Anosmia

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6 - 10 von 14
Anosmia vor 6 Jahren 69 23
Eleganz ist ein Stahlbad
Ganz im Gegensatz zur Modelinie des Konzerns die durch Lagerfeld einen deutlichen Drall Richtung Punk bekommen und sich darüber beim jungen Publikum beliebt gemacht hat ist das No 5 wohl im Sinne der Erfinderin modernisiert wurden und hat seine klassische, elegante Anmutung behalten, so höre ich jedenfalls.
Als ich es neu hatte "teilte" ich es mir sozusagen mit einer Freundin und meiner Mutter und landauf, landab wurde das Eau schwärmerisch gepriesen: Blumig, frisch, pudrig, edel, elegant, klassisch, feminin, unvergleichlich, nicht zum satt riechen, geeignet für rund um die Uhr, das Büro, das erste Date, das Theater, ein fantastischer, nicht zu überbietender Duft.
Übrigens kamen diese Begeisterungsstürme fast ausschließlich von Frauen. Als würde er etwas verkörpern, was fast alle Frauen ausstrahlen wollen - Selbstsicherheit und Stilbewusstsein vermutlich.
Eau Premiere hatte bisweilen ganz merkwürdige Effekte auf die Trägerinnen: Meine Freundin zum Beispiel, bis dahin eher von der Lederjacken&Boots-Fraktion lief auf einmal mit Trenchcoat und schlichter heller Ledertasche herum und probierte sich in French Manicure. Und meine Mutter ließ sich von mir stapelweise schwarze Longsleeves mit eingesetzten weißen Hemdkragen und -manschetten nähen die immer mit Eau Premiere getragen werden mussten. Sicher trug der Name (CHANEL!) einiges zu diesem Sinneswandel bei, war aber durchaus nicht der ausschlaggebende Punkt.
Die ersten Unkenrufe kamen von den Typen, mit denen die Freundin und ich damals liiert waren. Die fanden den Duft altbacken, bieder, penetrant und absolut unsexy. Vermutlich war er ihnen zu parfümig, vielleicht störten sie auch die Aldehyde und die oft beschriebene Seifigkeit. Und ganz bestimmt störte sie, was dieser Duft ausdrückt. Eleganz und Understatement waren ihre Sache nicht und unter Erotik stellten sie sich Netzstrumpfhosen, Strapse, Röhrenjeans mit Boots oder Hotpants aber ganz sicher keine Seidenblusen und Trenchcoats vor.
Und dann passierte es:
Meine Mutter und meine Freundin waren das Eau Premiere quasi über Nacht leid: Sie konnten es nicht mehr ausstehen und fanden es anstrengend. Zeitgleich verschwanden die Nude-Nägel und der Hang zu ausgewählt eleganter Kleidung, die auch noch bis in die Nachtstunden zu Hause getragen werden mussten.
Was war nur passiert?

Formvollendete Eleganz ist etwas Wunderbares. Wann immer ich eine Frau sehe mit ganztags perfekt liegender Kurzhaarfrisur oder einem kunstvoll aufgesteckten Chignon, in einer perfekt blassblauen knitterfreien Seidenbluse die perfekt an der mindestens fast perfekten Figur fällt, dazu ein Bleistiftrock und ein lässig wehender Trenchcoat - nicht zu vergessen perfektes MakeUp und perfekt manikürte Fingernägel - dann bleibe ich stehen und staune und schwärme.
Eleganz als durchgängiger Lebensstil ist auch etwas ausgesprochen Seltenes. Ich finde man sieht ob sich jemand für ein Ereignis gestylt hat oder jeden Tag so unterwegs ist.
Und nicht zuletzt (Chanel sagte das mal so ähnlich) ist Eleganz etwas Zeitloses: Einzelne Accessoires mögen sich ändern, eine bestimmte Haltung, ein bestimmter Grundstil scheinen aber erhalten zu bleiben. Und so wurde aus No 5 das No 5 Eau Premiere.

