Woher die Redensart vom Süßholzraspeln (im Sinne von schmeicheln) kommt, ist ein wenig umstritten. Sicherlich hängt es aber mit dem Wohlgeschmack des Süßholzes, aus dem schon früh Lakritzpulver hergestellt wurde, zusammen. Wer also Süßholz raspelte (das Raspeln des Süßholzes diente dazu, von der Wurzel kleine Stücke abzureiben, um sie dann als Pulver in Honig oder Wein genießbar zu machen), der bot dem anderen etwas Süßes und Würziges, in früheren Jahrhunderten ein besonderer Luxus, und machte ihn sich gewogen.
Süßholz in Düften ist eher selten, in maskulinen Düften zumal; nur 20 eher weniger geläufige Herrendüfte werden hier auf Parfumo geführt. Der Geruch wird teils als intensiv, teils als dezent beschrieben und erinnert auch in seiner nicht fertig verarbeiteten Konsistenz ein wenig an Anis. Ein besonders eigenes Vergnügen ist der Genuss von getrockneter, nicht zu Lakritz verkochter Süßholzwurzel, deren Saft man auskauen kann. Wer das schon einmal versucht hat, kann sich den Geruch der Substanz besser vorstellen als diejenigen, die nur die zur Süßigkeit verarbeitete Variante kennen.
Luca Turin lobt diesen außerordentlich preiswerten Duft nachdrücklich als eine schlichtere, zugleich dunkel-kräftigere ("...replaced by a somber monochrome hum..."), wenn auch weniger raffinierte Variante von Timbuktu (als weitere, wenn auch schwache Referenz erwähnt er Déclaration). Tatsächlich wäre ich selbst so leicht nicht auf diesen Vergleich gekommen. Im Test der beiden Düfte zeigen sich aber schnell erstaunliche Parallelen, obwohl die Duftpyramiden kaum erkennbare Ähnlichkeiten aufweisen.
Beide Düfte (Timbuktu und Canali Style) werden durch den Kontrast von rauchigen und säuerlichen Noten bestimmt. Ich möchte schwören, dass sich in Canali Style – ähnlich wie in Timbuktu - auch ein guter Schuss Vetiver findet, bin mir aber nicht sicher, ob diese Note nicht von oben erwähntem Süßholz hervorgerufen wird. Die Anisnote ist erkennbar, eine gewisse Süße ebenfalls, der leise säuerliche Unterton jedoch könnte auch von dem bei Canali Style schlicht nicht genannten Vetiver herrühren.
Die holzige Basisnote, die bei Canali Style sehr ausgeprägt ist, dürfte eher von Zeder- als vom Sandelholz stammen; auch an eine Ledernote könnte man denken, denn der Duft changiert zwischen weich und markant.
Während Timbuktu raffinierter ist, mehr Tiefe besitzt, gleichzeitig heller erscheint, die Kontraste stärker herausarbeitet, ist Canali Style etwas klarer, einfacher, dunkler, wuchtiger, bleibt stärker an der Oberfläche, ist deshalb aber gar nicht so viel weniger reizvoll. Tatsächlich würde ich Timbuktu Canali Style zwar jederzeit vorziehen, würde man mich nach dem schöneren Duft fragen, muss aber einräumen, dass letztgenannten eine ausgesprochene Alltagstauglichkeit auszeichnet. Während ich gelegentlich, einem (vielleicht absurden) Impuls folgend, L’Artisan Timbuktu als zu schade fürs Büro empfinde, den Duft in letzter Sekunde dann doch nicht wähle, kann ich mir Canali Style im Alltagshärtetest, der bei mir noch ansteht (vom Frühstück zum Büro, vom Büro zur Dienstreise, von der Dienstreise nach Hause, von den heimischen vier Wänden zum Restaurantbesuch, ja vielleicht sogar mit anschließendem Süßholzraspeln bei der Angebeteten), gut als bewährten Allrounder vorstellen. Nur die Haltbarkeit erscheint mir eher durchschnittlich. Nachlegen vor dem Süßholzraspeln ist also nötig.
All das hört sich ein wenig so an, als sei der Duft zwar gefällig, gleichzeitig aber auch ein wenig glatt und beliebig. Das ist jedoch merkwürdigerweise gerade nicht der Fall. Diese Kombination aus Rauch, Holz, ein wenig Leder und einer dezenten Säure ist originell. Zwar nicht so originell umgesetzt wie bei Timbuktu, allemal aber spannender als das, was ein Großteil des Mainstreammarktes zu bieten hat – und das zu einem Preis, der fast konkurrenzlos ist.
Ist man in der privilegierten Situation, Kostenerwägungen beiseite lassen zu können, dann stellt sich abschließend die Frage, zu wem dieser Duft, gerade in Abgrenzung zu Timbuktu, passen könnte: vielleicht ist Timbuktu eher der Duft eines Mannes mit dezent exzentrischen oder dandyhafte Zügen, Canali Style dagegen der des eleganten, aber weniger auffälligen Gentilhomme.