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vor 6 Jahren - 21.10.2018
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Reise-Blog Vancouver oder: Kein Elch-Duft im Heimkehrgepäck

Es war nicht unsere erste Reise nach Kanada, aber die erste an die kanadische Westküste (vorwiegend nach Vancouver). Die Stadt lohnt einen Besuch unbedingt, auch einen längeren. Wir waren mit Unterbrechungen für Ausflüge ins Umland gut zwei Wochen dort; wobei Umland in den Weiten dieses Landes auch vierhundert Kilometer sein können.

Was es an Sehenswürdigkeiten und an must-dos gibt, kann man anderweitig nachlesen, und es hängt natürlich auch von den eigenen Interessen ab, ob man ausgiebige Streifzüge durch die Mikrobrauereien- und Kneipenszene, Besuche in Museen und auf Kulturfestivals, Shoppingtouren, Outdoor-Aktivitäten oder die Erkundung der spannenden und abwechslungsreichen Gastro-Szene (die japanische High-End-Sternerestaurants ebenso umfasst wie Mexica-Soulfood-Foodtrucks und Vollkornbrot, Sauerkraut und Bratwurst nach deutschem Rezept) priorisiert. Oder einfach das Flanieren durch die sehr unterschiedlichen Stadtviertel genießt, von Downtown, Yaletown und West End über Gastown und Chinatown bis nach Kitsilano, Granville und – mein Geheimtipp, stand in keinem Reiseführer – Kerrisdale.

Nur ein paar persönliche Glanzlichter aus meiner Sicht, gewiss nicht abschließend: Der Stanley Park, ein unvorstellbar großer Stadtpark, der zu großen Teilen aus unberührtem Regenwald besteht; der Maple Tree Square in Gastwon, sehr angenehm, nicht weit von meinem Lieblingscafé „Nelson the Seagull“ und der wohl einzige klassische urbane Platz im europäischen Sinne in Vancouver; der Dr.-Sun-Yat-Sen-Chinese-Garden, der erste traditionelle chinesische Ming-Garten, der außerhalb Chinas angelegt wurde, wunderbar, sehr besonders und das recht happige Eintrittsgeld absolut wert und eine Fahrt mit der Pendler-Fähre „SeaBus“ (ist in das ziemlich gute öffentliche Nahverkehrssystem eingebunden) über den Fjord „Burrard Inlet“ mit anschließender Erkundungstour im hübschen kleinen Viertel links und rechts der Lonsdale Avenue im (administrativ selbstständigen) North Vancouver.

Ob es sich um die „lebenswerteste Stadt der Welt“ und die „schönste Stadt Nordamerikas“ handelt, wie ziemlich oft zu lesen ist (vielleicht auch gerade in deutschen Reiseführern) sei einmal dahingestellt; schön ist es auf jeden Fall! Und was vielleicht wirklich weltweit einzigartig ist, ist die Landschaft, in die die Stadt eingebunden ist. Auf der einen Seite in den Pazifik hineingebaut, man sieht die Containerriesen aus Asien kommen und kann von den Geschäftshochhäusern Downtowns zu Fuß zu Sandstränden gehen, an denen gesurft werden kann. Auf der anderen Seite beginnt im Grunde schon hundert Meter nördlich von der Stelle, an der der Sea Bus anlegt, das Küstengebirge sich zu erheben, das schnell bis auf fast 2000 Meter ansteigt, sodass man mit dem Auto in ein, zwei Stunden im Hochgebirge ist und Skifahren kann (oder man nimmt gleich die Seilbahn auf den Hausberg Grouse Mountain). Es ist leicht vorstellbar, dass diese Lage bei dem weitgehend schachbrettartig angelegten Straßensystems Vancouvers oft zu äußerst reizvollen Überraschungen führt, wenn man etwa um eine Straßenecke biegt und auf einmal auf schneebedeckte Berge blickt.

