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Von Parfumo empfohlener Artikel
vor 3 Jahren - 01.12.2020
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Der Cousin des Colognes: Franzbranntwein.

Als ich ein kleines Kind war (und da stand die Berliner Mauer noch), war fester Bestandteil der elterlichen Hausapotheke eine vorwiegend blau etikettierte und verpackte Glasflasche mit Franzbranntwein, die etwas so aussah (naja, noch etwas altmodischer vielleicht).

Darin befand sich ein gar nicht unangenehm, irgendwie frisch-scharf riechendes Zeug, mit dem man die Beine oder den Rücken massiert bekam, wenn man sich, vielleicht beim Sport, etwas gezerrt hatte, oder einfach bei Muskelkater. Ich meine mich zu erinnern, dass es auch bei Krankheiten aller Art zum Einreiben verwendet wurde. Das (auf der ersten Silbe betonte) Wort "Franzbranntwein" fand ich schon damals irgendwie komisch (und großmütterlich) und konnte mir nicht so recht etwas darunter vorstellen.

Bald geriet Franzbranntwein bei mir dann in Vergessenheit, genauso wie Klosterfrau Melissengeist, 4711 Kölnisch Wasser, Rotbäckchen von Rabenhorst (mit der damals noch etwas nazimäßigen Aufmachung) oder auch Kondensmilch ("Bärenmarke" oder "Glücksklee") in Blechdosen, die man mit einer Art Ahle aus Holz mit einem Dorn daran öffnete.

Auch wenn Franzbranntwein schon damals ein etwas ältliches Image anhaftete, es gibt ihn noch immer. Die Aufmachung ist manchmal tatsächlich ziemlich altmodisch,

manchmal ganz nüchtern wie bei einer Dose Vitaminpillen,

manchmal aber auch einigermaßen modern, sodass man fast (entfernt) ein ein Parfüm denken könnte:


Was bedeutet aber "Franzbranntwein" eigentlich? Und wozu braucht oder benutzt man ihn? Und was hat das Ganze mit Parfumo zu tun?

Im heutigen amtlichen deutschen Sprachgebrauch ist "Branntwein" jede Art von Alkohol, insbesondere auf Trinkstärke herunterverdünnter Alkohol, egal aus welchem Grundstoff er gebrannt wurde, z.B. aus Getreide (Whisky), aus Trauben-Abfällen (Grappa), aus Früchten (Slivovitz, Kirschwasser), aus Kartoffeln (manche Sorten Wodka) oder einfach aus neutralem Industriealkohol, dem irgendein Geschmacksstoff zugesetzt wurde. Branntwein ist also mehr oder weniger dasselbe wie "Spirituose" oder (ein heute unüblich gewordener Begriff) Weingeist (spritus vini). Natürlich kommt der Begriff von "gebrannter" (destillierter) "Wein", aber aus Wein war und ist der Branntwein eher selten.

Das gilt übrigens auch für andere germanische Sprachen. Der isländische Nationalschnaps, der sogenannte "Schwarze Tod", offiziell Brennivin, ist aus Getreide gebrannt:

Branntwein gibt es übrigens erst seit dem Mittelalter, in der Antike kannte man die Technik des Destillierens noch nicht.

Den Branntwein, der wirklich aus Wein gebrannt wird, nennt man heute in Deutschland amtlich "Weinbrand". Der Begriff ist heute auch im EU-Lebensmittelrecht so definiert. Die englische Entsprechung ist Brandy. Der Begriff des Weinbrands existiert aber erst seit nach 1900. Vorher nannte man den Schnaps, der aus vergorenem Traubensaft gebrannt wurde, in Deutschland entweder einfach "Kognak" (was die Franzosen aber nicht so lustig fanden) oder, spätestens seit etwa 1850, "Franzbranntwein". Dass der Begriff genau mit diesem Inhalt "Branntwein, der aus Wein gewonnen wird und meistens aus Frankreich kommt" im Jahr 1888 sicher verwendet wurde, belegt die vierte Auflage von Meyers Konversationslexikon:

Wie man lesen kann: "Die beste Sorte ist der Kogkak..." (danach wird als Beispiel noch der "Armagnak" aufgeführt), aber auch Spanien und Portugal werden als Herkunftsländer genannt. Die ganze Zeit geht es dabei um Weinbrände zum Trinken. Der allerletzte Satz auf der zweiten Seite des Eintrags (oben nicht wiedergegeben) heißt dann: "Franzbranntweine minderer Qualität werden auch für Einreibungen benutzt".

Demnach wurde 1888 Weinbrand für medizinische Massagen verwendet. Warum man nicht den billigeren Getreideschnaps genommen hat, weiß ich nicht, vielleicht dachte man, für die Medizin ist gerade das Beste gut genug. Es heißt ja auch "Apothekenpreise". Damit wurde an eine Tradition aus dem Mittelalter angeknüpft, denn in Alkohol gelöste Kräuteressenzen wurden in der Klostermedizin schon lange zur äußeren Anwendung benutzt.

