Cravache

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11 - 15 von 64
Cravache vor 4 Jahren 31
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8.5
Duft
Sous le Vent de Berlin – der Zauber von olfaktorischer Grobmotorik
Sous le Vent ist mein Duftfavorit. Einer der grossartigsten, emotionalsten Düfte. Ein Parfum, in dem jede Facette eine olfaktorische Offenbarung ist.

Und dann gibt es Berlin.

Die abgeranzte Stadt, irgendwo zwischen Büsingen am Hochrhein und Divitz-Spoldershagen. Und so berlinerisch sieht auch der Flacon des Lehmann-Dufts aus. Liebloser Glaszerstäuber, Intimdeodorant-Sprühkopf, drei besonders lieblos auf den Zerstäuber geklatschte Etiketten, von denen jede schiefer aufgebracht wurde als die nächste.

Die Düfte von Lehmann fallen vor allem durch zwei Eigenschaften auf: sie sind sagenhaft preisgünstig und oftmals ebenso sagenhaft olfaktorisch grobmotorisch zusammengehämmert. Doch es gibt auch strahlende Perlen von Lehmann. So eine ist Surabaya. Surabaya ist eine feinfühlige Lehmann-berlinerische Umsetzung der Duftbilder von Sous le Vent.

Beide Düfte, sowohl Surabaya als auch Sous le Vent, sind grün-würzige Chypres. Surabaya ist etwas blümelig-floraler als Sous le Vent (Jasmin) und weist einen braunwarmen, orientalischen Drall mit warmer Nelke und einer kleinen Prise Zimt auf. Lavendel gibt Surabaya eine südfranzösische Frühsommerwürze.

Im Herzen sind in Surabaya einige Aldehyde auszumachen, jedoch deutlich weniger als in Sous le Vent. Die dezente floral-krautige Süsse und unterschwellige Schärfe erinnern an den Geruch von leicht feuchtem, unparfumiertem Pfeifentabak. In diesem Stadium ist Sous le Vent trockener und strauchkrautiger. Die Basis von Surabaya ist gebettet auf zeitgenössisch schmalbrüstiges Eichenmoos und leicht erdigen Patchouli. Surabaya zeigt nur wenig Duftverlauf, lediglich die Farbe ändert sich allmählich von tweedgrün auf tweedbraun.

Surabaya riecht alt. Nach handwerklicher Tradition, wie ein Sakko aus Harris-Tweed mit Lederflicken an den Ellbogen. Und wie Derby von Guerlain nach olfaktorischem Historismus der 1980er-Jahre: man riecht die nachkoloniale Fassade der 1930er- oder 1940er-Jahre.

Die Hauptunterschiede zu Sous le Vent sind zwei. Nach dem Aufsprühen strahlt Sous le Vent wie ein heller Stern in aller Richtungen. Surabaya bleibt stehts im gedämpften Grünbraun von Harris-Tweed. Und Sous le Vent ist ein Duft, der sich dreidimensional entfaltet, während Surabaya freskenhaft zweidimensional verbleibt.

Sous le Vent ist komplexer, komplizierter und vielschichtiger als Surabaya. Weniger leicht zugänglich. Als trockenholzige, florale bis herbale Chypres stehen Surabaya und Sous le Vent für Ernsthaftigkeit und warmen tropischen Wind, für Lebensfreude und Melancholie gleichermassen.

Die Duftbilder von Sous le Vent, die sich einstellen, sind gegensätzlich. Man sieht Paul Gauguins Südseebilder. Stets schönes Wetter, lebendige starke Farben, erotische Frauen mit makellosem Körper. Und dennoch liegt die Melancholie wie ein Schleier über den Gesichtern.

Surabaya ist fast gleichermassen melancholisch, lebensnah, aber nicht von der latent bitteren oder schwarzen Poesie von Sous le Vent. Der Himmel in Surabaya ist nicht makellos wolkenfrei, das Licht ist diffuser, die Farben gedimmt, der Himmel zugehangen. Surabaya ist nicht in der Südsee beheimatet, sondern in einem alten Hinterhof in der gesichtslosen indonesischen Stadt Surabaya. Oder Berlin.

