Berlin ist bekanntlich immer eine Reise wert. Wer als Berlin-Tourist jedoch coole Attraktionen bevorzugt, so etwas wie nächtliche Ausflüge in den Berliner Untergrund, versteckte Hinterhof Werkstätten, Plätze mit authentischem Berliner Flair, der sollte das kleine Geschäft der Firma Harry Lehmann berücksichtigen.
Das Ladengeschäft liegt in der belebten Kantstrasse 106 in Charlottenburg, Nähe gleichnamige S-Bahn-Station. Die inzwischen verblichene Beschilderung des Ladens muss in den 50er Jahren einmal sehr elegant gewirkt haben. Doch wenn man eintritt, wird man erschlagen von einer unglaublichen Blütenpracht. Blumen, wohin man schaut. Man braucht eine Weile, um zu merken, dass es besondere Blumen sind, solche ohne Duft. Verkauf von Seidenblumen ist das zweite Standbein der Firma. Doch Duft kommt hier ausschließlich aus großen Flaschen und Ballons, die an einer Wandseite aufgereiht sind und zum Probieren einladen.
Alles hat einen wunderbaren, in die Jahre gekommenen Charme. Von der stuckumrandeten Decke blättert die lindgrüne Farbe ab. Neonröhren, kunstvoll zu einem Stern oder einer Blüte geformt, sorgen für Beleuchtung.
Die Düfte in den Literflaschen und Ballons aus dem Chemikerbedarf kann man kennen lernen, indem man am Glasstopfen riecht. Auf Wunsch bekommt man aber auch Papierstreifen. Hier gibt es nichts von Chanel oder Guerlain, auch Joop, Boss und Armani sucht man vergeblich. Alles ist selbst hergestellt.
Die Tür öffnet sich, eine alte Dame mit Gehhilfe betritt das Geschäft – offensichtlich seit vielen Jahren Stammkundin: „Einmal Weisser Blütenzauber bitte!“
Natürlich habe ich vieles durchprobiert. Besonders gut fand ich diejenigen Düfte, die eine bestimmte Komponente in den Mittelpunkt stellen und nach ihr benannt sind: Tulpe, Ambra, Sandelholz, Lavendelblüten. Hiervon eine kleine Menge zu kaufen, eignet sich prima als Vergleichsduft, um diese Noten kennen zu lernen und aus anderen Parfums herausriechen zu können.
Manches sind eigenständige Schöpfungen, andere Parfums orientieren sich an ganz klassischen, traditionellen Vorlagen. Mitunter Düfte, die woanders längst verschwunden sind. So bekommt man bei Harry Lehmann noch ein „Russisch Juchten“!
Die Preisgestaltung ist sehr reell – Parfum nach Gewicht, heißt die Devise. Man bekommt die Abfüllungen schon ab 10 ml! Man kann Flakons aller Größen erwerben, mit Sprühkopf oder ohne, darf aber auch eigene mitbringen.
Gut, die aktuellsten Inhaltsstoffe, schicke Designer-Moleküle, vor Kurzem im Labor ausgebrütet, wird man in diesen Parfums vielleicht nicht antreffen. Denn die großen Lieferanten IFF, Givaudan, Firmenich etc. sprechen nicht mit der Firma Harry Lehmann. Dass er überhaupt an Rohstoffe für seinen überschaubaren Bedarf kommt, führt der Inhaber auf langjährige Geschäftsbeziehungen zurück.
Hoffen wir, dass dieses kleine Unternehmen noch lange dem Zeitgeist trotzen kann.
www.parfum-individual.deEin Artikel aus dem Berliner Tagesspiegel zu Harry Lehmann:
http://www.tagesspiegel.de/berlin/das-ist-der-
berliner-duft/682234.html