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vor 2 Jahren - 24.12.2021
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Klebrig süss, abscheulich blumig, kurzlebig zitrisch

Das ist kurz zusammengefasst das, was für für die breite Masse das Nonplusultra des Parfummarktes ist. Und die Marken überschwemmen den Markt mit immer noch mehr und mehr dieser klebsüssen Bomben, dieser überschwänglichen Blumenbouquets, dieser nicht auszuhaltenden Duschgelfrische mit einem Haufen Limo drin.

Und klar ist das Geschmacksache und natürlich liegt Kunst (ein Stückweit) im Auge des Betrachters - oder hier eben in der Nase der Riechenden.

Aber sowohl aus meiner eigenen Erfahrung, wie auch aus Erlebnissen und Gesprächen in jüngster Vergangenheit ziehe ich, dass hier auch viel Unwissenheit steckt. Und deshalb möchte ich hier einige Aspekte (primär für mich) festhalten und ein wenig zerpflücken.

Die Bewertung geht von 1 bis 10

Manch eine:r hat es vielleicht mitbekommen, dass vonseiten der Moderation neulich der Aufruf kam, sachlicher und fair zu bewerten. Den Duft, weswegen es scheinbar eine solche Welle ‚negativer‘ Bewertungen gab, kenne ich nicht und möchte ich tatsächlich auch gar nicht kennen. Die Diskussion zum Aufruf habe ich mir kurz angeschaut und es passte ganz gut zu einem Ereignis, das ich einige Wochen vorher hier erleben musste. Da habe ich mich doch ernsthaft erdreistet, einem sich in den Top 100 befindlichen Duft mit 5/10 zu bewerten, weil ich ihn schlicht uninspiriert, langweilig und belanglos empfand. Viel mehr als die Qualität blieb da nicht mehr.

Leute, mein Empfinden, meine Beurteilung. Wenn ich die Qualität nicht beachtet hätte, wäre so eine langweilige Zitrik-Holz-Melange, wie sie gefühlt tausendfach sogenannte ‚Herrendüfte‘ sind, mit 2/10 Punkten weggekommen.

Mir wurde auf jeden fall entgegnet, dass 5/10 nicht mal ein schlechter Drogerieduft sei. So zumindest meine Erinnerung und woanders plädierte jemand dafür, die Bewertungsskala auf 7 bis 10 zu reduzieren, weil… ja wieso eigentlich?

Wieso sollte ich Sonderpunkte dafür vergeben, dass andere Leute den Duft weit besser bewertet haben oder er hochpreisig ist? Ist teuer denn automatisch gut?

Ich weiss, ihr feiert euren Naxos oder Erba Pura, Interlude, Reflection oder sonstige Kompositionen von Xerjoff, Amouage, Guerlain, Chanel oder was nicht noch alles. Und ey, ist okay. Aber kommt bitte auch damit klar, wenn jemand andersrum eure Lieblinge als viel zu süss, viel zu blumig oder einfach belanglos empfindet.

Denn, und jetzt geht es in die andere Richtung, beispielsweise fand ich mal einen Kommentar unter Replica - By the FireplaceReplica - By the Fireplace , dass dieser viel zu rauchig wäre. Ich musst kurz lachen. Ja, der Duft hat ganz bisschen was von brennendem Holz. Aber (viel zu) rauchig…Die Person dürfte solche Rauchschätzchen wie Bois d'AscèseBois d'Ascèse , Broken TheoriesBroken Theories , DrakonDrakon , "1805 Tonnerre / 1805 | Beaufort" , Rhinoceros (2014)Rhinoceros (2014) und Co wohl als Höllenrauch verstehen. Aber zur Thematik Rauch und wie furchtbar fehlleitend ich die hiesigen Einschätzungen diesbezüglich oft finde, komme ich in einem gesonderten Eintrag noch.