Surabaya ist kein Dupe von Sous le Vent. Surabaya befeuert die Melancholie, dass Sous le Vent längst wieder eingestellt ist. Und allein schon durch diese Tatsache ein unterschätzter Duft.
31 Antworten
Cravache vor 4 Jahren 27
7
Flakon
10
Sillage
10
Haltbarkeit
10
Duft
Druckwelle einer Aoud-om-(Sex-)Bombe
Dehn Al Oud Seufi ist kein Parfum im westlichen Sinne. Bei floralen Düften würde man soliflor sagen. Unzüchtig bei Menschen.

Denn ein arabischer Geza Schön hat Oud – und nur Oud – in einen Flacon gefüllt. Oder vielmehr eingesperrt. Denn öffnet man den Flacon mit dem Oud-Öl, knallt einem die Druckwelle von Oud entgegen. Animalisch, potent, kraftvoll, unbändig, wunderbar bösartig. Eine entfesselte Naturgewalt.

Dehn Al Oud Seufi ist konsequentester Purismus der arabischen Parfumerie durch minimalistische Verwendung hochwertigster Inhaltsstoffe. Dehn Al Oud Seufi zelebriert nicht Oud, Dehn Al Oud Seufi spielt nicht. Dehn Al Oud Seufi beisst und verwandelt jeden in der Umgebung zu einer Oudsäule.

Dehn Al Oud Seufi ist eine Lichtquelle, die nichts mit lendenlahmem Moschus beschönigt, nichts pastellig verklärt und jedes liebliche olfaktorische Ornament in der näheren und weiteren Umgebung einreisst.

Dehn Al Oud Seufi hat keinen Duftverlauf, keine Facetten. An Dehn Al Oud Seufi ist nichts relativ. Dehn Al Oud Seufi kennt nur die maximale Lautstärke, die tiefste Tiefe. In seiner ganzen oudanimalischen, wüstensonnewarmen, haremsüppigen Pracht. Pur und unverfälscht wie ein arabischer Klaus Kinski.

Das Oud ist lendenwarm, riecht nach paarungsbereiter Kuhherde. Die vor allem zu Beginn wahrnehmbaren fäkalen Druckwellen geben dem Duft einen flirrenden orientalischen und bösartigen Vibe. Dehn Al Oud Seufi fühlt sich an, als würde einem ein Flügel aus Adlerholz aus dem obersten Stockwerk auf den Rücken knallen. Doch der Adlerholzflügel beschwert die Lenden auf eine Weise, dass man sich nicht beschweren mag – der Aufschlag fühlt sich fetischmässig unglaublich gut an. Jedenfalls wenn man darauf steht.

Die Oud-Note ist dunkelbraun bis gräulich verwittert, massiv-holzig, sehr schwer, sehr dicht, edel-schimmlig mit einer braun-grauen muffigen Note, etwas erdig und schmutzig wie ein Ölwechsel im Garten des Nachbarn.

Dehn Al Oud Seufi im Büro zu tragen, fühlt sich mindestens so falsch an wie Walfleisch-Sushi. Dehn Al Oud Seufi würde im Büro schlicht eine Massenpanik auslösen. Für europäische Nasen sind die Düfte wie Dehn Al Oud Seufi bei der ersten Begegnung ungewohnt, fremd, abstossend, beleidigend und verstörend. Und gleichzeitig auch faszinierend und aufregend. Als ob sich der venezianische Backfisch das erste Mal in die Gemächer von Casanova geschlichen hätte. Dehn Al Oud Seufi jagt das Fleisch, tötet das Fleisch, isst das Fleisch (Anmerkung an alle Veganer und Vegetarier: dies ist natürlich im übertragenen Sinne gemeint).

Und doch lässt der Duft das Brachiale und Bestialische gleichzeitig in aller Widersprüchlichkeit ausgewogen und perfekt ausbalanciert als dunkle, animalisch-anziehende Schönheit erscheinen. Kaum ein anderer Duft ist stärker von der animalischen Potenz und prallen Lebendigkeit von Oud und der raumfüllenden Wärme der arabischen Parfumerie ölschwarz beseelt.

Dehn Al Oud Seufi ist ein dickflüssiges, schwerölschmutziges, alkoholfreies Oud-Öl, das mittels eines Glasstabs aufgetragen wird. Dehn Al Oud Seufi hat zweifelsohne einen schlechten Charakter – das Böse muss gewinnen. Dehn Al Oud Seufi ist der Rechtsanwalt unter den Parfums. Er eignet sich für Menschen, die dem Mephistophelischen von Berufes wegen zugetan sind.

