Wenn mein Großonkel Paul bei jeder auch nur entfernt passenden Gelegenheit erwähnte, früher habe ein Ei einen Pfennig gekostet, verdrehten mein Bruder und ich die Augen. Unsere Eltern waren zu höflich dazu. Und später, wenn in unserer Familie irgendjemand einen Satz mit "Früher..." begann, fiel man ihm nicht selten ins Wort: "Ja, ja, früher. Früher hat ein Ei einen Pfennig gekostet."
Doch je älter ich werde, desto mehr gerate auch ich in die Gefahr, die Vergangenheit zu romantisieren. Das Gute bleibt in Erinnerung, das Schlechte wird vernachlässigt. Zum Beispiel mein erstes Auto, ein Polo Fox. Ach, wie herrlich einfach war der noch, keine Elektronik, die versagte oder einen zur Unzeit durch alarmierende Anzeigen völlig unbegründet in die Werkstatt schicken wollte. Dass der Polo ein riesiges Steuerrad ohne Servolenkung hatte und keinen Bremskraftverstärker - ach, vergessen. Aber ich schweife ab.
Eichenmoos. Ich möchte es nicht romantisieren. Schließlich habe auch ich eine, zwar nicht besonders beeinträchtigende, aber Allergie. Zudem kann altes Eichenmoos auch wirklich bitter, beißend und uralt verknarzt riechen, wie ich finde. Aber da muss man offensichtlich unterscheiden. Es gibt altes Eichenmoos, das noch frisch geblieben ist und altes Eichenmoos, das sich über die Jahre durch einen Alterungsprozess zum Miesepeter verändert hat.
Mehr durch Zufall bin ich an einen Restflakon Paloma Picasso EDT von 2008 geraten. Er hat keinen Deckel mehr und einen Abplatzer am Fuß. Ich habe mir nicht viel von dem Duft erhofft, da ich das aktuellere EDP kenne, das ich zwar nicht schlecht, aber auch nicht besonders beeindruckend finde.
So sprühte ich das EDT ohne besondere Erwartung erst einmal vorsichtig auf eine Stelle unten am Handgelenk, wo ich es schnell und ohne Probleme wieder hätte abwaschen können.
Oh, Überraschung! Schon im ersten Moment beamt mich der Duft zurück in die Kindheit: Wie liebeswert fröhlich, aber in seiner Kombination typisch für "junge" Düfte der Siebziger! Diese frischen, leichten Parfums trugen damals die jungen Frauen wie meine Mutter und die Mütter der anderen Kinder. Hell und natürlich, blumig mit einem zarten Hauch von Harz. Ich rieche Zitrisches, zerbrechliche Blüten und transparentes, frisches Eichenmoos. Die Blüten sind wie ein pastellfarbener, fröhlich gemischter Strauß Blumen, so bunt gemischt, dass sie sich zu einem Ganzen verbinden und einzelne vom Duft her nicht mehr wirklich auszumachen sind.
In der Herznote kommt anstelle der schwindenden Zitrusfrüchte eine helle, pudrige Irisnote dazu, so wundervoll leicht und wohltuend, wie sie nur in alten Düften noch zu sein scheint. Ich nehme an, dass hier noch echte Iriswurzel verwendet wurde. Überhaupt empfinde ich den Duft sehr natürlich, so als sei nichts Synthetisches verwendet worden. Dies war auch der Moment, wo ich das Alter meines Flakons recherchierte.
Gen Basis verstärkt sich eine ganz leicht animalische Note, die vorher nur extrem dezent mitschwang: Zibet.
Auch im Ausklang nach vielleicht 6 Stunden bleibt Paloma Picasso EDT von 2008 transparent, pudrig-hell und unbeschwert.
Selten mag ich auch in der Basis einen Duft wirklich tief inhalieren, ohne dass mir irgendetwas stickig erscheint. Hier kann ich völlig frei mit tiefen Atemzügen meine "junge" Vergangenheit aufsaugen.
Ach, was waren das für glückliche Zeiten! Damals, als die Frauen noch nach Parfum mit herrlich frischem Eichenmoos dufteten und Onkel Paul sagte: "Früher hat ein Ei einen Pfennig gekostet!"
P.S. Ich nehme es Euch nicht übel, wenn jetzt Ihr die Augen verdreht.