![Simetra]()
Simetra
Top Rezension
11
Göttliche Vollnarkose
«Narkissos, der Sohn des Flussgottes Kephissos und der Wassernymphe Leiriope, war unbeschreiblich schön und wurde von beiden Geschlechtern gleichermassen begehrt. Aus lauter Stolz wies Narkissos alle Bewerber schroff ab. Einem besonders aufdringlichen Verehrer, Ameinios, liess er ein Schwert zukommen, damit dieser sich umbringe und Narkissos nicht mehr mit seinem Umwerben belästige. Ameinios stiess sich aus lauter Verzweiflung das Schwert in die Brust, rief aber in der Stunde seines Todes die Götter an, die Zurückweisung und seinen Tod zu rächen.
Nemesis (in anderen Erzählungen war es Artemis) erhörte die Bitte und strafte Narkissos mit unendlicher Selbstliebe. Als Narkissos an einer Quelle sein Spiegelbild im Wasser erblickte, war er so davon gefesselt, dass er dort verweilte, bis er starb. An Stelle seines Leichnams wuchs daraufhin eine Narzisse.»
Das ist – in Kurzform erzählt – der griechische Mythos des Narkissos oder Narziss. – Das Wort Narzisse leitet sich vom griechischen Wort ("narkein") ab und heisst "betäuben". Das Wort "Narkose" hat die gleiche Herkunft. Narkissos war also wortwörtlich "betäubt von sich selbst". Und ja, der Duft von Narzissen ist fürwahr betörend!
Narzissen gehören, nebst Lilien und der Calla, zu meinen absoluten Lieblingsblumen, vor allem, wenn sie weiss sind. In Parfums allerdings mag ich eher die "magisch-dunklen Blüten" als die allzu hellen, luftigen. Nun steckt in diesem Duft dem Namen nach eine schwarze Lilie, und der Pfeffer in der Kopfnote, den ich bei den beiden Guerlains "Angélique Noire" und "Spiritueuse Double Vanille" schon so liebe, hat mich neugierig gemacht. An dieser Stelle herzlichen Dank an Lotti fürs Sharing!
Gestern Abend habe ich "Lys Noir" erstmals getestet. Und ja, die Pfeffernote ist erkennbar, aber (zu meinem Leidwesen) nicht ganz so ausgeprägt wie erhofft. Lilie und Narzisse drängeln sich sehr schnell vor und dominieren den Duft während etwa guten Stunde mit einem floralen Akkord. Mir wird's fast ein bisschen zu blumig, doch kurz bevor Kopfschmerzen entstehen könnten und ich mich in Vollnarkose wähne, schleicht sich die Tuberose ein und gibt dem Duft eine wirklich göttliche cremige Note. Fast könnte man es seifig nennen, was ich überhaupt nicht mag – doch zum Glück wird diese Grenze nie überschritten, und der Duft meistert den schmalen Grat zwischen sinnlicher Cremigkeit und klinischer Seife virtuos. Ich krieg' mein Handgelenk nicht mehr von meiner Nase!
Etwa drei Stunden nach dem Auftragen wird der Duft nach und nach dunkler und wärmer und gewinnt an Tiefe. Wieder: Göttlich! Hölzer und Moschus kann ich nach und nach erkennen, Patchouli hält sich bei mir sehr im Hintergrund, was ich persönlich gut finde. Für mich sollte Patchouli andere Noten stets nur unterstreichen oder dämpfen, nicht aber selber die Hauptrolle spielen.
Was mir im ganzen Duftverlauf leider fehlt, sind Ecken und Kanten, das "gewisse Etwas". Es ist wie in der Sage: Dieser Narkissos ist wunderschön, doch keiner kann ihn kriegen... Und wie so oft bei allzu schönen Menschen (und Düften!) wirkt Perfektion halt auf Dauer auch ein bisschen langweilig.
Vielleicht noch etwas zur "Aussenwirkung": Normalerweise bin ich "Wenigsprüherin" und komme mit zwei, maximal drei Sprühstössen aus. Irgendwie ist Lys Noir aber etwas "schwach auf der Brust", ich brauchte fünf Sprüher, um überhaupt etwas wahrzunehmen. Die Sillage äusserst körpernah und wird auf Armlänge kaum wahrgenommen, was mir persönlich jedoch passt. Die Haltbarkeit ist gut, Lys Noir hält sich so an die sieben Stunden – was ich dann doch erstaunlich finde, weil der Duft an sich nicht stark ist.
Alles in allem ist "Lys Noir" ein sehr angenehmer, relativ unscheinbarer Duft, der die Trägerin einen Arbeitstag lang in ein warmes, aber unaufdringliches Blumenmeer bettet. Ein gelungener "Büroduft", der sich für seine Liebhaber durchaus auch als Signaturduft eignen würde.