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Intersport vor 8 Monaten 17 12
Detour XV: Eaux de Gloire …

Wer Eau de Gloire Cologne sagt muss auch Eau de Gloire sagen, oder umkehrt, könnte es so im Parfum d'Empire HQ heissen? Aber eins nach dem anderen – Eau de Gloire (2003) war Marc-Antoine Corticchiato's Auftakt mit Parfum d'Empire. Den Duft gab es lange als Eau de Toilette bevor es zusammen mit dem Grossteil des Programms als Eau de Parfum (2014) angeboten wurde; zum 10-jährigen Firmenjubiläum gab es eine als Cologne pour l'Hiver ausgewiesene Jahrgangs-Edition, und jetzt, 2023, zum 20-jährigen eben Eau de Gloire Cologne. Ursprünglich sollte diese Version noch im 'Napoleon Jahr' 2022 erscheinen, passt aber im Jahr drauf auch gut.

Eau de Gloire - einen Unterschied von der Eau de Toilette und der Eau de Parfum Version konnte ich nie ausmachen - ist mitunter die klassischste Arbeit Corticchiato's und zählte dabei nie zu meinen Favoriten, bzw. nur teilweise, fast halbe-halbe, je nach Perspektive: 50% von Eau de Gloire - die erste Hälfte sozusagen - ist ganz nach meinem Gusto, die verbleibenden 50%, also der Ausklang, drydown, usw. weniger bzw. mir etwas zu verstaubt. Der erste Teil besteht aus einem entspannt in Abendsonne strahlenden, mediterranen Gestrüpp-Akkord; zutiefst aromatisch, komplex und vielstimmig, Zitrussprenkel, Immortellen hier mit leichten Anis und Tee-artigen Schattierungen, Lavendel, Rosmarin, Cistrosenextrakt, kräuterlästig, erfrischend wie beruhigend, alles in allem einladend, ein sehr ausgewogener und perfekt verblendeter Macchia Querschnitt. Zum reinlegen. So weit so gut: nur wandelt sich diese Szene mehr und mehr in ein ausgewachsenes Leder-Chypre das an Hermès' Bel Ami (1986) erinnert. An sich nichts Verwerfliches, zählt Bel Ami zu den Hits der 80'er Jahren, vor allem als es noch in dem atemberaubend schönen Braunglas-Cocktail-Shaker samt Bakelit-artigen Verschluss und, farblich passend, gemusterter Kartonage angeboten wurde - eine der stimmigsten Präsentationen dieser Dekade, doch nie so ganz meins.

Zugegeben, diese Dualität passt zu Eau de Gloire, ein Duft der auch Corticchiato's Vater gewidmet sein soll, stellvertretend für alle Korsen (und Korsinnen, wobei hier ursprünglich eher das Eau Suave (2005) angedacht war?!), die im 20. JhD auswandern mussten um soziale Sicherheit anderswo zu finden - eine komplexe Geschichte v.a. nach dem ersten Weltkrieg wurde Korsika, dessen Identität und Ausbau jeglicher Infrastruktur von Paris konsequent vernachlässigt. Die Referenz zu einem Leder-Chypre passt vielleicht zu diesen Generationen, genau wie der Eindruck einer Landschaft, ganz im Sinne des Bonaparte'schen Bon Mots die Insel vom Schiff aus schon weit früher riechen zu können, bevor diese am Horizont erscheint - eine Szene die es sogar in einen Asterix Band geschafft hat.

Hier kommt nun Eau de Gloire Cologne in Spiel und die Kraft der Verdünnung. Nicht dass Eau de Gloire Cologne lediglich eine leichtere Variante von Eau de Gloire ist, nein, ich vermute hier eher eine Rekonstruktion, ein re-engineering, bei dem manche Bestandteile ersetzt bzw. erneuert wurden. Es würde mich auch nicht wundern wenn hier, wie bei den letzten Parfum d'Empire Veröffentlichungen, wieder auf eigens beauftragte Destillate der Familie Acquarone gesetzt wird.

