Rhiel

Ich versuche es, eine Rezension zu schreiben. Was mir hier gar nicht leichtfällt, da er so unorthodox ist und in mir mehr weckt, als es Worte beschreiben können.
Dieser Duft ist für mich kein Parfum, sondern eine Essenz aus Bildern und Gefühlen, aus meiner Kindheit und noch viel weiter zurück.
Er erinnert mich an die Orte, wo ich mein Herz eingepflanzt habe und wo Stücke davon immer wachsen werden. An die Trockenrasen und Kalksandsteine der Hersbrucker Schweiz, wo im Sommer Schafgarbe blüht und Grashüpfer springen, die Luft flirren kann vor Hitze, Gewitter über der Pegnitz hängen und der Donner scheinbar das Jüngste Gericht einläuten will.
Und all diese Bilder können für jede ähnliche Landschaft stehen, wo Felsen wie Zähne aus den Baumwipfeln ragen und merkwürdige Steinformationen an Druiden und Kräuterweiber erinnern, wo Gräser duftend in der Sonne vertrocknen und Ameisen am Waldrand ihre Festungen bauen. Flowers Barrow ist für mich wie gesagt kein Parfum.
Obenauf liegt eisige Minze und die Süße von Beeren und der Rosengeranie. Darunter der Duft von erdigen, wildem Thymian. Dazwischen ist der Duft hohl, so wie ich es nur von Mitsouko und Byredos Bullion kenne. Und ist genau diesen unbesetzten Raum fliegt meine Fantasie von ruralem Leben, heidnischen Gebräuchen, um Dämonen zu vertreiben und von Johannifeuern; er drängt mich, wieder meine Augen aufzumachen für die Wunder der Natur, die sich in den kleinsten Ritzen im Asphalt auftun, wenn früh um fünf im Juni die Amsel vom Nachbardach singt und ich mich frage, wie der Himmel so blau sein kann.

Flowers Barrow erzählt mit seinen wenigen, so gegensätzlichen und durchaus kräftigen Noten nicht von Sandstränden oder den Lavendelfeldern der Provence - er erzählt von all den Gegenden in Europa, wo die Tracht der Menschen schlicht und dunkel war, Farben meist der Natur vorbehalten und die Menschen selbst zurückhaltend waren. Und so ist Flowers Barrow kein Parfum, das man je in einer Parfümerie hätte finden können. Selbst für Lush ist es einer der ungewöhnlichsten Düfte, hat aber die bekannte gute Haltbarkeit und auch die Sillage ist ebenso

So. Das war mein Versuch über Flowers Barrow. Ich habe eine volle Flasche als Vorrat im Kühlschrank stehen. Der imaginäre Rabe auf meiner Schulter hat gerade gekrächzt, ich sollte lieber noch eine Flasche unter der Linde vergraben - für schlechte Zeiten. Vielleicht hat er recht.

Ich weiß gar nicht mehr genau, wie ich auf den Trichter kam, dass ich Sel Marin brauche. Für einen Blindkauf hab ich damals nicht wenig ausgegeben und dann ist das auch nicht ganz so meine Stilrichtung.
Fakt ist, ich habe mir damals Sel Marin gekauft und bereue es keinen Tag. Warum ist das aber so?
Dass Sel Marin zu den sogenannten Aquaten gehört, nach Salz, Gischt und Meer riecht, wurde hier schon ausführlich geschrieben. Und deswegen braucht auch gerade Frau so einen Duft.

Wenn der Sommer so heiß ist, dass nachts in der Stadt die Häuser nicht mehr abkühlen und die Hitze wirklich zum Stress für den Körper wird, brauch ich keine tropischen, süßen Blumen oder eine Guerlinade. Dann brauch ich was, was den Kopf freimacht. Man könnte ja auf die zitrischen Düfte zurückgreifen, aber da habe ich für mich noch nicht das richtige gefunden (mein altes Verveine, das ich in Grasse gekauft habe ist eine Ausnahme und wird gehütet wie der heilige Gral).

Ich finde Sel Marin sehr klärend und durchaus auch herb ohne eckig zu sein. Und es ist genial zum Layern. Florale Düfte, die wenig Duftnoten in der Pyramide aufweisen bekommen mit Sel Marin noch mehr Dimension. Gerade mit einem Veilchen getestet- hervorragend. Und sobald ich mal ganz verwegen bin kommt er auf einen Tropfen Flowers Barrow. Vielleicht schwimme ich dann gefühlt neben Nessi aus Loch Ness in die Nordsee zur Sommerfrische- aber hey, Nessi hat sicher einige verrückte Geschichten zu erzählen und nichts geht über verrückte Geschichten.

