Cardea

Cardea

Rezensionen
Cardea vor 6 Monaten 57 28
8
Flakon
8
Sillage
9
Haltbarkeit
9
Duft
Altersweisheiten
Ihr kennt es fast alle. Düfte, die in eine Schublade gepackt werden, auf der mit großen Lettern prangt: ALTMODISCH! Gerne erweiternd beschrieben mit Worten wie „aus der Zeit gefallen“, „riecht wie meine Oma“ oder „madamig“.

Tja, genau in die Schublade habe ich irgendwann mal Chanel No. 5 gepackt und nie wieder rausgeholt. Das muss vermutlich in meinen frühen 20ern gewesen sein und alles, an was mich und vermutlich viele andere meiner Generation der Duft damals erinnerte waren alte Handtaschen vom Flohmarkt, die Großtanten beim Kaffeekränzchen und strenge Französischlehrerinnen kurz vor ihrer Pensionierung.

Seitdem ist viel geschehen. Der Horizont hat sich erweitert, Lebenserfahrung ist (hoffentlich?) dazugekommen, Familien wurden gegründet, Menschen im Leben kamen und gingen. Und gerade die, die für immer gingen und große Lücken hinterließen, lassen einen schmerzlich spüren, dass Alter kein Schimpfwort ist, sondern ein Geschenk. Dass altmodische Handtaschen, verstaubte Mäntel und die vor Jahrzehnten verurteilten und in die so bekannte Schublade gesteckten Gerüche eine Reise in die Vergangenheit und ein Blick in die Zukunft zugleich sind.

Wenn die Eltern sterben, ist man zum ersten Mal nicht mehr das Kind von jemandem. Man fühlt sich - auch wenn schon lange volljährig und mitten im Leben stehend - erstmalig völlig alleine auf der Welt.
Und so begann ich vor einer Weile, die Schublade zu öffnen und vorsichtig nachzusehen, was ich im Heute darin entdecken kann.

Nein, No.5 ist weder Erba Pura noch BR540. Er ist schönste, edle Seife im Auftakt, die irgendwann den Weg freigibt für Rose, Iris und Maiglöckchen. Und das alles eingerahmt von etwas grüner Holzigkeit, die dem Duft eine erwachsene Eleganz gibt.

Ich weiß genau, warum ich ihn damals altmodisch fand. Und doch ist er heute für mich alles andere als das: Er riecht vielmehr nach einem Zuhause und Geborgenheit. Nach einer Welt, in der alles seine Ordnung hat und eine schlechte Klausur eine der größten Katastrophen war, die man sich vorstellen konnte.

Wenn ich heute manchmal lese „Das riecht nach meiner Oma“, dann denke ich mir oft: „Irgendwann wirst du dir wünschen, dass du diesen Duft, dieses Gefühl, in Flaschen hättest abfüllen können!“.
Aber ich weiß auch wie ich war und wie es gemeint ist. Also lächle ich - und habe seit heute ein Fläschchen No.5. Um mir dieses Gefühl für einen kurzen Moment zurückzuholen.

28 Antworten
Cardea vor 8 Monaten 16 1
8
Flakon
6
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft
Histoire…
Kennengelernt habe ich SMW irgendwann um 2003 herum. Damals war "For Her (Eau de Toilette) | Narciso Rodriguez" gerade erschienen und ich war verliebt. For Her war der erste Duft, der mir zeigte, dass es andere Dufteindrücke abseits der schon tausendfach gerochenen süßen, blumigen Klassiker gibt und ich war neugierig geworden.

Ich erinnere mich dunkel, dass ich mich todesmutig an das Regal herantraute, bei dem die Düfte keinen Schriftzug von Calvin Klein, Joop, Kenzo oder Boss trugen und mir kam dort nicht ein einziger Flakon bekannt vor.