Ähnlich wie der Vorgänger, spielt auch das Cologne mit Dualität: hier eine eigenwillig bittere, durch Myrte leicht aromatisierte Zitrusnote, zeitweise mit orangefarbenen Einschlag: Corticchiato kann ja Zitrisches, augenblicklich kommen Iskander (2006), Yuzu Fou (2008) und Azemour Les Orangers (2011) in den Sinn, oder aktueller, das raffiniert klare Helios di Corsica (2018). Die andere Hälfte des Colognes besteht weitgehend aus einem upgrade des besagten güldenen Macchia Akkords. Dieser wird nun auch von Seiten der Marke explizit als solcher betitelt, und nicht wie davor, noch als Auflistung etwaiger Komponenten. Gewiss, der Parfumeur hat sich über die Jahre zurecht einen Namen als Macchia Experte gemacht, obendrein sind diese karg-üppigen Destination auch mehr und mehr 'en vogue' - bei Parfums wie anderswo. Eau de Gloire ist gerade aber auch spannend, da es viele hausinterne Tendenzen vorgegriffen hat. Auch wenn mein favorisierter Macchia Akkord wohl in dem gar nicht so klingenden Fougère Bengale (2007) versteckt ist, die Sequenz von Eau de Gloire, über Fougère Bengale zu Tabac Tabou (2015) sind Stationen dieser Entwicklung, bevor mit Corsica Furiosa (2014) und allen Veröffentlichungen die in der Héritage Corse Reihe untergekommen sind, darauf weitläufig zurückführen. Wie ein Prisma brach Héritage Corse das mediterrane Licht in ein Spektrum akribischer Studien dieser Terroirs, und das mit vielgestaltigeren Facetten als nur braun-golden.

Eau de Gloire Cologne schliesst hier an, die Bel Ami'schen melancholischen Ausläufer sind jetzt weit gedimmt, aber nicht ganz verschwunden, die hesperidischen Aspekte ziehen sich bis tief in den (kurzen) Verlauf - und es scheint als ob die leichtere Bauweise, welche auch rein formal mit der Cologne Konzentration einhergeht, den Eindruck eines sommerlichen Abends inmitten aromatischen Gestrüpp geradezu intensiviert. Fragt man Parfumeur:innen warum es so schwer ist reale Orte, vor allem die unter freiem Himmel als Düfte abzubilden, hört man immer wieder wie mikroskopsich klein, bzw. gering die Ratios von messbaren Duftmolekülen zu umgebenden Volumina Luft, Raum, Atmosphäre sind. Weniger ist hier quasi mehr. Abgesehen von dem herrlichen Zitrusstart, ist es vielleicht das was Eau de Gloire Cologne auszeichnet, seine Verdünnung, das Verweilen im Angedeuteten, und die neue Interpretation eines geflüsterten Macchia Akkords. Wer mehr Aromatik und 'Parfum' samt Leder-Chypre Verweisen sucht, sollte getrost zum alten Eau de Gloire greifen, die Leichtbau Fassung ist nicht minder spannend, verschieden genug, und in seiner feineren, modernisierten Auflösung obendrein sympathisch. Bonne Anniversaire!
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Intersport vor 9 Monaten 29 15
Eden-Olympia
“Layers of dust and humidity formed strata in the soft air, through which the hotels of the Croisette trembled like uneasy spectres, a dream about to collapse into itself”*

Neben dem Pressetext erschien bei der Veröffentlichung von Riviera Verbena das Bild einer Landkarte, ein Ausschnitt der die französische Riviera von Osten nach Westen zeigt. In der Landkarte waren einige 'key player' von Riviera Verbena örtlich gekennzeichnet. Zitrone, Calone, Jasmin, Minze, Verbena und Thymian sind Stationen dieser 'Promenade Parfumée'. Eine gute Idee fand ich, sind viele Landschafts-Parfums geografisch entweder eher zu spezifisch oder wieder zu vague (ein IT Strand vs. eine ganze Stadt).

Super-Cannes (2000) gehört zum Spätwerk des britischen Autors J. G. Ballard. Das Buch spielt grossteils in 'Eden-Olympia' einem fiktiven, überhalb der Stadt Cannes angesiedelten High-Tech Business Park. Die akkuraten Zukunftsprognosen die Ballard seit den frühen 60'er Jahren zunehmend in sub-urbanen Geografien ansiedelt hat (gated communities, städtische non-spaces wie Baulücken, Hochhauskomplexe, Einkaufszentren oder Ferienanlagen) rund um Abgründe post-kapitalistischer Sozialgefüge sind oft Bühnen perfider Triebe, bizarrer, psychotherapeutisch verordneter Gewalt und Leben in quasi moral-freien Zonen eines neuen Europas.

