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loewenherz’ Blog
vor 8 Jahren - 19.02.2016
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Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir?

Verfolge ich das Kommen, Bleiben (und manchmal auch das Gehen) hier - und horche ich in mich hinein und versuche mich an meine eigene 'Parfumowerdung' zu erinnern, glaube ich manchmal, eine Art Evolutionsmuster zu erkennen - und das Durchlaufen verschiedener 'Parfumo-Phasen', in denen wir alle, die wir hier lesen und schreiben, uns wenn nicht gleichen, dann doch zumindest ähnlich sind.

Phase 1 / Die Entdeckung des Gartens: man hat parfumo.de entdeckt (ich erinnere mich gar nicht mehr, wie ich hierher gekommen bin), liest hier und dort mal einen Kommentar oder Foreneintrag mit - sucht nach einem Duft, für den man sich vielleicht interessiert - oder schaut sich an, was andere über den eigenen Lieblingsduft so schreiben. Ein bisschen ist diese Phase, als käme man als 'Neuer' in eine Schulklasse - man beobachtet mehr, als man sich selber aktiv involviert, bis man sich dann schließlich doch das erste Mal einen eigenen Beitrag zu schreiben traut. In meinem Fall war das mein erster Kommentar zu Tom Fords "Azure Lime", weil ich den schon damals mochte und 'irgendwie ungerecht' fand, wie relativ schlecht er wegkam. Drollig ist auch, wie anders doch mein damaliger erster Kommentar stilistisch gegenüber denjenigen ist, die ich heute schreibe.

Phase 2 / Das Pflücken der Frucht: hat man den Fuß erst mal richtig hineingesetzt in die Welt der Wohlgerüche ist es, 'als fiele ein blendendes Licht auf etwas, das immer halb im Schatten gelegen hatte', um Tennessee Williams' Worte zu verwenden. Es gibt Neuentdeckungen allenthalben - neue Duftnoten, neue Namen, neue Marken. In dieser Phase schult man seine Nase, lernt zu erkennen, was ein Fougère ist, und wie Oud und Iris duften. Damit einher geht meistens - sofern wirtschaftlich möglich - eine erhebliche Erweiterung des eigenen Portfolios - und solche unvergesslichen Momente wie die erste Anschaffung eines Parfums für 200 Euro (oder mehr), was man sich vorher niemals nie hat vorstellen können. Man entdeckt staunend, wie anders etwa alleine der Akkord Rose-Oud duften kann, man möchte alles kennen lernen, alles riechen - und ja, manchmal auch alles haben.

Phase 3 / Der Verlust der unschuldigen Nase: spätestens jetzt hält man sich für fortgeschritten. Man hat erkannt, welche Düfte (und Marken) subjektiv gefallen - und kann dieses Gefallen sich selbst und anderen auch erklären. Man ist fokussierter geworden beim Testen neuer Düfte, sucht gezielt nach Seltenem und nach Nische und beginnt, über das Volk bei Douglas nachsichtig zu lächeln. Man hatte hochexklusive (und mithin sehr teure) Düfte in der Nase, glaubt an ihre Exklusivität oder auch nicht - und ist überzeugt, bestimmte Düfte nur in ihrer zwischen 1988 und 1991 produzierten Variante zu ertragen. In dieser Phase beginnt die Leidenschaft, das Spielerische zu verlieren - man kann fast nicht mehr anders, als Düfte zu analysieren und in ihre Einzelteile zu zerlegen - das einfach nur 'riecht gut' ist verloren gegangen unter allzu viel (vermeintlicher oder auch echter) Expertise.

Phase 4 / Resignation (und Neubeginn): es setzt sich die Erkenntnis durch, dass es 'den einen, einzig wahren Duft' nicht gibt, der ein besseres Wesen aus uns macht. Wir glauben, alles gerochen zu haben, sind gelangweilt von Konsum und Überfluss. Die Toleranz gegenüber (subjektiv) Billigem und (subjektiver) Massenware ist auf ein Minimum geschrumpft. In dieser Phase machen (brauchen) viele eine (Duft-)Pause, reduzieren ihre Sammlungen, teilweise drastisch. Wir haben gelernt, dass ein Duft, der nur 'ganz gut' gefällt - oft nur aus einem Impuls heraus gekauft - unsere Sammlung (und uns) nicht besser macht - im Gegenteil. Und vielleicht haben wir auch gelernt, dass Verzicht befriedigend sein kann - ein Tag ohne Parfum (oder auch zwei) - und einen Duft eben nicht zu kaufen, obwohl er gut gefällt, weil man der Stimme zu glauben gelernt hat, die flüstert: 'Brauchst du nicht!'

Ich beobachte manchmal, wie Neuankömmlinge ihre Sammlungen binnen Wochen verdoppeln (oder gar verdreifachen) - oder wie alte Hasen (respektive Häsinnen) diese Neuankömmlinge mit einer Art milder Nachsicht maßregeln ('eigne du dir erst mal Dufterfahrung an, in deinem 'Alter' hab' ich auch gedacht wie du'). Es ist wunderbar zu lernen, ein Parfum zu analysieren und sezieren - aber wenn man es einmal kann, dann ist der unvoreingenommene Zugang eben verloren. Nur die fast kindliche Freude über die (Wieder-)Entdeckung von etwas Schönem - die ist das einzige, was bleibt. Und Tom Fords "Azure Lime" - den mag ich immer noch!

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