An Epitheta wie „nachhaltigste Stadt der Welt“ oder „Ökologieparadies“ erlaube ich mir kleine Fragezeichen zu setzen: Ja, es gibt viele Fahrradwege, aber es fahren selten Fahrräder darauf. Ja, es mag drei- oder fünfmal so viele Elektroautos geben wie in einer vergleichbaren deutschen Stadt, aber es gibt auch zehn- bis zwanzigmal so viele benzinfressende Trucks und SUVs, und durchaus nicht alle von der anderen Seite der Grenze zu den USA. Ja, „local“, „vegan“ und „organic“ sind überall Verkaufsargumente in der Gastronomie, aber Berge von Einweggeschirr mindestens ebenso sehr. Ja, es gibt überall begrünte Dächer, aber ob das die Ökobilanz eines Wolkenkratzers so erheblich verbessert, da dürften Zweifel angebracht sein. Die Liste ließe sich fortsetzen: Besonders kurios fanden wir die äußerst ernsthaft durchgeführte Mülltrennung, die zwar im Grunde sehr umfassend und komfortabel ist, aber bizarre und wohl nur den Eingeweihten verständliche Ausnahmeregelungen kennt: Wenn man„soft plastic“ (wie Gummibärchentüten oder Zahnpastatuben) zum Kunststoffmüll gibt, oder Zeitschriften zum Papiermüll, wird man schneller geteert und gefedert als wenn man in Freiburg im Breisgau Autobatterien in den kompostierbaren Biomüll würfe.

Die Waffengesetze entsprechen in Kanada eher europäischen als US-amerikanischen Maßstäben, die Kriminalitätsrate ist niedrig und es dürfte keine Legende sein, dass viele Kanadier sogar in der Stadt ihre Türen unverschlossen lassen. Ähnliches gilt für die Sozialgesetze, was die Provinzialverwaltung allerdings nicht daran hinderte, aus Kostengründen ein psychiatrisches Krankenhaus zu schließen ohne sich allzu viele Gedanken über die Anschlussunterbringung der Patienten zu machen: Die Anzahl (anscheinend obdachloser) schwer psychisch gestörter und drogenabhängiger bedauernswerter Existenzen im öffentlichen Straßenbild ist – gerade für ein so reiches und schönes Land - verstörend hoch.

Was uns noch viel mehr als die Naturschönheiten und die Sehenswürdigkeiten der Stadt begeistert hat, war die Lebensart von Vancouver, die – mit Abstrichen für den Autoverkehr – von einer für Deutschland, insbesondere aber für Berlin, unvorstellbaren Freundlichkeit geprägt ist. Höflichkeit gilt als Nationaltugend der Kanadier: Wie viel davon allgemein nordamerikanisch, wie viel spezifisch kanadisch und wie viel West-Coast-typisch ist, mögen diejenigen beurteilen, die Vancouver, Los Angeles, Toronto und New York gleich gut kennen. Wir jedenfalls waren angetan davon, dass die Leute sich noch dafür entschuldigten, wenn man ihnen auf die Füße trat und dass in Situationen, in denen man sich in Berlin schon über ein einfaches „danke“ gewundert hätte, Elogen wie „oh thank you really so much, that's so kind of you, I really do appreciate it!“ zu hören waren: bisweilen hatten wir den Eindruck, wir sollten gleich adoptiert werden. Im Einzelfall mag das reine Konvention sein oder als „oberflächlich“ abgetan werden, aber erstens war bisweilen auch ernsthaftes Interesse am Gegenüber deutlich sichtbar, und zweitens ist es mir wesentlich lieber, wenn mir jemand ganz oberflächlich hilft, als wenn er mich unglaublich tiefgründig in der Patsche stecken lässt.