Dieser Duft war für mich ein Blindkauf. Meine neues Interesse an Iris und pudrigen Düften, das sich gerade neben einer schier unstillbaren Gier nach Tuberose breit macht, haben mich das Risiko eingehen lassen. Und auch der Verriss hier hielt mich nicht ab.
Doch wie ist er denn nun? You get what you see: kurz blitzt eine frische Kofnote auf, die recht bald einer pudrigen Iris Platz macht. Die ist nicht zu süß, nicht trocken oder staubig, sondern für mich gerade richtig, um einen Puderduft zu schaffen, der im besten Sinne des Wortes altmodisch ist. Er macht auch keine großartige Entwicklung, sondern bleibt einfach und einfach angenehm.
Die Sillage ist zurückhaltend und die Haltbarkeit akzeptabel. Der Duft hält einen Arbeitstag . Das reicht mir erstmal, da ich nicht verliebt bin. Allerdings kann das noch kommen: denn irgendwie erinnert er mich ein bisschen an Nantucket Briar von Crabtree&Evelyn. Und den hab ich schon seit Jahren als Travel Size, selten benutzt, oft beschnuppert und regelmäßig geprüft, ob er auch wirklich noch da ist.
Der Flakon ist simpel, aus Glas und erfüllt meine Zwecke hervorragend. Echter Benefit: der Zerstäuber ist nicht von Gardena, so dass ich mich hier auch mal ans Layern wagen kann, weil gut zu dosieren. Ja, ich freu mich über Sissi.

Wer sich Ende letzten Jahres auf YouTube umgesehen hat, ist sicher auch über die Bushcraft- und Survivalkanäle gestolpert. Und wenn man sich dann ein bisschen mit dem Thema Lagerbau beschäftigt, kommt man auch am Jägerbett nicht vorbei.

Und genau so ein Jägerbett haben wir hier - nun ja, zumindest vom Prinzip her. Aber es ist nicht für Jäger, sondern eher für Jägerinnen, Jägerinnen von Sonnenstrahlen im frühen März. Für Jägerinnen von den ersten Gänseblümchen und den ersten Zitronenfaltern, die den überschwänglichen Frühling versprechen.

Aber zurück zu unserem Jägerbett.
Ganz obenauf liegen Mimosen, die fluffigen kleinen Kugeln der Akazienbäume (nicht der Mimosen, die sich erschrecken, wenn man sie berührt). Und damit man schön bequem liegt, sind es viele Mimosen - viele kleine gelbe Kugeln an ihren filigranen Rispen. Das kitzelt schon ein bisschen in der Nase. Ganz betört liegen wir da nun. Aber nach einiger Zeit drehen wir uns hin und her. Man schläft ja nicht alle Tage in einem Jägerbett. Und wir zerdrücken die Mimosen. Und auch die Schicht darunter: viele, viele Fliederzweige mit Blüten und Blättern wird gedrückt. So kommt zu den langsam vergehenden Mimosen der Flieder mit Blatt und Borke. Grün riecht er und saftig und nach Flieder. Und während wir uns noch ein paar Mal hin-und herdrehen, die kitzelnden Mimosen aus dem Gesicht streichen und den Kopf auf den Arm legen, strömt langsam noch der Geruch frisch zerdrückten Klees durch das Bett aus Blättern und Blüten. Und sich darüber wundernd, dass das alles so gut riechen kann schlafen wir ein und träumen bis zum nächsten Morgen. So lang die Blüten duften. In unserem Jägerbett aus Grasse.

In letzter Zeit hab ich einfach keine Lust mehr - keine Lust mehr, eine Powerfrau zu sein, keine Lust mehr, ständig souverän jede Katastrophe zu meistern, keine Lust mehr, ein weiblicher Feldwebel in der Schlacht des Alltags zu sein. Und da kommt dieser Duft ins Spiel.

Man bekommt, was die Duftpyramide verspricht - einen süßen, sahnigen Duft. Hier gibt es keine Ecken, keine Kanten. Dieser Duft ist einfach, ohne simpel zu sein. Und gerade deswegen ein echter Schatz.
Für mich sind die Feigenmilch und die Vanille die Hauptdarsteller. Mimose schwebt in der Kopfnote und bildet kurz eine blumige Aura, dann übernimmt die Herznote mit Iris und der süßen Milch. Die wird bald sehr sahnig durch Vanille und bleibt. Pudrig ist das nicht. Pudding ist das. Süß, noch warm und sehr heimelig.

Dieser Duft ist was für kalte Tage, wenn es draußen strengen Frost hat und Reif- keinen Schnee, wenn die letzten pastelligen Sonnenstrahlen die Eiskristalle funkeln lassen und alle Wintermärchen wahrscheinlicher werden.
Und man sich einfach zurücklehnt und mal andere die Helden, andere stark und tapfer sind- einfach so.

Die Sillage ist keine Prinzessin - man wird bemerkt, daher für die Sillage die große Krone einer Königin. Zur Haltbarkeit: dieser Duft begleitet einen den ganzen Tag bis zum Abend. Und sorry guys - auf den müsst Ihr verzichten. Aber Ihr könnt gerne an uns riechen - vergesst bitte Euer Pferd nicht