15.06.2020 - 05:51 Uhr
FvSpee
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Colonia statt Corona, No. 19: Marcello, Peppino und Michele
In einer etwas unscheinbaren Ecke von Berlin-Schöneberg lag lange Zeit die Pizzeria von Marcello. Marcello ist ein Schlitzohr; ob er sympathisch ist, da bin ich mir nicht sicher. Er hatte aber ein Händchen fürs Geschäft und das Talent, sich mit den richtigen Leuten zu umgeben. Die Auswahl der Pizzen war hochoriginell: mit sardischem Einschlag und vielen persönlichen Ideen. Die Zubereitung perfekt und das Ambiente stimmte in jeder Hinsicht. Das Geschäft schien ziemlich gut zu laufen. Dann hatte Marcello wohl ein paar persönliche Probleme und hat an seinen Pizzabäcker verkauft.
Das war Peppino, eine Seele von Mensch. Ich habe mich für ihn wirklich gefreut, dass er endlich eine eigene Pizzeria hat. Aber seine Neueinrichtung des Lokals war völlig ungemütlich, die tolle Feinkosttheke wurde gestrichen und die Bedienung war betulich. Die Gäste wurden weniger und nach kurzer Zeit wurde zugemacht. Was aus Peppino, diesem Karajan des Holzkohlenofens, geworden ist, weiß ich nicht. Frau von Spee und ich haben jedenfalls schon mehrere Tränchen verdrückt, um Peppino und um seine geniale Pizza.
Nun ist Michele eingezogen. L'Antica Pizzeria da Michele ist eine angeblich bis ins Jahr 1870 zurückgehende Pizzeria aus Neapel, die dort wohl Kultstatus hat und es erfolgreich geschafft hat, diesen durch geschicktes Franchising in die weite Welt abzustrahlen. Wenn ich das Konzept richtig verstehe, kriegt in jedem spannenden Land genau ein Restaurant die Erlaubnis, sich "da Michele" zu nennen. Neben dem einen Laden in Neapel gibt es also, zum Beispiel, genau einen in New York, Paris und Toronto, und der deutsche Michele ist nun also in Schöneberg gelandet. Das ganze wird aufdringlich-unaufdringlich über Instagram und Facebook beworben, die sehr netten und sehr hippen Kellner sprechen nur italienisch und englisch. Natürlich ist die Pizza nicht mal halb so gut wie die von Peppino. Aber es ist so voll, dass man nie einen Tisch bekommt, der Kärtnerkiez ist das Little Italy von Berlin geworden und wahrscheinlich hat Michele demnächst die Höchstpunktzahl im Lonely Planet.
Geschäftserfolg hat nicht immer in allererster Linie mit der Qualität des Produkts zu tun; und so ist Chanel No 5 eben zu dem geworden, was heute Chanel No 5 ist, Harry Lehmanns Sminta ist eben nur Harry Lehmanns Sminta, und ein dritter Duft, der vielleicht genauso gut war wie die zwei, ist vielleicht noch vor dem Ausbruch des Krieges eingestellt worden.
Was die "Goldtropfen", die "Gotas de Oro" aus dem Hause "Instituto Espanol" betrifft, mag jeder entscheiden, was merkwürdiger ist: Dass der Duft in Spanien offenbar seit 1933 (vielleicht sogar seit 1903, die Quellenlage ist etwas unklar) mit Riesenerfolg durchhält, oder dass er hierzulande so unbekannt ist, dass es bisher weder Kommentar noch Statement gibt. Sie sind sicher kein Ausnahmecologne, aber ein schönes, ein bisschen kantig-schroffes orangenes Frischewasser, das ich wirklich mag.
Die Firma mit dem merkwürdigen Namen Insituto Espanol ist nicht etwa das spanische Gegenstück zum Goethe-Insitut (das ist das Insituto Cervantes), sondern ein mittelständisches, wohl in Spanien sehr erfolgreiches andalusisches Parfüm- und Kosmetikhaus. Die Internetseite bietet schöne Einblicke ins Firmenarchiv mit tollen Bildern der Pröbchenkoffer von vor hundert Jahren und der Herren mit Schnurrbart und Anzug und Ärmelschoner in der Buchhaltung und der Damen, die Flakons in Seidenpapier für den Transport einschlagen. Drei Colognes gehören zu den Dauerbrennern von den Anfängen bis heute, die "Gotas Frescas", "Gotas de Oro" und "Anfora de Oro", also die Frische-Tropfen, die Gold-Tropfen und die Gold-Amphore.
Die Gold-Tropfen sehen nicht mehr golden aus, das Wässerchen ist inzwischen rein klar, der aktuelle Flakon (es gibt nur eine 600-ml-Variante) ist in den äußerst un-goldenen Farben Frankreichs gehalten und eher eckig als tropfenrund (siehe mein hier eingestelltes aktuelles Foto). Das (bei gleichzeitiger Beibehaltung der Bezeichnung "Goldtropfen") ist ein Marketingdesaster, das eines Peppino würdig wäre.