Ebenso gut hat uns die vancouveritische Ausprägung der „diversity“ gefallen, einer weiteren Tugend, die sich Kanada jedenfalls im 21. Jahrhundert auf die Fahnen geschrieben hat. Die Bewohner Vancouvers sind zu je etwa 40% (ost-) asiatischer und europäischer Herkunft, wobei „Asien“ nicht immer „China“ bedeutet (sondern auch Korea und Japan heißen kann) und „Europa“ nicht immer Großbritannien (sondern z.B. auch Deutschland, Griechenland, Italien und Ukraine – Frankophone habe ich außer ein paar Touristen aus Québec keine getroffen). Die restlichen zwanzig Prozent sind vor allem Schwarze, indigenous people (wie der gerade politisch korrekte Begriff lautet, also Indianer), Südasiaten (Inder und Pakistaner) und Mexikaner – der Weg von Nordmexiko über Los Angeles und Seattle nach Vancouver ist kürzer als man denkt. Und nach unserem Eindruck respektiert man sich nicht nur, kommt sehr gut miteinander klar und schätzt die mitgebrachten Nationalküchen der anderen, sondern man vermischt sich auch fröhlich untereinander. Wenn keine Völkerschaft auch nur annähernd so etwas wie eine Mehrheit darstellt, ist es auch strukturell schwierig, Rassismus zu predigen. Und auch sonst wird „Minderheitenschutz“ und „Gleichberechtigung“ in jeder Hinsicht groß geschrieben: Nur ganz am Rande sei in diesem Zusammenhang erwähnt, dass an jeder Straßenbaustelle, wo frisch gepflastert oder geteert wurde, weibliche Bauarbeiter zu Gange waren; ein aus Deutschland doch eher ungewohntes Bild.

Zu Vancouver gehört eigentlich auch das Umland, denn die Dimensionen nicht nur Kanadas, sondern schon die der Provinz British Columbia sind für europäische Verhältnisse riesig, dass selbst eine Großstadt immer nur einen winzigen Punkt in endloser Weite darstellt. Aber um sich hier auch noch über Vancouver Island mit seinen Nationalparks und Regenwäldern, oder über das Osoyoos- und Okanagan-Valley mit der wüstenhaften Vegetation (dort kann man Kakteen und Kojoten sehen statt Ahorn und Elchen) und mit dem Wein- und Obstanbau, reicht hier der Platz nicht und unsere Erfahrung vielleicht ebenso wenig.

Zu den Düften: Obwohl die Drogerie- und Supermärkte im Schnitt viel größer als in Europa sind, fand ich bei den Rasierwässern immer nur dieselben fünf bis acht (meist US-amerikanischen und meist nicht gut riechenden) Titel. Die Beautyshops in den großen Einkaufszentren und Malls bieten gängige europäische Standardware in mäßiger Auswahl und einige (mich bei Stichproben nicht überzeugende) amerikanische Produkte, wobei die Auswahl an Herrendüften besonders gering ist – möglicherweise ist die Benutzung von Duftwässern durch Männer auch nicht sehr üblich.

Der nach meinen Internetrecherchen wohl einzige echte Dufttempel Vancouvers „The Perfume Shoppe“ (www.theperfumeshoppecanada.com) befindet sich im Sinclair Center, der edelsten Shopping Mall in Downtown Vancouver. Er führt jedoch nach seiner Eigenwerbung fast ausschließlich europäische Nischenmarken. Schön für die Vancouveriten, für mich eher weniger interessant, weil ich das auch zuhause habe - sodass ich von einem Besuch dann schließlich absah.

Sehr in Mode sind Raumdüfte: In Form von Duftkerzen, Räucherstäbchen und dergleichen, vor allem aber aus Verdampfern und ähnlich erfindungsreichen Maschinerien. Und wenn ich in irgendeinem kleinen sympathischen Geschäft mal einen vor Ort (oder wenigstens in Kanada) hergestellten besonderen Duft fand, konnte ich so ziemlich sicher sein, dass es ein Raumduft war. So etwas ist allerdings nicht mein Ding, und so blieb die Duftausbeute der Reise eher gering – und der Eindruck zurück, dass für die Parfümindustrie in diesem weiten Land noch (ganz friedliche) Eroberungszüge zu machen sind.

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