Vetiver (Eau de Toilette) von Guerlain

Vetiver 1959 Eau de Toilette

Konsalik
04.01.2019 - 08:42 Uhr
34
Top Rezension
8.5Duft 8Haltbarkeit 7Sillage 9Flakon

Kontext und Rahmung

Mein Verhältnis zu Vetiver ist uneindeutig. Seit meiner (immer noch nicht so recht bewältigten) Primärerfahrung mit Laliques "Encre Noire" fällt es mir schwer, dominantem Vetiver unvoreingenommen gegenüberzutreten und schnell fällt die innere Klappe zu, auf der geschrieben steht: "Vetiver macht aus einem Parfum einen Geruch". Und so steht schon seit Monaten Guerlains Oberklassiker aus dem Jahre 1959 beinahe unangetastet in seinem beschrifteten Taschenzerstäuber auf dem Regalbrett, da der erste Geruchstest mein ankonditioniertes Vorurteil zu bestätigen schien: "Vetiver EdT" duftete für mich nicht, es roch vielmehr - wenn auch nicht unangenehm. Aber eben doch kalt, ohne Geschichte und Zweck; die übliche, eindimensionale Bleistiftmine eben. Wieviel interessanter nahm sich dagegen etwa "Timbuktu" von L'Artisan Parfumeur aus...

Einige Monate später gehe ich (nicht zum ersten Mal, mea culpa) einem meiner Freunde ungefragt mit meiner jungen Leidenschaft auf den Keks. Sprüh, sprüh. Verriech, verriech. Nichts dringt wirklich zu ihm durch, bis es zu Guerlains "Vetiver" kommt. Da sitzt mit einem Mal der olfaktorische Meißelschlag und schon bricht es aus ihm heraus: Der Bach hinter dem Vereinsheim, an dem er als Kind gespielt hat. Das Moos, die Steine: Kopfkino deluxe. Haben-muss-Litanei. Auch wenn es sich hierbei um eine sehr biographische, für mich naturgemäß nicht nachvollziehbare Assoziation handelt, brachte sie mich doch dazu, dem Duft noch eine Chance zu geben und siehe da: Gar so unzugänglich ist er gar nicht mehr. Das Gefühl, einen wenig kunstvoll präsentierten "Primär-Geruch" auf der Haut zu tragen, klingt ab. So etwas wie Freude kommt auf!

Der Duft bleibt kühl und reserviert, ja. Aber nicht abweisend-gleichgültig wie eine Bauhaus-Mustersiedlung, sondern eher Respekt erheischend wie ein klassizistisches Theatergebäude: Ebenfalls primär monochrom, aber eben mit Details gespickt, die dem Ganzen Kontext und Form geben; die reine, brutalistische "Fläche" wird vermieden. Ganz deutlich spürt man, nachdem der zitrische Auftakt abgeklungen ist, den durchaus mit Schwung dosierten Pfeffer. Hinzu kommt eine Würze, von der ich nicht genau sagen kann, ob sie vom gelisteten Tabak, oder doch dem Muskat herrührt. Gleichgültig: Mit wenigen Handgriffen wird dem Vetiver ein Rahmen geschaffen, der ihn wirklich zu einem Parfum werden lässt. Die snobistische Arroganz wird zu einer aristokratischen Distanz, die Raum und Verbindlichkeit schafft. So etwas kann man dann wohl durchaus als Gentleman-Duft bezeichnen, wenn mir die Verwendung dieses abgegriffenen Schlagworts gestattet sein darf.
10 Antworten
MonaghanMonaghan vor 6 Jahren
Klasse-Kommentar. Bei mir hat es ewig gedauert. Aber jetzt liebe ich ihn. Hat sogar Suchtpotenzial und beim Spruehen muss ich mich sehr zurueckhalten.
ExUserExUser vor 7 Jahren
Da geht es mir doch genauso wie dir. Mit Vetiver werde ich nur langsam "warm" und selbst um den großen Guerlain Klassiker habe ich lange einen Bogen gemacht. Dank Dir werde ich wohl mein Pröbchen heute wieder hervorholen. Pokal!
DOCBEDOCBE vor 7 Jahren
Lesenswerter & facettenreicher Kommentar zu meiner Lieblingsduftrichtung. Vielleicht solltest du mehr bei den modernen Vetivers stöbern?
ApiciusApicius vor 7 Jahren
Dass man Vetiver gegenüber reserviert ist, wenn man es über Encre Noir kennengelernt hat, kann ich gut nachvollziehen.
NovalisNovalis vor 7 Jahren
Ich bin auch immer hin und her gerissen was Vetiver betrifft. Aber diesen hier mag ich so richtig gern.
Schwarzlose Berlin, Treffpunkt 8Uhr, finde ich mit seinem Vetiver auch klasse.
YataganYatagan vor 7 Jahren
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Ja, ich denk so darf man ihn nennen. Während in Encre Noir Vetiverylacetat dominiert (ist da m.E. sogar angegeben), ist es hier eher Vetiver(Öl). Insofern sind die auch sehr unterschiedlich. Den hier mag ich auch (noch) lieber. :)
DuftsuchtDuftsucht vor 7 Jahren
Ich mag diesen Guerlain sehr gerne - er war für mich der Einstieg in die Welt der Vetivers - und der Herrendüfte! Allerdings bin ich bei Vetiver eigen. Der gefällt mir an mir selbst besser als an meinem Mann...
KovexKovex vor 7 Jahren
Bei mir hat es auch vom ersten Test bis zum Flakonkauf 3 Jahre gedauert. Gute Dinge wollen manchmal Weile haben ;)
FvSpeeFvSpee vor 7 Jahren
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Wie immer ein Lesevergnügen. Für mich war dieser Duft meine Vetiver-Primärerfahrung und hat den Grundstein für den Erfahrungswert gelegt, dass dominantes Vetiver in Düften mir in aller Regel nicht liegt. Vielleicht hatte/habe ich zu wenig Geduld. Jedenfalls mag ich das Bauhaus-Viertel in Dessau weit mehr als diesen Klassiker.
M3000M3000 vor 7 Jahren
Nebenbei hast Du mir erklärt, warum ich Vetiver so gern mag: Weil er zu mir passt!