Im Vorwort zu Super-Cannes nennt Ballard einige der existierenden Referenzen zu Eden-Olympia: der Industriepark Sophia Antipolis, oberhalb von Cannes, die Marina Baie des Anges zwischen Antibes und Nizza, oder die Pierre Cardin Foundation in Miramar. Rick Poynor's Essay 'Tracking the Locations of J.G. Ballard’s Super-Cannes' sei hier als hilfreiche Quelle empfohlen: https://tinyurl.com/36sjwj67

Eine Riviera, mehr eine Antwort auf ein Silicon Valley zwischen Pharmaindustrie und multinationalen Konzernen, als die 'alte Riviera' wie etwa aus Hitchcock's 'Über den Dächern von Nizza' (1955). Stainless steel, verspiegeltes Glas, manikürte Gärten, pedikürte Natur, Grünflächen mit Sprinkleranlagen, security guards, klimatisierte Interiors, frisch gechlorte Schwimmbäder, inszenierte Gewalt für die wohlhabenden, aber gelangweilten CEO's der Firmen die Eden-Olympia nutzen - das waren vielleicht nicht die Koordinaten die Patrizia de Nicolaï als Stationen ihrer 'Promenade Parfumée' vorsah - oder etwa doch? Mmd de Nicolaï hat es meiner Ansicht nach oft mal faustdick hinter den Ohren, ihre zuvorkommende, stets elegante und dabei sympathisch klassische, un-modische Art verleitet zu derartigen Spekulationen. Auch sind ihre Düfte gerne mehr als deren direkte Titel vermuten lassen. Ihr außergewöhnliches Vetyver (2004) das, trotz seines unschuldig anmutenden Namen, auch eine deutliche Ansage in Richtung der Guerlain'schen Verwandtschaft und patriarchaler Komplexe ist - ein wilder Duft, alles ausser einem puristischen, konventionellen Vetyver, oder ihr raffiniert symphonisches Patchouli Intense (2009): de Nicolaï's Düfte sind gerne komplexer, ausgetüftelter und mehrdeutiger, so auch Riviera Verbena.

Die namensgebenden Verbena, die hier am ehesten an ein Zitrone/Verbena Sorbet erinnert, ist hier lediglich einer von vielen Bestandteilen, so wie es einer von mehreren Einträgen in der de Nicolaï'schen Landkarte ist. Riviera Verbena ist ein volles Spektrum von Zitrus Schattierungen und Nuancen, ein Bouquet alter und neuer Sorten, Menton inklusive, Schalen, Saft, Blätter, eventuell auch ein paar Blüten: schon lange habe ich keinen dermassen vollmundigen Zitrus Akkord mehr erlebt, was wohl Patrizia de Nicolai's langjähriger Erfahrung geschuldet ist - hier ist nichts ist zu süss, zu bitter, oder fruchtig. Säure ist präsent (Cassis?), wirkt dabei aber nie künstlich, kurz, alles beeindruckend ausgewogene Proportionen. Die mir gerne mal zu liebliche Verbena komplementiert das ganze subtil, Zitronengras und Thymianspitzen schimmern durch, und, fast schon ungewöhnlich für de Nicolaï: Grapefruit, eine Note die die Parfumeurin häufig einsetzte (Eau Mixte, Eau de Sport, Eau de Yuzu …) kommt hier nicht vor. Untermauert wird alles von wiederum dezenten Dosen noch säuerlicher Rosenknospen, einem Hauch Minze sowie einer frisch-grünen Vetyver Note, die ich am ehesten neben der aus Sel du Vetiver (2006) setzten würde.

Diese Kombination in der Form durchaus noch in das Postkartenidyll der 'alten Riviera' passen, wäre da nicht noch die andere, dunkle Seite von Riviera Verbena die den Duft für mich perfekt komplementiert und wiedermal zeigt was für eine clevere Autorin Patrizia de Nicolaï sein kann.