ABER: Für mich selbst finde ich Eleganz ein Stahlbad und ich habe den Eindruck, dass ich damit nicht allein bin. Es gibt Mädchen, die bestehen als Kinder darauf ganz in weißer Spitze eingeschult zu werden, vergessen sich aber nach dem ersten Stück Kuchen und kommen abends - als hätten es alle Großen nicht geahnt - mit gerissener Strumpfhose, Matsch auf dem Kleid und Blättern in den Haaren zurück. Diese Mädchen wachsen dann möglichweise zu Frauen heran, die sich Trenchcoats und Eau Premiere zu legen um nach 3 Monaten fest zu stellen dass dieses Ensemble so gar nicht für ihren Alltag gemacht ist.
So wie dieser Duft Haltung verleiht, so verlangt er sie auch. Räuberprinzessinen ist er auf Dauer möglicherweise zuviel, auch wenn sie sich in seiner Selbstsicherheit und Bestimmtheit erstmal wieder finden.

Was - schlussendlich - aber gar nichts daran ändert dass hier ein ganz großes Parfum erfolgreich modernisiert wurde.
23 Antworten
Anosmia vor 8 Jahren 31 3
Leder oder nicht Leder, das ist hier die Frage
Als meine Mutter mir die Flasche andrehte, naja, anempfahl, schwor sie es handle sich hier um einen wild-animalischen superpräsenten ledrigen Kracherduft, der "hier bin ich" jubelt, nein kreischt. Aber: sie hatte ja auch den Leoparden auf der Flasche und das ultra-kitschige, absolut nicht postkoloniale Savannen-Werbefoto gesehen sowie sich die Ingredienzien erzählen lassen.
Ausserdem kannte sie den Namen.

Alle, die dem Duft ganz ohne Interpretationshinweise begegneten klangen eher so: Oh, Gewürze. Ganz schön alkoholisch, ist das vielleicht Rum? Hach, sehr angenehm. Schön. Schöne Creme hast du heute benutzt.
Doch, der ist interessant. Sehr interessant. Aber eher kerlig. Ziemlich herb. Aber, wirklich, der ist gut, der gefällt mir.

Keine Irritation.
kein überschwänglicher Jubel.
Keine Beladonna-Pupillen.

Und kein Mensch verlor je ein Wort über Leder.
Einer meiner Probanden, den ich dann verbal mit der, genau, Nase auf die Ledernote stossen wollte antwortete bloss: "Leder? Faxen!"
Aber vielleicht hat er sich sein Näschen für subtilere Ledernoten auch einfach versaut, jedes Wochenende eingeklemmt zwischen meterweise vollgeschwitztem Leder im derzeit angesagtesten Club der Welt.

Also ein durch und durch beliebter, von unglaublich vielen Leuten als "angenehm" (ist das das neue "nett"?) empfundener Duft mit ebenso angenehm körpernaher Sillage.
Dennoch: Wer angesichts des schicken Flakons denkt: "Oh, ich habe mich schon immer wie eine Wildkatze in Lederstrapsen auf Safari gefühlt, der hier ist meiner!" hängt sich mit einem Blindkauf möglicherweise ein bisschen zu weit aus dem Fenster.

Ich nenne ihn jetzt Kumpel und trage ihn immer wenn ich Männer davon ablenken will, dass ich eine Frau bin.
Das klappt hervorragend.
3 Antworten
Anosmia vor 8 Jahren 25 1
Ausgehen mit Sally Bowles
Das ist das totale Kontrastprogramm zu dem gerade kommentierten L'Heure de Nuit und in diesem Fall überlege ich auch nicht, ob das passt, ich war schon nach der ersten Ausgehnacht mit Black Orchid total verliebt.

Dabei hatte ich vorher schon ein bisschen Angst, es als geruchsblinder Parfum-Träger mit der Dosierung zu verkacken und dann als Johannisbeermarmeladenfackel durch die Nacht zu turnen oder allen um mich herum den Atem ab zu drehen.
Ging aber alles gut und jetzt weiß ich, welche Dosierung wo geht.
Erschlagend fand Black Orchid aus meinem Umfeld noch niemand, es ist aber eine Rampensau, die ich nicht mit ins Theater oder Kino nehmen würde.
Gleich an seinem ersten Abend sammelte dieses Parfum mehr Komplimente als andere Düfte in ihrer kompletten Aufenthaltszeit in meiner Sammlung. Und in diesem Fall war die Wirkung eindeutig erotisch. BO ist die perfekte Ergänzung für zB Smoky Eyes und ein blutrotes Seidenhemdchen.
Erotisch und laut: Nicht nur finden es alle anziehend und aufregend, BO muss im Mittelpunkt stehen, unbedingt, immer. Punkt.
Wenn ich es trage, wollen Leute miteinander darüber fachsimpeln, wie ich rieche - Blumen, Whisky, Holz gehörten zu den bisher genannten Noten, für die meisten ist es aber nur ein Knäuel "AAAH!" Sogar von einer Chloé-Trägerin gabs Komplimente. Oha.

