Igraine

Die fließende Instrumental-Ballade von Black Sabbath-Gitarrist Iommi wäre für mich die passende musikalische Untermalung für diese Neil Morris-Kreation, und das passende Bild dazu der dunkle Strand einer Südsee-Lagune in einer tropisch-schwülen Nacht kurz vor Sonnenaufgang. Urlaubsfeeling ohne kitschige Obstsalat- und Kokos-Chemie sozusagen.
Für mich hat "Midnight Sea" ebenfalls etwas sehr Mystisches, jedoch nichts Beunruhigendes, Aufgewühltes. Im Gegenteil, ich empfinde ihn als sehr entspannend und ein wenig verträumt.

Dominierend ist am Anfang die Seerosennote, die mich mit ihrem floral-aquatischen, aber nicht unbedingt superfrischen Duft eher an stille algenbedeckte Tümpel als an wogendes Meer erinnert. Der sofort präsente dunkle Moschus sorgt auch gleich dafür, dass nichts clean oder "Cool Water"-fresh rüberkommt. Es wirkt eher ein wenig schwülstig, wie blütengeschwängerte Tropenluft bei Windstille und mindestens 80% Luftfeuchtigkeit.
Die Assoziation zum Meer bringt wenig später eine stark salzige Note. So salzig, dass ich sie - vor allem auch aufgrund des schwülen Seerosenblüten-Moschus darunter - schon kaum noch mit Meeresrauschen, Frische und wogenden Wellen verbinden kann. Mich versetzt es dafür an eine ruhige Lagune: ein weißer Sandstrand im spärlichen Mondlicht, üppige tropische Vegetation drumherum, ein paar rosa Flamingos stehen einbeinig im seichten Wasser rum und pennen mit dem Kopf unterm Flügel, ein leichter Wind kräuselt die Oberfläche und bringt vom Meer her Salz und vom Land den exotischen Blütenduft.

Ein schöner Duft zum Wegträumen ... Vielleicht nicht ganz so passend, wenn man wie ich gerade bei Schmuddelwetter im Büro sitzt. Ich stelle ihn mir aber toll in lauen Sommernächten vor, für romantische Dates am Strand oder Happy Hour in der Cocktailbar.

Etwas strange ist "Midnight Sea" schon. Interessant vielleicht für Liebhaber von schrägen Aquatics, was die Zielgruppe wahrscheinlich sehr einschränkt.

Einen entfernt ähnlichen Duft benennen könnte ich jetzt nicht.
Eine schöne, aber weitaus dezentere und minimalistische Wasserlilie ist Olivia Giacobetti's "Préparation Parfumée" - jedoch keine nächtliche schwüle Tropenlagune, sondern eher ein klarer stiller Gebirgsteich im Morgengrauen. Wer sich lieber dorthin träumen möchte oder eine etwas tragbarere Seerose sucht, wird möglicherweise daran Gefallen finden.

Ich hätte vielleicht stutzig werden sollen, wenn ein Duft mit der "Frische einer Waldlandschaft" beworben wird und sich von den Duftnoten keine so wirklich mit der europäischen Vorstellung von Wald oder wenigstens mit Frische verbinden läßt. Ich hatte tatsächlich etwas frisch-holziges erwartet, als ich das Teströhrchen in den Händen hatte. Bekommen habe ich Konservenobst in dickflüssigem Sirup: Pfirsiche, Aprikosen, so etwas in der Richtung, mit einer Menge Zucker, aromatisiert mit viel Vanille. Möglicherweise auch kandierte Mandarinen, das kann man unter einer dicken Sirup-Schicht kaum unterscheiden. Der Ingwer, der so toll sein kann in Düften mit seiner pfeffrigen, fruchtigen Schärfe, ist leider auch schon kandiert worden. Wahrscheinlich in dem Sirup aus ausgekochten Süßholz-Stangen.
Bei aktuell 15 Grad unter Null hätte ich statt der frischen Waldlandschaft durchaus auch mit ein paar angenehm süßen exotischen Früchten auf Gewürzen vorlieb genommen. Ich mag sogar Anis oder meinetwegen Sternanis in Düften sehr gern. Aber die Melange, die anfangs noch relativ authentisch nach einer geöffneten Obstkonserve riecht, nimmt mit der Zeit immer mehr den künstlich-penetranten Duft billiger Drogerie-Duftkerzen Marke "Tropical Fruit - Vanille" an. Das ist mal gar nichts, was ich an mir oder in meiner unmittelbaren Umgebung ertragen kann.