Vermutlich hätte ich nie zum Silver Mountain Water gegriffen, hätte ich gewusst, dass er Teil der Herrenlinie war, denn mit Anfang 20 war ich da noch recht stereotyp geprägt. Den Flakon fand ich schön, weiß gefiel mir schon immer und ich sprühte mir ein wenig der Flüssigkeit auf den Arm.

Was genau ich da roch, bekomme ich heute nicht mehr zusammen und hätte es wahrscheinlich auch damals nicht benennen können. Sehr genau weiß ich aber noch, dass ich ihn eigentlich direkt mitnehmen wollte - bis mein Blick auf das Preisschild fiel.

Ich hatte damals bereits mit um die 75 Euro für den "For Her (Eau de Toilette) | Narciso Rodriguez" mein Studentenbudget für diesen und zwei weitere Monate gesprengt, der Preis für den Flakon "Silver Mountain Water | Creed" erschien mir einfach nur absurd hoch und so zog ich von dannen… heimlich immer wieder am Handgelenk schnuppernd und mir einredend, dass der Duft ja ohnehin für Männer gedacht sei.

Viele Jahre und Düfte später - mit dem Wissen um Creed, die dubiose Historie und die Diskussion um Qualitätsmängel/-schwankungen, machte ich mehr oder minder einen Bogen um diese Firma.
Aber irgendwann tat ich es dann doch, als ich zufällig im Alsterhaus vor dem Regal stand und sprühte mir ein wenig des SMW auf den Arm.
Tja, und dieses Mal bin ich mit einem Flakon nach Hause gegangen.

Was kann ich Substanzielles zum Duft sagen? Die Erinnerungen sind da, der Duft riecht exakt so wie ich ihn damals abgespeichert habe. Da habe ich mit anderen Parfums durchaus Enttäuschungen erlebt.

Der Auftakt ist hell und glitzernd, es kitzelt ein wenig in der Nase - der Name ist Programm. Sandelholz rieche ich unverkennbar und früh, so ein richtiger Verlauf ist für mich nicht erkennbar. Fruchtige Düfte sind nicht meins, aber hier macht die dezente Beerennote einen guten Eindruck und gibt dem ganzen Duft einen Twist, der den SMW nicht in der Masse der üblichen zitrischen Aquaten untergehen lässt. Er wird später minimal pudriger und hautnäher (wohl der Moschus), ohne staubig zu erscheinen.

Tee rieche ich nicht dezidiert heraus, bin aber sicher, dass diese Note unabdingbar für den Gesamteindruck ist. Es ist eben lediglich kein klassischer Teeduft.

Das vieldiskutierte Thema Haltbarkeit:
Ich musste diesen Duft riechen lernen. Anfangs fand ich ihn nicht sehr intensiv und verlor ihn meist nach zwei bis drei Stunden. Inzwischen rieche ich ihn den ganzen Tag. Heute morgen um 7 Uhr aufgesprüht, kann ich ihn jetzt um 15 Uhr noch immer deutlich wahrnehmen. Auf der Haut nicht ganz so intensiv abstrahlend, auf der Kleidung reicht ein Spühstoß und der Duft begleitet mich dauerhaft.

Mit Moleküldüften geht/ging es mir übrigens genauso. Anfangs habe ich "Molecule 01 | Escentric Molecules" gar nicht gerochen, inzwischen finde ich zwei Sprühstöße absolut ausreichend, um es den ganzen Tag wahrnehmen zu können.

Das muss natürlich nicht jedem so gehen, aber vielleicht lohnt es sich, den "Silver Mountain Water | Creed" nicht direkt nach ein oder zwei Versuchen aufgrund der vermeintlich schlechten Haltbarkeit abzuschreiben.

Für mich einer meiner schönsten Frischlinge und sehr unisex, da er weder zu sehr ins duschgelige, noch ins kräuterig-holzige abgleitet.