“An almost drugged air floated across the lake, a rogue cloud that had drifted down the hillside, carrying the scent of office-freshener from a factory in Grasse.”*

Dass de Nicolaï 2022 keine Hemmungen hat Calone ohne weiteres als Bestandteil zu nennen, beweisst nochmals ihre Chuzpe, wissend, dass in der richtigen Dosierung, in erfahrenen aber immer noch experimentierfreudigen Händen, auch jeder noch so beladene Riechstoff den passenden Ton treffen kann: Alle Calone SkeptikerInnen wie Aficionados seien gewarnt: die faszinierend-nervigen gurkig-melonigen Aspekte die das Molekül schon mal im Schlepptau hat suche ich hier vergeblich, auch vermute ich dass weitere, modernere Riechstoffe im Spiel sind die dem Duft eine metallisch-schimmernde Aura verleihen, fast kalt und technizistisch, aber mehr Ahnung von einer frischen Meeresbrise gemischt mit einem Hauch Mistral, oder einer funktionell-industriellen Reiniger Note als plakative Umsetzung.

Diese Grenzwertigkeit ist letztendlich auch das außergewöhnliche an diesem Duft mit harmlos klingenden Namen: Riviera Verbena spielt durchgehend mit einer Natürlichkeit die gerne mit der Destination Riviera, mit ihrer so üppigen, von alpinen Ausläufern wie subtropischen Einflüssen geprägten Botanik, assoziiert wird. Dabei stets mit einer klaren Kante, die es als Produkt einer anderen, zeitgemäßeren, moderneren Riviera und ihren etwaigen Facetten wie in Ballard's Super-Cannes inszeniert.

Als ich Riviera Verbena zum ersten Mal gerochen habe musste ich schnell an François Demachy's tolles Eau Sauvage Cologne (2015) denken - das abgesehen von der Verwendung von Hedion - so ganz und gar nichts mit Dior's Meilenstein Eau von 1966 zu tun hat - und dennoch, wegen seiner präzisen, offen mit Synthetik flirtender Zitrik, einer meiner liebsten Demanchy's unter dessen Dior Anstellung bleibt: nur im längeren Vergleich zeigt sich nochmals Riviera Verbena's spektrale Tiefe und komplexere Struktur. Wie dem auch sei, gute Zitrusdüfte bilden immer mehr ein rare Spezies. Wie kann einem derart etablierten Genre Neues zugefügt werden? Trotz kommerzieller Beschränkungen hat Demanchy das auch selbst bei Platzhirschen wie Dior recht gut gemacht, Patricia de Nicolai mit Riviera Verbena aber noch weit raffinierter, kompromissloser und mehr Tiefgang. Vielleicht einer der schönsten Zitrusdüfte der letzten Jahre. Très moderne, très cool, et très Super-Cannes!


* J. G. Ballard, Super-Cannes, 2000
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Intersport vor 10 Monaten 19 12
Detour XIV: L'Eau des Hespérides
L'Eau des Hespérides ist ein reduziertes Eau de Toilette fast schon an der Schnittstelle Eaux Fraîches. Mit so einem deutlichen Titel sollte fast alles klar sein: die Hesperiden, die Nymphen des Abends und der Sonnenstrahlen, Wächterinnen goldener Äpfel, in einem Garten der 'westlich' lokalisiert sein soll, je nach Bericht und Auslegung zwischen dem Hohen Atlas Gebirge in Marokko, den makaronesische Inseln, oder auch im Süden der Iberischen Halbinsel. Mit diesen goldenen Früchten, vermutlich eine Orangensorte startet L'Eau des Hespérides, in einer außergewöhnlich starken, mentholisch kühlen, fast schon aldehydisch klirrenden Façon. Ätherisch, transparent und leicht medizinisch. Als ob die angetrockneten Schalen von der mythologischen Zitrusfrucht oder besser Bitterorange in puren Methol eingelegt und für die Nachwelt konserviert wurden.