Das geduldige Aussitzen bringt keine Lichtblicke. Kein Rosenholz mit seinem frischen, etwas lavendelartig kampfrigen und rosenähnlichen Duft in Sicht, kein erdiges Patchouli, kein holziger herber Vetiver. Nur Vanille mit synthetischem Fruchtaroma auf vanilligem, süßem Tolubalsam, die nach 2 bis 3 Stunden wenigstens nicht mehr ganz so übelkeiterregend schwer und aufdringlich ist. Was das Ganze mit einer frischen Waldlandschaft zu tun haben könnte, überleg ich mir, wenn mir nicht mehr schlecht ist.
Die Tolubalsam-Basis ist ganz schön, nachdem die Früchte verschwunden sind. Wenn man dieses sehr vanilleähnlich duftende, süßliche Harz mag - ich tu's leider nicht.

Interessant ist dieser Duft wahrscheinlich für Liebhaber der schweren süßen Lutens-Düfte - Fleurs d'Oranger, Un Bois Vanille, etc.
Für mich paßt es überhaupt nicht, und für andere Freunde frischer Waldlandschaften vermutlich auch nicht.

Vetiver Des Sables ist bisher von den Montales ein wenig an mir vorbei gegangen, da ich die angegebenen dürftigen Noten nicht sonderlich spannend fand. Erwartet hatte ich von meinem nun endlich mal georderten Pröbchen einen herb-holzigen Herbst-/Winterduft, aber ich wurde gründlich überrascht.

Das erste, was meine ahnungslose Nase traf, war Insektenspray. Bäh. Für ungefähr 2 Sekunden. Bei näherem Hinriechen entpuppt sich der penetrant synthetische Insektenvernichter als ein merkwürdiger metallischer Frische-Akkord, und gar nicht so abschreckend synthetisch wie im ersten Moment. So etwas wie eine Kombination von Minze und Nelkenöl, oder besser Menthol und Eugenol, auf einer scharfen Zitronennote erzeugt ein Bild von einem Hafenbecken voll alter rostender Schiffe, jodhaltiger kühler Seeluft und einer steifen Brise, die einem kalte Gischt ins Gesicht schlägt, während man den Mund voll Eisbonbons und Zitronensaft hat. Es riecht genau so seltsam, wie es sich liest, und bestimmt werden es viele ganz scheußlich finden. Ich finde es - zugegebenermaßen nach kurzen Anlaufschwierigkeiten - ziemlich faszinierend. Der ähnliche, aber unmetallische Meerwasser-Akkord in Montale's Fougere Marine war mir auch schon sympathisch, nur sind Fougere-Düfte für Frauen recht schwierig zu tragen. Diese Gischt hier ist schon eher unisex.

Die etwas süßlichen Eisbonbons sind nach einer guten Stunde aufgelutscht, der Zitronensaft ausgespuckt, und das Hafenbecken mit den angerosteten Kähnen liegt hinter uns. Die salzige Meeresfrische bleibt über Stunden, jetzt unterlegt mit einer holzigen Basis. Das titelgebende Vetivergras gibt ein bißchen holziges Grün dazu, aber danach muß man schon suchen. Der Vetiver wächst hier tatsächlich im losen Sand - keine erdige, knarzige Wurzelnote weit und breit in Sicht. Wie genau der "Sand-Vetiver" ans Meer gelangt, lassen wir aus botanischer Sicht wahrscheinlich besser dahingestellt.
Die Gewürze bleiben mir verborgen - schade eigentlich. Eine Reise vom Hafenbecken den Strand entlang zu einem orientalischen Basar hätte ich ganz spannend gefunden.

Wer einen Vetiverduft wie MPG "Route du Vetiver", Lalique's "Encre Noir" oder Villoresi's grün-erdig-krautigem "Vetiver" erhofft, wird mit "Vetiver Des Sables" vermutlich nicht glücklich. Wer einen einsamen kühlen Strand am Meer (ohne sonnencremegetränkte Touris) sucht, schon eher.

In eine ähnliche Richtung gehen z.B. Annick Goutals Vetiver (deren Düfte sich auf meiner Haut leider zu seltsamen Kreationen entwickeln) und der Vetiver von The Different Company. "Sel de Vetiver" fand ich zwar sehr schön, war mir aber etwas zu leicht. Der sehr salzige und jodhaltige Vetiver-Strand von Montale ist schon eher mein Fall - weit weniger dezent, mehr Meer, dafür hätten es für meinen Geschmack auch etwas mehr Vetiver und etwas weniger Eisbonbons sein dürfen. Trotzdem ein heißer Kandidat für den nächsten Sommer, der (hoffentlich) irgendwann kommt. Die Haltbarkeit ist übrigens sehr gut für einen Meerwasser-Frische-Duft.

