Hellelena

Es ist mein ganz persönlicher Bad-Fragrance-Day, denn ich habe mich an Parisienne von YSL vergriffen. Wumms!!! Geballte Ladung gezuckerter Mairosen und in Sirup ertrinkender Gartenbeeren, dazu eine Riesenportion Zitrone in Nagellack getaucht. Buuh!!! Die Früchte verschwinden aber blitzschnell in weiter Ferne und kommen nicht wieder zurück. Glück gehabt! Die Blümchen halten sich etwas länger und geben doch bald auf. Schön? Nicht wirklich! Denn was bleibt ist nicht die Erinnerung, sondern in Zuckerwasser eingelegtes Sandelholz mit einem Schuss Patchouli. Und viel Zucker. Ein Haufen kratziger Zuckerkristalle die in den Hals kriechen, mir die Kehle einschnüren… Hiiilfe!!! Am Rande des Zuckerschocks nochmal unter die Dusche rennen, um sich vor dem olfaktorischen Zusammenbruch zu retten. Den Rest des Tages verfolgt mich der böse rosa Zuckergeist aus der schönen Flasche mit goldenem Deckel. Am selben Abend wandert die Abfüllung in die Kiste „zur Weitergabe“. Adieu, Parisienne!

Waren Sie schon mal in einer Travestie-Show? In der ersten Reihe? Erinnern Sie sich noch an den Moment, als die reizende langbeinige Drag Queen auf ihren High Heels graziös von der Bühne herunter balancierte und sich direkt vor Ihnen aufbaute, so nah, dass Sie jede einzelne Palette ihres glitzernden Gewands und jede einzelne ihrer künstlichen Wimpern betrachten konnten? Die Sekunde, wo es Ihnen wirklich bewusst wurde, dass diese anmutige Schönheit, diese verkörperte Weiblichkeit eines nichtnatürlichen Ursprungs ist? Der Gedanke verwirrt und bezaubert Sie zugleich. Sie wissen es und glauben es nicht. Die Gefühle sind durcheinander, Sie sind nicht fähig zu entscheiden, ob Sie dieses schillernde Wesen lieben oder hassen sollen, eins steht aber fest: Sie können nicht gleichgültig bleiben. Entweder applaudieren oder Nase rümpfen.
Dieser Engel im göttlichen Blau ist auch so ein sonderbares Wesen: ein wahres Kunstwerk, eine strahlende Drag Queen unter den Düften, ewig jung und verstörend schön. Er riecht überirdisch, denn alle Zutaten sind in ihrer Wirkung unnatürlich stark, keine Blume, keine Frucht ist von dieser Welt, die Mischung selbst ist überladen. Die sündhafte Üppigkeit der himmlischen Genüsse. Der Engel, der so verführerisch in seiner Unschuld ist. Man kann ihn lieben oder hassen – nur nicht gleichgültig bleiben.

wir kennen uns schon so lange, haben uns aber früher nicht persönlich getroffen, mal abgesehen von flüchtigen Begegnungen in der Gesellschaft, aber da hast du immer eine andere begleitet. Zugegeben, ich war auch selten allein.
Wir blieben uns eine ganze Weile fremd, vielleicht weil ich zu jung und unerfahren für dich war, vielleicht weil du mir zu sinnlich und kraftvoll schien.
Die Jahre vergingen, ich habe dich aus den Augen verloren, weil die anderen, eher blassen kurzatmigen Typen dich in die untere Etage verdrängten, dein rassiges Antlitz verschwand fast aus meinem Gedächtnis.
Bis ich eines Tages in einem Discounter dich wieder sah.
Du hast dich verändert, dir ein neues Gewand zugelegt, deine Silhouette ist schlanker geworden und schimmert nicht mehr golden, sondern ist in die Farbe getaucht, die an den stark verdünnten Früchtetee erinnert. Eine unwürdige Farbe für einen wie dich.
Bist du es wirklich? Oder wurdest du nicht nur äußerlich ein Opfer des Lifting-Wahns und jetzt bist nur noch Schatten deiner selbst?
Ich denke an würzige Kräuter an deinem Kopf und liebliche Blumen um dein Herz und verträumte Vanille zu deinen Füssen, in Zeder und Moos gehüllt. Du warst so wunderschön…
Ich will es wissen. Ich kann es wissen erst, wenn du mir deine Seele offenbarst!
Komm näher, so, dass ich dich riechen kann…
O ja, du bist es… So sinnlich… So geschmeidig… So kraftvoll... Der richtige für mich.
Ich will es mir nicht mehr entgehen lassen, in deiner herb-süßen Umarmung zu schwelgen, deinen warmen Kuss auf meiner Haut zu spüren, ich bin dir verfallen für alle Ewigkeit!
Ich nehme dich mit und du ziehst in mein Boudoir ein zu den anderen Darlings, aber keine Sorge – DICH werde ich immer lieb haben.
Versprochen.

Wir schreiben das Jahr 2010, kurz vor Ostern.
Ein sonniger Tag im April in einer altehrwürdiger Hafenstadt, leichte salzig-frische Brise weht durch die City. Wir sind schon fast erschöpft nach der langen Shoppingtour, die Kräfte reichen aber immer noch für einen Abstecher in die Parfümerie. Es heißt, man braucht einen neuen Sommerduft. Man hat zwar schon einige davon, aber egal. Die nicht mehr so junge Verkäuferin sprüht fleißig Blümchen und Zitrönchen auf Papier, aber keins an diesem Tag will so recht gefallen, weder mir noch meiner Begleitung. Ich setze mir schon das Tut-Mir-Leid-Aber-Heute-Nichts-Gefunden-Lächeln auf und will verschwinden, als meine von Maiglöckchen und Pfingsrosen geplagte Nase frischen Wind erschnuppert.
Es riecht schön.
Es riecht nach Sonne, Frische und Ruhe.
Es riecht nach Wald.
Ich kenne diesen Wald, er liegt nur einige Meter von einem nicht so belebten Strand entfernt, riesige schlanke Kiefernbäume, viel Licht.
Ich war schon lange nicht mehr da...
Der Preis ist egal, der Name ist egal, alles was zählt, ist diese Erinnerung.
Die "Douglasie" grinst beim Anblick meiner dummseligen Visage.
Zum Abschied bekomme ich noch einen ordentlichen Duftspritzer auf die Haare.
Die City ist voll.
Ich spaziere durch den Sommerwald.

...und langweilig. Charmantes Blumensträusslein im Obstkörbchen.
Habe das rosa Wässerchen als Geschenk bekommen und gleich an meine liebe Tochter weitergegeben, denn es ist mehr was für Teenies als für ihre Mütter.

Nachtrag: Meine Tochter hat auf die "großzügige" Gabe verzichtet. Sie findet, der Duft sei abartig. Die Jugend...