Diptyque spielte immer wieder mal mit antiken, mediterranen Kontexten, u.a. in den noch sporadisch erschienenen Erstlingswerken, die einige Trends aus AutorInnen/Nischen/Kleinstlabel Parfümerie vorweggenommen haben: das mitten in der Opulzen der 70er Jahre erschienene und konsequent reduzierte L'Eau Trois (1975), vermutlich der erste dezidiert mediterrane Landschaftsduft, oder davor L'Autre (1973), nach wie vor Kreuzkümmel-Kleinod erster Güte und Kommentar auf nordafrikanische Gewürzmärkte.

Der Clou beim L'Eau des Hespérides ist die nahezu diametral entgegengesetzte Entwicklung die der Duft hinlegt: zentral dazu der Einsatz von einer leichten, dennoch unverkennbaren Immortelle Absolute Note, die hier, wenn auch in minimalster, fast schon angedeuteter Dosierung, auch ihre dezent kaffeeartigen Facetten ausspielt, gänzlich ohne süssliche oder ambrierte Facetten. Kombiniert mit einer für mich nicht näher zu bestimmenden Gewürznote rund um Cumin (Kreuzkümmel) und trockenen, mediterranen Kräutern wie Thymian. 2008 war das noch relativ rar, lediglich L'Être Aimé Homme aus dem gleichen Jahr von Givaudan Kollegen Yann Vasnier spielt - mit wesentlich mehr Volumen, Deutlichkeit und anderer Gewichtung - damit. Auch wenn in den englischsprachigen Foren schon mal Caraway Seeds (also Kümmel) auftaucht, vermutlich einem Übersetzungs-/Interpretationsfehler zu Cumin geschuldet - hiess es von Seiten Dyptique's zu dem ursprünglich als Eau de Cologne angebotenem Duft nur: Bitterorange, Mint, Immortelle.

Wie dem auch sei, die delikate Immortelle/Gewürznote funktioniert bestens als Gegengewicht zur initialen aseptischen Frische und mag auch ein Verweis zu besagtem L'Autre oder auch den anderen 'frühen' Diptyques sein. Als Ausgangspunkt für den hesperidisch mentholigen Start wiederum musste wohl hausintern Oyédo (2000) herhalten, einen der wenigen Düften der unterdokumentierten japanischen Parfumeurin Akiko Kamei, die vermutlich im Team von Jean Amic und dessen Givaudan-Roure Umfeld an weit mehr Veröffentlichungen beteiligt war, als die Einträge in den Datenbanken erkennen lassen.

L'Eau des Hespérides wurde 2008 im Rahmen des 40. Firmen-Jubiläums Diptyque's veröffentlicht (was eventuelle Referenzen vielleicht erklärt) und läutete den Beginn der umfangreichen und langjährigen Zusammenarbeit mit Olivier Pescheux ein. Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte die französische 'Au Parfum' Webseite einen Nachruf auf Pescheux, ein vielseitiger Parfumeur den ich vor allem durch seine Arbeit für Artek - Standard (2009) und der beeindruckenden, aber kurzlebigen Wiederauflage / akribische Reformulierung von Yohji Homme (2013) schätzen gelernt habe - und dessen Stil mit der Diptyque'schen Ästhetik gut passte, für mich stimmiger als die zum Teil 'wuchtigen' neueren Beiträge anderer Parfumeure. Mit herzlichen Dank an Rivegauche für den Tip zu dieser Diptyque Perle!
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Intersport vor 1 Jahr 18 13
Jennifer in Paradise.tif
Jennifer in Paradise.tif ist der Name eines digitalen Bildes das 1987 von John Knoll für erste Demonstrationszwecke der Software Photoshop© verwendet wurde. Das Bild zeigt Knoll's Freundin im Sandstrand der Pazifik Insel Bora Bora, sitzend, es wird als Quellmaterial für mittlerweile grundlegende Anwendungsmöglichkeiten digitaler Bildbearbeitung dienen, wie etwa das Kopieren und wiederholte Einsetzten von Bildausschnitten (hier eben Knoll's Partnerin bzw. einer benachbarten Insel), usw. 'Jennifer in Paradise.tif' sollte somit als das erste offiziell mit Photoshop© manipulierte Bild in die Geschichte eingehen.