Dieser Kommentar gab jedenfalls auch eine recht magere Bewertung aber das ist okay. So seltsam ich die Einschätzung vielleicht auch finden mag. Ey, da ist ein massentauglicher Duft tatsächlich mal holzig und er ist einem Teil des Publikums dann gleich zu rauchig. Joa Leute, jetzt wisst ihr, wie es mir mit euren Duschgeldüften geht. Sonst noch jemand bei mir?

Aber an mir funktioniert nur zitrisch-frisch

Ich zeigte einem Freund mal den Tyrannosaurus RexTyrannosaurus Rex , der hier mit einer 7,5/10 steht. Nach der Logik, dass hoher Preis und qualitativ hochwertige Inhaltsstoffe ausschlaggebend wären, müsste die Bewertung weit besser ausfallen. Stattdessen ist es noch nicht lange her, dass dieser Duft, so brachial er auch ist, mit 0 Punkten bewertet wurde. Aber hier sind wir wieder bei persönlichem Geschmack.

Wie auch immer meinte besagter Freund, an ihm würde nur zitrisch-frisch funktionieren. Ich schaute ihn an, ob er denn jemals etwas anderes probiert hätte. Verneinen.

Logisch nicht. Wie auch, wenn die Drogerieware irgendwo zwischen Zitrik, Blumenstrauß, Synthetik und Duschgelfrische liegt, die grossen Parfümerien und Parfümhäuser ebenfalls irgendwo dort produzieren, sobald es etwas ausgefallener wird, gleich viel höhere Preise aufgerufen werden und die Masse irgendwie Würze, Rauch, Frucht oder Orientalik aus dem süffig-süßen oder frisch-zitrischen Durcheinander der Komposition erschnüffeln will.

Und dann probiere ich einen Duft, der von vielen als rauchig wahrgenommen wird und denke mir, welcher Teil von Zuckerwatte nun genau rauchig ist oder welchen Grund es gibt, dass die nächste, übernächste und überübernächste quasi ähnliche Komposition zitrisch-frischer ‚Immergeher‘ mit mehr als 7, 8 oder gar 9 Punkten bewertet wird. Am Ende sind sie doch alle irgendwie austauschbar und irgendwie gleich. Aber doch nicht gleich gut. Wie soll man denn einen ersten Eindruck ohne direkten Kontakt bekommen, wenn die Düfte alle mit so hohen Bewertungen aufwarten können?

Gleiches funktioniert für mich mit einer anderen Person meines Umfelds. Sie findet nur leichte, blumige und wahnsinnig süße Düfte würden zu ihr passen. Ich finde, sie sollte herbe, orientalische und grüne Düfte mal ausprobieren. Stattdessen umgibt sie sich mit meines Erachtens viel zu gut oder mindestens überbewerteten Kompositionen, die ebenfalls recht belanglos sind. Da macht es dann auch nichts, dass der Flakon wie ein Schuh gestaltet ist oder der Marketingslogan was von Freiheit und Lebensfreude erzählt.

Versteht mich nicht falsch, ein Blick auf meine Sammlung verrät, auch ich habe ‚leichtere‘, sogar zitrische oder frische, grüne oder blumige Kompositionen mit dabei. Und ich mag sie. Aber selbst wenn ich die Marken absolut feiere, ich würde niemals den Vollpreis für einen "Cuirs Nomades - Moon Fever / Moon Safari | Memo Paris" oder Santalum SliversSantalum Slivers hinlegen. Nicht nur, weil ich sie im Alltag fast nie nutze(n würde), sondern auch einfach, weil der Preis des Flakons nicht im Verhältnis zum Preis der Zutaten steht. Müsste nicht die ein oder andere Marke beim Preis-Leistungs-Verhältnis irgendwo im Bereich bis 2 stehen… Ich weiss, ist Kunst. Aber auch Kunst sollte Grenzen kennen.

Es gibt ja auch was anderes!

Aber zurück zu meinem Freund, der nie etwas anderes ausprobiert hat, weil er nie etwas anderes ausprobieren konnte.

Hat er auch weiterhin nicht.

