ordnung.
Nicht so in Ordnung oder zumindest störend: die ständig laut drehenden Lüfter der Kühlschränke, in denen die fertig gemischten Parfums und sowohl verpackte, als auch unverpackte Flakons davon stehen.
Dann macht der Vortrag einen unnötigen und teils geschichtlich falschen Schlenker über die Entstehung von Parfum und Mythen des Mittelalters darüber, um dann nur sehr kurz auf den Aufbau eines Parfums zu sprechen zu kommen. Dann Pause, die Hälfte der Zeit ist bereits um, um hinterher in sechs Gruppen eingeteilt zu werden beziehungsweise sich eigenständig einzuteilen. Fougère, Zitrik, Holz, Amber-Moschus, Blumig und Leder. Jede Gruppe davon bekommt eine vorgefertigte Kiste mit verschiedenen Ölen, die in der jeweiligen Kategorie ausreichen sollen, um gute Düfte kreieren zu können. Das sei einfacher, statt einfach viele Flaschen auf den Tisch zu stellen und daraus auszuwählen. Ich hätte es dennoch lieber gehabt. Aber weiter zur Auswahl.

Holz muss heute nicht sein, ich nehme Leder.
Mit einer anderen Parfuma wird kreiert. Ted leitet an beziehungsweise besteht das Konzept daraus, drei Düfte zu komponieren und diese zu kombinieren. Wir bauen zuerst die Herznoten, danach die Basis und zuletzt die Kopfnoten.
Dabei gibt es bei dieser Marke kein einziges Parfum, dessen Noten in Pyramidenform angegeben werden soweit ich weiß. Ich probiere es, obwohl die für die Kopfnoten ausgewählten Duftstoffe meines Erachtens nicht sein müssten, weswegen ich im Lauf des Prozesses nicht nur ein Mal nach einem ganz anderen und nicht auf dem Tisch befindlichen Duftstoffes frage, sondern auch mit einer anderen Workshopteilnehmerin tausche.
In unserer Leder-Kiste befindet sich Birkenteer. Viele wollen mal riechen und sind überwältigt von der Kraft dieser Zutat. Ich finds nice. Auf unserem Zettel steht, davon soll nicht mehr als 0,1 % im Endergebnis sein. Trotz häufiger Versuche von Ted sind es bei mir am Ende rund 15 %.
Auf dem Weg dahin wurde ausprobiert. Geschnuppert. Innerhalb und außerhalb der Kleingruppe Eindrücke ausgetauscht und sich ausgetauscht. Der Prozess hatte, wie Kunst so ist, seine Höhen und Tiefen, die Ursachen vielfältig. Doch zuletzt waren doch alle im Raum, würde ich sagen, mit den Ergebnissen zufrieden.
Die angepeilte Zeit von vier Stunden neigt sich dem Ende, der Schaffensprozess jedoch nicht. Der unnötige geschichtliche Ausflug um Vortrag rächt sich meines Erachtens und die Informationsbroschüre, die zu Anfang digital verteilt wurde hätte den Vortrag nicht nur kürzer, sondern auch informativer gemacht. Aber soll mir Recht sein, niemand hetzte. Nach und nach tröpfeln die Leute ihre Zutaten in die drei Bechergläser, die jeweils für Kopf, Herz und Basis vorgesehen sind und wir werden angehalten, einen Namen für den Duft zu haben, bevor wir die Treppe hinaufgehen, wo Denis auf uns wartete, um uns dann zu sagen, wir sollen die drei Gläser zusammenschütten. Hätte man schon unten machen können aber naja. Gedrängt auf dem kleinen Balkon schütteten alle dann ihre Komposition in einen Flakon und bekamen von Denis ein Etikett.

Doch der Abend war trotz mittlerweile einer halben Stunde Überzug noch nicht vorbei. Man sprühte die Kreationen auf Papier und probierte die Kreationen der anderen Teilnehmenden. Mal spannend, mal interessant, mal kreativ. Ich denke jede Person hat für sich einen passenden Duft kreieren können. Es wurde gemeinsam noch mal entdeckt, was dort entstanden ist.
Doch es war immer noch nicht vorbei, obwohl einige sich verabschiedeten. Welchen Rohstoff wollte man denn schon immer mal riechen? Die Option steht im Raum, Ted möchte Oud zeigen und behauptet gleichfalls, dass in keinem bekannten Duft Oud steckt. Weiß ich jetzt nicht. Weiterhin wird Hyraceum und Ambra gezeigt und auf meinen Wunsch Cade-Teer mit dem Kommentar, Achtung karzinogen.
Doch der Abend ist noch immer nicht vorbei. Einige Zeit vorher fand eine Ausstellung mit einem Konzeptraumduft von Raer statt. Um verwesende Pflanzen soll es in diesem Duft gehen. Ich mag ihn schnuppern. Geht auch klar. Finde den Preis, der für diesen Duft genannt wird, absurd hoch. Aber das ist Kunst.
Und dann steht noch die Möglichkeit im Raum mit 20% Rabatt einen Duft zu erstehen. Mach ich doch glatt, mit Signatur versteht sich.
Jetzt wird es aber wirklich Zeit zu gehen. Gute Nacht.
Auf dem Wegmut den Bus zum nächsten Bahnhof noch mit einem Paar, das ebenso beim Workshop war, gesprochen. Schöne Sammlung, tolle Unterhaltung. Bis zum nächsten Mal!
Aber was ziehe ich aus dem Workshop? Ich hatte meinen Spaß und das Ergebnis gefällt mir, obwohl ich gern mehr ausprobiert hätte und andere Vorstellungen umsetzen wollte. Aber das kann ich mir ja für einen eigenen Versuch aufheben. Vielleicht war ich auch nicht ganz die Zielgruppe. Vielleicht waren die Ideen des Workshops und mein kreatives Verständnis nicht ganz auf Linie. Ändert nichts daran, dass ich die Teilnahme an einem solchen Workshop, ob bei Raer oder anderswo, sehr empfehlen kann. Uneingeschränkt. Macht das mal.

Mein Parfum an diesem Abend übrigens:
It is the End
Kopf: Minze, Blutorange, blaue Kamille
Herz: Karottensamen, Weihrauch, Tabak, Kalmuswurzel
Basis: Birkenteer, Labdanum, Ambernote
Das Kaffee Thema ist halt auch echt ein Rabbithole für sich, ob erfahren oder nicht ich habe schon so viele Meinungen dazu gehört das ich nur noch nicke wenn mir dazu jemand was sagt. Ich persönlich halte es für Humbug.
Deinen Duft muss ich mal testen, bei den 15 % Birkenteer musste ich schmunzeln, passt perfekt zu dem was du bevorzugst.😂 Auch dein Parfumname gefällt mir. Sollte die Apokalypse irgendwann eintreten muss dieser getragen werden.😉👍
Hast du schon mal einen solchen Workshop gemacht?