Mehr oder weniger zur gleichen Zeit ertönten mit Düften wie u.a. Cool Water, Garrigue (beide 1988) erste, und dabei bereits deutliche, Ansagen von dem was bald im Parfum-Volksmund als Aquatik bezeichnet werden sollte. Mit New West for her, Ocean Rain (beide 1990) oder Kenzo pour Homme (1991) erschienen weitere 'frühe' Höhepunkte. Danach wird es schnell unübersichtlich und die Flut aquatischer Düfte war kaum mehr zu stoppen, es schien gar so als ob es Momente gab, wo Non-Aquatik, eher die Ausnahme war. Vielleicht ist das auch einer der Gründe warum es aquatische Parfums seither mitunter schwer haben, kaum ein Genre das so inbrünstig verrissen wird und verpönt ist wie Aquatisches. In ihren Anfängen war Aquatik jedoch vor allem eins: anders. Eine Zäsur mit vielen Codes die sich in den 70'er und 80'er Jahren etablierten und die in der gegenwärtigen Retromania bei Düften wieder an Aufwind gewinnen. Vielleicht wollten Parfums wie besagtes Skinscent for Her auch erst mal gar nicht ozeanisch, atlantisch oder pazifisch riechen, sondern einfach nur 'anders'?

Auch wenn ich mit dem Gross dieser Düfte nicht viel anfangen kann, die Idee dass sich hier erstmals eine Tendenz abzeichnete, die weg von Fauna und Flora und vielmehr ein Element und eine Stimmung einfangen wollte, bleibt bemerkenswert. Freilich, es gab vereinzelte und dabei sehr unterschiedliche Solitärs die Ähnliches versucht haben: Après L'Ondée (1906 - ein ganzer Garten inklusive Regenschauer) L'Eau Trois (1975 - eine Insel samt Kultstätten im Mittelmeer), oder auch Fahrenheit (1985 - Textur, Atmosphäre, Feuer) aber nirgends wurde es so beständig bemüht wie bei den aquatischen Düften. Für mich lief das in den meisten Fällen ordentlich schief; die Veröffentlichungen schwanken zwischen versüsster Künstlichkeit oder allzu realistischen Landschaftsdüften die in ihrer Eindeutigkeit ebenso einer Abschlussprüfung einer der großen Parfum Schulen entstammen könnten.

Vielleicht versammeln sich gerade darum am Rande des Aquatischen eine beachtliche Summe bemerkenswerter Düfte, die alle irgendwie mit dieser Geschichte flirten, und gerade durch ihre Position am Rand etwas zum Diskurs beisteuern. Genau hier kommt The Saint Mariner ins Spiel, ein Parfum das bereits im Namen (in seiner kompletten Form The Saint Mariner - Pietro Sedda, dem italienischen Tätowierer, der die Motive aller Particulieres gestaltet hat, gewidmet) unverfroren seine maritimen Charakter präsentiert.

Diese Aspekte bleiben hier erstmal seicht, ein Strand auf Sardinien (Spiaggia di Maimoni) muss als geografische Koordinate herhalten, weisser Korallensand, optisch nicht unähnlich der Szene auf Bora Bora im 'Jennifer in Paradise.tif' Bild. Das Wasser hat sicherlich über 20 Grad Celsius, es reicht bis zu den Knien, weicher Sand, keine Wellen. Im Vergleich sind Ocean Rain oder Kenzo pour Homme Hochsee Abenteuer mit Seegang und Windstärke.

Vielmehr als Aquatik nur im Sinne von Meeresrauschen und Strandgut Halluzinationen wühlt The Saint Mariner ein ähnlich beladenes Territorium auf, das der 'funktionalen Zitrik' - sprich dieses, der oft nicht näher identifizierbaren Agrumen Noten, die sich in ihrer Wucht und Effektivität gerne in Haushalts - bzw. industriellen Reinigungsprodukten wiederfinden. Der hier von Jilly gebrachte Vergleich zu 'WC Ente exklusiv; ist da gar nicht mal verkehrt.