In Indien wird ja bei Hochzeiten nicht gegeizt, sondern vorgeführt, was irgendwie geht - Tonnen von Goldklunkern, farbenprächtige Gewänder, Berge von Früchten und Süßkram als Symbol von Fruchtbarkeit und Wohlstand, üppige Blütengirlanden und Streublumen, Räucherwerk für die geneigten Götter, ...

Taj ist der passende Duft für eine Traum-Bollywood-Hochzeit:
Süße exotische Früchte- und Gewürzaromen mischen sich mit frischer, fruchtig-süßer Rose und schweren, betörenden und aphrodisierenden Ylang Ylang-Blüten auf einem weichen Bett aus Schokolade und Patchouli.
Unheimlich intensiv, opulent bis überladen, schwer, laut. Wenn man an die hierzulande üblichen Mainstream Fruity Florals gewohnt ist, schnappt man erst mal ein wenig nach Luft unter dieser üppigen Pracht. Die übrigens - im Gegensatz zu den meisten anderen Vetretern dieser Richtung - bemerkenswert unsynthetisch duftet.

Ganz sicher eine wundervolle Wahl für Liebhaber von kräftigen, schweren fruchtig-blumigen Düften, die allerdings die passende Ausstrahlung für diese üppige bunte Aroma-Explosion mitbringen sollten.
Da fruity-floral nicht gerade meine bevorzugte Richtung ist und es mir vor allem an der nötigen überwältigenden Ausstrahlung mangelt, kann ich diesen Duft nicht tragen. Aber es war schon ein echtes Erlebnis - solche Mengen an Blüten hab ich sonst im ganzen Jahr nicht auf der Haut. Danke für's Pröbchen, Murcie :D

Neil Morris wurde zu dieser Kreation wohl vom Anblick des Taj Mahal in der Morgendämmerung inspiriert. Erwartet hatte ich daher etwas eher Ätherisches, Erhabenes, mit viel Weihrauch vielleicht, keine Blütenbombe. Aber da das Taj Mahal laut Wikipedia ein beliebtes Reiseziel frisch verheirateter Inder zur Bekräftigung ihrer Liebe ist, passen meine Hochzeits-Assoziationen wieder ;-)
Andi, die Wedding-Bombe macht sich dann in den nächsten 1..2 Tagen auf den Weg zu Dir.

Trueblood hat mir netterweise ein Wunsch-Pröbchen M7 zukommen lassen (Dankeschön!), nachdem ich seit Monaten hoffnungsvoll in der örtlichen Drogerie im Vorbeirennen den leeren braunen Tester schüttele.

Das erste Inhalieren war schon mal vielversprechend: Kein Zahnarzt-Oud, das einem wie bei manchen Montale-Düften zur Begrüßung erst mal energisch versucht die Nasenschleimhäute wegzuätzen, sondern butterweiche weihrauchige dunkle Schwaden und staubtrockenes Holz. Ich bin spontan begeistert, sowas gruftiges mag ich.
Nach etlichen Minuten irritiert mich allerdings ein seltsamer synthetischer Fruchtgeruch - Himbeer-Brausepulver oder etwas in der Art. Prickelnd, süßlich, total kindergeburtstagsmäßig künstlich, und überhaupt kein bißchen zu dem düsteren rauchigen Hintergrund passend. Das riecht derartig schräg, dass ich spontan nicht weiß, ob ich das scheußlich oder genial finden soll. Aber ich klebe in regelmäßigen Abständen mit der Nase am Arm und bedaure fast ein bißchen, als sich das Brausepulver verabschiedet.

Eine süßliche, künstliche Note bleibt noch eine ganze Weile, nur jetzt ohne Brausepulver-Prickelfaktor. Da man als Frau einiges an klebrigem Süßkram in Düften gewohnt ist, finde ich die Sirup-Note in M7 noch recht angenehm, weil sehr ungourmandig. Essen wollen würde das Fruchtsirup-Zeug mit dem ganzen verräucherten Holz darunter definitiv keiner.
Danach verändert sich M7 auf meiner Haut nicht mehr großartig - eine Menge trockene Hölzer und ordentlich viel Rauch auf einer warmen Amberbasis. Schön ...

Ob ich so etwas an (m)einem Mann riechen möchte, weiß ich noch nicht so recht.
Aber für mein Empfinden wäre es eine eindeutige Testempfehlung für weibliche Freunde von tiefdunklem Weihrauch, Hölzern und damenkompatiblem Vetiver.
Murcie, Du bist nicht allein mit "Der ist nicht nur für Jungs". Ich glaub, ich will das auch! Dann können die im Drogeriemarkt auch endlich den leeren Tester wegschmeißen.