Zerotonin

Gestöhne aus dem Badezimmer.
,,Scheiße, der bringt sich um!"
Raoul stürmt durch den geräucherten Raum ins Badezimmer. Dr. Gonzo, nur mit Sakko und Unterhose bekleidet, liegt in der Badewanne und kämpft mit der Stange des Duschvorhangs um das Radio, das Jefferson Airplane's White Rabbit spielt. Das Badewasser, schon etwas älter, verströmt einen eigensinnigen Geruch: da ist süßer Alkohol im Wasser, Zitrusfrüchte schwimmen an der Oberfläche, der leicht menschelnde Geruch des bereits marinierten Dr. Gonzo.

Raoul ist klar: der hat vom Stechapfel genascht.

,,Spul nochmal zurück zu dieser geilen Stelle, wo das Kaninchen sich selbst den Kopf abbeißt! Dann will ich, dass du das scheiß Radio zu mir in die Wanne schmeißt.", keucht Gonzo.
,,Verdammt, du drehst ja total durch", erwidert Raoul, der dem Benommenen mittlerweile die Stange entwendet hat und ihn damit in Schach hält, ,,dann bist du mausetot und ich muss anfangen, alles zu erklären."
Doch Dr. Gonzo hat ein Gegenargument. Er zückt eine messerscharfe Gardenie und hält sie Richtung Raoul. ,,Zwing mich ja nicht, das hier zu benutzen!"
,,Schon gut, Mann. Ist wohl die einzige Lösung. Ich schmeiß das Radio auf dem Höhepunkt von White Rabbit zu dir in die Wanne. Wozu sind Freunde da? Bereit?"
Unmenschliches Gestöhne.
Raoul hat aber einen Plan. Hinter seinem Rücken versteckt auch er Weißblüher. Einen ganzen Strauß. Und ein Räuchermännchen.
,,Zehn. Neun. Hundertelf. Zweiundvierzig. DREI!"

Ein großer Knall, und alles fliegt Gonzo an den Kopf. Denkend, er würde gerade sterben, windet er sich in der Badewanne, in der sich alle Gerüche zu einer famosen, psychedelischen Masse vereinen.
Angst und Abscheu erfüllen den Raum. Doch was in Las Vegas passiert, bleibt auch dort.

Ausgelassen tanzen die Feiernden im Kreis, halten sich an den Händen und jubeln ob der guten Stimmung und passenden Musik. Massenweise süßer Wein wird in Kübeln und Krügen gereicht, während die Damen ihre Gewänder wirbeln. Das Essen auf den Holztischen wurde zubereitet mit edlen Gewürzen, ist aber bereits erkaltet, da man schon zum Trinken übergegangen ist. An einigen Stellen im Raum wird Harz geräuchert. Fröhlich wird angestoßen - auf das Leben, auf gute Zeiten, auf Dionysos und Aglaea.

Aglaea, deren Name zu deutsch etwa so viel wie ,Glanz' oder ,Pracht' bedeutet, ist die Jüngste der drei Chariten, der Göttinnen der Anmut in der griechischen Mythologie (,Grazien' in der römischen).
Sie ist die Göttin der Schönheit, Herrlichkeit, des Glanz und Prunks und bewacht und betreut sämtliche Feierlichkeiten und Tänze.

Der Name könnte für den Duft passender kaum sein. Er erinnert an Feste längst vergangener Tage - süffig-süßer Pfirsichwein (eine wirklich schöne, authentisch wirkende Pfirsichnote wurde hier erschaffen!) wird vergossen, massenweise feinstes Essen verzehrt, gewürzt mit Blättern und Beeren der Myrte. Die altertümliche, heimelige Rauchigkeit eines Raumes, in dem seit Jahrzehnten mit Kamin geheizt wird, Schalen mit Räucherwerk.
Ein fruchtig-würziges Fest für die Sinne; mit Fülle, aber nicht überladen.

Du riechst ihn schon von weitem - den aromatischen Duft des Lavendels. Du atmest tief ein, öffnest die Augen und lässt den Blick schweifen über das endlose lila Meer. Bienen summen fleißig um dich herum und während du durch das Feld gehst, weht dir der Warme, angenehme Wind noch mehr dieses beruhigenden Duftes in die Nase. Fröhlich gehst du weiter, deine Hände die ein oder andere Blüte streifend, über den kleinen Weg durch das Feld.
Der Weg führt dich nun zu einer kleinen Bäckerei mit eigener Imkerei, deren Fassade komplett aus Holz ist und einen gemütlichen, einladenden Eindruck macht.
Du nimmst draußen auf einer Holzbank Platz und der Duft des blühenden Lavendels in der Mittagssonne vermischt sich mit dem süßen Backaroma von drinnen.
Die Inhaberin heißt dich herzlich willkommen und erzählt dir, dass der Honig, welchen sie zum Backen und Süßen von Getränken verwendet, von den Bienen stamme, die so emsig am Lavendel arbeiten. Dieser sei daher merklich für das Aroma dieses besonderen Honigs verantwortlich. Auch würden in einigen ausgewählten Backwerken die lila Blüten direkt mit eingearbeitet werden.
Du lässt dich ausgiebig beraten und entscheidest dich dann für heiße Milch mit besagtem Honig und ein Stück buttrigen Salt-Caramel-Lavendelkuchen.
Du genießt deine Pause und stellst fest, dass der würzig-aromatische Lavendel ganz hervorragend zum Süßen passt.
Du atmest noch einmal tief ein und trittst dann entspannt den Rückweg an, durch das lila Meer, mit dem Geschmack von gesalzenem Karamell im Mund.