Zogen, via Autor*innen Parfumerie, in den letzten Jahrzehnten die Namen der jeweiligen Menschen hinter den Düften in Presse Communiques ein, so bleibt die funktionelle Parfumerie ein zutiefst anonymes Feld. Keines dieser Produkte verrät wer beim Duftdesign dahinter steckt. Alte Meister, Forschungs-Parfumeure, Lehrlinge? Ein Parfum das früh und dabei recht deutlich mit dieser Kategorie geflirtet hat ist Comme des Garçons' Soda (2004) aus der 'Synthetic Serie', mit seinem Extreme-Power-House Zitrus/Ingwer Gemisch, ursprünglich präsentiert in einem transparenten Plastikflakon, wobei die Flüssigkeit in einer Plastikbeutel war - und einem Zerstäubermechanismus der das zig-fache des durchschnittlichen 'through-put' hatte. Diese bewusst artifizielle und alldurchdringende Zitrusnote wird immer wieder aufgegriffen, etwa bei Humięcki & Graef's Eau Radieuse, oder weiter verbreitet in Jacque Polge's Allure Homme Édition Blanche (beide 2008) - gerade dessen cremige Zitrik (minus jeglicher Tonka/Vanille Basis) kommt The Saint Mariner nahe. Weitere Referenzpunkte bieten auch Eau Sauvage Cologne (2015) oder die 'high impact' Symrise Zitrusnote aus Andy Warhol's You're In (2017) - zeitlich in die andere Richtung, könnten Versace's cremiges Versus Uomo (1991), Yves Saint Laurent's pour Homme (1971), oder die grossen Englischen Limetten Düfte wie West Indian Limes oder West Indian Extract of Limes (Datum mir nicht bekannt) dienen.

Einige der älteren hier erwähnten Düfte haben natürlich noch ordentlich Verlauf, die Power Zitrus Note ist nur eine von vielen - The Saint Mariner, passend zu seinem Alter, setzt vor allem einen Akkord und diesen dabei sehr überzeugend um: eine durchdringend, zunehmend süssliche aber stets abstrakte und unverfroren künstliche Zitrusfrucht, umspült von leicht schäumenden Seewasser, bei der gerade noch etwas rosa Pfeffer, die Frucht des Schinus Baums, erkennbar ist. Ein bestens integrieren Gesamtguss bei dem ich kaum Schattierungen einzelner Noten ausmachen kann. Aber genau das unterstreicht ja nochmal dessen industriell-funktionalen Charm. Konsequenterweise hätte Parfumerie Particulière auch gleich auf eine vermeintliche Notenpyramide verzichten können. Ganz im Sinne der Series 6: Synthetic, die Reihe, die ich als eine der Referenzen für das Team hinter Parfumerie Particulière sehe. Type Writer und auch Black Tar stehen nicht nur im Namen Tar und Garage (beide 2004) nahe, Pluie Noire setze ich neben Dry Clean (2004) und The Saint Mariner, eben neben besagtes Soda. Ursprünglich wurde keine Notenpyramide bei Series 6: Synthetic kommuniziert, es hiess in kryptischer Kawakubo Manier etwa nur 'man-made' scents, Parfumerie Particulière hätte dieser Schritt auch gut gestandnen.

Ganz so für sich eingenommen wie etwa Pluie Noire, das andere grenzwertig aquatische Parfum der Marke, hat mich The Saint Mariner nicht, dazu ist es einen Tick zu untief, aber die beinahe industriell funktionale Zitrusnote ist hier wirklich exzellent umgesetzt, ob es das ganze letztendlich als Extrait de Parfum zu 100ml bedarf bleibt eine andere Frage, ich sehe es eher als Konsens, nach der kaum mehr unumgänglichen Eau de Parfumisierung, mit der zunehmenden Extrait de Parfumisierung mitzuhalten.
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Intersport vor 1 Jahr 18 13
Detour XIII: Poivre Corse
Korsika wird seit Sables (1985) immer häufiger und auch scheinbar akribischer kartografiert. Vor allem in den letzten Jahren diente die Insel als Platzhalter für fast alle Hartlaub Vegetationen rund ums Mittelmeer. Könnte Sables (Sand) noch als recht großflächige Abstraktion durchgehen, wird es mit Sperone engmaschiger, ein spezifischer Küstenabschnitt südlich von Bonifacio ist der Ausgangspunkt fuer diese Szene.