Dehn Al Oud Seufi ist hartnäckiger als das Coronavirus. Eine Dusche und mehrmaliges Händewaschen schüchtern den Duft nicht ein. Und auch das Social Distancing vermag Dehn Al Oud Seufi problemlos durchzusetzen.

Bösartig ist auch der Preis. Dehn Al Oud Seufi gab es in verschiedenen Qualitäten und Quantitäten zu kaufen, wobei ein Fingerhut Dehn Al Oud Seufi so teuer wie ein Flacon von Roja Dove war.
27 Antworten
Cravache vor 7 Jahren 23
7
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
8.5
Duft
Wenn die Nase zu und der Hosenstall offen ist - Ein Frühlings-Aoud
Wenn die Nase zu ist und man mit offenem Hosenstall durch die Welt geht, dann ist wieder Frühjahr (österreichische Redensart). Auch an diesen Tagen sucht der jagende Aoud-Liebhaber nach Befriedigung. Und findet sie.

Chabaud ist eine französische Nischenduftmarke aus Montpellier, Stadt der leichtgeschürzten Reue und Heimat Petrarcas zugleich. Chabaud stellt nicht nur Parfums her, sondern auch Raumdüfte und Duftkerzen. Die Düfte sollen an die Kindheit, die Leichtigkeit des kindlichen Seins, die empfundene Geborgenheit und das damals gefühlte Glück erinnern. Und die meisten Düfte, insbesondere die quietschig-kuscheligen und gourmanden „Laits“, tun dies auch.

Eigentlich sind Aouddüfte ideal im Frühjahr und Sommer zu tragen. Denn die Duftnote Aoud ist in Gebieten zuhause, in denen es das ganze Jahr Hochsommer ist. Der olfaktorischen Duckmäuserei wird in unserer Zeit leider nur zu oft vorauseilender Gehorsam geleistet. Kraftvolle Düfte verschwinden aus dem Sortiment oder werden zu Eunuchen verstümmelt.

In unseren Breitengraden werden würzige und aoudige Düfte ganz zu Unrecht bloß als schwere Herbst- und Winterdüfte empfunden. Nein, ich plädiere dafür, im Sommer erst recht diese olfaktorischen Wuchtbrummen zu zelebrieren. Dennoch gibt es viele Parfumliebhaber, die mit Blick auf ihre sozialen Kontakte das Bedürfnis haben, im Frühjahr und Sommer frischere und leichtere Düfte zu tragen.

Andererseits ist vielen Parfumliebhabern Aoud als Duftnote oft zu schmutzig (Al Kimiya) und erdig (Illuminum), zu medizinisch (Montale, Mancera), zu bestialisch (XerJoff, Hind al Oud) oder schlicht zu maskulin (M7, LM). Denn die gängigen Aouddüfte sind oftmals laut brüllende Alphatiere, die selbst auf Twitter keifende Präsidenten mit lausigem Frauengeschmack in den Schatten stellen.

Gerade Einsteiger in die Welt der Nischendüfte tun sich nicht leicht mit Aouddüften, soll Aoud nicht bloß in minimalen Nuancen riechbar sein (was ohnehin schade ist, denn Aoud verdient, wie ein voller Busen, einen prominenten Platz).

Beiden Gruppen dürfte Mysterious Oud entgegenkommen und sogar sehr zusagen. Zum einen ist Mysterious Oud holzig frisch, zum anderen durchaus als Aoudduft (oder vielleicht eher als „Duft mit wahrnehmbarer Aoud-Note“) wahrnehmbar.

Mysterious Oud ist am nächsten mit Royal Oud von Creed verwandt, wenngleich Mysterious Oud frischer und zugleich aoudiger und auch gehaltvoller ist. Kein blasser Schönling, sondern ein Kerl mit einigen Brusthaaren. Wer Creeds Royal Oud mag und einen Duft möchte, der noch eine aoudigere Facette aufweist, dürfte Mysterious Aoud lieben. Auch angesichts des moderaten Preises.

Mysterious Oud eröffnet mit Zeder, holzig frisch und harzig süßlich. Aber nicht klebrig, dafür mit einer leichten grünen Piniennadelnote. Aoud spielt in der Kopfnote noch eine (durchaus attraktive) Nebenrolle. Das Aoud ist ätherischen, frischen und harzigen Charakters, was den frischen und holzigen Charakter der Kopfnote herausstreicht.

