11.02.2024 - 04:16 Uhr
Marieposa
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Marieposa
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Unter dem Hexenbaum
„Geh hinab zum Fluss, mein Kind“, hatte sie gesagt, die trüben Augen auf mich gerichtet, obwohl ihr Blick nach innen führte. „Lass deine Gedanken hinforttragen vom Lied des Pappellaubs. Dort, wo die Engelswurzen gedeihen und das junge Gras.“
Ja, wie könnte ich diesen Ort vergessen?
Langsam lasse ich die Hände über die kuppelförmigen Blütendolden streifen, sammle Tautropfen, die in meiner Hand zu tränengleichen Schlieren schmelzen. Bedeutungsschwer hatte sie ihre faltige Hand um meine geschlossen, als wäre es ein Abschied, und dennoch lag ein sanfter Zug auf ihren Wangen.
Wie viele Stunden habe ich hier verbracht, umfangen vom Duft der Pappelknospen, als ich sie vorsichtig pflückte, Stück für Stück, bis meine rötlich verfärbten Fingerspitzen von ihren Harzen klebten? Ein Blatt vom jungen Sauerampfer zwischen den Lippen. Lang bevor die Engelswurzen blühten.
Was ich ihr heute bringen darf, hat sie mir nicht anvertraut, und auch nicht, mit welchem Antlitz sie mir bei meiner Heimkehr gegenübertreten wird.
Und so vergrabe ich die Finger im kühlen Grün der Gräser und Kräuter am murmelnden Fluss, lasse den sonnenblinden Blick mit dem flirrenden Licht zwischen den zarten Blättern der Pappel verschmelzen, lausche ihrem hypnotischen Flüstern wie aus anderen Welten. Weit recken die Bäume ihre schlanken Kronen in den Himmel. Zwischen Erde und Luft. Zwischen hier und dort. Genau wie sie. Und schließlich ist es ihre Stimme, die dort flüstert. Als hätte sich eine Pforte geöffnet.
**
Vermutlich ist es kein Geheimnis, dass ich eine gewisse Vorliebe für grüne Düfte habe, und dieser hier ist ganz nach meinem Geschmack. Unmittelbar nach dem Aufsprühen erinnert mich No 101 in seinem federweichen grünen Charakter an L'Esprit Cologne - Tokyo Bloom , wobei sich in No 101 schnell Angelika und Bergamotte zur bitteren Frische von Cassisknospen mit diesem leicht süßlich-grasigen Riechstoff gesellen, welcher die beiden Düfte miteinander verbindet. Eine Weile flirren Grüntöne in hellsten Schattierungen um meine Nase, erzählen von taufeuchten Wiesen, herben Kräutern, von Sommermorgenstunden, bevor die Hitze des Tages erwacht – und meinetwegen von isländischer Mitternachtssonne in 101 Reykjavik.
So weit so gut. Das ist hübsch, aber auch nicht wirklich neu, zumindest nicht, bis ich eine unerwartete lieblich-balsamische Note ausmache: Pappelknospen! Ein Duft, den man, einmal wahrgenommen, schwer wieder aus dem Kopf bekommt und immer wiederfinden wird, wenn die Bäume im März zu neuem Leben erwachen. Die bräunlich-grünen geschlossenen Knospen der Pappel sind von einem stark aromatischen Harz umschlossen, und es lohnt sich, eine Handvoll zu sammeln und vorsichtig in warmem Öl abzukochen. Mal ganz abgesehen von ihrem unwiderstehlichen Duft enthalten die Knospen Salicin, denselben Wirkstoff wie Aspirin, und die so gewonnene Salbe wirkt entzündungshemmend, hilft bei leichtem Sonnenbrand oder Muskelkater.
Genau diesen einmaligen Frühlingsduft finde ich in No 101 wieder, wo er aufs Angenehmste mit den bitteren Noten von Angelika und Cassisknospen sowie süßem Gras ausbalanciert ist und sich mit etwas Fantasie auch leicht seifiger Kerbel und frischer Sauerampfer ausmachen lassen. Es ist ein entspannter, linearer Duft, der beruhigt – mich zumindest –, und trotz seiner leichten, luftigen Natur erstaunlich lang mit seiner zurückhaltenden Präsenz erfreut.
Die kleine familiengeführte Marke Fischersund aus Island hat sich ganz isländischen Themen verschrieben und vermutlich muss man nicht mal Hallgrimur Helgason gelesen haben, um 101 mit Reykjavik zu verbinden. Dementsprechend soll auch der Duft die grün überwucherten Hinterhöfe der Stadt in den kurzen isländischen Sommern olfaktorisch abbilden – und weil Jón Þór Birgisson in erster Linie Musiker ist und nur in zweiter Parfum herstellt, hat er sich dem Thema auch musikalisch gewidmet: https://youtu.be/J2u1BmsgkVU?si=BrZc_pg_H2wBIqRU
Ja, wie könnte ich diesen Ort vergessen?
