FioreMarina

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FioreMarina vor 3 Jahren 104 43
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Duft
Papa (1989)
Was Du wohl sagen würdest, Papa, wenn Du wüstest, dass Du in meiner Rezension von Samsara vorkommst? Dass Du sogar die Hauptrolle darin spielst, also - neben mir. Und neben Samsara, natürlich.

Dabei ist das nur logisch, denn es hat ja alles mit Dir begonnen. An einem Mittwoch Nachmittag im November 1989, denn Mittwoch Nachmittags hattest Du die Praxis geschlossen. Du warst mit meiner Mutter zusammen in dieser winzigen Parfümerie in Berchtesgaden, die es heute nicht mehr gibt. Ich war mit dabei, ich war Fünfzehn und ich fror. Das war zum Einen der Schönheit geschuldet, denn mit Mini und bauchfrei friert man, jedenfalls im November in Berchtesgaden. Zum Anderen ging es ums Prinzip. Es ging bei uns beiden immer ums Prinzip, nicht wahr?

Du hattest dieses unsichtbare Korsett um Dich, das man trägt, wenn man aus einem protestantischen Pfarrhaus stammt: Schönheit war für Dich nur mit Strenge zu ertragen, sie war Dein Gegengift gegen jedwede Form der Versuchung: Deine Kirchen romanisch, Deine Musik die Bachschen Fugen. Meine Mutter mit dem Haar straff aus der Stirn gekämmt.

Und dazu diese Tochter. Ich war ein Paradiesvogelkind, ein ungeheuerlicher Farbkleks in Deiner klar geordneten Welt und weil ich es wusste und weil ich es anders wollte, war jeder Atemzug in Deiner Gegenwart Rebellion: Ich drehte den Lautstärkeregler meines Ghettoblasters auf Anschlag und ließ Richie Samboras E-Gittare in Deine Fugen kreischen. Ich trug den (katholischen) Rosenkranz um den Hals und Röcke, die Dir die Schamesröte ins Gesicht trieben. Mein Zimmer hast Du nicht mehr betreten, denn der oberkörperfreie Jon Bon Jovi hing wie ein überlebensgroßer Abwehrzauber so, dass Du ihn gleich beim Hereinkommen sehen musstest. So, wie Du vieles hättest sehen müssen. Aber die dicke Schicht schwarzen Kajals um meine blauen Augen hat Dir die Sicht auf die Arglosigkeit dahinter verstellt. Du wolltest Dein kleines Mädchen festhalten und ich wollte Deine Anerkennung meiner Weiblichkeit erzwingen.

Du sagtest: "Wie siehst Du wieder aus!" Ich schob die Unterlippe vor und zog den Ausschnitt weiter hinunter. Du sagtest: "So gehst Du nicht aus dem Haus!" Ich warf den Kopf in den Nacken und ging.

Weißt Du - manchmal denke ich, uns war beiden kalt. Nicht nur im November.

An diesem Mittwoch Nachmittag jedenfalls hast Du meiner Mutter ein Parfum gekauft, Givenchy III - es war immer Givenchy III. Sie bekam den Flakon und ich bekam ein kleines Pröbchen, auf dem Samsara und Guerlain stand, keines von beidem hatte ich je zuvor gehört.
Ausprobiert habe ich es erst Zuhause und ich erinnere mich, dass ich dachte: "So, genau so, riechen Frauen."
Papa, ich hatte damals keine Ahnung von Duftpyramiden. Ich hatte nur das Gefühl, dass ich so riechen musste, weil ich eine Frau war. Heute würde ich sagen, dass es an dieser alles umarmenden, warmen, zärtlichen Sandelholznote lag, die jeden Widerspruch auflöst und hinter alle Fragen ein lächelndes Ausrufezeichen setzt: hinter die nach Lebendigkeit ein ganz zartes Spritzerchen Zitrone, wie ein knisterndes Fünkchen. Hinter die nach Sinnlichkeit Pfirsich, Tonka und Vanille. Die Eleganz der Iris, die Extravaganz der Narzisse. Die laszive Schwere des Jasmin. Und in allem so viel Unschuld, Papa, wie ein Bouquet aus Rosen, Veilchen und Gartennelken. Nein, das kann man nicht alles herausriechen. Das ist es ja, was uns Frauen ausmacht, dass wir alles das zugleich sind, niemals nur das eine oder das andere. Damals habe ich mir keine Gedanken darüber gemacht, aber ich habe es wohl gefühlt.