Die Zeder wird zur Herznote hin holziger und grüner, auf angenehme Weise aromatischer und wärmer, ohne jedoch wuchtig oder explizit maskulin zu wirken. Das Aoud bleibt hell, entwickelt einen Anklang von wundervoller Muffigkeit, ist transparent und weist eine minimal ledrige Facette auf. Genau das gewisse Etwas, das Creeds Aoudduft fehlt. Daneben blüht Jasmin, leicht floral, süßlich und mit gewissen grünen Aspekten.

Zur Basis hin ziehen sich die aromatische Zeder und das Aoud langsam zurück. Der Duftcharakter wird dank Amber und Moschus anschmiegsam, warm und weich, unterstützt durch eine warme und süßlich cremige Sandelholznote.

Mysterious Aoud ist also vielmehr ein „Duft mit Aoud“ als ein „Aoudduft“ (etwa im Sinne der Parfums von XerJoff, Al Kimiya, Roja Dove etc.). Aoud bildet zusammen mit Zeder zwar den tragenden Balken des Duftes, die Aoudnote ist jedoch nicht dominant wie in anderen besagten Düften.

Die frische, leicht muffige und eher helle Aoudnote wird so manchem gefallen, der mit wuchtigen, animalischen, sehr dunklen, erdigen, schreiend lauten und ledrigen Rose-Aoud-Duftdiven nicht viel anfangen kann.

Mysterious Oud macht auf der Haut eine interessante Duftreise durch. Der Duft startet holzig frisch und grün, wird dann im Herz aromatisch holzig und leicht muffig aoudig, um anschmiegsam, ambratisch warm und moschusweich auszuklingen.

Mysterious Oud ist zwar nicht mysteriös oder geheimnisvoll. Das Parfum ist ein schöner holziger Allrounder. Vielleicht wie die Erinnerung an den ersten Familienurlaub im Winter auf den Kanarischen Inseln. Kein wirklich exklusiver Urlaub (und man war noch zu jung, um sich des vorübergehenden Verdrusses, der koketten Unruhe, der unbesonnenen Anmut und der leichtgeschürzten Reue zu laben), aber wunderbar entspannt und ewig frühlingshaft.
23 Antworten
Cravache vor 8 Jahren 27
10
Flakon
8
Sillage
10
Haltbarkeit
9
Duft
Von Zwingli und Engeln mit Lederfetisch – Rojas Ode an Zürich
Roja nennt O auch „Ode an die Freude“. Und O ist eine olfaktorische Freude. Orientalisch-warm, reich, opulent, selbstbewusst und kraftvoll. O startet floral-frisch, wird rasch sehr warm und würzig mit holzigen, harzigen und leicht animalischen Facetten.

Auch wenn O von einer Roja-typischen perfekt komponierten Symphonie der Duftnoten beseelt ist, ist O anders als die meisten Rojas – nicht im Himmel schwebend, sondern vielmehr auf dem noblen Pflaster der Zürcher Bahnhofstrasse verhaftet. O ist ein dichter, schwerer, zu Beginn geradezu ein förmlicher Duft. O startet beinahe harsch, erfährt im weiteren Duftverlauf jedoch Auflockerung.

Am ehesten verwandt innerhalb der Roja-Familie ist O mit Musk Aoud (mein liebstes Roja-Oud, da am wenigsten gefällig) und Fetish p.H., wenngleich mit weniger lüsternen Lenden als letzterer.

Roja Dove widmet O primär München und Zürich (und etwas auch Berlin). Nicht von ungefähr widmet Roja Dove O Zürich. Geben doch die Schweizer weltweit pro Kopf mit Abstand am meisten Geld für Parfums aus. Und nicht etwa die Araber. Roja Dove schreibt: „Ich habe die Oper immer geliebt. Auf all meinen Reisen versuche ich das lokale Opernhaus zu besuchen. Bei meinem ersten Besuch in der Schweiz war ich deshalb hoch erfreut als mich ein Freund in das Zürcher Opernhaus einlud - ein geradezu majestätisches Gebäude, das 1834 erbaut wurde. Jedes Element des Hauses ist so liebevoll erhalten und gepflegt, dass es fast scheint, als hätte es gerade gestern eröffnet. Das Dach ist mit Engeln geschmückt - den Anblick werde ich nie vergessen.“