Ich hoffe aber, dass dem Duft selbst das geschäftliche Schicksal Peppinos erspart bleibt, denn ihm ist das Gold in sehr vorteilhafter Weise erhalten geblieben. Gotas de Ora duftet nach einem Drittel des klassischen 4711 vermischt mit zwei Dritteln einer sehr herbfrischen, etwas kantig-rustikalen, im Auftakt auch etwas sprittigen, insgesamt auch eine nette Schlagseite ins Grüne aufweisenden Mandarinenschalen-Essenz. Von daher überzeugen mich die Duftnotenangaben hier auf Parfumo eigentlich fast mehr als die auf der offiziellen spanischen Firmenhomepage, wo es heißt: Kopfnote: Zitrone, Orange, Rosmarin. Herznote: Petitgrain, Lavendel. Basis: Holzige Noten. Wie auch immer, für mich liegt Petitgrain sowieso nahe bei Mandarine. Haltbarkeit und Sillage entsprechen dem, was man von einem Splash-Cologne erwartet, eine angenehm mandarinige (ja, ich bin da trotzig) Frische bleibt aber durchaus zwei bis drei Stunden auf der Haut.
Für den Duft und die Firma habe ich spontan Sympathien (wie für Peppino), weshalb ich bei der Bewertung von 7,75 auf 8 aufrunde. Für den Namen gibt es dafür nur 7 Punkte, das scheint mir ein fairer Kompromiss.
Wer den Trumm vom Flakon (für den Preis von nicht viel mehr als einer Flasche Orangenlimonade) erwerben möchte: Es gibt nach meinen Recherchen nur einen einzigen Bezugsweg aus Deutschland. Früher hätte ich den hier unbefangen genannt, inzwischen bin ich aus Furcht vor Schleichwerbungsvorwürfen vorsichtiger geworden, teile mein Wissen aber gerne auf direktem Wege.
Zum Abschluss noch zwei Vergleichsdüfte, beide ebenfalls sehr preiswert und beides offizielle Mandarinencolognes: Bodrum Mandalinasi von Eyüp Sabri Tuncer (als No. 10d im Anhang zu Folge 10 dieser Serie kurz angesprochen; von ähnlicher Qualität wie dieses hier, vielleicht etwas sanfter und geschliffener) und Mandarine Sanguine von Comptoir Cologne (für mich einer der schwächeren Düfte dieser interessanten französischen Billigmarke, wurde und wird in dieser Serie nicht besprochen).
Das Thema Colognes fasziniert mich inzwischen noch mehr als zu Beginn dieser Serie! Ich bleibe den Kölnischwässern und Kolonyas auch künftig verbunden, im Tragen und im Kommentieren, aber diese Serie läuft mit der kommenden Folge dann auch aus...
Das war Peppino, eine Seele von Mensch. Ich habe mich für ihn wirklich gefreut, dass er endlich eine eigene Pizzeria hat. Aber seine Neueinrichtung des Lokals war völlig ungemütlich, die tolle Feinkosttheke wurde gestrichen und die Bedienung war betulich. Die Gäste wurden weniger und nach kurzer Zeit wurde zugemacht. Was aus Peppino, diesem Karajan des Holzkohlenofens, geworden ist, weiß ich nicht. Frau von Spee und ich haben jedenfalls schon mehrere Tränchen verdrückt, um Peppino und um seine geniale Pizza.
Nun ist Michele eingezogen. L'Antica Pizzeria da Michele ist eine angeblich bis ins Jahr 1870 zurückgehende Pizzeria aus Neapel, die dort wohl Kultstatus hat und es erfolgreich geschafft hat, diesen durch geschicktes Franchising in die weite Welt abzustrahlen. Wenn ich das Konzept richtig verstehe, kriegt in jedem spannenden Land genau ein Restaurant die Erlaubnis, sich "da Michele" zu nennen. Neben dem einen Laden in Neapel gibt es also, zum Beispiel, genau einen in New York, Paris und Toronto, und der deutsche Michele ist nun also in Schöneberg gelandet. Das ganze wird aufdringlich-unaufdringlich über Instagram und Facebook beworben, die sehr netten und sehr hippen Kellner sprechen nur italienisch und englisch. Natürlich ist die Pizza nicht mal halb so gut wie die von Peppino. Aber es ist so voll, dass man nie einen Tisch bekommt, der Kärtnerkiez ist das Little Italy von Berlin geworden und wahrscheinlich hat Michele demnächst die Höchstpunktzahl im Lonely Planet.
Geschäftserfolg hat nicht immer in allererster Linie mit der Qualität des Produkts zu tun; und so ist Chanel No 5 eben zu dem geworden, was heute Chanel No 5 ist, Harry Lehmanns Sminta ist eben nur Harry Lehmanns Sminta, und ein dritter Duft, der vielleicht genauso gut war wie die zwei, ist vielleicht noch vor dem Ausbruch des Krieges eingestellt worden.