1 Antwort
Cardea vor 9 Monaten 14 4
8
Flakon
9
Sillage
10
Haltbarkeit
3.5
Duft
Ratlosigkeit…
Die Probe liegt nun seit vier Monaten hier und heute habe ich den dritten und letzten Versuch gewagt. Bin ich schlauer geworden?

Zunächst mal die gute Nachricht:
Ich bin offenbar nicht komplett BR-duftblind und ich rieche Würze sowie Süße. Letztere erinnert mich stark an Zuckerwatte, gewürzte Zuckerwatte also genaugenommen.

So weit, so unspektakulär.

Die schlechte Nachricht:
Ich rieche nach wenigen Minuten noch etwas ganz anderes ganz extrem, nämlich Katzenurin und Jodtinktur.

Diese Noten liegen nicht neben der gewürzten Zuckerwatte, sondern sie sind eins. Dieser Duft pendelt fröhlich zwischen Urin/Jod und Jahrmarkt hin und her, je nachdem, worauf ich mich gerade konzentriere.

Für mich ist das eine absolut neue und äußerst merkwürdige Erfahrung, so dass ich nicht mal weiß, wie ich dieses Werk bewerten soll.

Ich ahne zu riechen, was die Fans dieses Parfums wahrnehmen. Und gleichzeitig rieche ich so etwas diametral anderes, dass mir ganz schlecht davon wird.
4 Antworten
Cardea vor 9 Monaten 13 3
9
Flakon
9
Sillage
9
Haltbarkeit
9
Duft
Childhood in a bottle…
Verrückt… Dieser Duft katapultiert mich mit dem Aufsprühen locker 35 Jahre in die Vergangenheit zurück.

Verdutzt reibe ich mir meine Augen und kann mich nicht entscheiden:

Sitze ich gerade neben meiner Mutter im Behandlungszimmer der Arztpraxis meiner Kindheit? Wartend darauf, dass der grauhaarige Doktor, der neben uns vor dem großen geöffneten Arzneischrank steht, die richtige Flasche findet, um mir ein wenig deren Inhalts auf ein Stück Würfelzucker zu träufeln? Es riecht nach Medizin, Aftershave des Arztes und irgendeinem schweren Rosenparfum meiner Mutter, während ich versuche, mir die Langeweile zu vertreiben, indem ich das Anatomieposter an der Wand begutachte und sich dabei der Fruchttraubenzucker aus der auf den Schreibtisch stehenden Bonboniere langsam in meinem Mund auflöst.

Oh, oder springe ich gerade aufgeregt in Lackschuhen durch den Flur, während meine Eltern sich für die Hochzeit meiner Großcousine in Schale werfen?
Mein Vater krawattebindend, frisch rasiert im weißen, lavendelweichgespülten Hemd vor dem großen Spiegel neben der Haustür...
Und hinter mir im Bad, meine Mutter, beduftet schon vor mehr als einer Stunde mit einer ordentlichen Portion Loulou, der Frisur den letzten Schliff mit einem großzügigen Sprüher aus der nicht FCKW-freien 750ml-Dose Gard verpassend?

Noch ein Wimperschlag - und da sitze ich im Spätsommer auf dem kleinen Holzschemel mitten in der bis unter die Decke vollgestopften Schusterei meines Großonkels. Schusterei… ein groß klingendes Wort für diesen kleinen, stickigen Raum. Eher ein Schuppen, aus Holz, entstanden aus der Not nach dem Krieg und der Flucht aus Ostpreußen und aufgebaut im Garten des Bauern, auf dessen Hof sie Zuflucht gefunden hatten und den sie später übernehmen durften.
Ich esse die Zimtkekse, die meine Tante mir auf einer Untertasse mitgegeben hat und sehe meinem Onkel dabei zu, wie er mit seinen von harter Arbeit gezeichneten Händen Schuhe besohlt, das Leder reinigt und cremt, während das winzige, geöffnete Fenster den Blick auf die Streuobstwiese freigibt und den Duft der unter dem Fenster wachsenden Rosenbüsche hineinlässt…

