Chizza
Gedankenspiele
vor 4 Jahren - 09.10.2020
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Andere Zeitalter, olfaktorisch gesehen

In letzter Zeit beschäftige ich mich relativ viel mit dem Mittelalter, genauer circa 950-1300 der abendländischen Zeitrechnung. Das mache ich nicht, weil ich nichts Besseres zu tun habe sondern weil es Herbst wird und ich zu den Pendlern gehöre, die 75 Kilometer zum Büro fahren und die aktuelle Jahreszeit zum Verweilen im Stau geradezu einlädt. Durch das komplette Ruhrgebiet, rein in das Herz von Düsseldorf. Warum ich das tue, ist hier nicht wichtig. Jedenfalls liegt hierin der Grund für meine Beschäftigung, denn ich höre sehr viele Hörbücher, auch viel Sachliteratur. Man muss sich ja beschäftigen und ein bisschen Erweiterung des Horizonts ist nie verkehrt. Ich kann ja nicht nur Düfte im Stau testen. Geht sowieso besser auf der Heimfahrt denn sonst duftet man wie ein Chamäleon aussieht und es ist gerade mal 8.30 Uhr; alle Kundentermine noch vor einem.



Jedenfalls, und darum geht es ja um nun den Bogen zu den Düften zu spannen, ist es kein Geheimnis, dass Bäder nicht an der Tagesordnung waren, die Damen die die Möglichkeit hatten, dennoch olfaktorisch affin waren, wenn es meinetwegen auch nur darum ging, den Mann mit einem Duft zu bezaubern. Tatsächlich war mir das gar nicht bewusst, dass so früh bereits Salben und Tinkturen in dieser Hinsicht verfügbar waren respektive dafür genutzt worden sind. Viel spannender finde ich aber Folgendes, über das ich mir Gedanken gemacht habe und irgendwo den seltsamen heutigen Zeitgeist aufzeigt, bei welchem ich selbst Teil davon bin.



Wenn man es recht bedenkt, haben die Herren früher nach vielem gerochen, aber nicht nach frischem Bad. Oft nach Dingen, für die wir heute ein Parfum nutzen um den Geruch quasi zu imitieren. Ich meine, nach was hat ein Soldat wohl geduftet? Täglich im Ledersattel, Dauerkontakt zum Pferd, eiserne Rüstungen und vielleicht viel unterwegs sein in der Natur mit all ihren Dufteindrücken bei trockenem oder aber auch nassem Wetter. Quasi der Ur-T-Rex von Zoologist. Auch die Handwerker und Bauern werden analog zum heutigen Verkäufer in der Pommesbude nach ihrem Arbeitsinhalt gerochen haben.


Soweit, so klar. Um diese Gerüche zu vertreiben, wird ein Bad genommen. Jetzt leben wir in einer Zeit, in welcher das Gros der Menschen in den reicheren Ländern zumindest täglich duscht und die Gerüche der Arbeitswelt nicht unbedingt angenommen werden können. Beispiel: ich arbeite im Büro, ich muss mich mit dem Toner schon einreiben um nach Drucker zu duften. Oder nach Kugelschreiber und Telefon? Schwierig. Gut, es gibt auch Parfums wie Type Writer, aber den muss ich ja extra auftragen.


Also, was macht die Sehnsucht? Die Sehnsucht des Mannes nach handwerklichen Berufen oder nach Berufen und Abenteuern vergangener Zeitalter? Möchte man diese Verwegenheit wenigstens olfaktorisch erleben? Ich selber arbeite ja gerne im Garten oder bastel zuhause, meist endet es zwar gut aber begleitet von jeder Menge Flüche, da geht es sicher nicht nur mir so.


Nun gehöre ich dennoch zu der Spezies, welche Leder, Wald, Rauch gerne als Parfum trägt. Ob es Sehnsucht danach ist, wer weiß, vielleicht sublim irgendwo im Kopf. Ich mag diese Düfte schlicht und bin nicht der einzige.



Vor vielen Jahren hätte wohl keiner daran gedacht, freiwillig so zu duften. Da wäre vielleicht jeder für einen sauberen und erfrischenden Duft zu haben gewesen. Ist es also so, dass wir so duften wollen, wie das, was wir gerade nicht haben? Jeder duftet frisch durch Duschgel also möchte ich was anderes? Und vor vielen Jahrhunderten oder Jahrzehnten wollte man frisch duften weil man das eben nicht jeden Tag konnte?


Irgendwie banal aber für uns ist gut duften im Sinne von frisch, sauber alleine nicht mehr gut genug. Es muss gut duften sein im Sinne von anderen Eindrücken, es geht auch um den Ausdruck der eigenen Persönlichkeit. Was in Ordnung ist, solange sich die Persönlichkeit nicht nur durch äußere Themen definiert. Also riechen wie Tiere oder nasse Wälder ohne die unangenehmen Beinoten?


Mich würde interessieren, was ihr denkt wenn ich über die Historie und die Entwicklung von Parfum denkt, vielleicht kennt ihr das aus anderen Epochen.

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