Ich ging damit nach unten, in der Diele traf ich auf Dich. Ganz eng ging ich an Dir vorbei, ich wollte, dass Du es an mir riechst. Du bliebst stehen, "Warte mal", sagtest Du. "Was ist das? Wonach riechst Du?" Ich drückte mein Kreuz durch und hob das Kinn. "Das ist die Probe, die Du mir vorhin geschenkt hast", sagte ich. "Samsara. Von Guerlain." Da lächeltest Du und niktest. "Es ist schön", sagtest Du. "Es passt zu Dir."

Ich weiß nicht, ob Du damals ganz und gar verstanden hast, wozu Du Ja sagtest. Nicht mit dem Verstand vielleicht, aber vielleicht ja mit dem Herzen. Und ich weiß, dass ich von da ab nicht mehr fror.
Seither trage ich Samsara. Es hat Pausen gegeben in all den Jahren. Aber ich habe es nie aus den Augen verloren. An manchen Tagen stelle ich mir vor, dass es wie ein Brandopfer zu Dir hinauf in den Himmel steigt. Dass Du es riechst, und, nun endlich Deines protestantischen Pfarrhauskorsetts ledig, lächelst. Und deshalb, und obwohl ich mich eigentlich nicht gern festlege, ist es meine Signatur.
Ich trage es für Dich
und für mich.
Ich trage es für uns beide
und für immer,
Papa.
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FioreMarina vor 3 Jahren 27 19
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Duft
Der letzte Sommer
Es gibt Parfums, die mir Geschichten erzählen und manche davon habe ich schon für Euch aufgeschrieben.
Dieses hier allerdings nicht. In gewisser Weise erzählt es mir das Ende aller Geschichten. In diesem Parfum kommt kein Es-War-Einmal vor und auch kein Der-Tag-Wird-Kommen. Dieses Parfum erzählt vom Augenblick, von einem perfekt improvisierten Sommertag und obwohl oder weil von ihm eine zarte, blau-wässrige Frische ausgeht, muss es ein Tag am Meer eines Sonnenlandes sein, sucht Euch eins aus; für mich ist es keine Frage welches, schon deshalb, weil ich jetzt, in diesem Augenblick dort bin, am Strand von O, und, auf dem schmalen Streifen Sand zwischen Pinienwäldern und Meer mit Salado auf der Haut, nicht mehr versuche, den Augenblick festzuhalten und deswegen, ja, vielleicht deswegen eins mit ihm werde.

Das Manuskript, in dem ich gelesen habe, ist mir aus der Hand geglitten, der Hund hat zufrieden seinen Kopf darauf gelegt, träge hebt er die linke Augenbraue und sieht mich an als wolle er sagen: „Jetzt lass doch mal das Denken.“

Mein Blick wandert in die blaue Unendlichkeit bis weit hinten an den Horizont und hinauf in den Himmel, ich halte mein Gesicht in die Sonne, die, weißglühend, ihre Stahlen wie goldene Kinder auf dem Wasser spielen läßt.

Der Wind pfeift seinen Sommersong, er nimmt der Hitze die grausame Härte, fasst mir ins Haar, vom Wasser harte, salzige Strähnen, weht sie mir vor die Nase, Salz und Sonnencreme, dröhnt in meinen Ohren, trägt manchmal das Zirpen der Grillen von den Pinien zu mir und manchmal das Glockengeläut von dem spanischen Kastell am Rande der Bucht, nicht länger Symbol für Stärke oder Fremdherrschaft und nicht einmal mehr ein Mahner der Stunde, sondern nur einfach da. Und manchmal erklingt der Schrei einer Möwe.