Das Zürcher Opernhaus wurde im Wiener Prunkstil erbaut und 1891 (und nicht 1834) am Zürichsee eröffnet. Und in der Tat wachen wie geflügelte Wächter einige meterhohe Engel über das Gebäude und den benachbarten Sechseläutenplatz. Einer der Prachtengel hält einen O-förmigen Lorbeerkranz in Händen. Zudem ist der Name des Parfums, O, eine heitere Anspielung auf den Namen der Zürcher Parfumerie, die den Duft in der Schweiz exklusiv vertreibt (neben O-berpollinger in München): O-sswald. Die Parfümerie Osswald, diese einzigartige Bijou an der Zürcher Bahnhofstrasse gilt nicht nur als eine der ältesten Nischenparfümerien weltweit. Sie gilt auch als die interessanteste und bestsortierteste in Europa. Einzig Harrods mag da flakonmäßig noch etwas mehr bieten, wenngleich Osswald, ganz schweizerisch, in Sachen Freundlichkeit, Flair, Bescheidenheit und Fachkompetenz die Nase vorn hat.

Auch wenn Roja im dem Flakon beigelegten Booklet spekuliert, ob denn die Münchner und Zürcher auch so in Engel vernarrt seien wie er, so kann man dies meinetwegen für die katholischen Weißbiertrinker bejahen, nach Zürich passen allerdings Engel so gut wie die Bremer Stadtmusikanten nach Hamburg. Zürich ist die Stadt Zwinglis, da sind Engel suspekt.

Wer an Zürich denkt, denkt meist an Banken, Uhren, den wunderbar urigen Käseladen am Münsterhof - und vielleicht sogar an Zwingli. Aber nicht an Engel. Trotz dieses Wohlstandes in Zürich, ist Zürich ein sehr entspannter und freundlicher Ort. Bescheiden, bodenständig, emsig, weltoffen.

Nach rund 3500 getesteten Parfums bin ich anspruchsvoll und skeptisch zugleich. Kann mich ein Duft, in dem Oud, Leder und Rosennoten die erste Geige spielen noch begeistern? Um es vorweg zu nehmen: Ja, Roja Dove schafft es. Ich bin verzaubert. Nicht nur vom allabendlichen Anblick des Opernhauses, das sich in der Dämmerung im Zürichsee spiegelt, sondern auch von Rojas kraftvollem Parfüm.

Roja Dove selbst ist kein Parfümeur, sondern Marketingmensch. Er ist gewissermaßen der Djagilew der Parfümerie. Ob er selbst schöpferische Nase dahinter ist oder Mitarbeiter von ihm, spielt wie bei dem mittelmäßigen Tänzer Djagilew letztlich keine Rolle. Das ästhetische, künstlerische Produkt zählt. Und das ist auch hier zum Niederknien schön und ergreifend.

O startet floral-frisch mit einer frischen Rosengeranie und einem Strauß hell strahlender Mairosen. Die Rosengeranie ist hell- bis mittelrot, frisch, leicht süßlich. Etwas zitrisch-frische Bergamotte unterstreicht die florale Morgenfrische der Geranie. Rasch tritt Mairose hinzu. Die Mairose riecht voll, süßlich, berauschend, warm und nach einer leisen Note von Nektar. Der Duft der Mairose erinnert an die ersten warmen Sonnenstrahlen. Fast gleichzeitig sind mitteldunkles, dichtes Oud zu riechen, kaum animalisch, sowie mitteldunkles, festes Leder. Das edelholzige Oud und das Leder könnten in ihrer fast förmlichen Strenge dem Beratungszimmer einer altehrwürdigen Zürcher Privatbank entstammen.

Alsbald gesellen sich engelsweiße Blüten und Blumen dazu. Vollbusig, betörend, geküsst von etwas Nektar. Eine helle, sehr schöne Note einer schlanken Birke bildet ein gewisses Gegengewicht zum schweren Oud und dem festen Leder.

Anders als die meisten Roja-Düfte, die im Duftverlauf sehr klar in vier Duftnoten (eine kurze Kopfnote, eine nicht sehr lange anhaltende Herznote, Basisnote und eine fast ewig haltende tiefe Basisnote) eingeteilt werden können, zeigt O nur relativ wenig Entwicklung.

