Turbobean
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vor 9 Monaten - 30.07.2023
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Der junge Turbo war ein Duft-Influencer :))

In meiner Jugend habe ich meinen lieben Eltern viel Kummer gemacht. Nicht aus bösem Willen, eher aus Entdeckergeist und Lebenslust.

Wenn in Frankfurt die „Dippemess“ stattfand, blieb ich bis zur Sperrstunde. Die Vorträge meiner Eltern (manchmal setzte es auch was), wenn ich gegen Mitternacht nach Hause kam, waren mir keinesfalls egal, aber ich KONNTE einfach nicht gehen. Schon mit 14 half ich tagsüber in einem Kiosk aus und verprasste das verdiente Geld am Abend in der gegenüber liegenden Kneipe. Anderntags half ich in der Jeansboutique von Nina aus und danach gings zum Nepal-Laden mit Patchuli-geschwängerter Luft und den interessanten amerikanischen Comics. In den Hinterräumen durfte ich am Joint ziehen. Geraucht habe ich eh schon mit zwölf. Eine Querstraße weiter holte ich mir aus der Druckerei Konzertposter ab, die ich auf dem Flohmarkt vertickte. Wenn ich dann sehr spät Abends nachhause kam, war das Geld immer weg.

Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt meiner jugendlichen Aktivitäten, um zu verdeutlichen, was meine Eltern mitgemacht haben, und dass für die Schule weder Zeit noch Interesse bestand. Irgendetwas musste also geschehen. So überredete man mich, ein Internat auf dem Lande aufzusuchen, für schwer zu zügelnde Jungs wie mich.

Im Gepäck hatte ich, neben den üblichen Necessaires, auch einige Flakons mit meinen damaligen Lieblingsdüften. Ich erinnere mich an Marbert Man, Rothschild und Mark Cross. Während heute jeder einigermaßen informierte Zwölfjährige eine Pulle Sauvage sein Eigen nennt, war es damals unüblich, dass junge Steppkes mit Düften hantierten. Dementsprechend gab es gerümpfte Nasen und rollende Augen, seitens der Mit-Internierten und des Personals, wenn ich morgens mit mehr oder weniger moderater Duftfahne am Start war.

Es dauerte aber nicht lange, bis mich erste neugierige Anfragen erreichten. Mein Zimmernachbar erwärmte sich für „Rothschild“ (das später Romanoff hieß). Er beauftragte sogleich den Zivildienstleistenden, ihm vom Einkauf in der Stadt ein 50ml Pülleken After Shave davon mitzubringen. Der Preis von 50,- DM war den ganzen Tag DAS Gesprächsthema.

Das Blatt wendete sich dann vollends, als auch der Leiter des Institutes Interesse zeigte, und von der Schülerschaft zu seinem Geburtstag einen Flakon Mark Cross überreicht bekam. Selten hat ein Duft zu einem Mann so gut gepasst, wie Mark Cross zu Leo (ein stämmiger, braun gebrannter Mitfünfziger). Jetzt brachen alle Dämme und während unserer Ausflüge in die nächst gelegene Stadt, bevölkerten wir die dortige Parfumerie. Die einen kauften das, was ihr Geldbeutel zuließ, die anderen ergatterten kleine Probeflakons, die man mit etwas Überredungskunst ausgehändigt bekam.

Nachdem ich etwa zwei Monate vor Ort war, hätte unser Institut sich für den Preis als best riechende Lehranstalt Deutschlands verdient gehabt. Es war eine wahre Freude! Es wurde getauscht und ausgeliehen, gegenseitig beurteilt, vertickt und verschenkt. Neuentdeckungen wurden euphorisch besprochen und abgekanzelt. Taschengelder wurden nicht mehr ausschließlich in Chips, Cola und Snickers investiert, sondern auch in Drakkar Noir, Musk, Lacoste, Kouros und Antaeus. Wohlhabendere Kollegen deckten sich außerdem mit den dazu gehörigen Deos und Duschgels ein.

Zu dieser Zeit entdeckte ich auch meinen All Time Favorite Man Pure von Jil Sander. Was ich um diesen Duft für ein Bohei gemacht habe, können sich wohl ausschließlich Mitglieder von parfumo.de vorstellen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Für mich sind das schöne Erinnerungen. Wegen der Düfte, wegen der Freunde, die ich dort gewonnen habe, aber vor Allem, weil sich mein Leben dort grundlegend veränderte. In den zwei Jahren meines Aufenthaltes lernte ich viel dazu und kam ein bisschen runter. Das hat mir gut getan und dazu geführt, dass ich seitdem bewusster durchs Leben gehe.

Die Liebe zu Düften ist aber geblieben.

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