Wellen sammeln sich da, wo Himmel und Erde zusammen fallen, erheben sich, durchlaufen auf dem Weg zu mir alle Farben, tiefes Azur, Violett, Vergissmeinnichtrosa, transparentes Türkis, funkelnd, glitzernd, bis sie, schaumkronengeschmückt, brechen und zart an meinen Zehen leckend, rhythmisch flüsternd ihr Mantra wiederholen: Jetzt! Jetzt! Jetzt!

Es ist schwer zu sagen, welche der Eindrücke, die in mich hinein sickern, vom Parfum her kommen und welche vom Wasser, vom Salz, vom Treibholz, das am Strand in der Sonne bleicht. Das eine geht in das andere über: frische Gurke und salzige Noten sind die beiden Hauptakteure, sofort da und von da ab präsent, bilden sie die Vorstellung des Meeres so wunderschön ab, dass man es in sich rauschen hört. Weiße Blüten streuen sich ein, es sind nur wenige und nur ganz zart, fast wehmütig süß, von einer sehnsuchtsvollen Tiefe, zusammen mit einem dezent dosierten Moschus, ganz leicht cremig. Und das holzig-harzige, ja, das könnte die ganze Zeit mitgeschwungen haben. Oder aber es kommt von den Pinien dort drüben, die die Sonne erbarmungslos das Harz aus der rauen Rinde schwitzen läßt. Aber am Ende ist das nicht wichtig. Es verschwimmt im dunstigen Ozon dieses Sommertages, im Rauschen von Wind und Meer, in der Unendlichkeit des Augenblicks.

Und auch das ist jetzt nicht wichtig, aber irgendwann werde ich wieder heim müssen, werde den Strand und wohl auch den Sommer zurücklassen müssen und trotzdem oder deshalb und wegen Salado, wird es sein, als würde der Sommer hier nicht enden. Als wäre es der erste und der letzte, als wäre es ein unendlicher Sommer, der auf mich wartet und mich, wenn ich will, umfängt, gurkenfrisch, blütenzart und salzig wie Tränen vom Glück des Augenblicks. Oder ist das nur die Gischt in meinem Gesicht?
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FioreMarina vor 3 Jahren 109 44
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Duft
Live aus dem Giftschrank: Eine Grundsatzkritik.
*Vorbemerkung: Dieser Text könnte von sensiblen Lesern als in Teilen nicht politisch korrekt empfunden werden. Das ist ein Stilmittel der Satire und nicht dazu gedacht, Gefühle zu verletzen. Wer sich gefährdet sieht: einfach wegklicken!*