Das spannende daran finde ich nicht die Komplimente. Auch nicht die unheimliche erotische Wirkung. Das kannte ich ja schon von Samsara.
Im Fall von Black Orchid habe ich aber manchmal das Gefühl, nicht mit einem Parfum sondern mit einer anderen Person unterwegs zu sein. Das ist seltsam, verrückt und wahnsinnig aufregend; umso mehr als ich diese "andere Person" ja nur aus den Berichten kenne. Aber nach allem, was ich gehört habe würde ich vermuten diese Person heißt Sally Bowles und mit wem könnte man schon besser durch Berlin toben?

Black Orchid ist ein Statement. Eine Ansage. Schön, schrill, erotisch, frivol, aufmerksamkeitsheischend an der Grenze zu aufdringlich.

Ich höre Samsara im Schrank heulen, es ist eifersüchtig, weil es glaubt, dass Black Orchid ihm mit seinem süß-großmäuligen "Sieht mich auch jeder?"-Charme den Rang abgelaufen hat und nun statt seiner die Stadt mit mir unsicher machen darf.
Da könnte es recht haben.
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Anosmia vor 8 Jahren 30 5
Märchenduft
Ich bin so lange um dieses Parfum herumgeschlichen, habe sämtliche Rezensionen im Netz gelesen, eine 3,8 ml Probe gelehrt, mir von Salander eine wirklich wunderschöne, gelungene, nahezu synästhetische Beschreibung geben lassen und dann, als es Geld regnete, habe ich mich durchgerungen dem Zeug mal ne Flasche Zeit zu geben.

Während der Testphase mit der Probe hat niemand irgendwas dazu gesagt, mittlerweile meine ich auch zu wissen warum: Ich hab da noch geraucht und auch wenn es sicher Parfums gibt, die toll mit Rauch funktionieren, dieses ist es offensichtlich nicht. Das geht dann unter.

Sillage bei mir: Monströs zu Beginn, dann ein dezenter körpernaher Nebel. Jedenfalls krieg ich in der ersten (halben) Stunde tragen immer die meisten Komplimente, gepaart aber mit dem Hinweis, der Duft sei raumgreifend.

Und Komplimente kriegt man für diesen Duft, schwärmerische, überschwängliche, bezauberte. Diesen Duft "Crowdpleaser" zu nenne wäre frech, da könnte man auch über die schöne Märchenprinzessin, an die alle ihr Herz verlieren sagen, sie sei ein "Crowdpleaser". Nein, L'Heure de Nuit entfaltet schon etwas mehr Magie.
Allerdings eine, wie ich finde, völlig unerotische.
Ich habe den letzten Sommer während eines Projekts mit Kindern sehr oft getragen und sehr viele Komplimente gekriegt, von den Kids und von Kollegen. Jetzt ist der Duft verbunden mit dieser Erfahrung: Sommer, Sonne, Kinderlachen, ein gänzlich unschuldiger, vorsichtiger Flirt mit einem Kollegen, laue Abende und Zufriedenheit, das stille Glück.
Aber als Ausgehduft funktioniert er nicht, weil er wohl das Kneipengemüff nicht übertönt und er provoziert auch nicht geweitete Pupillen und in Haare oder Hälse vergrabene Nasen und Irritation und was ich mir sonst so für einen gelungenen Streifzug durch die Stadt wünsche.
Was er bewirkt ist statt dessen Freundlichkeit. Seeliges Lächeln. Träumerische Blicke. Kuschelwünsche.

Und deshalb frage ich mich nach wie vor manchmal, ob er zu mir passt. Noch hat niemand das Gegenteil behauptet und er ist, den Beschreibungen zufolge, kein blümelndes, süßliches Lüftchen, sondern schon ein Wunder aus frisch-kühlen, fast herben Noten und dann ein Pudertraum mit Kuschelfaktor. Aber eben leise, dezent, lieblich und das sind wohl Attribute, die fallen niemanden zu mir ein.