Mit der Zeit nimmt eine hintergründige, fruchtig-frische Himbeernote dem Duft etwas das Förmliche, das unmittelbar nach dem Aufsprühen für einen kurzen Moment beinahe zwinglianische Strenge verbreitet. Doch das Kraftvolle, Selbstbewusste, mit dem Zürcher Bsetzisteinboden verhaftete bleibt.

Allmählich wird O etwas warmharziger und sandholz-cremiger. Eine Prise Pfeffer unterstreicht jedoch den orientalischen, würzig-warmen Charakter von O.

Eine warme, etwas weichere, dennoch mit einem animalischen Knutschfleck versehene opulent-orientalische Basis von holzigem Oud, warmem Leder, warmem Harz und wiesellendenhautanimalischem Labdanum lässt O ausklingen.

O ist ein weiteres Meisterwerk von Roja Dove. Eine perfekt durchkomponierte Duftnotensymphonie. Von der ersten Duftnote bis in die letzte Duftnote der tiefen Basis. Nichts franst aus, keine Duftnote verwässert - wie in so vielen arabischen Düften (ich denke da zum Beispiel an Black Prestigium von Mancera).

O ist mitnichten ein klassischer, schon oft gerochener Rosen-Oud-Leder-Duft. Trotz dieser überragenden Qualität, der perfekt orchestrierten Harmonie der Duftnoten und der Opulenz des Parfüms, die es geradezu in die dritte Dimension wachsen lässt, ist O kein Parfüm nur für besondere Momente. Sicherlich, der Preis ist auf den ersten Blick nicht bescheiden. 50ml Parfüm - O ist ein Extrait - kosten 555 Franken (Stammkunden erhalten freilich einen Rabatt im zweistelligen Prozentbereich). Allerdings kosten 30ml Mitsouko Extrait um 360 Franken. Vergleicht man mit derselben Konzentration, ist Roja Dove nicht teurer als ein Mainstream-Extrait von Guerlain. 1 bis 2 Sprühstösse des Roja-Duftes reichen für eine wahrnehmbare Parfümierung für einen Arbeitstag - samt einer oder zweier Überstunden.

O von Roja Dove ist umwerfend schön, in olfaktorischer Perfektion komponiert. Selbstbewusst, wärmend, harmonisch – wie das Gemüt der Eidgenossen. O, das ist ein Tag im mondänen, weltoffenen, emsigen Zürich. Zürich, die Insel der Glückseligen – wenn man deutschen Leitmedien Glauben schenken will.
27 Antworten
Cravache vor 8 Jahren 22
8
Flakon
8
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9
Haltbarkeit
9.5
Duft
Ein sanfter, erotisch-orientalischer Traum in Oud – Der vielleicht schönste Oud-Duft am Markt
Eutopie No. 3 ist beseelt von einer atemberaubenden, unglaublich tiefgründigen, erotischen Schönheit und einer wunderbaren, bezaubernden Sanftheit. Die Ästhetik des Duftes lässt einen im ersten Moment stumm niederknien. Ein Parfum, das ein Hochzeitsduft sein kann.

Eutopie No. 3 ist einer der wohl wunderbarsten Oud-Düfte, den ich je bei einem (anfänglich unmotivierten) Test auf meinen Handrücken gesprüht habe.

Françoise, eine schlanke, große, schwarzhaarige Süd-Französin, gebildet, von sanftem, ernsthaftem, erotischem Wesen, genehmigt sich an einem lauen Frühsommerabend auf der Terrasse ihres Hauses in Cannes ein Gläschen Gin. Françoise ist ganz in weiße Gewänder gehüllt, der sanfte, lauwarme Wind streichelt ihre weiche Haut. Ihr weißes Haus liegt ganz nah an den Gestaden des Mittelmeers.

In Françoises mediterranem Garten wachsen verschiedene aromatische Beeren sowie grünes, süßes Kraut und etwas Anis. Françoises sanftem, ruhigem Wesen ist es zu verdanken, dass sogar einige sehr seltene Pflänzchen im Garten wachsen, nämlich fruchtiger Safran. An diesem lauen Frühsommerabend wehen Françoise weiche, fruchtig-würzige Noten aus ihrem gepflegten Garten am Meer entgegen.