„Echt, ey. Leute, ich will Euch nicht zu nahe treten. Aber – ist das eigentlich Euer Ernst? Also: steht Ihr zu dem, was Ihr da macht? Ist das alles, was Ihr so zu bieten habt? Ich meine, jetzt mal ehrlich: Ihr benutzt Zeugs, das hat Namen wie „Not A Perfume“, und wisst Ihr was? Das stimmt sogar! Weils nämlich die Hälfte von Euch nich riecht. Und die andere Hälfte, also, die ist stolz wie Bolle, weil sie nur ne Viertelstunde was riecht, länger hält`s nicht. Ihr sprüht Euch diese Zumutung in… Dings, äh, habs´ gleich:… homöopathischen Dosen drauf und das ist dann elegant. Aber ey, ich sag´ immer: was nutzt mir das ganze Understatement, wenn´s doch keiner merkt?
Und dann Eure komische Political Correctness: Freut Euch wie die Kinder, weil Ihr Oud künstlich herstellen könnt, dabei riecht schon das Original wie die Unterhosen von meinem Alten. Und weil das ganze einfach nich schön ist, erklärt Ihr´s flugs zu Kunst und diskutiert hier drüber als wär´s ´n Picasso. Mannmannmann.
Das Stärkste, was Ihr so auf Lager habt, ist Euer dämliches Baccarat Rouge, sorry, die Zahlen dahinter merk´ ich mir nich. Kommt jede Woche drei Mal ´n Kommentar drüber raus. Haut Euch wohl um, oder. Der hat Wums, sagt Ihr. Echt jetzt? Der hat Wums?
Ich sag´ Euch mal was: ICH hab Wums. Wenn Euch so ´n drei-Zutaten-Duft schon aus den Latschen haut, dann schnallt Euch lieber fest. Und ich sag´ Euch noch was: wenn Ihr vorhabt, mich jetzt auseinanderzunehmen, wie Ihr das hier ja so gerne macht: lasst es einfach. Im Ernst: ich will nix hören von „Gewürzkistlein“ „Süßes Pfäumchen, in Honig getaucht“. Ich mein´- Hallooo? Geht´s noch? Hört Ihr Euch mal an, wie das klingt? Ich mein, klar, stimmt schon, ich bin ein verdammt süßes… aber hey! Das sagt man nich laut, wenn man Anstand hat. Und an die Schlauberger, die hier Tuberose vermuten: Wonach zur Hölle soll ich denn sonst riechen? Ich rieche verdammt nochmal nach Tuberose, weil´s das Stärkste an Blüten ist, was Du kriegen kannst. Klar soweit? Wo ich grad dabei bin, rede ich noch kurz was zu meiner Basis: Die ist nämlich so breit wie´n Pferdehintern. Und das, was Euch da die Tränen in die Augen treibt, nennt sich Sandelholz. Von echten Sandelbäumen oder wie die Dinger heißen, jedenfalls nicht wie der synthetische Dreck, den Ihr Euch so drauf macht. Wo mein Amber herkommt, sag´ ich Euch lieber nicht – sonst träumt Ihr noch schlecht.
Also, so ist das mit mir. Aber wie gesagt: ich mag´s nicht, wenn Ihr an mir rumdoktort. Ich bin was ich bin, nämlich ´n Gesamtkunstwerk. Alles, was Ihr über mich wissen müsst, ist: Ich sorg´ dafür, dass man Euch im Club bemerkt. Jede Wette: Vom Türsteher bis zu den Typen im Hinterzimmer: Die wissen dann alle, dass Ihr da seid. Ich feier´ mit Euch die ganze Nacht, ich bin dabei bis zum bitteren Ende. Und wenn Ihr am nächsten Mittag kotzend über der Kloschüssel hängt, ratet mal: Ja, Baby – dann bin ich immer noch da.
Girlz or Boyz? Das ist noch so ne dämliche Frage. Da wo ich herkomme, sieht das so aus: da haben sich Jon Bon Jovi und Tina Turner den Kleiderschrank geteilt. Den gleichen Friseur hatten sie sowieso. Da trägt man den Rosenkranz um den Hals und das Russenkreuz ist eintätowiert von Schulterblatt zu Schulterblatt, das Rouge wird auch als Liedschatten verwendet und wenn der Mini mehr als vier Zentimeter über die Pobacke geht, ist man halt ´n Spießer. Da ist die Rocky-Horror-Picture-Show kein Kult. Sondern tägliche Routine. Alter, ist das sexy? Aber ja doch. Und wenn Ihr das nicht abkönnt, dann kauft Euch doch n Strickset und meldet Euch zur Selbsthilfegruppe an.
Es ist einfach so: ich bin verdammt starkes Zeug. Aber was Besseres als ich ist Euch noch nicht unters Näschen gekommen. Und kommt auch nicht mehr, da leg´ ich mich fest. Dass die Leute Hand an mich gelegt haben, „verschlankt“, nennen das ´n paar Witzbolde: Also, das ist ´ne Frechheit. Nur das Original ist das Original und ey, sagt nicht, Ihr traut Euch das nicht zu. Trefft mich, lernt mich kennen, solange es noch geht. Und wenn es nicht mehr geht: treffen wir uns in der Hall of Fame aller Parfums. Da hab´ ich nämlich ´nen ständigen Sitz.
Ende der Ansage.