Brilliantly British ist ein Lavendelduft durch und durch, allerdings nicht auf die typische Kölnisch-Wasser-Art. Er startet mit lieblichem Lavendel, beinah schon als Soliflor und vermischt sich ab der Herznote mit cremig-süßem Karamell plus Moschus; eine leichte Salznote, die kurz an 'Salt Caramel' von Shay & Blue erinnert, ist auch wahrnehmbar. Und während der Lavendel sich immer mehr zurücknimmt, klingt der Duft als gourmandiger Leckerbissen aus. That's it - manchmal kann's so einfach sein.
Wäre die Salzkaramellnote nicht, würde ich den Bezug zu ,british' jedoch eher nicht sehen. Lavendel verbinde ich dann doch eher mit der Provence. Der witzige Flakon hat es mir allerdings angetan - das Design find ich klasse!

,,Der ist doch ganz zahm und kuschelig", haben sie gesagt.
,,Ein milder Zibetgeruch", haben sie gesagt.
Ich hab mitgelesen. Wollte mutig sein. Auf den Arm gesprüht.

Und bin eingefroren.

,Das wird besser!' , habe ich mir selbst gut zugeredet. Wie bei einem Date oder wichtigen Meeting, bei dem man merkt, wie der Reizdarm fröhlich anklopft.
Einfach wegdenken.
Meditieren.
Auf die Atmung konzentrieren.
Und doch weiß man insgeheim, dass das alles nicht helfen wird. Das Unausweichliche rückt näher.

Das Unausweichliche an diesem Dufttest war die Erkenntnis, dass ich diesen Geruch verdammt gut kenne und keine schönen Gedanken oder Fantasien mir über diese Erinnerung hätten hinweghelfen können.

Knödel.

Mein kürzlich erkrankter Meerschweinchenbock, der aufgrund eines geschwollenen Gelenks nicht sehr mobil war und die Medikamente gegen die Entzündung zu allem Überfluss auch nicht gut vertragen hat. Es lief darauf hinaus, dass er ständig auf der Stelle hockte, auf die er gepieselt und den Matschkot hinterlassen hat. Meerschweinchen reinigen sich normalerweise wie alle Tiere sehr fein von allein, aber hier war etwas Menschenhilfe nötig. Die Tierärztin trug mir auf, den Intimbereich regelmäßig zu reinigen.
Nicht ganz baden, das ist nicht gut für die Schweinchen.
Aber waschen.
Täglich hab ich also mit warmem, nassen Lappen geputzt. Und dieses Odeur, dass sich entfaltet, sobald warmes Wasser auf das mit Durchfall und Pipi getränkte Fell im Intimbereich eines erkrankten Tieres trifft, kann man mit Worten nicht beschreiben.
,Civet' ist so, als hätte man den Lappen nach getaner Arbeit destilliert.
Da ist nichts anderes - es gibt kein Holz zu beschreiben, kein Gewürz, auch Leder riech ich nicht. Nur diese schwere Zeit.
16 Minuten habe ich durchgehalten. Mein Arm ist nun sehr rot, aber es geht mir wieder gut.
Knödel übrigens auch.

Stell dir vor, du öffnest früh morgens die Holztür deiner Berghütte, in der du in dieser Sommerwoche Zweisamkeit mit dir selbst genießt. Die Vögel zwitschern, Schmetterlinge sind unterwegs. Barfuß trittst du auf das noch vom Tau benetzte Gras, die Sonne scheint dir bereits recht kräftig ins Gesicht. Mit geschlossenen Augen genießt du die Natur, ihre Geräusche und Düfte. Frische Luft, Gras, Alpenveilchen, Weißdorn, Holz.
Du öffnest die Augen und siehst vor dir den Bergsee, der sich dir im schönsten Blau präsentiert.
Du machst dir eine Tasse Grüntee mit einem Schuss Zitrone und setzt dich auf den Holzstuhl in den Schatten. Neben dir baumelt die frische Wäsche vom Vortag im Wind hin und her. Bei jedem Hauch strömt dir der saubere Duft in die Nase, der sich mit der frischen, klaren Luft vereint. Und während du in den Himmel blickst und deinen Tee genießt, denkst du, du könntest ewig hier verweilen...

...leider reißt mich die Basis dann doch aus meinem Tagtraum. Sobald sich die cremigen Blüten, der Tee und die frische Wäsche nämlich verzogen haben, wird es mit der Synthetik schon grenzwertig. Ich bekomme nur noch Moschus und ein Synthetikholz, das eigentlich nur Timbersilk sein kann, obwohl im Kopf gelistet. Von Patchouli und Sandelholz keine Spur. Ich verspüre das starke Verlangen, nochmal nachzusprühen und wieder am Bergsee zu sein. Und wieder, und wieder.. Befinde mich im Teufelskreis!