Es ist wirklich verrückt, was dieser Duft bei mir auslöst und ich kann jeden negativen Kommentar verstehen, der hier Medizin, Haarspray oder Möbelpolitur riecht. Nichts davon kann ich verleugnen, denn ich nehme diese Noten auch wahr, sogar sehr prominent. Und gleichzeitig, im Zusammenspiel mit allen anderen Komponenten, wird ein Duft, der eigentlich gar nicht gut riechen kann, plötzlich rund und weich und warm - fühlt sich an wie ein Zuhause ohne seine Ecken und Kanten zu verlieren.

Wahrscheinlich ist es das, was für mich ein Kunstwerk ausmacht. Chapeau!

3 Antworten
Cardea vor 4 Jahren 10 3
7
Flakon
9
Sillage
9
Haltbarkeit
8.5
Duft
Klebrig? Nein! Holzig-warm!
Vielleicht spinnt mein Geruchssinn ja, aber ich rieche hier etwas völlig anderes als „klebrige Süße“ oder „kuschelige Wärme“.

Normalerweise mache ich um Rosendüfte einen großen Bogen - viele finde ich einfach zu madamig für mich. Vanille ist auch nicht so meins, ich verbinde damit immer Essen und keinen Körpergeruch.
Diesen Duft hier hätte ich daher niemals auch nur in Erwägung gezogen, alleine die Beschreibung „blumig-süß“ gepaart mit dem Namen Roses Vanille vereint eigentlich alle meine No-Gos.

Tja, wäre ich nicht vor einiger Zeit durchs Alsterhaus gelaufen und plötzlich mitten im Gang an einem Duft hängengeblieben. Klar, eine genaue Abgrenzung war nicht wirklich definierbar, aber ich beschrieb der Verkäuferin, was ich da vermutete zu riechen: Orientalische Süße, trotzdem leicht zitrisch, irgendwie etwas ISO-Super-E-lastig mit jeder Menge Würze und Holz, Holz, Holz!

Tja, die Dame geleitete mich zielsicher zum Mancera-Regal, griff sich ein Fläschchen und besprühte den Teststreifen. Da ich in Eile war, besprühte ich noch direkt meinen Hals/Schal damit, griff mir den Teststreifen und verschwand.

Als ich sah, was dort handschriftlich notiert stand, hielt ich das zunächst für einen Fehler, musste dann aber später feststellen, dass Rose und Vanille nicht zu leugnen sind. Allerdings: völlig anders als ich es von anderen Düften kenne, die Rose und Vanille vereinen.

Dieser Duft ist bei mir kein bisschen zuckersüß oder kuschelig. Ganz im Gegenteil, ich empfinde ihn als ziemlich holzig und rieche die Zeder deutlich heraus, was die Kombi von Vanille und Rose genau im richtigen Maß auf dem Teppich bleiben lässt und sie nicht ins Schwülstige abgleiten lässt.

Ich ertappte mich dabei, wie ich immer wieder meine Nase in den Schal steckte und auch die nächsten Tag im Flur immer mal wieder an Mantel und Schal roch. Witzigerweise erinnert mich der Duft sehr an Molecule 01, der mir dabei immer wieder in den Sinn kam.

Vielleicht ist die Geruchsblindheit für ISO E ja auch des Rätsels Lösung, warum viele den frischen, holzigen Einschlag in Roses Vanille nicht wahrnehmen können und ihn deshalb als klebrig süß beschreiben.

Ich kann das jedenfalls gar nicht bestätigen und finde ihn auf erwachsene Art sehr sinnlich und gleichzeitig alltagstauglich.

Die Haltbarkeit ist hervorragend und er hat Potential, mein Favorit zu werden. Hoffentlich belästige ich damit nur nicht zu viele ISO-E-Blinde in meiner Umgebung.
3 Antworten