PS.: Vielen Dank an Sebà, der mich an diesen Schatz erinnert hat und an TinkiB, die mir Ihr Vintage-Poison verkaufte. Seitdem komme ich aus den Flashbacks nicht mehr raus.
Und danke an die Mutigen fürs Lesen!
44 Antworten
FioreMarina vor 3 Jahren 35 17
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8.5
Duft
Ein Sommernachtsträumchen
Vielleicht geht es Euch ja wie mir und ihr hattet eigentlich etwas anderes vor. Mit diesen Pfingsten. Diesem Sommer. Und überhaupt.
Aber so wie es aussieht, sorgt das Wetter für das, was Jens Spahn nur so leidlich gelingt, nämlich uns zu Hause zu halten. Die Temperatur bleibt stabil unterdurchschnittlich, die Laune auch und der Regen fällt unablässig nieder wie zu den Zeiten, als in Bern noch Wunder geschahen.
Wenn ihr also – so wie ich - gerade nichts besseres vorhabt, möchte ich eine Einladung an Euch aussprechen: Macht es Euch doch gemütlich, nehmt entspannt einen Tee zur Hand, vorzugsweise leicht, grün und blumig, dann habt Ihr im Grunde schon genau die Stimmung zu dem Zauberduft, den ich Euch mit missionarischem Eifer ans Herz legen möchte: Willkommen in einer Welt, in der alles licht, warm, duftig und zart ist, in der Welt von White Magnolia.
Der Schöpfer des Parfums, Olivier Cresp, ist Euch vermutlich kein Unbekannter. Er zeichnet haupt – oder mitverantwortlich für Megaseller wie Angel von Mugler oder den von mir bereits hingebungsvoll beschriebenen Light Blue von Dolce & Gabbana, genauso für Klassiker wie Femme von Rochas und, leider muss ich das zugeben, auch für den Kitsch-Albtraum Black Opium von YSL. Der Erfolg spricht für ihn; der Mann weiß offenbar, was gefällt.
Nun also hat er 2021 einen neuen Duft geschaffen, White Magnolia für Etro, eine schlanke, keine extravagante Duftpyramide, lichte Transparenz, im durchsichtigen Flakon mit Paisley-Muster aufgefangen, das wirkt schon beim Hinsehen wie die Phiole der Galadriel, das Licht des Abendsterns, ein Leuchten in dunklen Zeiten… und wenn Ihr jetzt den Eindruck bekommt, dass ich ins Schwärmen gerate, dann habt Ihr vermutlich recht. Ich kann Euch nicht einmal sagen, warum das eigentlich so ist, denn so außergewöhnlich ist der Duft nicht. Aber er verzaubert.
Ich muss mit der Basis beginnen, und dann konsequenterweise auch gleich mit dem Moschus, denn der ist von Beginn an mit dabei. Solltet Ihr Euch jetzt ein Gähnen verkneifen, solltet Ihr Euch denken „Oh Gott, nicht schon wieder so einen Saubermoschusduft!“: Ich verstehe Euch. Mir geht’s nämlich genauso. Nach dem gefühlt hundertsten Mal, in dem irgendein findiger Parfümeur mit dieser Allzweck-Kuschel-Keule um die Ecke kommt, diesem olfaktorischen Tranquilizer, der unser Urteilsvermögen mit Globalid, Ambrettolid und Muscenon in einer watteweichen Wohlfühlwolke verklebt, spüre ich eine deutliche Übersättigung, was Moschus betrifft. Olivier Cresp scheint das verstanden zu haben, denn er lässt den Moschus nicht einfach so dahinwabern, sondern er grenzt ihn ein, indem er ihn von etwas warm-harzigem begleiten lässt, das, minimal dosiert, wahrscheinlich zur Zeder gehört, oder zu den weißen Hölzern, die eher ein Bild in unserer Fantasie erzeugen, als dass sie real wären. Das macht den Duft nun wirklich nicht kantig. Aber es gibt ihm Kontur. Es erdet ihn und verleiht ihm Sinnlichkeit. Und es erzeugt ein gewisses Spannungsfeld zwischen weich und hart, Fluff mit Kante.
Darauf setzt er wie ein funkelndes Krönchen die Magnolie. Und die ist diesmal ein besonders durchtriebenes Stück: Sie erscheint nämlich nicht einfach und bleibt dann, was sie eventuell nervtötend werden lassen würde. Stattdessen irrlichtert sie durch den Duft, taucht auf, funkelt wie ein Sonnenstrahl durchs grüne Laub oder, ach kommt, wie der Abendstern der Elfenkönigin, um dann wieder leiser zu werden, zu verschwinden, und ein paar Minuten später hinter einem Moschuswölkchen wieder aufzutauchen. Vielleicht wird die Magnolie von etwas Zitrik begleitet, aber das ist minimal. Es dient nur dazu, ihre frische Süße zu unterstreichen, nur, um Ausrufezeichen hinter den elfenzarten Charme des Blütenakkords setzen, ein weiteres, freches Funkeln in diesem an Glanzlichtern nicht armen Duft.
Könnt Ihr verstehen, dass man dieses Parfum lieben muss? Dass man es auflegt und lächelt? Dass es vielleicht genau der Duft ist, der in diesen Spätcorona-Sommer passt: Voller Mutwillen, der durch unser Pandemie-Cocooning hindurch aufblitzt, voller zarter, unbändiger Lebensfreude. Ein federleichtes Streicheln unserer Sinne. Ein Seelenduft. Ausprobieren!