Ich habe versucht, eine Frauenfigur aus den Rückmeldungen und Reviews zu extrahieren und wollte das auch schaffen, bevor ich den Kommi schreibe, aber ich gebe es jetzt offiziell auf. Irgendwie kann er zwischen "dem schönsten Mädchen der Schule", Kirsten Dunst als "Marie Antoinette" und Galadriel alles mögliche sein. Alles nicht ich, dieses verträumt-verspielte, außer an ganz wenigen Tagen oder mit ganz wenigen Personen und dann ist er genau das Richtige.

Manchmal denke ich, er ist die Sparkles die in der Trick-Verfilmung um "das letzte Einhorn" herum fliegen.
Etwas, das man nicht genau festnageln kann - vielleicht auch gar nicht will - das aber zweifellos Magie verbreitet.
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Anosmia vor 8 Jahren 30 4
Girl fatale
Sie stammt aus einem Frauen-Clan. Ihr Vater ist weiß Gott wo, wahrscheinlich in die Wüste geschickt von der Mutter. Aufgewachsen ist sie mit der Mutter, den Tanten, den Freundinnen der Mutter. Die Damen haben alle exotische Namen und sind die pure Grandezza. Die paar Herren der Familie üben sich in dezenter Zurückhaltung. Es sind Gentlemen.
Jetzt ist das Girl 20, hat das Abi in der Tasche und zieht aus dem riesigen Haus in der Kleinstadt aus und in eine chaotische WG in Berlin. Vorher schießt sie noch ihren Freund ab, der auf Lehramt in Tübingen studieren wird.

Girl fatale ist unbestreitbar eine Schönheit, eine Schneewittchen-Schönheit, mit makelloser Pfirsichhaut und dunklem Haar und riesigen Augen und rosigen Wangen. Sie ist neugierig, durchaus interessant, sie hat schon ein paar Ecken und Kanten, vor allem aber hat sie Stimmungsschwankungen zwischen fröhlich-exaltiert und düster-schwermütig.
Vor ein paar Wochen hat sie einen Psycho-Test gemacht, den die "Cosmopolitan" in Tateinheit mit Christine Nagel entwickelt hat: "Welcher Frauen-Duft-Typ bin ich?" Weil sie oft solche Tests macht (heimlich, weil es eigentlich gar nicht zu dem Bild passt, dass sie Anderen von sich vermitteln will) weiß sie genau, wie sie antworten muss, damit das heraus kommt, was sie will. Sie will keine androgyne Frau, keine Naschkatze, keine Romantikerin sein, nein, sie ist natürlich eine Femme fatale. Monica Belucci in "Pakt der Wölfe" und die Zenia aus der "Räuberbraut" von Margaret Atwood, das sind ihre Vorbilder.
Und der Duft gefällt ihr – dunkel und schwer kann er sein, er traut sich ein bisschen was, er ist nicht nur Blumen mit Vanille, nein, auch ein bisschen was Würziges ist dabei und sogar Patchouli! Allerdings nicht der Räucherstäbchen-Patchouli den die Damen der Familie benutzen, sondern leckerer Patchouli mit viel Vanille drum herum. Und jede Stunde riecht das Parfum ein bisschen anders.

Girl fatale tobt sich also aus in der großen Stadt. Sie hat Affären, mit Künstlern, Musikern, sogar mit fies aussehenden Türstehern. Wenn sie trinkt, dann richtig und oft endet das damit, dass sie in die Rabatten kotzt.
Sie übt gucken - gelangweilt, bestimmt, verführerisch, aber oft geht es noch schief und dann kommt doch wieder ein Duckface dabei raus. Der Lidstrich sitzt nicht immer, das Outfit sieht mitunter ein bisschen seltsam aus und wenn sie ihre Freunde beeindrucken will kann es schon mal passieren dass sie Dostojewski und Bukowski verwechselt.

Aber sie übt ja auch noch. Niemand wird als Femme fatale geboren, es erfordert viel Abenteuer (und auch ein paar peinliche Auftritte) bis man sich diesen Titel verdient hat.
4 Antworten
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