Was die "Goldtropfen", die "Gotas de Oro" aus dem Hause "Instituto Espanol" betrifft, mag jeder entscheiden, was merkwürdiger ist: Dass der Duft in Spanien offenbar seit 1933 (vielleicht sogar seit 1903, die Quellenlage ist etwas unklar) mit Riesenerfolg durchhält, oder dass er hierzulande so unbekannt ist, dass es bisher weder Kommentar noch Statement gibt. Sie sind sicher kein Ausnahmecologne, aber ein schönes, ein bisschen kantig-schroffes orangenes Frischewasser, das ich wirklich mag.
Die Firma mit dem merkwürdigen Namen Insituto Espanol ist nicht etwa das spanische Gegenstück zum Goethe-Insitut (das ist das Insituto Cervantes), sondern ein mittelständisches, wohl in Spanien sehr erfolgreiches andalusisches Parfüm- und Kosmetikhaus. Die Internetseite bietet schöne Einblicke ins Firmenarchiv mit tollen Bildern der Pröbchenkoffer von vor hundert Jahren und der Herren mit Schnurrbart und Anzug und Ärmelschoner in der Buchhaltung und der Damen, die Flakons in Seidenpapier für den Transport einschlagen. Drei Colognes gehören zu den Dauerbrennern von den Anfängen bis heute, die "Gotas Frescas", "Gotas de Oro" und "Anfora de Oro", also die Frische-Tropfen, die Gold-Tropfen und die Gold-Amphore.
Die Gold-Tropfen sehen nicht mehr golden aus, das Wässerchen ist inzwischen rein klar, der aktuelle Flakon (es gibt nur eine 600-ml-Variante) ist in den äußerst un-goldenen Farben Frankreichs gehalten und eher eckig als tropfenrund (siehe mein hier eingestelltes aktuelles Foto). Das (bei gleichzeitiger Beibehaltung der Bezeichnung "Goldtropfen") ist ein Marketingdesaster, das eines Peppino würdig wäre.
Ich hoffe aber, dass dem Duft selbst das geschäftliche Schicksal Peppinos erspart bleibt, denn ihm ist das Gold in sehr vorteilhafter Weise erhalten geblieben. Gotas de Ora duftet nach einem Drittel des klassischen 4711 vermischt mit zwei Dritteln einer sehr herbfrischen, etwas kantig-rustikalen, im Auftakt auch etwas sprittigen, insgesamt auch eine nette Schlagseite ins Grüne aufweisenden Mandarinenschalen-Essenz. Von daher überzeugen mich die Duftnotenangaben hier auf Parfumo eigentlich fast mehr als die auf der offiziellen spanischen Firmenhomepage, wo es heißt: Kopfnote: Zitrone, Orange, Rosmarin. Herznote: Petitgrain, Lavendel. Basis: Holzige Noten. Wie auch immer, für mich liegt Petitgrain sowieso nahe bei Mandarine. Haltbarkeit und Sillage entsprechen dem, was man von einem Splash-Cologne erwartet, eine angenehm mandarinige (ja, ich bin da trotzig) Frische bleibt aber durchaus zwei bis drei Stunden auf der Haut.
Für den Duft und die Firma habe ich spontan Sympathien (wie für Peppino), weshalb ich bei der Bewertung von 7,75 auf 8 aufrunde. Für den Namen gibt es dafür nur 7 Punkte, das scheint mir ein fairer Kompromiss.
Wer den Trumm vom Flakon (für den Preis von nicht viel mehr als einer Flasche Orangenlimonade) erwerben möchte: Es gibt nach meinen Recherchen nur einen einzigen Bezugsweg aus Deutschland. Früher hätte ich den hier unbefangen genannt, inzwischen bin ich aus Furcht vor Schleichwerbungsvorwürfen vorsichtiger geworden, teile mein Wissen aber gerne auf direktem Wege.
Zum Abschluss noch zwei Vergleichsdüfte, beide ebenfalls sehr preiswert und beides offizielle Mandarinencolognes: Bodrum Mandalinasi von Eyüp Sabri Tuncer (als No. 10d im Anhang zu Folge 10 dieser Serie kurz angesprochen; von ähnlicher Qualität wie dieses hier, vielleicht etwas sanfter und geschliffener) und Mandarine Sanguine von Comptoir Cologne (für mich einer der schwächeren Düfte dieser interessanten französischen Billigmarke, wurde und wird in dieser Serie nicht besprochen).
Das Thema Colognes fasziniert mich inzwischen noch mehr als zu Beginn dieser Serie! Ich bleibe den Kölnischwässern und Kolonyas auch künftig verbunden, im Tragen und im Kommentieren, aber diese Serie läuft mit der kommenden Folge dann auch aus...
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