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FioreMarina vor 3 Jahren 56 24
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8.5
Duft
Barcelona
„Ich habe mir die Karten legen lassen: Es gibt den Einen wirklich und er wird mein Leben verändern. Das Problem ist nur, dass er wohl in Barcelona wohnt.“
Wir sitzen auf zwei Klappstühlen mit Patina vor der einzigen Umkleide in Quirins Laden inmitten von Bergen frisch ausgepackter Herrenbekleidung und trinken Kaffee to Go aus Pappbechern. Ich spüle mit einem großen Schluck meine Bemerkung über das betrügerische Geschäft gewisser Halsabschneider mit den Hoffnungen der Menschen herunter und sage stattdessen: „Ich würde es Dir so gönnen.“
Quirin träumt von der großen Liebe, seit ich ihn kenne. Und das sind nun schon ein paar Jährchen. Er führt eine Boutique für extravagante Herrenbekleidung trotz des Doktors der Biologie, weil noch großer als seine Liebe zu den Aminosäuren sein Talent ist, in absolut jedem Menschen das Schöne zu sehen. Und das will er in Szene setzen.
Quirins Stil trifft immer genau den Punkt des maximalen Wow und gerade eben noch nicht des erschrockenen Oh Gott, er lebt ihn mit lässiger Eleganz, und so ist sein ganzer Laden: Inmitten der gediegenen Linzer Gasse ist er mein Hafen auf dem Weg zur oder von der Arbeit, unter den anderen Geschäften sticht er heraus wie ein rosarotes Glühwürmchen unter lauter Kartoffelkäfern. Wenn Quirin inspiriert ist – und das ist er oft – dekoriert er sein Schaufenster: manchmal gewagt, immer ein Hingucker und nie, absolut nie verabsäumt er, in sein Konzept einen Flakon Terre d`Hermès einzubauen. Dabei verkauft er den Duft gar nicht. Er liebt ihn nur einfach.
„Vielleicht erkenne ich ihn daran, dass er Terre d´Hermès trägt“, grübelt Quirin über seinem Kaffeebecher und ich denke mir, dass überhaupt niemand so gut danach riechen kann wie er. Quirin duftet immer nach Terre und der ganze Laden mit. Man erkennt am Duftverlauf die Tageszeit: Morgens, wenn die Boutique eröffnet, liegt ein zarter Schleier Grapefruit in der Luft, mehr frisch als bitter, heiter und irgendwie übermütig. Es gesellt sich ein dunkle, volle Orange hinzu, satt und mächtig wie ein Sonnenaufgang über dem Meer. Der fruchtige Eindruck wird von Pfeffernoten eingefangen, aromatisch, fast blumig, nicht scharf, und bevor das Ganze zu fruchtig wird, bringt es der warme Duft von Zedernholz, auf das die Sonne scheint, zurück auf die Erde. Vetiver setzt einen Kontrapunkt, vielleicht, nein, ganz sicher wird es dabei von einem winzigen Hauch Patchouli unterstützt, herb, erdig, dunkel und tief. In diesem Spannungsfeld oszilliert der Duft: hell und dunkel, leicht und kräftig, den Kopf in den Wolken und die Füße fest auf einer warmen, duftenden Erde. Es ist ein Duft wie Quirin und sein Laden.