Aber es gab eine lange Unterhaltung mit einem anderen Freund, der aufgrund der oben genannten zitrisch-frischen Duschgel-Affäre nie wirklich Lust auf Parfum hatte. Und Überraschung, genau das ist es nämlich, was auch mich die ganze Zeit abgeschreckt hat. Diese unbegreifliche Menge dieser immergleichen oder zumindest sehr ähnlichen Kompositionen. Kennste einen, kennste alle quasi. Und wie kommt man denn in Kontakt zu hochwertigeren und vor allem ausgefallenen Kompositionen, wenn man sich null dafür interessiert, weil man den Massengeschmack rund um Werbefiguren und Marketingkampagnen nicht begreifen mag?

Nun hatte er also bei mir die Möglichkeit, an ganz was anderem zu schnuppern.

Und da haben wir dann von ledrig bis rauchig ziemlich viel mal dabei.

Den Laden, in dem es Boss, YSL, Guerlain, Toni Gard, Chanel, Armani oder Dior gibt, ist leicht gefunden. Aber findet mal einen Laden, der Zoologist, Kerosene, Beaufort, Strangers, PK Perfumes, 19-69 und Memo gleichzeitig da hat.

Ende vom Lied: er überrascht vom Rauchigen, vom Holzigen, vom Brachialen, vom was vermutlich niemand ohne es konkret zu wissen (zu Weihnachten) schenkt.

Wie ging es weiter?

Er schlief noch mal ein, zwei Nächte drüber, konsultierte mich dann um eine Empfehlung und wiederum einige Tage später schickte er mir ein Bild seines ersten Parfums. "Art Land - Tiger's Nest | Memo Paris" .

Und ich habe bei meiner Rundreise in die etwas beliebteren Düfte gelernt, dass Toplisten und Bestseller grundsätzlich erst mal kritisch zu begutachten sind und meist nichts (für mich) sind.

Ich möchte nicht sagen, dass sie keine Leitfaden sein können oder einige Düfte ihre Position nicht verdienen, aber ich möchte erwähnen, dass scheinbar nicht alle ganz ehrlich bewerten und andersrum einfach nicht so beliebte Marken und Duftrichtungen so schwer zu kriegen sind, dass sie oft untergehen.

Und ich möchte natürlich erwähnen, dass bei einer möglichen Skala von 1 bis 10 auch die volle Skala ausgenutzt werden sollte. So zumindest meine Einschätzung.

Die Sache mit der Nische

Zuletzt noch hierzu, da ich oben ja einige oft als Nische bezeichnete Marken erwähnt habe.

Die Frage, was einen Nischenduft ausmacht, könnte man über Tage klären. Flaconi erklärte mal, dass es sich um Düfte handele, die im Massenmarkt so nicht abgedeckt würden. Ganz oft habe ich aber eher das Gefühl, dass Nische ganz oft einfach nur durch den Preis und die Aufmachung der Flakons und Verpackungen definiert wird. Es handelt sich um Edelmarken ohne breite Werbung. Ob das reicht, um Nische zu sein? Die Frage ist vermutlich oberaffenmegageil oder so. Grüsse gehen raus.

Es ist mir egal, ob ein Duft ‚Nische‘ ist oder nicht, es ist für mich nur relativ häufig der Fall, dass wirklich aussergewöhnliche Kompositionen und Ausnahmedüfte in diesem Bereich anzutreffen sind.

Aber ist es noch ein Nischenduft, wenn mehrere hundert oder tausend Leute ihn hier in ihrer Sammlung haben? Allein dafür mache ich mich vermutlich gerade (bei einigen) ziemlich unbeliebt. Sorry, nur ein Gedanke.

Es könnte sein, dass sich manch eine:r von meinem Rundumschlag hier grad ein wenig angegriffen fühlt. Tut mir leid, aber ich wollte das mal loswerden und vielleicht findet auch manch eine:r Inspiration, mal ausserhalb der eigenen Parfumblase auszuprobieren und findet dabei ganz neue Kompositionen, neue Duftrichtungen und einen anderen Blick auf die olfaktorische Kunst.

Bitte und Danke für alles und nichts.

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