DasguteLeben:
Es ist schon korrekt, dass wir , d.h. der Westen, eine okularozentrische Kultur sind, in der visuelle Paradigmen dominieren und Geruch traditionell als "niedrigster Sinn" betrachtet wurde. Zwar wird natürlich viel gerochen, aber wir sind einerseits eine Desodorierungskultur in der Gerüche stark reglementiert sind und andererseits eine Duftmanipulationskultur, d.h. es klafft eine ziemliche Lücke zwischen dem Volumen der Riechstoff- und Aromenindustrie und der Fähigkeit zum bewussten, reflektierenden, souveränen Umgang mit Geruch. Eine Semantik des Riechens, olfaktorische Kunst, Gerüche als ganz zentrale Träger von Emotion und Erinnerung, das steckt alles noch in den Kinderschuhen. Sieh dazu u.a. die vielfältigen Arbeiten und Projekte von Sissel Tolaas oder der großartige Smeller 2.0 von Wolfgang Georgsdorf.
Europa ist noch ein Witz verglichen mit Ostasien. Als ich 2016 mal wieder in Taiwan war hatte ich den Eindruck, dass dort allgemein sehr wenig Parfumkultur herrscht. Also eigentlich gar keine, Parfums sind dort ein Luxusgut aus der westlichen Welt und die Community die sich dafür interessiert ist noch eher klein (mal abgesehen davon dass zumindest Taiwan fast schon in den Subtropen liegt und dort viele Parfums unerträglich wären).
Aber in Ostasien ist es sehr viel verbreiteter, nicht zu riechen, zu dem Punkt dass sich bei manchen Regionen der Körpergeruch regelrecht rausgezüchtet hat.
Man kann sich hierzu die Arbeiten von Yoshiura et al. 2006, Martin et al. 2010 und Ohashi et al. 2010 anschauen.
Zusammengefasst geht es um eine Mutation in einem Protein - ein ABCC11 Transporter - welches die Funktion von apokrinen Drüsen in der Haut bestimmt und auch die Ohrenschmalz-Konsistenz mitbestimmt. Liegt eine bestimmte Mutation vor, fällt die Funktion des Proteins und somit auch die Funktion der Drüsen aus und der Ohrenschmalz ist dann eher trocken.
In der Karte von Yoshiura et al. 2006 (hier:
www.nature.com/articles/ng1733/figures/4 ) ist die Verteilung dieser Mutation auf einer Weltkarte visualisiert, man sieht dass z.B die Südkoreaner alle diese Mutation tragen, d.h. dieses Volk hat über mehrere Generationen seinen Körpergeruch weggezüchet. Und dies scheint in weiten Teilen Ostasiens so zu sein, ich selbst (meine Mutter ist aus Taiwan) scheine auch keinen Körpergeruch zu haben. Und mit Ethanol verstoffwechseln hab ich es auch nicht so. Aber gut, man kann aus diesen Datensätzen herausinterpretieren, dass es Kulturkreise gibt, in denen es schon früh zu einer Stigmatisierung von Körpergeruch kam. Und auch Chandler Burr hat mal berichtet, dass Japaner - wenn sie auf Düfte abfahren - nur auf minimalistische, lineare Düfte a la "L'Eau d'Issey" abfahren und nicht auf einen vergleichsweise opulenten Guerlain bzw. allgemein einem Duft mit Kopf, Herz und Basis.
Aber dementsprechend spielt der Körpergeruch durch die Hygienestandards der modernen Gesellschaften eine untergeordnete Rolle und ist zunehmend visuell orientiert. Sieht man ja auch an Tinder und Konsorten.
Quellen:
Yoshiura et al. 2006
www.nature.com/articles/ng1733Martin et al. 2010
www.sciencedirect.com/science/article/pii/S002
2202X15346832Ohashi et al. 2010
academic.oup.com/mbe/article/28/1/849/987325