Die Leute kommen gerne zu ihm: Männer, die genug haben von dem immer gleichen Jeansmodell mit dem immer gleichen Hoodie, werden von ihm enthusiastisch bei der Suche nach ihrem modischen Selbst unterstützt. Wenn er einen besonders zum Strahlen gebracht hat, bietet er ihm manchmal schüchtern ein paar Spritzer Terre d´Hermès zur Abrundung des Gesamteindrucks an und wartet, ob sich die Prophezeiung erfüllt.
Nicht nur diese Art Leute besucht seinen Laden. Einmal, wir sitzen gerade wieder auf unseren Klappstühlen, kommt eine Dame im Lodenkostüm zur Türe herein, sieht in an und sagt: „Sie sind eine Schande.“ Dann macht sie auf dem Absatz kehrt und geht zur Tür hinaus. Wir sehen ihr nach und ringen nach Worten. Dann lachen wir unsere Wut weg.
Ein anders Mal schaue ich nach der Arbeit bei ihm vorbei und finde ihn weinend beim Sortieren einiger Herrenhemden. Es ist, weil es der Mama so schlecht geht, sagt er. Mit den Jugendlichen, die gerade in seinem Laden waren, hat es nichts zu tun. Sie haben im Vorbeigehen den Stapel Hemden vom Regal geworfen und „Tuntenkram“ gesagt. „Das sind doch Kindereien“, sagt Quirin und bläht die Nüstern. „Die müssen erst noch erwachsen werden.“
Dann fahre ich in den Urlaub und als ich zurück komme gibt es den Laden nicht mehr. Er ist einfach weg. Ich weiß nicht, was passiert ist, nur, dass ich nie auf die Idee gekommen bin, ihn nach seiner Handynummer zu fragen. Wozu? Er war ja immer da. An den guten Tagen will ich glauben, dass er nach Barcelona gereist ist und dort seine Liebe gefunden hat. An den nicht so guten hoffe ich, dass es nicht die Damen im Lodenmantel und präpotenten Jugendlichen dieser Erde waren, die ihn bezwungen haben.
Was ich aber weiß ist, dass Quirin Düfte liebt und ganz besonders Terre d´Hermès. Falls Du das also liest, Quirin, will ich Dir nur sagen: Ich hoffe, Du liegst am Strand von Barcelona und lässt Dir die Sonne ins Gesicht scheinen. Ich hoffe, er liegt neben Dir und ist alles, was Du Dir jemals erträumt hast. Und ich hoffe, er duftet nach Terre d´Hermès.





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