Françoise macht es sich auf dem weißen Sofa auf der Terrasse gemütlich, auf das ruhige Mittelmeer gegen Osten blickend. Langsam werden Françoises Augenlieder schwerer, sie entgleitet langsam in sanfte Träume.

Auf einmal kommt mit sanftem Flügelschlag eine weiße Taube, groß und erhaben wie ein weißer Schimmel, geflogen. Françoise erschrickt ein wenig, nähert sich aber alsbald neugierig der großen weißen Taube und setzt sich auf ihren Rücken, wie einst Europa auf den weißen Stier.

Mit kräftigen Flügelschlägen hebt die weiße Taube mit Françoise auf dem Rücken in Richtung Osten ab. Schon bald überfliegt die Taube ferne Länder am östlichen Mittelmeer. Die Taube überfliegt große, grün-frisch und trocken-harzige Zedernwälder und warme, samtig-balsamische, trockene Sandelholzwälder.

Die Taube landet im Lichte des Halbmondes am Rande des großen exotischen Waldes. Françoise klettert vom Rücken der weißen Taube und erblickt einen wunderbaren weißen, orientalischen Palast. Aus seinem Innern dringen Noten von Räucherholz. Adlerholz, balsamisch, etwas würzig und erdig.

Françoise beschließt, den weißen Palast zu betreten. Françoise wird von exotischen Schönheiten in ein großes Schlafzimmer geleitet. In der Mitte des Raumes steht ein großes, weißes, weiches Bett. Françoise legt sich in die weichen Daunen. Der Raum ist mit duftenden exotischen Hölzern getäfert.

In einer Ecke des großen Zimmers nimmt Françoise leise Rauchfähnchen von trockenem Weihrauch wahr. In der anderen Ecke steht ein Kamin, harziges, gespaltenes Holz liegt zum Anfeuern bereit. Sinnlich massiert von den exotischen Schönheiten taucht Françoise, mit der trockenen Wärme des Orients und der sinnlichen Sanftheit des Okzidents im Herzen, abermals in die sanfte Traumwelt ein.

Eutopie ist altgriechisch. „Eu“ (ausgesprochen „öi“) bedeutet gut, „ho topos“ ist „der Ort“. Übersetzt bedeutet Eutopie in etwa „der gute/richtige Ort“. Für einen sanften, schönen, weichen, sinnlichen Duft ein treffender Name.

In der Kopfnote dominieren Wacholder, fruchtiger Safran, Kreuzkümmel. Die Kreuzkümmel riecht jedoch nicht, wie so oft, nach Schweiß, sondern grün, krautig und etwas anisartig. Daneben rieche ich noch weitere Beeren sowie fruchtige Noten.

Die Kopfnote wird von trockenen Hölzern abgelöst. Die zentrale, aber nicht dominierende Note ist Oud. Das Adlerholz ist jedoch eher zurückhaltend, balsamisch, keineswegs bitter, hart, stechend oder muffig. Daneben ist trockenes Sandelholz und frisches Zedernholz zu riechen. Langsam wird im Hintergrund trockener Weihrauch wahrnehmbar.

In der Basis verbleiben trockenes Sandelholz, trockener Weihrauch und einige nicht süße, harzige Noten.

Eutopie No. 3 ist ein sanfter, zu Beginn würziger, aromatischer, nicht süßlicher, weicher, balsamischer Orientale. Oud ist zwar der rote Faden durch den Duft, jedoch ist Eutopie No. 3 kein mehr oder weniger brachialer Oud-Duft im Stile der Montales, Amouages etc. Eutopie No. 3 ist weder orientalisch üppig noch schwer. Und schon gar nicht animalisch.

Am nächsten verwandt ist Eutopie No. 3 vielleicht mit dem vorzüglichen Oud-Duft von Piguet. Jedoch ohne die grüne Balsamtanne und die deutlich wahrnehmbare Myrrhe, dafür bereichert mit trockenem Weihrauch, jedoch zurückhaltender als in Piguets wunderbarem Casbah.

Eutopie No. 3 kann man daher mit Fug als sanften, aromatischen, durchaus femininen Oud-Duft bezeichnen, der jedoch auch an Männerhaut, vielleicht etwas dunkler und aromatischer, zu Geltung kommt. Auch wenn ich gewöhnlich böses, animalisches bis gar fäkales Oud bevorzuge, Eutopie No. 3 ist der vielleicht schönste untypische Oud-Duft am Markt.
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