Dabei bediente sich Le Couvent zuletzt mit Ambra (2021) einer korsisch pflanzlichen Identität, bzw. behauptete das vielmehr durch den Einsatz einer für die Insel so ikonischen (gewordenen) Immortelle Note. Wurde diese bei Ambra fast all ihrer bezaubernden und fordernden Ecken und Kanten beraubt (sie zeigt sich als grenzwertig erkennbarer ambrierter Füllstoff), so bin versucht Sperone als Korrektur oder Gegenstück zu lesen.

Es geht recht unvermittelt mit einer gewürzigen Frische zur Sache, ein Hauch bitterer Bergamotte verschwindet so schnell wie er gekommen ist; Pfeffer-artiges, gepaart mit Thymian, was mich jedoch mehr an Sellerie Salz denken lässt, bestimmt den Auftakt. 'Frische' in Kombination mit leicht Gemüse-artigen Facetten an der Schnittstelle Sellerie/Liebstöckel wurde u.a. in Sel de Vétiver (2006) bestens inszeniert; auch werden Sellerie/Liebstöckel Noten immer wieder als mögliche Schraffierungen der Immortelle kategorisiert. Comme des Garçons Series Luxe: Patchouli (2007) oder Divine's L'Être Aimé Homme (2008) setzen geradezu auf diese speziellen Aspekte, Sperone knüpft nun hier an und ich vermute dass diese Eigenschaften auch vom Immortelle essential oil stammen, das mit seinen aromatischen Facetten doch recht anders ist, als das häufiger verwendete warm würzige Immortelle Absolute. Sperone, so scheint mir, setzt auf beides, auch leicht kaffeeartigen Facetten der Immortelle schimmern durch und geben Volumen; eine in sich schlüssige Balance.

Die andere Hauptrolle spielt eine dezent rauchige Labdanum Note, die in dieser Modulation, mit gummiartigen Anteilen, an den Geruch einer Luftmatratze auf Waldboden erinnert - was zu diesem sommerlichen Eau auch irgendwie passt - gepaart mit minimaler Säure, ähnlich den klebrigen Absonderungen der noch unverarbeiteten Zistrosen Blättern - auch hier kommen nochmals zwei Facetten einer Zutat zur Geltung, die, der noch 'rohen' Zistrose und die des bereits verarbeiteten Labdanums. Erfreulicherweise gewinnt Sperone im Ausklang, wo die Verbindung Immortelle/Labdanum meisterlich verwoben wirkt, die leicht sperrigen und - an acquired taste - aromatischen Gemüse-Noten bleiben entfernt im Hintergrund erhalten, aber diese mitunter rustikal anmutende Komposition, entwickelt nochmals ordentlich Wärme und Volumen.

Freilich, das Rad wurde hier nicht neu erfunden, die Verbindung Thymian und Immortelle konnten Serge Lutens und Christopher Sheldrake in Chêne (2004) bemerkenswert dunkel umsetzten, erst vor einem Jahr erschien mit Astier de la Villatte's Tucson (2022) eine reduzierte wie überzeugende Veröffentlichung bei der sich viel um Immortelle (Absolute) plus Labdanum dreht; aber entsprechend der relativ genauen geografischen Angabe im Titel handelt es sich bei Sperone um eine zusätzliche, andere Stimme, mit quasi regionalen Differenzen. In einem trotz steigender Tendenz noch überschaubaren Feld von mediterranen, hitzigen Düften, eine interessante Alternative zur sommerlichen Zitrik & Frische.

* Auch wenn die sprachliche Fokussierung auf zwei Hauptkomponenten, hier eben Immortelle und Labdanum, gut in Jean Claude Ellena's Reduktionslogik passt, die er v.a. in den Hermessence Veröffentlichungen (2004 - 2016) perfektionieren konnten, ist die Autor:innenschaft ist bei Le Couvent komplizierter, überhaupt, seine 'Rolle' wird seitens der Marke ja auch schon mal als die eines 'Olfactory Director' beschrieben, ganz im Sinne der angelsächsischen 'Directorisation' aller möglicher 'Positionen', also vielleicht jemand der vielmehr in einem Team arbeitet als nur solo. Vielleicht muss ich auch wegen dem vegetable touch in Sperone auch an Amélie Bourgeois' Kythnos (2019) denken, Zufall, Teamarbeit, oder Zugriff auf eine mediterrane 'Haus-Basis'?!
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