Und so kam man dann auch im modernen Kontext offenbar bald darauf, keinen einfachen Schnaps mehr zum Massieren zu verwenden, sondern diesen vorher mit pflegenden und aromatisierenden Substanzen wie Menthol oder Tannennadelextrakte zuzusetzen. Positiver Nebeneffekt war, dass die Zusätze bitter schmeckten und die Leute davon abhielten, das Zeug zu saufen ("Vergällung"). Schauen wir hier:


Damit war das moderne, noch heute gültige Konzept des Franzbranntweins geboren: Ein Alkohol (heute muss es nicht unbedingt Weinbrand sein, es kann auch einfacher Industriealkohol sein), versetzt mit Menthol, Kampfer, Arnika, Tannenöl, manchmal auch zitrischen Ölen und/oder anderen pflegenden und erfrischenden Substanzen, der fürs Einreiben bei Gliederschmerzen, Zerrungen und dergleichen verwendet wird. In der Werbung werden (teils bis heute) alle möglichen anderen Indikationen und Verwendungsweisen genannt, die teilweise recht suspekt und gewagt anmuten: wie Wunddesinfektion, Erfrischung des Gesichts, Mundspülungen, Inhalationen bei Erkältungen, Zusatz zum Badewasser (ich habe bei meinen Recherchen insgesamt etwa 20 derartige Empfehlungen gefunden, will aber hier weder langweilen noch zu gefährlichen Experimenten anregen).

Das erinnert natürlich stark an die Geschichte des Colognes/Kölnischwassers/Kolonyas: Auch das ein Alkohol mit Erfrischungszusätzen, den man ursprünglich für alles Mögliche genommen hat, sogar als Arznei zum Trinken. Dann hat sich die Verwendung eingeengt: Bei den Colognes zum leichten Parfümieren im Sommer, beim Franzbranntwein zum Einreiben nach dem Sport oder für alte Leute mit Rheuma.

Es scheint so, dass der Franzbranntwein eine österreichisch-ungarische Erfindung ist. Schwerpunkte der Herstellung waren und sind wohl Wien, Tirol und Böhmen (heute Tschechien). Von dort färbte das wohl noch nach Italien, Deutschland und vielleicht in die Schweiz (Schweizer, bitte um Rückmeldung!) ab. In anderen Ländern ist das ganze Konzept, soweit ich weiß, unbekannt. Das Wort auch. Im Englischen gibt es zwar "rubbing alcohol", aber das ist eher so etwas wie Sanitärspirit ohne diese Kräuterzusätze.

In Böhmen wurde Franzbranntwein zwar nicht nur von der Firma Alpa hergestellt, wie folgende historische Reklame belegt:

Es scheint aber, dass Alpa schon damals die führende Marke war, vielleicht weil sie mehr auf Sex- statt auf Geronto-Appeal in der Werbung setzte:


Und damit schließen sich für mich gleich zwei Kreise.

Zum einen habe ich erkannt, dass auch der Franzbranntwein, den meine Eltern in (West-) Deutschland in der Hausapotheke hatten, ein "Alpa" war. Das heißt, dieses Zeug war zu Zeiten des Eisernen Vorhangs für den Osten einer der wenigen Devisenbringer, die sich im Westen verkaufen ließen!

Und zum anderen ist Alpa auch die Firma, die die meisten der großartigen tschechischen Colognes und Rasierwässer herstellt, die ich in diesem Forum in früheren Jahren so begeistert besprochen habe.

Ein Blick auf die aktuelle Internetseite der Firma zeigt denn auch, dass Alpa franzbranntweintechnisch an der Spitze des Fortschritts marschiert und daran arbeitet, dass dieser Stoff (dessen medizinischer Nutzen dürfte eher fraglich sein, aber eine schöne Massage und ein frischer Geruch tun ja sowohl alten Leuten als auch Sportlern gut, also warum kein Produkt daran knüpfen) noch ein paar Generationen überleben wird. Dort werden nämlich nicht nur die monotonen Geruchsrichtungen wie in Deutschland und Österreich angeboten, sondern außer dem Klassiker (den ich mir neulich in Böhmen mal gekauft habe: er riecht gut und ich habe mich richtig gefreut, als ich einen Wadenkrampf bekam und ihn dann verwenden konnte!)

eine ganze Palette anderer Sorten gibt, von eher traditionellen wie "Wald" ("Lesaná") (extra viel Naturmenthol und Nadelextrakte):

über Rosskastanie:

bis zu Cannabis (mit der Werbeaussage: "zur richtig tiefen Entspannung"):

Dank an alle, die bis hierher mitgelaufen sind auf diesem kleinen Rundgang durch ein Land, das zwar außerhalb des Parfümuniversums liegt, aber an seine äußerste Provinz namens Cologne immerhin angrenzt.

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