Langsam lasse ich die Hände über die kuppelförmigen Blütendolden streifen, sammle Tautropfen, die in meiner Hand zu tränengleichen Schlieren schmelzen. Bedeutungsschwer hatte sie ihre faltige Hand um meine geschlossen, als wäre es ein Abschied, und dennoch lag ein sanfter Zug auf ihren Wangen.
Wie viele Stunden habe ich hier verbracht, umfangen vom Duft der Pappelknospen, als ich sie vorsichtig pflückte, Stück für Stück, bis meine rötlich verfärbten Fingerspitzen von ihren Harzen klebten? Ein Blatt vom jungen Sauerampfer zwischen den Lippen. Lang bevor die Engelswurzen blühten.
Was ich ihr heute bringen darf, hat sie mir nicht anvertraut, und auch nicht, mit welchem Antlitz sie mir bei meiner Heimkehr gegenübertreten wird.
Und so vergrabe ich die Finger im kühlen Grün der Gräser und Kräuter am murmelnden Fluss, lasse den sonnenblinden Blick mit dem flirrenden Licht zwischen den zarten Blättern der Pappel verschmelzen, lausche ihrem hypnotischen Flüstern wie aus anderen Welten. Weit recken die Bäume ihre schlanken Kronen in den Himmel. Zwischen Erde und Luft. Zwischen hier und dort. Genau wie sie. Und schließlich ist es ihre Stimme, die dort flüstert. Als hätte sich eine Pforte geöffnet.
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Vermutlich ist es kein Geheimnis, dass ich eine gewisse Vorliebe für grüne Düfte habe, und dieser hier ist ganz nach meinem Geschmack. Unmittelbar nach dem Aufsprühen erinnert mich No 101 in seinem federweichen grünen Charakter an L'Esprit Cologne - Tokyo Bloom , wobei sich in No 101 schnell Angelika und Bergamotte zur bitteren Frische von Cassisknospen mit diesem leicht süßlich-grasigen Riechstoff gesellen, welcher die beiden Düfte miteinander verbindet. Eine Weile flirren Grüntöne in hellsten Schattierungen um meine Nase, erzählen von taufeuchten Wiesen, herben Kräutern, von Sommermorgenstunden, bevor die Hitze des Tages erwacht – und meinetwegen von isländischer Mitternachtssonne in 101 Reykjavik.
So weit so gut. Das ist hübsch, aber auch nicht wirklich neu, zumindest nicht, bis ich eine unerwartete lieblich-balsamische Note ausmache: Pappelknospen! Ein Duft, den man, einmal wahrgenommen, schwer wieder aus dem Kopf bekommt und immer wiederfinden wird, wenn die Bäume im März zu neuem Leben erwachen. Die bräunlich-grünen geschlossenen Knospen der Pappel sind von einem stark aromatischen Harz umschlossen, und es lohnt sich, eine Handvoll zu sammeln und vorsichtig in warmem Öl abzukochen. Mal ganz abgesehen von ihrem unwiderstehlichen Duft enthalten die Knospen Salicin, denselben Wirkstoff wie Aspirin, und die so gewonnene Salbe wirkt entzündungshemmend, hilft bei leichtem Sonnenbrand oder Muskelkater.
Genau diesen einmaligen Frühlingsduft finde ich in No 101 wieder, wo er aufs Angenehmste mit den bitteren Noten von Angelika und Cassisknospen sowie süßem Gras ausbalanciert ist und sich mit etwas Fantasie auch leicht seifiger Kerbel und frischer Sauerampfer ausmachen lassen. Es ist ein entspannter, linearer Duft, der beruhigt – mich zumindest –, und trotz seiner leichten, luftigen Natur erstaunlich lang mit seiner zurückhaltenden Präsenz erfreut.
Die kleine familiengeführte Marke Fischersund aus Island hat sich ganz isländischen Themen verschrieben und vermutlich muss man nicht mal Hallgrimur Helgason gelesen haben, um 101 mit Reykjavik zu verbinden. Dementsprechend soll auch der Duft die grün überwucherten Hinterhöfe der Stadt in den kurzen isländischen Sommern olfaktorisch abbilden – und weil Jón Þór Birgisson in erster Linie Musiker ist und nur in zweiter Parfum herstellt, hat er sich dem Thema auch musikalisch gewidmet: https://youtu.be/J2u1BmsgkVU?si=BrZc_pg_H2wBIqRU
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